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Pflegetagegeldversicherung – unrichtige Angaben zum Gesundheitszustand durch Dritten

Versicherungsvertragsanfechtung: Falsche Gesundheitsangaben und die Rolle des Versicherungsvertreters

Im vorliegenden Fall geht es um eine Pflegetagegeldversicherung und die Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Versicherer. Die Klägerin, die Versicherungsnehmerin, leidet an rheumatoider Arthritis, eine Information, die sie bei Abschluss des Vertrages nicht mitteilte. Der Versicherer argumentiert, dass die Klägerin arglistig getäuscht habe, indem sie falsche Angaben über ihren Gesundheitszustand machte. Die Klägerin hingegen behauptet, dass der Antrag von der Agentur des Versicherers ohne Rücksprache mit ihr ausgefüllt wurde.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 16 U 133/19 >>>

Die Rolle des Versicherungsvertreters

Die Klägerin argumentiert, dass der Versicherungsantrag von der Agentur des Versicherers ohne ihre Kenntnis vorausgefüllt wurde. Sie behauptet, dass sie aufgrund ihrer langjährigen Geschäftsbeziehung mit dem Versicherer davon ausgehen durfte, dass der Versicherungsvertreter ausreichend über ihren aktuellen Gesundheitszustand informiert war. Das Landgericht hat jedoch entschieden, dass die Klägerin arglistig gehandelt hat, da sie den Antrag „blind“ unterzeichnet hat, ohne die Angaben zu überprüfen.

Die Anfechtung des Vertrages

Der Versicherer hat den Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten. Die Klägerin hat gegen ihre Offenbarungspflicht verstoßen, indem sie ihre rheumatoide Arthritis nicht mitgeteilt hat. Das Gericht hat entschieden, dass die Klägerin durch die Unterzeichnung des Antragsformulars „ins Blaue hinein“ eine etwaige Unrichtigkeit der enthaltenen Angaben billigend in Kauf genommen hat.

Die Auswirkungen der Täuschung

Die Klägerin argumentiert, dass die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und dass der Verlust des gesamten Versicherungsschutzes eine übermäßige Härte darstellt. Das Gericht hat jedoch entschieden, dass die Täuschungshandlung nicht nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und dass der Verlust des gesamten Versicherungsschutzes daher keine übermäßige Härte darstellt.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht hat entschieden, dass die Klägerin keine Leistungsansprüche aus der Pflegetagegeldversicherung hat, da der Vertrag durch den Versicherer wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten wurde. Die Klägerin hat gegen ihre Offenbarungspflicht verstoßen und die Unterzeichnung des Antragsformulars „ins Blaue hinein“ eine etwaige Unrichtigkeit der enthaltenen Angaben billigend in Kauf genommen.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 16 U 133/19 – Urteil vom 04.06.2020

Die Berufung der Klägerin gegen das am 25. Oktober verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Leistungen aus einer Pflegetagegeldversicherung bei der Beklagten, die diesen Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten hat.

Die Klägerin unterhält eine Vielzahl von Versicherungsverträgen bei der Beklagten oder Unternehmen der Gruppe der Beklagten, u. a. eine im April 2008 abgeschlossene Unfallversicherung.

Im Jahre 2011 fragte ihre Tochter, die Zeugin L., der die Klägerin bereits 2008 eine Vorsorgevollmacht erteilt hatte, bei dem Versicherungsagenten K.-D. telefonisch an, ob die Möglichkeit zum Abschluss einer Pflegetagegeldversicherung für die Klägerin bestünde. Dessen Mitarbeiterin, die Zeugin Le., unterbreitete der Klägerin daraufhin zwei Tarifvorschläge. Nach Auswahl eines Tarifs füllte die Zeugin Le. den Antrag aus, wobei die Grundlage hierfür streitig ist. In dem Formular sind alle drei Gesundheitsfragen mit „Nein“ beantwortet, darunter auch eine nach entzündlichen Gelenkerkrankungen. Dass sich die Klägerin seit 2004 wegen rheumatoider Arthritis in ärztlicher Behandlung befindet, ist in dem Antrag nicht angegeben. Wegen der Gestaltung des Formulars wird auf die Kopie des Antrags Bezug genommen (Anlage K1, AB). Der Vertrag sieht nach Erhöhung zum 1. Januar 2018 einen Pflegetagegeldsatz von 61,00 Euro (zuvor 50,00 Euro) vor, der bei Pflegestufe III zu 100%, bei Pflegestufe II zu 70% und bei Pflegestufen I und 0 zu 30% gezahlt wird.

Die Klägerin bekam das Antragsformular zugeschickt, unterschrieb und sandte es zurück.

In der Folgezeit zahlte die Klägerin die vereinbarten Prämien vollständig und rechtzeitig. Im Jahre 2017 entwickelte sich bei der Klägerin eine Demenz. Für die Klägerin wurden Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung beantragt. Auf Grundlage eines Gutachtens des MDK vom 8. Februar 2018 (Anlage K4, AB), welches der Klägerin eine dementielle Entwicklung und eine rheumatoide Arthritis attestiert, wurde ihr mit Schreiben der Pflegekasse der DAK vom 16. Februar 2018 (Anlage K5, AB) eine Pflegebedürftigkeit nach dem Pflegegrad 2 zuerkannt.

Die Klägerin beantragte Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung. Im Rahmen der Leistungsprüfung ließ die Beklagte sich von der Hausärztin der Klägerin Gesundheitsinformationen zukommen. In einem Fragebogen der Beklagten gab die Hausärztin am 25. Juni 2018 (Anlage BLD 3, AB) an, dass die Klägerin an einer rheumatoiden Arthritis leidet, die erstmals im September 2004 diagnostiziert wurde.

Mit Schreiben vom 7. August 2018 (Anlage K6, AB) erklärte die Beklagte die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung, hilfsweise den Rücktritt von dem Vertrag und begründete dies mit den falschen Angaben über den Gesundheitszustand der Klägerin.

Die Klägerin hat behauptet, der Antrag sei von Seiten der Agentur der Beklagten ohne Rücksprache mit der Klägerin von der Zeugin L. vorausgefüllt worden. Sie habe darauf vertraut, dass dabei alles korrekt ausgefüllt worden sei.

Die Beklagte hat behauptet, der Zeuge K.-D. habe die Zeugin L. auf die Notwendigkeit der Beantwortung von Gesundheitsfragen hingewiesen. Die Zeugin Le. habe mit der Klägerin telefoniert, die Gesundheitsfragen einzeln erörtert und nach den Angaben der Klägerin ausgefüllt. Die fragliche Erkrankung wirke sich risikoerhöhend aus und würde im Risikoprüfungsprogramm der Beklagten berücksichtigt. Auch seien die begehrten Leistungen falsch berechnet. Die Klägerin könne nicht Leistungen der Pflegestufe II verlangen, da nach dem seit 2017 geltenden System der Pflegegrade der Pflegegrad 2 der Pflegestufe I entspreche.

Das Landgericht hat die Klage auf Leistungen aus der Pflegetagegeldversicherung abgewiesen. Die Beklagte habe den Vertrag erfolgreich anfechten können, da die Klägerin über ihre gesundheitlichen Verhältnisse arglistig getäuscht habe. Es lägen auch bei Zugrundelegung des klägerischen Vortrages hinreichende Indizien vor, aufgrund derer auf einen zumindest bedingten Täuschungsvorsatz der Klägerin geschlossen werden könne. Es habe keines Hinweises auf die Gesundheitsfragen seitens der Beklagten bedurft, da die Notwendigkeit von Gesundheitsangaben vor dem Abschluss einer solchen Versicherung allgemein bekannt sei. Zudem sei der Antrag ausreichend übersichtlich gestaltet, so dass der Abschnitt zu den Gesundheitsfragen auch bei flüchtiger Betrachtung nicht habe übersehen werden können.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Das Landgericht sei zu Unrecht von einer arglistigen Täuschung der Beklagten ausgegangen. Die Klägerin habe schon nicht getäuscht, weil sie das Formular nicht selbst ausgefüllt habe. Es habe deswegen eines ausdrücklichen Hinweises bedurft, die Richtigkeit der Angaben zu überprüfen. Die von der Rechtsprechung entwickelten Hinweispflichten im Falle einer Antragsaufnahme durch einen Versicherungsvertreter seien in modifizierter Weise anzuwenden. Es mache keinen Unterschied, ob der Versicherungsvertreter den Fragebogen im Beisein des Versicherungsnehmers ausfülle und zur Unterschrift vorlege oder aber den Antrag eigenmächtig in Abwesenheit des Versicherungsnehmers ausfülle und diesem anschließend übersende. Vielmehr bestehe im Interesse effektiven Verbraucherschutzes sogar eine weitergehende Verpflichtung, den Versicherungsnehmer darauf hinzuweisen, die vom Versicherungsvertreter selbständig eingetragenen Angaben auf ihre Aktualität zu überprüfen.

Jedenfalls habe die Klägerin nicht arglistig gehandelt. Im Hinblick auf ihr besonderes Vertrauensverhältnis zu der Beklagten aufgrund einer langjährigen Geschäftsbeziehung habe sie davon ausgehen dürfen, dass der von ihr beauftragte Versicherungsvertreter hinreichend über ihren aktuellen Gesundheitszustand informiert gewesen sei, insbesondere auch im Hinblick auf die erst zwei Jahre zuvor beantragte Unfallversicherung. In diesem Zusammenhang sei ihr Gesundheitszustand abgefragt worden.

Der Vorerkrankung fehle zudem die Gefahrerheblichkeit. Diese dürfe nicht vermutet werden, sondern die Beklagte müsse beweisen, dass sie den Vertrag bei Kenntnis des verschwiegenen Umstandes nicht abgeschlossen hätte.

Ferner handele es sich um eine unzulässige Rechtsausübung der Beklagten, sich auf die vollständige Leistungsfreiheit zu berufen. Von einer unzulässigen Rechtsausübung sei regelmäßig auszugehen, wenn die Täuschungshandlung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betreffe, so dass der Verlust des gesamten Versicherungsschutzes eine übermäßige Härte für den Versicherungsnehmer bedeute. Da die Pflegebedürftigkeit auf einer neurologischen Erkrankung beruhe, wirke sich die vermeintliche Täuschung bezüglich der rheumatoiden Arthritis gar nicht aus.

Schließlich hätte für die Beklagte im Hinblick auf das Alter der Klägerin und die verneinten Gesundheitsbeeinträchtigungen eine Nachfrageobliegenheit bestanden.

Der Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 25. Oktober 2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Lübeck – 4 O 39/19 –

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 16.866,50 € zzgl. Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB

  • auf einen Betrag in Höhe von 1.323,70 € ab dem 1. Februar 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.195,60 € ab dem 1. März 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.323,70 € ab dem 1. April 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.281,00 € ab dem 1. Mai 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.323,70 € ab dem 1. Juni 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.281,00 € ab dem 1. Juli 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.323,70 € ab dem 1. August 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.323,70 € ab dem 1. September 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.281,00 € ab dem 1. Oktober 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.323,70 € ab dem 1. November 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.281,00 € ab dem 1. Dezember 2018,
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.323,70 € ab dem 1. Januar 2019 und
  • auf einen Betrag in Höhe von 1.323,70 ab dem 1. Februar 2019 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 1.388,83 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab dem 26. Oktober 2018 zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie ab dem 1. Februar 2019 ein Pflegetagegeld in Höhe von derzeit täglich 42,70 € jeweils monatlich nachträglich zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 1. des jeweiligen Monats bis zum Entfallen der bedingungsgemäßen Pflegebedürftigkeit zu zahlen;

4. festzustellen, dass der Versicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer 140-78-013207542 trotz der Anfechtungserklärung der Beklagten vom 7. August 2018 und dem hilfsweise erklärten Rücktritt vom gleichen Tage unverändert fortbesteht;

5. festzustellen, dass die Beklagte die Klägerin von der Entrichtung der monatlichen Versicherungsprämien ab dem 1. Februar 2018 freizustellen hat;

6. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.561,38 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab dem 23. März 2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Der Gesundheitsfragebogen der Hausärztin sei bei ihr am 10. Juli 2018 eingegangen und sei am 23. Juli 2018 von der Zeugin F. ausgewertet worden.

II.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Berufungsgründe i. S. v. § 513 ZPO i. V. m. §§ 546, 529 ZPO liegen nicht vor.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen keine Leistungsansprüche aus der streitgegenständlichen Pflegetagegeldversicherung zu, weil diese durch die Beklagte gemäß § 22 VVG i.V.m. § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten wurde. Dementsprechend haben auch die Feststellungsbegehren und der auf den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete weitere Zahlungsantrag keinen Erfolg.

Der Versicherer kann einen Versicherungsvertrag nach den vorstehenden Regeln wegen arglistiger Täuschung anfechten, wenn der Versicherungsnehmer mit der wissentlich falschen Angabe von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag – hier: auf Pflegetagegeldversicherung – anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache (BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 – IV U 331/05, VersR 2007, 785 Rn. 8; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 22 Rn. 7).

1.

Nach § 19 Abs. 1 VVG hat der Versicherungsnehmer die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Unstreitig hat die Klägerin das vorausgefüllte Formular, in dem sämtliche Fragen zu etwaigen Vorerkrankungen verneint waren (Anlage K1, AB), unterzeichnet, ohne die fehlerhafte Angabe zum Bestehen einer der in Frage 2 genannten Vorerkrankungen zu korrigieren und der Beklagten ihre rheumatoide Arthritis mitzuteilen. Sie hat damit gegen ihre Offenbarungspflicht verstoßen; denn dass die Angabe einer derartigen Erkrankung für den Entschluss der Beklagten, den Antrag anzunehmen, erheblich war, folgt bereits daraus, dass die Beklagte ausdrücklich nach bestehenden entzündlichen Gelenkerkrankungen (Frage 2, Anlage K1, AB) gefragt hat.

Die Gesundheitsfragen sind der Klägerin nach deren streitigem Vortrag auch nicht deshalb nicht zur Kenntnis gelangt, weil die Zeugin L. die Fragen eigenmächtig ohne Rückfragen beantwortet haben könnte (vgl. hierzu Neuhaus, Kenntnis und Textform der Antragsfragen bei der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung, VersR 2012, 1477). Dem steht bereits entgegen, dass die Zeugin der Klägerin das Antragsformular übersandte und diese damit zuhause hinreichend Gelegenheit hatte, die in Textform fixierten Fragen in Ruhe zur Kenntnis zu nehmen.

Auf die Erwägungen der Klägerin zur Anwendbarkeit der „Auge-und-Ohr-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs (siehe nur BGH, Urteil vom 9. März 2011 – IV ZR 130/09, VersR 2011, 737 Rn. 8) kommt es nicht an, behauptet die Klägerin doch selbst nicht, gegenüber der Zeugin korrekte Angaben zu ihrem gegenwärtigen Gesundheitszustand gemacht zu haben. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die über drei Jahre zuvor gegenüber „der Agentur“ (BB S. 7, GA 188) beantworteten Gesundheitsfragen im Zusammenhang mit der Beantragung einer Unfallversicherung im April 2008 (Klageschrift S. 3, GA 3). Weder der Beklagten noch den Mitarbeitern ihrer Agentur kann abverlangt werden, dass ihr bzw. ihnen diese mehr als drei Jahre zuvor in anderem Zusammenhang gemachten Angaben noch präsent sind, angesichts der den Versicherungsnehmer treffenden Verpflichtung zu wahrheitsgemäßer und vollständiger Erklärung auch nicht, dass sie frühere und spätere Angaben miteinander abgleicht.

2.

Die Klägerin handelte arglistig, als sie das Antragsformular unterzeichnete, ohne dieses – nach ihrem eigenen Vortrag – im Vertrauen auf die jahrelange Geschäftsbeziehung zu dem Versicherungsagenten K.-D. zuvor durchzulesen.

Zwar begründet die allein vorsätzliche falsche Angaben den Vorwurf der Arglist nicht (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1990 – IV ZR 113/89, NJW-RR 1991, 411, 412); denn der daneben zu fordernde Täuschungsvorsatz setzt die billigende Erkenntnis des Versicherungsnehmers voraus, der Versicherer könne durch seine – falschen oder unvollständigen – Angaben in seiner Vertragsentscheidung beeinflusst werden. Der Vorsatz des Versicherungsnehmers muss sich mithin auf die Täuschungshandlung, die Irrtumserregung und die dadurch erfolgende Willensbeeinflussung erstrecken (BeckOK VVG/Spuhl, 7. Ed. 15.03.2019, VVG § 22 Rn. 18). Selbst bei gutem Glauben im Hinblick auf die Richtigkeit der Angaben liegt jedoch Arglist vor, wenn der Erklärende „ins Blaue hinein“ objektiv unrichtige Angaben macht. Der die Arglist begründende Vorwurf ist in dem Umstand zu erkennen, dass die Klägerin im Bewusstsein eigener Unkenntnis das Antragsformular „blind“ unterzeichnet und damit die für sie erkennbare Vorstellung der Beklagten ausgenutzt hat, dass im redlichen Geschäftsverkehr Erklärungen „ins Blaue hinein“ nicht abgegeben werden, der Erklärungsempfänger also darauf vertrauen kann, dass die Erklärung auf zuverlässiger Tatsachengrundlage abgegeben wurde (vgl. hierzu nur KG, Beschluss vom 10. Januar 2006, VersR 2007, 381; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Juli 2008, ZfSch 2009, 269) oder aber der Erklärende den Inhalt seiner Erklärung zur Kenntnis genommen hat und den Inhalt billigt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. Februar 1990 – 20 W 6/90, VersR 1990, 765). Ein Versicherungsnehmer, der objektiv falsche Angaben „ins Blaue hinein“ macht, nimmt deren Unrichtigkeit zumindest billigend in Kauf (BeckOK VVG/Spuhl, 6. Ed. 15.03.2020, a. a. O.), ebenso derjenige, der ein von einem Dritten vorausgefülltes Formular „blind“ unterschreibt (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, a.a.0., § 22 Rn. 26 m.w.N.). Hierfür spricht insbesondere auch, dass die Klägerin, die bereits im April 2008 einen Antrag auf Abschluss einer Unfallversicherung unterschieben hatte, wusste, dass bei der Beantragung einer Versicherung, bei der es für den Versicherer zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme entscheidend auf den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers ankommt, Gesundheitsfragen gestellt werden würden. Dies war zudem bereits bei einem flüchtigen Blick auf das verwendete Formular ohne weiteres erkennbar. Das Formular ist kurz und übersichtlich gestaltet, der die Gesundheitsfragen betreffende Abschnitt ist hervorgehoben.

Selbst wenn die Klägerin darauf vertraut hätte, dass der Versicherungsagent K.-D. und/oder seine Mitarbeiterinnen bzw. sein Mitarbeiter aufgrund der langjährigen Geschäftsbeziehung und insbesondere der Beantragung einer im April 2008 Kenntnis von ihrem generellen Gesundheitszustand hatten, ändert dieser Umstand nichts daran, dass die Klägerin durch die zugestandene Unterzeichnung des Antragsformulars „ins Blaue hinein“ eine etwaige Unrichtigkeit der enthaltenen Angaben jedenfalls billigend in Kauf genommen hat. Vor diesem Hintergrund kommt auch die Annahme einer zusätzlichen Pflicht der Beklagten, die Klägerin auf eine erforderliche Überprüfung der Aktualität der Gesundheitsangaben hinzuweisen nicht in Betracht, zumal dem Antragsformular, dessen Inhalt die Klägerin nicht zur Kenntnis genommen hat, bereits der Hinweis zu entnehmen ist, dass vor der Unterzeichnung überprüft werden möge, ob alle Fragen vollständig und korrekt beantwortet wurden.

3.

Die falsche Angabe zu der Vorerkrankung der Klägerin ist ohne weiteres kausal für den Vertragsschluss gewesen. Ausweislich des Antragsformulars ist „ein Vertragsabschluss für die betreffende Person nicht möglich“, wenn u.a. die falsch beantwortete Gesundheitsfrage mit „ja“ beantwortet worden wäre.

4.

Der Anfechtung durch die Beklagte steht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung nicht entgegen. Entgegen der Ausführungen in der Berufungsbegründung stellt die rheumatoide Arthritis ausweislich der MDK-Gutachtens eine der pflegebegründenden Diagnosen dar (Gutachten S. 2, Anlage K4, AB). Hiernach ist die Klägerin u. a. seit längerem nicht ausreichend mobil, kann nicht frei stehen und ist wiederholt gestürzt. Vor diesem Hintergrund lässt sich bereits nicht feststellen, dass die Täuschungshandlung bezüglich der verschwiegenen Vorerkrankung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betreffe, so dass der Verlust des gesamten Versicherungsschutzes eine übermäßige Härte bedeute, wie die Klägerin meint. Es kann daher dahinstehen, ob der vorstehende Einwand einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung überhaupt entgegen gehalten werden kann.

5.

Die Beklagte musste entgegen der Annahme der Klägerin bei ihr nach Übersendung des Antragsformulars wegen erkennbar unvollständiger, unklarer oder missverständlicher Angaben keine Nachfrage halten. Es ist bereits fernliegend, dass die Beklagte allein wegen des Alters der Klägerin von 68 Jahren bei Antragstellung die Angaben zu fehlenden Vorerkrankungen hätte in Zweifel ziehen müssen. Letztlich steht die Verletzung der Nachfrageobliegenheit der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung aber ohnehin nicht entgegen (BeckOK VVG/Spuhl 7. Ed. 15.03.2020, VVG § 19 Rn. 172).

6.

Die Beklagte hat ihr Anfechtungsrecht mit Schreiben vom 7. August 2018 wirksam innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB ausgeübt, nachdem die Anfechtungsfrist frühestens am 25. Juni 2018 (Datum der ärztlichen Stellungnahme) zu laufen begann. Die Klägerin kann folglich weder Leistungen aus der Pflegezusatzversicherung noch die begehrten Feststellungen in Bezug auf diesen Vertrag oder den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten beanspruchen.

7.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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