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Krankentagegeld – Rückzahlungspflicht bei Bezug private Berufsunfähigkeitsrente

Rückforderung von Krankentagegeld bei Berufsunfähigkeitsrente: Das Urteil des Landgerichts Offenburg

In einem jüngst gefällten Urteil durch das Landgericht Offenburg (Az.: 2 O 4/20) wurde deutlich, wie komplexe Versicherungsverhältnisse bei Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeitsversicherungen rechtlich zu behandeln sind. Der Fall drehte sich um die Frage, ob Leistungen aus einer Krankentagegeldversicherung zurückzuzahlen sind, wenn die versicherte Person eine private Berufsunfähigkeitsrente in Anspruch nimmt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 O 4/20 >>>

Der zugrunde liegende Versicherungsfall

Konkret ging es um eine Klägerin, eine Versicherungsgesellschaft, und einen beklagten Versicherungsnehmer, die seit 2010 über einen privaten Krankentagegeldversicherungsvertrag miteinander verbunden waren. Der beklagte Versicherungsnehmer stellte nach Erhalt eines Schreibens seiner Versicherung einen Antrag auf Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung bei einem anderen Versicherer.

Die Streitfrage

Dies führte zur Streitfrage, ob der Versicherungsnehmer zur Rückzahlung der von seiner Krankentagegeldversicherung erhaltenen Leistungen verpflichtet ist, da die Berufsunfähigkeitsrente rückwirkend bewilligt wurde. Der Beklagte stand auf dem Standpunkt, dass in seiner Person keine Voraussetzungen für eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorgelegen hätten. Er warf der Klägerin und der anderen Versicherung vor, ihn durch kollusives Zusammenwirken zur Beantragung der Berufsunfähigkeitsrente verleitet zu haben.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gericht stellte in seinem Urteil klar, dass das Rückzahlungsverlangen der Klägerin nicht treuwidrig war, trotz des lesenswerten Hinweises, dass eine konzerninterne Absprache zwischen den beiden Versicherern zum Zweck einer Ersparnis nahe liegt. Es wurde ausdrücklich betont, dass das Anschreiben der Klägerin an den beklagten Versicherungsnehmer lediglich eine Information über den nahtlosen Übergang von der Krankentagegeld- in die Berufsunfähigkeitsversicherung im Falle eingetretener Berufsunfähigkeit darstellte.

Die Schlussfolgerung

Im Resultat wurde der Beklagte dazu verurteilt, die Summe von 23.092,76 € nebst Zinsen sowie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.242,84 € nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen. Das Urteil verdeutlicht die Komplexität und die juristischen Herausforderungen, die sich aus der Parallelität von Krankentagegeld- und Berufsunfähigkeitsversicherungen ergeben können. Damit liefert es eine wichtige Orientierung für ähnlich gelagerte Fälle.


Das vorliegende Urteil

LG Offenburg – Az.: 2 O 4/20 – Urteil vom 05.08.2020

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.092,76 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 24.04.2019 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.242,84 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.11.2019 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 23.092,76 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Leistungen aus einer Krankentagegeldversicherung.

Die klägerische Versicherung und der beklagte Versicherungsnehmer waren seit dem 01.03.2010 über einen privaten Krankentagegeldversicherungsvertrag (Tarif …) miteinander verbunden, dem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung in Verbindung mit den Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (Teil I MB/KT 2009, Vertragsgrundlage …) sowie die allgemeinen (Teil II – Vertragsgrundlage …) und besonderen Tarifbedingungen … (Teil III – Vertragsgrundlage …) der Klägerin zu Grunde lagen (vgl. Anlage K2).

In den MB/KT 2009 heißt es auszugsweise:

§ 11 Anzeigepflicht bei Wegfall der Versicherungsfähigkeit

Der Wegfall einer im Tarif bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit oder der Eintritt der Berufsunfähigkeit (vgl. § 15 Buchstabe b) einer versicherten Person ist dem Versicherer unverzüglich anzuzeigen. Erlangt der Versicherer von dem Eintritt dieses Ereignisses erst später Kenntnis, so sind beide Teile verpflichtet, die für die Zeit nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses empfangenen Leistungen einander zurückzugewähren.

§ 15 Sonstige Beendigungsgründe

Das Versicherungsverhältnis endet hinsichtlich der betroffenen versicherten Personen

a. bei Wegfall einer im Tarif bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzung weggefallen ist. Besteht jedoch zu diesem Zeitpunkt in einem bereits eingetretenen Versicherungsfall Arbeitsunfähigkeit, so endet das Versicherungsverhältnis nicht vor dem Zeitpunkt, bis zu dem der Versicherer seine im Tarif aufgeführten Leistungen für diese Arbeitsunfähigkeit zu erbringen hat, spätestens aber drei Monate nach Wegfall der Voraussetzung;

b. mit Eintritt der Berufsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist. Besteht jedoch zu diesem Zeitpunkt in einem bereits eingetretenen Versicherungsfall Arbeitsunfähigkeit, so endet das Versicherungsverhältnis nicht vor dem Zeitpunkt, bis zu dem der Versicherer seine im Tarif aufgeführten Leistungen für diese Arbeitsunfähigkeit zu erbringen hat, spätestens aber drei Monate nach Eintritt der Berufsunfähigkeit;

Nr. 30 Berufsunfähigkeit

(1) …

(2) Berufsunfähigkeits- bzw. Erwerbsminderungsrente

Ein Fall der Berufsunfähigkeit im Sinne von § 15 b MB/KT 2009 liegt auch vor, wenn die versicherte Person eine Berufsunfähigkeitsrente […] bezieht […].

Die Klägerin erbrachte dem Beklagten im Zeitraum vom 18.01.2018 bis 14.01.2019 aufgrund dessen 100%iger Arbeitsunfähigkeit die vereinbarten Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung in Höhe von insgesamt 25.050,00 € (= 334 Leistungstage x 75,00 € / Tag, vgl. die Übersicht der Klägerin auf Bl. 31 d.A.).

Am 13.11.2018 wurde der Beklagte auf Veranlassung der Klägerin von einem Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Herrn Dr. H., untersucht. Dieser kam in seinem Gutachten vom gleichen Tag zu folgendem Ergebnis (vgl. Anlage B2):

„Der Proband ist motiviert und arbeitet zielgerecht mit, die AU ist berechtigt, eine hochgradige Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf unbeschränkte Dauer kann derzeit nicht abgesehen werden, also keine BU.“

In einem Schreiben der Klägerin an den Beklagten vom 14.01.2019 heißt es (vgl. Anlage K5):

„[…] heute wenden wir uns in einer wichtigen Angelegenheit an Sie.

Gelegentlich kommt es vor, dass aus einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, die Sie über Ihre Krankentagegeldversicherung abgesichert haben, eine vollständige Berufsunfähigkeit entsteht. Damit endet aber Ihre Krankentagegeldversicherung und die Berufsunfähigkeitsversicherung tritt an deren Stelle. […]

Eine mögliche Folge:

Immer dann, wenn aus der Krankentagegeldversicherung die Leistungen bereits eingestellt sind, bei der Berufsunfähigkeitsversicherung das bedingungsgemäße Vorliegen der Berufsunfähigkeit aber noch geprüft wird, entsteht eine zeitliche Leistungslücke.

Für diesen Fall bieten wir Ihnen unseren Service zum nahtlosen Übergang […].

Bitte stellen Sie innerhalb eines Monats ab Erhalt dieses Schreibens einen Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bei ihrer Lebensversicherung im A-Konzern.“

In der dem vorgenannten Schreiben beigefügten „Garantieerklärung“ heißt es:

„Unsere Garantie für Sie:

Nahtloser Übergang von Krankentagegeld in den Berufsunfähigkeitsschutz

Gelegentlich kommt es vor, dass aus einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, die Sie über Ihre Krankentagegeldversicherung abgesichert haben, in eine dauerhafte Berufsunfähigkeit mündet und Ihre Krankentagegeldversicherung endet, so dass Sie Ihre Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch nehmen müssen.“

Der Beklagte stellte kurz nach Erhalt des vorgenannten Schreibens einen Antrag auf Gewährung von Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung bei der L-AG.

Bereits mit Schreiben vom 22.01.2019 teilte die L- AG dem Beklagten mit, dass nach Prüfung aller vorliegenden Voraussetzungen eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorläge und ein Leistungsanspruch ab 01.01.2018 bestehe. Dem Beklagten wurden von der L-AG dementsprechend 23.092,76 € für den Zeitraum Januar 2018 bis Januar 2019 ausgezahlt (= 334 Leistungstage x umgerechnet 69,14 € / Tag).

Mit Schreiben vom 18.02.2019 zeigte die Klägerin dem Beklagten an, dass wegen der rückwirkend bewilligten Berufsunfähigkeitsrente die Krankentagegeldversicherung geendet habe und der Beklagte deshalb zur Rückzahlung der Überzahlung in Höhe von 23.092,76 € an sie verpflichtet sei. Zugleich wurde dem Beklagten die Fortführung der Krankentagegeldversicherung als große Anwartschaftsversicherung angeboten (Anlage K7).

Nach zwei erfolglosen Zahlungsaufforderungen durch die Klägerin, u.a. unter Fristsetzung bis zum 23.04.2019, wurde der Beklagte durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin nochmals mit Schreiben vom 22.10.2019 unter Fristsetzung zum 05.11.2019 zur Zahlung von 23.092,76 € sowie der bis dahin angefallenen Nebenforderungen aufgefordert (Anlage K11).

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie einen Anspruch auf Rückzahlung von 23.092,76 € aus §§ 11, 15 MB/KT 2009 i.V.m. Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen habe. Dies ungeachtet des Umstandes, dass die Berufsunfähigkeitsrente von der L- AG rückwirkend bewilligt wurde. Ob der Beklagte tatsächlich bedingungsgemäß berufsunfähig sei oder nicht, sei irrelevant, da selbst die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente aus Kulanz ausreichen würde, um eine Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten zu begründen.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 23.092,76 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.04.2019 sowie als Nebenforderung außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.524,15 € seit dem 06.11.2019 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, dass in seiner Person zu keinem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit vorgelegen hätten, wie das Gutachten des Dr. H. zeige. Vielmehr hätten die Klägerin und die L-AG ihn durch kollusives Zusammenwirken dazu gebracht, einen Antrag auf Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente zu stellen, da deren Auszahlung den A-Konzern weniger Geld koste als die Fortzahlung des Krankentagegeldes.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass er nicht zur Rückzahlung von 23.092,76 € zzgl. Zinsen verpflichtet sei. §§ 11, 15 MB/KT 2009 i.V.m. Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen seien tatbestandlich nicht einschlägig, da entgegen der Begründung der L-AG keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorläge. Auf die Rechtsprechung zur kulanzweisen Gewährung von Berufsunfähigkeitsrenten könne sich die Klägerin nicht berufen, da die L-AG ihre stattgebende Entscheidung nicht mit Kulanz begründet habe. Im Übrigen sei das Rückzahlungsverlangen der Klägerin treuwidrig i.S.v. § 242 BGB, da diese dem Beklagten in kollusivem Zusammenwirken mit der L-AG die Stellung des Antrags auf Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente aufgedrängt habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze nebst jeweils dazugehörigen Anlagen verwiesen. Im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.07.2020 (Bl. 135 ff. d.A.) Bezug genommen.

Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vom 06.07.2020 einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt (Bl. 137 d.A.).

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

1.) Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen vertraglichen Anspruch aus §§ 11 S. 2, 15 lit. b MB/KT 2009 i.V.m. Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen auf Rückzahlung der für den Zeitraum vom 18.01.2018 bis 14.01.2019 erbrachten Krankentagegeldleistungen in Höhe von insgesamt 23.092,76 €

a) Nach § 11 S. 2 MB/KT 2009 sind die für die Zeit nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses empfangenen Leistungen einander zurückzugewähren.

Das Versicherungsverhältnis endete vorliegend gemäß § 15 lit. b MB/KT 2009 i.V.m. Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen zum 01.01.2018.

§ 15 lit. b MB/KT 2009 sieht vor, dass das Versicherungsverhältnis mit Eintritt der Berufsunfähigkeit endet. Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen sieht weiterhin vor, dass ein Fall der Berufsunfähigkeit im Sinne der vorgenannten Vorschrift auch vorliegt, wenn die versicherte Person eine Berufsunfähigkeitsrente bezieht.

aa) Die Leistungen der L- AG für den Zeitraum vom 18.01.2018 bis 14.01.2019 stellen einen solchen Rentenbezug aufgrund Berufsunfähigkeit des Beklagten dar. Ob der Beklagte tatsächlich berufsunfähig war bzw. ist, ist nach Wortlaut, Systematik und Sinnzusammenhang von Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbestimmungen dagegen irrelevant.

Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss, wobei es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch seine Interessen ankommt. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungszweck verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln ist zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 11. März 2015 – IV ZR 54/14 -, Rn.12, juris; Urteil vom 06. März 2019 – IV ZR 72/18 -, Rn.15, juris).

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer erkennt bei verständiger Würdigung von § 15 lit. b MB/KT einerseits und der direkt darunter abgedruckten Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen andererseits, dass es lediglich in § 15 lit. b MB/KT 2009 maßgeblich darauf ankommt, ob die versicherte Person nach medizinischem Befund auf unabsehbare Zeit zu mehr als 50 % erwerbsunfähig und damit berufsunfähig ist. Um Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen gegenüber § 15 lit. b MB/KT 2009 einen eigenen Anwendungsbereich zu geben, kann diese Regelung bei verständiger Würdigung nur dahin verstanden werden, dass die tatsächliche Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Beendigung des Versicherungsverhältnisses ausreicht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1989 – IVa ZR 178/87 -, Rn. 34, juris; OLG Hamm, Urteil vom 18. Januar 2002 – 20 U 108/01 – Rn. 22, juris; OLG Celle, Urteil vom 01. November 2007 – 8 U 127/07 -, juris; Langheid/Wandt/Hütt, 2. Aufl. 2017, VVG § 192 Rn. 191). Dementsprechend beendet selbst der Bezug einer aus Kulanz gewährten Berufsunfähigkeitsrente nach herrschender Rechtsprechung das Versicherungsverhältnis (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. Juli 2006 – 12 U 89/06 -, Rn. 27, juris; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 12. Februar 2003 – 5 U 194/02 – juris).

Da demnach die bloße Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ausreicht, ist irrelevant, ob diese dem Beklagten auch mit der richtigen Begründung – hier wohl Kulanz statt tatsächlich vorliegende Berufsunfähigkeit – gewährt wurde.

bb) Ebenfalls irrelevant ist, dass die Berufsunfähigkeitsrente dem Beklagten rückwirkend bewilligt wurde.

Für einen um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer ist offensichtlich, dass mit den Regelungen in § 15 MB/KT 2009 und Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen eine mehrfache Absicherung des Verdienstausfalls vermieden werden soll. Einerseits wird durch die Krankentagegeldversicherung nach den zwischen den Parteien vereinbarten Versicherungsbedingungen nur das Risiko eines voraussichtlich vorübergehenden Verdienstentgangs in der Zeit zwischen Beginn der Erkrankung und der damit einhergehenden Arbeitsunfähigkeit bis zur Rekonvaleszenz abgedeckt, vgl. § 1 Abs. 1 MB/KT 2009. Andererseits ist der Fall, in welchem zeitgleich ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente besteht, gerade nicht versichert. Bei dauernder Invalidität entsteht ein Verdienstentgang infolge von Arbeitsunfähigkeit nicht, da es dem Versicherungsnehmer von Beginn an unmöglich ist, sein Arbeitseinkommen zu generieren. Berufsunfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit, die einen Anspruch auf Krankentagegeldzahlungen begründet, schließen sich gegenseitig aus. Ein anderes Ergebnis liefe auch dem zwischen den Versicherungsarten bestehenden Grundsatz der Spezialität zuwider (BGH, Urteil vom 26. Februar 1992 – IV ZR 339/90 -, Rn. 18, juris).

Unter Beachtung dieses Zweckes der Krankentagegeldversicherung ist es nicht bedeutsam, ob die Rente wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend bewilligt wurde. Auch die rückwirkende Bewilligung hat zur Folge, dass der Verdienstausfall des Versicherungsnehmers kompensiert wird. Dem Versicherungsnehmer steht es frei, seine Ansprüche aus den jeweiligen Versicherungsverhältnissen so geltend zu machen, dass sein Verdienstausfall im Rahmen der versicherten Summe entweder über das Krankentagegeld oder über die Berufsunfähigkeitsrente ausgeglichen wird (BGH, Urteil vom 22. Januar 1992 – IV ZR 59/91 -, Rn.13, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. Juli 2006 – 12 U 89/06 -, Rn. 31, juris; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 14. März 2016 – 16 U 124/15 – Rn. 22, juris; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 09. Juni 2011 – 8 O 10129/10 – Rn. 20, juris).

cc) Die Regelungen § 15 lit. b MB/KT 2009 i.V.m. Nr. 30 Abs. 2 der Tarifbedingungen der Klägerin sind darüber hinaus wirksam in den Krankentagegeldversicherungsvertrag einbezogen worden.

Durch das erfolgte Angebot zum Abschluss einer Anwartschaftsversicherung – entsprechend der Regelung in Nr. 31 der Tarifbedingungen der Klägerin – wird der Krankentagegeldversicherungsvertrag nicht zwingend beendet. Die Annahme einer unangemessenen Benachteiligung i. S. d. § 307 BGB scheidet insofern aus (OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. Juli 2006 – 12 U 89/06 -, Rn. 29, juris OLG Hamm, Beschluss vom 10. Februar 2016 – I- 20 U 204/15 -, Rn. 28, juris HK-VVG/Jens Rogler, 4. Aufl. 2020, MB/KT 2009 § 15 Rn. 2).

b) Das Rückzahlungsverlangen der Klägerin ist auch nicht treuwidrig i.S.v. § 242 BGB.

Das Gericht verkennt nicht, dass die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 14.01.2019 gebeten hat, innerhalb eines Monats ab Erhalt des vorgenannten Schreibens einen Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bei der L-AG zu stellen, der von dieser dann trotz nach damaligem medizinischen Stand nicht vorliegender Berufsunfähigkeit binnen weniger Tage positiv beschieden wurde, sodass in der Tat eine konzerninterne Absprache zwischen der Klägerin und der L- AG zulasten des Beklagten zum Zwecke einer Ersparnis in Höhe von 5,86 € pro Tag nahe liegt. Dies zudem vor dem Hintergrund, dass es entgegen dem Wortlaut in der dem Schreiben vom 14.01.2019 beigefügten Garantieerklärung keine Verpflichtung gab und gibt, einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente zu stellen. Dies hat auch die Klägerin unumwunden eingeräumt (Bl. 151 d.A.).

Nichtsdestotrotz hält das Gericht das Schreiben vom 14.01.2019 nicht für derart missverständlich und den Beklagten deshalb nicht für derart schutzwürdig, dass ihm ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht nach § 242 BGB gegen das Rückzahlungsverlangen der Klägerin zuzubilligen wäre. So gibt das Anschreiben der Klägerin vom 14.01.2019 für einen verständigen Leser an so gut wie allen Stellen zu erkennen, dass es sich hierbei lediglich um eine Information zur Gewährleistung des nahtlosen Übergangs von der Krankentagegeld- in die Berufsunfähigkeitsversicherung im Falle eingetretener Berufsunfähigkeit handelt. Aufgrund der verwendeten Floskeln „Gelegentlich kommt es vor, dass […]“, „Eine mögliche Folge […]“, „Für diesen Fall bieten wir […] an“ wird hinreichend deutlich, dass nur für den Fall, dass der Beklagte berufsunfähig ist, eine zeitnahe Antragsstellung bei der L- AG erforderlich ist, um seitens der Klägerin einen nahtlosen Übergang in die Berufsunfähigkeitsversicherung ohne finanzielle Einbußen garantieren zu können. Der Nebensatz in der Garantieerklärung „so dass Sie Ihre Berufsunfähigkeitsversicherung in Anspruch nehmen müssen“ war und ist aufgrund des vorgenannten Kontextes so zu verstehen, dass der Beklagte nicht bereits Anfang 2019 unversehens einen Antrag auf Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente stellen musste, sondern nur im Falle eingetretener Berufsunfähigkeit, gerade um in diesem Fall weiterhin seinen Lebensunterhalt ohne Ausfallzeiten bestreiten zu können. Mit Unverständnis nimmt das Gericht daher zur Kenntnis, dass der Beklagte sich nach Lektüre des vorgenannten Schreibens verpflichtet gesehen haben will, einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente zu stellen.

Dass der Beklagte bei Lektüre des Schreibens gesundheitlich angeschlagen gewesen sein will, war der Klägerin jedenfalls nicht bekannt, und kann daher im Rahmen der Beurteilung der Treuwidrigkeit nicht berücksichtigt werden.

c) Die Pflicht zur Verzinsung des vorgenannten Betrags folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1 BGB und beginnt analog § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach Ablauf der im Schreiben vom 03.04.2019 gesetzten Zahlungsfrist, d.h. dem 24.04.2019.

2.) Der Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 € folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 1 BGB.

a) Dem Klägervertreter steht für seine außergerichtliche Tätigkeit nach §§ 2, 13 RVG, Nr. 2300 VV-RVG eine 1,3-Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von bis zu 25.000,00 € zzgl. Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV-RVG in Höhe von 20,00 € und 19% Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG zu. Dies ergibt einen Betrag in Höhe von 1.242,84 €. Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

b) Die Pflicht zur Verzinsung des vorgenannten Betrags folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1 BGB und beginnt analog § 187 Abs. 1 BGB ab dem Tag nach Ablauf der im anwaltlichen Schreiben vom 22.10.2019 gesetzten Zahlungsfrist, d.h. dem 06.11.2019.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 S. 2 ZPO.

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