Skip to content

Kfz-Kaskoversicherung – Obliegenheitsverletzung durch unrichtige Bezeichnung des letzten Fahrers

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 11 U 77/18 – Urteil vom 06.02.2019

Die Berufung der Beklagten gegen das am 21.03.2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam – 2 O 131/16 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last.

Das Berufungsurteil und die angefochtene Entscheidung sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu € 6.000,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr die Beklagte, eine Assekuranz, deren Firma bis zum 13.06.2017 D… AG lautete, aus einer gemäß Police vom 07.07. 2015 (Kopie GA I 51 ff.) zu den Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB), Stand Januar 2015 (Kopie GA I 61 ff.), zwischen den Parteien abgeschlossenen Teilkaskoversicherung den Wiederbeschaffungswert des Audi A4 mit der FIN WA… und dem ehemaligen amtlichen Kennzeichen … zu ersetzten hat, der ihr in der Zeit zwischen dem 31.08.2015 abends und dem 01.09.2015 morgens in B… gestohlen worden sei. Zur näheren Darstellung sowohl des Sachverhalts als auch der erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird auf den Tatbestand der angegriffenen Entscheidung (LGU 2 f.) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Beim Landgericht Potsdam, das in der Eingangsinstanz erkannt hat, ist die Klage – bis auf einen Teil der vorgerichtlichen Anwaltskosten – erfolgreich gewesen. Zur Begründung hat die Zivilkammer im Kern ausgeführt: Die Vernehmung der Zeugen V… Z… und P… Z… habe zu ihrer – der Vorinstanz – Überzeugung den behaupteten Diebstahl bestätigt. Anhaltspunkte, die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugen sprächen, seien bei der Beweisaufnahme nicht zu Tage getreten. Der Einwand der Beklagten, dass die Klägerin – speziell in der Schadensanzeige vom 16.09.2015 (Kopie GA I 6) – P… Z… als letzten Fahrzeugnutzer angegeben habe, wogegen von beiden Zeugen bekundet worden sei, V… Z… habe den Wagen zuletzt gefahren und abgestellt, erweise sich betreffend die Feststellung der Kfz-Entwendung als unerheblich. Wegen der weiteren Details wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen (LGU 4 f.).

Dieses ist der Beklagten – zu Händen ihrer erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten – laut deren Empfangsbekenntnis am 26.03.2018 (GA I 260) zugestellt worden. Sie hat am 17.04.2018 (GA II 262) per Telekopie mit anwaltlichem Schriftsatz Berufung eingelegt und ihr Rechtsmittel mit einem am 07.05.2018 per Telekopie bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz begründet (GA II 270 ff.).

Die Beklagte ficht das landgerichtliche Urteil – im Kern ihre bisherigen Darlegungen wiederholend und vertiefend – in vollem Umfange ihrer Beschwer an. Dazu trägt sie insbesondere Folgendes vor:

Die Zivilkammer hätte den bestrittenen Diebstahl des Audi A4 nach Vernehmung der beiden Zeugen nicht als erwiesen ansehen dürfen, weil der Wagen zuvor unstreitig einen wirtschaftlichen Totalschaden gehabt habe. Dessen vollständige und fachgerechte Behebung darzutun und zu beweisen, obliege im Streitfall der Klägerin. Ein Wrack könne schließlich nicht gestohlen werden. Angesichts dessen sei es unerheblich, dass hier keine Leistungs-, sondern eine Feststellungsklage erhoben werde. Im Übrigen seien die erheblichen Widersprüche im klägerischen Vortrag und in den Angaben der beiden Zeugen unberücksichtigt geblieben. Wegen arglistiger Falschangaben betreffend den letzten Nutzer des Fahrzeugs bestehe für sie, die Beklagte, Leistungsfreiheit. Weiterhin sprächen die Umstände dafür, dass der behauptete Vorfall lediglich fingiert worden sei.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt – im Kern ihre erstinstanzlichen Darlegungen wiederholend und vertiefend – die Entscheidung des Landgerichts, soweit diese ihr günstig ist.

Der Rechtsstreit wurde durch Beschluss des Senats vom 07.09.2018 (GA II 296 f.) gemäß § 526 Abs. 1 ZPO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden. Im Termin der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz ist die Sach- und Rechtslage mit den Erschienenen eingehend erörtert worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der bisherigen Prozessgeschichte nimmt der Senat ergänzend auf die Anwaltsschriftsätze beider Seiten nebst Anlagen, auf sämtliche Terminsprotokolle und auf den übrigen Akteninhalt Bezug.

II.

Kfz-Kaskoversicherung - Obliegenheitsverletzung durch unrichtige Bezeichnung des letzten Fahrers
(Symbolfoto: Von Simon Kadula/Shutterstock.com)

A. Die Berufung der Beklagten ist zwar an sich statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517 ff. ZPO). In der Sache selbst bleibt das Rechtsmittel aber – aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (LGU 3 f.) und die den Angriffen der Berufung standhalten – erfolglos. Es liegen keine Berufungsgründe vor; weder beruht das landgerichtliche Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere – für die Berufungsführerin günstige(re) – Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Ohne Rechtsverstoß durfte die Zivilkammer im Ergebnis der Beweisaufnahme gemäß § 286 Abs. 1 ZPO zu der Überzeugung gelangen, dass der einen Leistungsanspruch begründende Versicherungsfall – in Gestalt einer gemäß Abschn. C.2 lit. b) AKB 2015 in der Teilkaskoversicherung eingedeckten und nach Abschn. C.1.4 AKB 2015 mit dem Wiederbeschaffungswert zu entschädigenden Fahrzeugentwendung – eingetreten ist (§ 1 Satz 1 VVG). Auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen beruft sich die Beklagte ohne Erfolg. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Für den vom Versicherungsnehmer als Anspruchsteller im Bereich der Sachversicherung zu führenden Entwendungsnachweis genügt es gemäß der sogenannten 3-Stufen-Theorie, die insbesondere in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelt wurde und die der in Konstellationen der vorliegenden Art typischerweise bestehenden Beweisnot begegnen soll, zunächst, wenn die klagende Partei objektive Tatsachen vorträgt und erforderlichenfalls beweist, aus denen sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines versicherten Diebstahls ergibt (vgl. dazu Laumen, MDR 2016, 560 ff., m.w.N.). Dazu gehört in der Kfz-Kaskoversicherung wie hier, dass der Wagen zu einer konkreten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt und dort bei der Rückkehr überraschend nicht mehr aufgefunden wurde (vgl. aaO, 563). Diesen Minimalsachverhalt durfte die Eingangsinstanz im Ergebnis ihrer Zeugenvernehmung ohne Rechtsverstoß als erwiesen ansehen. Keine maßgebliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang, ob alle Vorschäden des Automobils vollständig und fachgerecht repariert worden sind und wer zuletzt als Fahrzeugführer(in) hinter dessen Lenkrad gesessen hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten können sogar bloße Autowracks gestohlen werden; aus den Bekundungen der Zeugen V… Z… und P… Z…, die die Eingangsinstanz als glaubhaft angesehen hat, folgt indes ohne weiteres, dass die in Rede stehende Audi A4 fahrtüchtig gewesen sein muss. Ob eine (ordnungsgemäße) Reparatur stattgefunden hat, wirkt sich zweifelsfrei auf die Höhe des Wiederbeschaffungswertes aus; dessen Feststellung ist allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Ebenso wenig steht das Beweisergebnis hinsichtlich des notwendigen Minimalsachverhaltes im Widerspruch zum Vorbringen der Klägerin: Von ihr ist dargetan worden, dass das Kraftfahrzeug am Abend des 31.08.2015 von beiden Zeugen (gemeinsam) in der Straße A… 21 in Höhe der Dorfkirche abgestellt wurde und die Zeugin V… Z… (allein) tags darauf gegen 9:00 Uhr das Abhandenkommen des Wagens festgestellt hat. Der Versicherer hat zwar im Rahmen der sogenannten 3-Stufen-Theorie die Möglichkeit, den „Beweis des äußeren Bildes“ zu entkräften, indem er seinerseits konkrete Umstände vorträgt und erforderlichenfalls nachweist, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Vortäuschung des Versicherungsfalles zulassen (vgl. Laumen aaO, 561 und 564 f.). Ernsthafte und gewichtige Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers und der Richtigkeit des von ihm behaupteten Versicherungsfalles, wie sie dafür erforderlich sind (vgl. Laumen aaO), sind aber keineswegs allein damit zu begründen, dass offen bleibt, ob erhebliche Vorschäden des versicherten Fahrzeugs ordnungsgemäß repariert wurden; bloße Verdachtsmomente reichen in diesem Zusammenhang nicht aus.

2. Zu Unrecht hält sich die Beklagte für leistungsfrei, weil die Klägerin – speziell in der Schadensmeldung vom 16.09.2015 (Kopie GA I 6) – nicht angegeben habe, dass der Wagen zuletzt nicht von ihrem Sohn P… Z…, sondern von ihrer Schwiegertochter V… Z… gelenkt wurde. Nach ganz überwiegender Auffassung, die insbesondere in der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird und der sich der Senat angeschlossen hat, gehört die positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von den zu offenbarenden Umständen bei Anzeige-, Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten zum objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung, für den der Versicherer die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. insb. BeckOK-VVG/Marlow, 4. Ed., § 28 Rdn. 44, m.w.N.). Im Streitfall gibt es allerdings keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Anspruchstellerin wusste, wer zuletzt als Fahrzeugführer(in) hinter dem Lenkrad des Audi A4 gesessen hat. Im Übrigen musste sie die Frage im Schadensformular nach den Angaben zum letzten Nutzer nicht zwangsläufig in diesem Sinne verstehen. Bei lebensnaher Betrachtung durfte sie unter den gegebenen Umständen davon ausgehen, dass sie den Wagen nicht ihrer Schwiegertochter, sondern ihrem Sohn zur Nutzung überlassen hatte, der ihn seinerseits entsprechend den Bedürfnissen seiner Familie verwenden durfte. Im Übrigen ist die Unkenntnis der Tatsache, dass die Zeugen V… Z… und P… Z… das Kraftfahrzeug zuletzt – am Abend des 31.08.2015 – gemeinsam genutzt haben, um mit ihrer Tochter von deren Großeltern (der Klägerin und deren Ehemann) nach Hause zu fahren, wobei die Zeugin die Fahrzeugführerin gewesen ist, offensichtlich weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich geworden (§ 28 Abs. 3 Satz 1 VVG). Erst recht gibt es keinerlei Ansatzpunkte dafür, dass der Klägerin in diesem Zusammenhang Arglist zur Last fällt, sie also durch unzutreffende Angaben betreffend den letzten Nutzer des versicherten Fahrzeugs in der Schadensanzeige in einer für sie günstigen Weise auf die Regulierungsentscheidung der Beklagten einwirken wollte (vgl. dazu BeckOK-VVG/Marlow aaO Rdn. 201 ff.).

B. Die Kostenfolge ergibt sich aus dem § 97 Abs. 1 ZPO; danach fallen die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels der Beklagten zur Last, weil sie es eingelegt hat.

C. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Berufungsurteils und des angefochtenen Judikats gründet sich auf § 708 Nr. 10 ZPO. Weil die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Senats stattfindet, unzweifelhaft nicht gegeben sind (§ 543 und § 544 ZPO i. V.m. § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO i.d.F. v. 21.06.2018), ist gemäß § 713 ZPO von Schutzanordnungen zugunsten der unterliegenden Partei abzusehen.

D. Die Revision wird vom Senat – in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG – nicht zugelassen. Denn die vorliegende Rechtssache hat weder grundsätzliche – über den Streitfall hinausgehende – Bedeutung (für eine unbestimmte Vielzahl zu erwartender Streitigkeiten, in denen sich die gleichen Fragen als klärungsbedürftig erweisen) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Judikatur eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht. Das Berufungsurteil des erkennenden Senats beruht im Kern auf der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall und auf der Würdigung von dessen tatsächlichen Umständen. Divergenzen zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs oder zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die höchstrichterlich bisher noch ungeklärte Fragen mit Relevanz für den Ausgang des hiesigen Streitfalls betreffen, sind nicht ersichtlich. In der von der Beklagten zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.10.2009 – 4 U 63/08 (Kopie GA I 220 ff.), geht es offenbar um Versicherungsleistungen nach einem behaupteten Unfallgeschehen sowie die Abgrenzung von Alt- und Neuschäden. Aus der Entscheidung des Senats, Urt. v. 07.09.2012 – 11 U 71/11, ergibt sich ebenfalls nicht, dass in Entwendungsfällen wie hier bereits im Rahmen einer Feststellungsklage der vorliegenden Art geklärt werden muss, ob alle Vorschäden vollständig und fachgerecht repariert worden sind. Dass die Klägerin für Letzteres die Darlegungs- und Beweislast trägt, wenn – anders als hier – die Höhe der Versicherungsleistung Gegenstand des Rechtsstreits ist, steht für den Senat außer Frage.

E. Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!