Skip to content

Versicherungsvermittlerhaftung bei  Berufsunfähigkeitsversicherung

LG Paderborn – Az.: 3 O 215/18 – Urteil vom 23.08.2018

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Der Streitwert wird auf bis zu 25.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger macht Ansprüche gegen den beklagten Versicherungsvertreter aus einer behaupteten Falschberatung geltend.

Der als Versicherungsvertreter verschiedener Versicherungsgesellschaften auftretende Beklagte suchte den Kläger auf dessen Wunsch am 30.11.2007 in dessen Wohnung auf und beriet ihn insbesondere im Hinblick auf den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Beklagte ging die sich nach dem Antragsformular stellenden Fragen einzeln mit dem Kläger durch. Der Kläger teilte dem Beklagten mit, dass er gesundheitliche Vorbelastungen im Hinblick auf seine Augen habe. Durch einen Unfall zu Silvester 1992 war das linke Auge des Klägers mitsamt der Netzhaut vollständig zerstört worden, sodass eine vollständige Erblindung linksseitig eingetreten war. Auf dem rechten Auge hatte der Kläger ebenfalls die Linse verloren (sog. Aphakie), wobei die Netzhaut auf diesem Auge aber noch erhalten geblieben war. Der Beklagte füllte das Formular (Anlage K1) aus und notierte auf einem speziellen Beiblatt „Augenerkrankungen“ (Anlage N5) bei der Bezeichnung der Erkrankung „Li Auge – zerstörte Netzhaut“ und bei den Beschwerden „Sehverlust“. Darüber hinaus wurde der Versicherer an verschiedenen Stellen (Medikamente, Behandlung, Sehvermögen) darauf hingewiesen und ermächtigt, die sich zu diesen Punkten ergebenen Einzelfragen bei der Augenklinik bzw. dem Augenarzt zu erfragen.

Zum Zeitpunkt der Beratung war außerdem die Milz des Klägers bereits entfernt worden. Das Versorgungsamt T hatte im Jahre 1993 einen Behinderungsgrad von 90 % festgestellt (Merkzeichen: G, B, RF), der bis 1995 schrittweise auf 70 % reduziert worden war und bis heute in dieser Höhe fortbesteht. Die Parteien sind uneins, ob während des Beratungsgesprächs am 30.11.2007 auch über diese Erkrankungen gesprochen worden ist.

Der Kläger unterschrieb das Antragsformular und auch auf dem Beiblatt „Augenerkrankungen“ direkt unter dem Hinweis:

„Durch meine eigenständige Unterschrift bestätige ich, dass ich die vorstehende Fragen vollständig und wahrheitsgetreu beantwortet und nichts verschwiegen habe. Ich erkenne an, dass unvollständige oder unwahre Angaben den Verlust der Versicherungsansprüche zur Folge haben können.“

Der Augenarzt des Klägers sandte dem Versicherer „U“ einen ärztlichen und einen für die Berufsgenossenschaft erstellten detaillierten Bericht zu (Anlage N6), deren Eingang bei der U auf den 24.01.2008 datiert wurde. In diesen Berichten gibt der Augenarzt neben der Erblindung des linken Auges auch die Beschwerden an dem rechten Auge mit Notizen wie „RA: aphak“ an.

Am 21.02.2008 stellte der Versicherer dem Kläger den Versicherungsschein zu der mit ihm geschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung aus (Bl. 9 d. A). Mit gesonderter Vereinbarung nahm der Versicherer die Blindheit des linken Auges von der Berufsunfähigkeitsversicherung aus (Bl. 11 d. A.).

Der Kläger wurde am 30.03.2016 berufsunfähig und stellte diesbezüglich einen Antrag bei seinem Versicherer. Am 02.06.2017 focht der Versicherer den Versicherungsvertrag nach § 22 VVG i. V. m. § 123 BGB mit der Begründung an, ihm sei der Verlust der Milz, das Bestehen einer Schwerbehinderung und die Erkrankung des rechten Auges nicht angezeigt worden. Aus diesem Grund seien auch keine Leistungen wegen Berufsunfähigkeit zu erbringen.

Der Kläger behauptet, der Beklagte habe nicht alle von ihm gemachten Angaben über seine Augenerkrankung an die U Versicherung weitergeben. Außerdem glaube er, er habe dem Beklagten die Entfernung der Milz und die Schwerbehinderung mitgeteilt. Er glaube, der Beklagte habe ihm im Hinblick auf die fehlende Milz erzählt, alle Erkrankungen, die mehr als 10 Jahre her seien, müssten nicht in den Antrag aufgenommen werden. Ferner habe er keine genauen Erinnerungen an die Beratungssituation. Möglicherweise sei das Beiblatt blanko von dem Kläger unterschrieben und erst nachträglich von dem Beklagten ausgefüllt worden.

Der Kläger ist der Ansicht, es liege ein Falschberatung des Beklagten vor. Der Versicherer habe sich das Wissen des Beklagten über die Vorerkrankungen des Klägers zuzurechnen, so dass dem Versicherer kein Anfechtungsrecht zustehe.

Der Kläger beantragt:

1.  festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle Schäden zu ersetzen, die aus der Falschberatung hinsichtlich der Vermittlung des Berufsunfähigkeitsvertrags mit der U Versicherung mit der Vertragsnummer … entstehen könnten.

2.  den Beklagten zu verurteilen, ihm die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 669,49 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3.  festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, auf die durch ihn einzuzahlenden Gerichtskosten Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, hilfsweise i.H.v. 4 %, seit dem Zeitpunkt der Einzahlung der Gerichtskosten bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, alles aufgenommen zu haben, was der Kläger ihm mitgeteilt habe. Was der Kläger nicht mitgeteilt habe, habe nicht aufgenommen werden können.

Die Parteien wurden in der mündlichen Verhandlung vom 23.08.2018 persönlich angehört. Hinsichtlich des Inhalts der Anhörung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.08.2018 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

1.

Der Antrag zu 1) ist unbegründet.

b)

Eine Schadensersatzpflicht des Beklagten als Versicherungsvermittler ergibt sich nicht aus §§ 63, 61, 59 VVG. Zwar ist unstreitig zwischen den Parteien ein Beratungsvertrag über die Vermittlung von Versicherungsverträgen zustande gekommen. Eine Pflichtverletzung i. S. d. § 63 Abs. 1 Satz 1 VVG im Hinblick auf die Pflicht zur ordnungsgemäßen Beratung gemäß § 61 Abs. 1 VVG ist dem Beklagten nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht vorzuwerfen. Nach § 61 Abs. 1 VVG hat der „Versicherungsvermittler den Versicherungsnehmer, […] nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und […] zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben. Er hat dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 VVG zu dokumentieren.“ Der Kläger macht nicht geltend, er sei von dem Beklagten fehlerhaft informiert oder beraten worden. Der vom Kläger erhobene Vorwurf bezieht sich vielmehr darauf, der Beklagte habe die von ihm mitgeteilten Informationen zur Krankheitsvorgeschichte – wobei unklar ist, ob auch die fehlende Milz und die Schwerbehinderung zur Sprache kamen – nicht an den Versicherer weitergeleitet. Ein solcher Verstoß bezieht sich jedoch nicht unmittelbar auf die Pflichten eines Versicherungsvermittlers zur ordnungsgemäßen Beratung gemäß § 61 Abs. 1 VVG.

c)

Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung von Nebenleistungspflichten in Bezug auf den Beratervertrag, da eine Pflichtverletzung des Beklagten nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht schlüssig dargelegt ist. Eine solche schlüssige Darlegung einer Nebenleistungspflichtverletzung in Form der Nichtweiterleitung von Informationen über die Krankheitsvorgeschichte des Klägers, welche für den Vertragsschluss zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer über die Berufsunfähigkeit von entscheidender Bedeutung sein können, konnte der Kläger weder schriftsätzlich noch nach der persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 23.08.2018 erbringen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die teilweise bestehende Erkrankung des rechten Auges auch auf dem Beiblatt „Augenerkrankungen“ hätte aufnehmen müssen, da in diesem an zahlreichen Stellen darauf verwiesen wird, dass die Einzelheiten beim behandelnden Augenärzten erfragt werden sollte. Diese Informationen, insbesondere auch zu der Erkrankung des rechten Auges, hat die U Versicherung mit den in Anlage N6 befindlichen Berichten der behandelnden Ärzte erhalten. In diesen ärztlichen Berichten, zu deren Einholung der Versicherer durch die in dem Beiblatt „Augenerkrankung“ gemachten Angaben „Daten beim Augenarzt erfragen“ ermächtigt wurden, finden sich ab dem Abschnitt „Visius“ (Anlage N6, Seite 1) dezidierte Angaben über den Gesundheitszustand des rechten Auges. Auch auf Seite 2 der Anlage N6 ist unter Punkt 2a) „Welche Gesundheitsstörung oder Krankheiten haben Folgen hinterlassen“ angegeben „RA: aphak“. Der Eingangsstempel des Versicherers „U“ belegt, dass diese Informationen auch in deren Einflussbereich gelangt sind. Dass die U Versicherung sich vor diesem Hintergrund auf den Standpunkt stellt, sie sei nicht vollständig über die Erkrankung des rechten Auges informiert worden, erscheint daher fraglich, betrifft jedoch ausschließlich das Verhältnis zwischen Kläger und Versicherer.

Hinsichtlich der unstreitig nicht erfolgten Mitteilung der fehlenden Milz und der seit vielen Jahren bestehenden Schwerbehinderung von 70% setzt eine Pflichtverletzung voraus, dass dem Beklagten diese Informationen vom Kläger mitgeteilt worden sind. Insofern trifft den Kläger eine nicht unerhebliche Mitwirkungspflicht. Ob der Kläger den Beklagten auf diese Vorerkrankungen hingewiesen hat und der ihm obliegenden Mitwirkung gerecht geworden ist, kann er – nach seinem eigenen Vortrag – nicht mehr mit Sicherheit sagen. Er gibt vielmehr an, er „glaube, er habe dem Beklagten die Entfernung der Milz und die Schwerbehinderung mitgeteilt.“ Indem der Kläger keine für die richterliche Überzeugungsbildung gem. § 286 BGB erforderlichen Tatsachen, sondern bloße Vermutungen und mögliche Geschehensabläufe vorträgt, wird er der an ihn gestellten materiell-rechtlichen Darlegungslast nicht gerecht. Gleiches gilt auch im Hinblick auf den Vortrag, er glaube, der Beklagte habe ihm im Hinblick auf die fehlende Milz erzählt, alle Erkrankung die mehr als 10 Jahre her seien, müssten nicht in den Antrag aufgenommen werden oder das Beiblatt sei möglicherweise blanko von ihm unterschrieben und erst nachträglich von dem Beklagten ausgefüllt worden. Mit dem von ihm rein hypothetisch vorgetragene Geschehensablauf, er hätte dem Beklagten mit Sicherheit auch von der Milz erzählt, wenn ihm bestimmte Abschnitte des Antragsblatts vorgelesen worden wären, genügt er ebenfalls seiner Darlegungslast nicht, da er selbst angibt, er wisse nicht ob ihm diese bestimmten Fragen vorgelesen worden seien.

Soweit der Vortrag des Klägers, er wisse nicht, ob er vom Beklagten über seine Milz oder seine Schwerbehinderung befragt worden war, dahingehend zu verstehen ist, der Beklagte habe ihn über jede mögliche Erkrankung befragen müssen, kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Aufgrund der Vielzahl und Vielfältigkeit gesundheitlicher Vorerkrankungen, kann ein Außenstehender in der Position des Beklagten – soweit diese Erkrankungen nicht äußerlich erkennbar oder offensichtlich sind – nicht ohne Hinweis auf bestehende gesundheitliche Vorbelastungen des zu beratenden Kunden kommen. Da beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung gesundheitliche Vorbelastungen für den Versicherer von zentraler Bedeutung sind, hätte der Kläger auch unaufgefordert diese offenbaren können und müssen, sodass den Versicherungsvermittler keine spezifische Pflicht zur Ausforschung traf.

2.

Aufgrund der Erfolglosigkeit des Antrags zu 1), ist auch der Anspruch auf die Rechtsanwaltsgebühren gem. Antrag zu 2) unbegründet. Gleiches gilt für den Antrag zu 3).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!