Skip to content

Unfallversicherung – Versteifung des Fußgelenks aber noch verbleibenden Restfunktionen des Fußes

LG München II – Az.: 10V O 576/10 – Urteil vom 22.06.2011

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert wird auf 40.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe eines Invaliditätsanspruches.

Für den Kläger besteht bei der Beklagten eine private Unfallversicherung nach Maßgabe des Versicherungsscheins vom 09.12.2005 (Anl. K1), der AUB 2000 mit Stand 01.04.2004 und der BB 500% (Anl. K2). Versicherungsbeginn war der 01.01.2006. Die Invaliditätsleistung (Grundsumme) ist mit 50.000,00 € versichert.

Unfallversicherung - Versteifung des Fußgelenks aber noch verbleibenden Restfunktionen des Fußes
Symbolfoto: Von Hamara/Shutterstock.com

Am 08.09.2006 erlitt der Kläger, wie im Einzelnen dargelegt, verschiedene Verletzungen bei einem Unfall. Diesen meldete er der Beklagten ordnungsgemäß am 19.10.2006. Anschließend machte er Invaliditätsansprüche geltend. Da in einem unfallchirurgischen Gutachten vom 17.10.2007 noch kein endgültiger Dauerzustand festgestellt werden konnte, leistete die Beklagte zunächst nur einen Vorschuss von 8.750,00 €. Nach Vorliegen eines weiteren unfallchirurgischen Gutachtens vom 22.08.2009 rechnete die Beklagte dann mit Schreiben vom 25.08.2009 einen Invaliditätsgrad von 28% (4/10 Beinwert x 70% Gliedertaxenwert) progressiert auf 37% ab und überwies an den Kläger weitere 9.750,00 €.

Der Kläger meint, die Abrechnung der Beklagten sei rechtsfehlerhaft.

In den Gutachten seien die unfallbedingten Beeinträchtigungen und Verletzungen unter dem Aspekt der Beeinträchtigung des gesamten Beins bewertet worden. Dabei liege die unfallbedingte Hauptbeeinträchtigung in der nahezu vollständigen Funktionsunfähigkeit seines rechten Fußes aufgrund der Versteifung. Seine Kniebeschwerden seien als Ausstrahlung derselben zu werten. Der Grad der Invalidität sei deshalb nach AUB 2000 Ziffer 2.1.2.2.1. unter Abstellen auf die Funktionsbeeinträchtigung des Beines bis zur Mitte des Oberschenkels mit 8/10 Beinwert zu bemessen. Die vereinbarte Gliedertaxe mache keinen Unterschied zwischen noch funktionsfähigen Körperteilen und deren Verlust.

Es sei daher von einem Invaliditätsgrad von 48% (8/10 Beinwert x 60% Gliedertaxenwert) progressiert auf 117% auszugehen. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Gliedertaxe für den Fuß 40% vorsehe. Zudem sei aber auch die Wade gesundheitlich beeinträchtigt, was nach der Gliedertaxe den Ansatz von 45% rechtfertige. Da die Situation der einer mit einer Prothese versorgten Unterschenkelamputation entspreche, sei sogar bezüglich des Beines bis zur Mitte des Unterschenkels von völliger Funktionsunfähigkeit auszugehen, d.h. der Wert von 45% stünde bereits deshalb unverrückbar fest. Schließlich sei aber auch noch das Kniegelenk in Mitleidenschaft gezogen worden, was mit weiteren 3% zu berücksichtigen sei. Weitere Gesundheitsschäden im Bereich des übrigen Körpers würden von der Gliedertaxe außerdem nicht mit abgegolten. Die Beklagte hätte ihm also insgesamt 58.500,00 € und nicht 18.500,00 € zu zahlen gehabt.

Der Kläger beantragt daher: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, Klageabweisung.

Sie ist der Ansicht, die vorgenommene Abrechnung sei zutreffend. Funktionsbeeinträchtigungen würden in Bruchteilen bewertet und dann mit dem jeweiligen Gliedertaxenwert multipliziert, um den Invaliditätsgrad zu bestimmen. Hierbei sei grundsätzlich auf den vollen Beinwert abzustellen. Lediglich bei (Teil-)Amputationen kämen die (Teil-)werte der Gliedertaxe zur Anwendung. Außerdem werde bestritten, dass beide Fußgelenke vollständig versteift seien. Ein weiterer unfallbedingter Gesundheitsschaden sei nicht ersichtlich.

Mit Beschluss vom 06.05.2010 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen (Bl.28/29). Dieser hat Beweis erhoben durch Erholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens (Bl.64/68) und Anhörung des Sachverständigen. Diesbezüglich und zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird im Übrigen verwiesen auf den Inhalt der Verhandlungsprotokolle vom 11.08.2010 (Bl.38/40) und 20.04.2011 (Bl.93/96) sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

A.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 40.000,00 € nebst Prozesszinsen, weil die von der Beklagten vorgenommene Abrechnung – entgegen seiner Ansicht – nicht zu beanstanden ist.

I.

Die Höhe des unstreitig gegebenen Leistungsanspruchs bestimmt sich nach Ziff. 2.1.2 AUB 2000 und wurde mit insgesamt 18.500,00 € zutreffend ermittelt. Dies gilt auch bei Berücksichtigung der in 2.1.2.2.1 AUB 2000 enthaltenen Gliedertaxe.

Nur bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der dort genannten Körperteile und Sinnesorgane steht der in der Gliedertaxe dafür ausgewiesene Invaliditätsgrad entgegen der Auffassung des Klägers unverrückbar fest. Bei der Bewertung der teilweisen Funktions- oder Gebrauchsfähigkeit eines Gliedes können hingegen die in der Gliedertaxe für Teilverluste vorgesehenen Werte nicht herangezogen werden. Es ist dann vielmehr auf den jeweiligen Höchstsatz abzustellen, der für den Verlust des gesamten Gliedes bestimmt ist (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 4. Auflage 2006, AUB 99, Rn 20-22).

1.

Der Invaliditätsgrad beträgt damit vorliegend keine 48 %.

a.

Unterstellt es läge der Verlust eines Fußes oder sogar der eines Beines bis zur Mitte des Unterschenkels oder eine, einem solchen Verlust gleichzustellende Funktionsunfähigkeit vor, wäre von einem Invaliditätsgrad von 40% bzw. allenfalls 45% auszugehen.

Die Ausstrahlungen eines Teilgliedverlustes oder einer Teilgliedfunktionsunfähigkeit auf das Restglied sind nämlich bei dem für das Teilglied bestimmten Invaliditätsgrad bereits berücksichtigt. Veränderungen, die auf eine Schonungshaltung bzw. einen Mindergebrauch eines teilweise amputierten bzw. teilweise völlig funktionsunfähigen Beines zurückgehen, sind also nicht zusätzlich zu bewerten. Da nach den ohne weiteres nachvollziehbaren und von keiner Seite in Frage gestellten Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. das Beugedefizit des Knies auf die im Bereich des Fußes erlittenen unfallbedingten Verletzungen zurückgeführt werden kann, wäre besagte Beeinträchtigung des Knies durch die in der Gliedertaxe ausgewiesenen 40% bzw. 45% jedenfalls mit umfasst.

b.

Auf diese Werte kann indessen vorliegend nicht zurückgegriffen werden. Ein Verlust des Fußes bzw. des Beines bis zur Mitte des Unterschenkels liegt nämlich unstreitig nicht vor. An einer, einem solchen Verlust gleichzusetzenden völligen Funktionsunfähigkeit fehlt es.

Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich diese nicht bereits aus der vorgetragenen Versteifung des Sprunggelenks. Zwar hat der BGH in seiner Entscheidung vom 17.01.2001, Gz.: IV ZR 32/00, darauf abgestellt, dass es auf die Funktionsunfähigkeit im Gelenk ankomme und eine Restfunktionsfähigkeit des Gliedes unbeachtlich sei. In der dortigen Gliedertaxe war allerdings von einem Verlust bzw. einer Funktionsunfähigkeit des Fußes im Fußgelenk die Rede. Wird darin nicht nur die anatomische Lokalisation bei einem Verlust gesehen, kann diese Formulierung in dem vom BGH dargelegten Sinn verstanden werden. Dies gilt jedoch nicht für eine Gliedertaxe, wie die vorliegende, in der auf den Verlust oder die völlige Funktionsunfähigkeit des Fußes ohne weitere Einschränkungen und Umschreibungen abgestellt wird. Denn in einem solchen Fall bestehen keine Anhaltspunkte, die es aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers rechtfertigen könnten, die vollständige Versteifung des Fußgelenkes bei noch verbleibenden Restfunktionen des Fußes einer kompletten Funktionsunfähigkeit desselben gleichzustellen.

Auch unter Abstellen auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. dass die beschriebene Situation der eines Beines mit einer gut versorgten Unterschenkelprothese entspreche, ist von einer, einem Verlust des Fußes oder gar des Beines bis zur Mitte des Unterschenkels entsprechenden Funktionsunfähigkeit nicht auszugehen.

So hat der Sachverständige dargelegt, dass gewisse Restfunktionen vorhanden sind. Nichts anderes ergibt sich aus der vorgelegten Gutachten des Sachverständigen Dr. Ö. vom 17.10.2007 und 22.08.2009 (Anl. K5). Danach benötige der Kläger nach eigenen Angaben zwar auf längeren Wegstrecken bzw. außer Haus eine Unterarmstütze, wobei er sich zuletzt bis maximal ½ Stunde fortbewegen konnte. Kurze Distanzen, d.h. insbesondere solche in der Wohnung könne er – wie von ihm selbst dargelegt – auch ohne eine solche zurücklegen. Ein Stehen auf der Leiter sei ihm nicht mehr möglich, da das Gefühl an der rechten Fußsohle vermindert sei. Unter der großen Narbe an der Wade habe er ein oft elektrisierendes Gefühl. Schmerzen habe er nur im Sprunggelenk, am Innenknöchel und seitlich vorne. Diese Angaben decken sich mit den vom Sachverständigen Dr. Ö. beschriebenen Beobachtungen, dessen Ausführungen von Klägerseite im Wesentlichen nur bezüglich der vorgenommenen Bewertung der Beeinträchtigungen in Bezug auf das gesamte Bein in Frage gestellt wurden. Zudem hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. R. ausgeführt, dass er schon meine, dass der Kläger auf beiden Beinen stehen könne, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtsverteilung, wobei er durch das elektrisierende Gefühl an der Fußsohle beeinträchtigt sein dürfte. Schließlich konnte durch das Gericht festgestellt werden, dass dem Kläger eine Fortbewegung mit beiden Beinen möglich war. So hat er die Verhandlungen mit besagter Stütze aufgesucht.

Eine vollständige Funktionsunfähigkeit des Fußes bzw. gar des Beines bis zur Mitte des Unterschenkels ist vor diesem Hintergrund ersichtlich nicht gegeben. Die funktionsmäßige Bestimmung menschlicher Beine ist es, einer Person die Fortbewegung durch Gehen zu ermöglichen. Dies ist dem Kläger, wenn auch in stark eingeschränktem Umfang, nach wie vor möglich. Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. R. abschließend ausgeführt, die Beeinträchtigung des Klägers dürfte dem Verlust des Beines bis zur Mitte des Unterschenkels gleichzusetzen sein. Dies versteht sich in Zusammenschau mit dessen übrigen Ausführungen aber nur so, dass die unfallbedingten Beeinträchtigungen dem Kläger immer noch eine Fortbewegung mit dem verletzten Bein ermöglichen, die nicht der mit einem teilamputierten Bein, sondern der mit einem teilamputierten Bein bei guter prothetischer Versorgung entspricht. Erst wenn bei verbleibenden Restfunktionen infolge eines erheblichen Schmerzsyndroms ein Fuß bzw. ein Bein schlechterdings zum Stehen oder Gehen nicht mehr gebraucht werden kann, also nur noch stört, könnte von einer vollständigen Funktionsunfähigkeit ausgegangen werden (vgl. OLG München, Urteil vom 16.05.2006, Gz.: 25 U 3248/02). Hierfür ergibt sich vorliegend indessen auch unter Abstellen auf die eigenen Darlegungen des Klägers nichts.

2.

Der von beiden Sachverständigen übereinstimmend angenommene 4/10 Beinwert ist zur Überzeugung des Gerichts zutreffend und angemessen.

Liegt – wie hier – kein Verlust und keine völlige Funktionsunfähigkeit des Fußes oder des Beines bis zur Mitte des Unterschenkels vor, sind die unfallbedingten Beeinträchtigungen und Verletzungen nämlich unter dem Aspekt der Beeinträchtigung des gesamten Beins und nicht – wie der Kläger meint – der Beeinträchtigung des Beines bis zur Mitte des Oberschenkels zu bewerten.

Beide Sachverständige, deren fundierte und überzeugende Ausführungen sich das Gericht zu eigen macht, sind dabei bei umfassender Berücksichtigung der im Falle des Klägers gegebenen verletzungsbedingten Situation übereinstimmend zu einem gleichen Invaliditätsgrad gelangt. Weshalb von deren Einschätzung bet dem richtiger Weise erfolgten Abstellen auf das gesamte Bein abzuweichen wäre, ist nicht ersichtlich.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf den § 91 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf die §§ 3 ZPO, 48 GKG.

C.

Den Parteivertretern wurde nachgelassen, zum Ergebnis der Beweisaufnahme schriftlich Stellung zu nehmen. Ihre diesbezüglichen Ausführungen wurden zur Kenntnis genommen und im Rahmen der Entscheidungsfindung gewürdigt. Die mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 06.06.2011 erfolgte Stellung eines zusätzlichen Antrags ist nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt und war damit nicht mehr zu berücksichtigen. Auch ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung war insoweit nicht veranlasst.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!