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Berufsunfähigkeitsversicherung – Leistungsanerkenntnis – spätere Verweisung

OLG Koblenz – Az.: 10 U 469/10 – Urteil vom 04.03.2011

Auf die Berufungen des Beklagten und des Klägers wird das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 31. März 2010 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.128,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.04.2008 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 1. März 2008 aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Lebensversicherungsnummer …99 von den Beiträgen von monatlich 88,68 € bis zum 1. September 2008 freizustellen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 1. März 2008 aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Lebensversicherungsnummer …28 von dem jährlichen Beitrag in Höhe von 613,55 € bis zum 1. September 2008 freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten der ersten Instanz trägt der Kläger 75 %, der Beklagte 25 %. Von den Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger 70 %, der Beklagte 30 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus zwei Lebensversicherungen mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen.

Der Kläger unterhält bei dem Beklagten zwei Lebensversicherungen mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen. Der Vertrag Nr. …99 begann am 1. Juli 1995, die Versicherung Nr. …28 am 1. Dezember 1995. Den Verträgen liegen die BBUZ 94 des Beklagten zugrunde. Nach den Verträgen sollten die Lebensversicherungsverträge beitragsfrei sein, wenn der Versicherungsnehmer zu mindestens 50 % berufsunfähig wird.

Bis zum 30. Juni 2003 war der Kläger als gelernter Schreiner bei der Firma beschäftigt. Er erlitt im November und Dezember 2001 vier epileptische Anfälle. Vom 24. November 2001 bis zum 22. April 2002 war er arbeitsunfähig erkrankt. Ab März 2003 war er von seinem damaligen Arbeitgeber von der Arbeit freigestellt worden. Wegen der epileptischen Anfälle und der damit verbundenen möglichen Selbstgefährdung bei der Arbeit mit Maschinen wurde der Kläger entlassen. Aufgrund ärztlicher Anordnung durfte er auch kein Fahrzeug führen.

Nachdem der Kläger am 31. März 2003 Leistungen aus den beiden Verträgen beantragt hatte, bot der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 6. Oktober 2003 eine Vereinbarung an, wonach er freiwillig ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung – zunächst befristet bis zum 1. Februar 2006 – beide Lebensversicherungen beitragsfrei stellen wollte. Hintergrund der Vereinbarung war, dass der Kläger nach der Kündigung seines Arbeitgebers eine Umschulung zum Immobilienkaufmann plante. Im Schreiben heißt es unter anderem:

„Wir haben daher nicht geprüft, ob Sie einen Verweisungsberuf ausüben könnten und in welchem konkreten Umfang berufsbezogene Funktionseinbußen vorliegen. Für die Dauer der Umschulung bieten wir Ihnen unsere finanzielle Unterstützung an. …

Auch wenn sich später herausstellen sollte, dass keine Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen vorliegt, fordern wir keine Leistung zurück.

Wir verweisen Sie nicht auf einen anderen Beruf. …

Wir leisten zunächst bis zum 1. Februar 2006. Sollte dann eine Berufsunfähigkeit bestehen, prüfen wir gerne, ob wir weitere Leistungen zahlen können. …“

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Vereinbarung vom 6./16. Oktober 2003 (Bl. 16 bis 18 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger nahm diese Vereinbarung am 16. Oktober 2003 an.

Von 2004 bis 2006 schulte der Kläger im Rahmen einer Nachqualifizierungsmaßnahme auf den Beruf als Grundstücks- und Wohnungswirtschaftskaufmann um. Am 19. Juni 2006 nahm er eine Tätigkeit als selbständiger Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft auf und hatte darüber hinaus eine Teilzeitanstellung bei der W. GmbH.

Mit Schreiben vom 9. Januar 2006 forderte der Beklagte vom Kläger Informationen zur Frage der Umschulung an und lehnte mit Schreiben vom 15. November 2007 weitere Leistungen ab, weil er eine epilepsiebedingte Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % im Beruf des Schreiners und auch für den Beruf als selbständiger Kaufmann für Grundstücks- und Wohnungswirtschaft für nicht gegeben halte. Auch aufgrund einer Mycosis fungoides läge keine Berufsunfähigkeit vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 15. November 2007 (Bl. 23 bis 25 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat vorgetragen, aufgrund seiner im November und Dezember 2001 erlittenen vier epileptischen Anfälle sei er seither an Epilepsie erkrankt und nicht mehr in der Lage, seinen Beruf als angestellter Schreiner in der Firma A. dauerhaft und zu mindestens 50 % auszuüben. Die Vereinbarung zwischen den Parteien von Oktober 2003 sei unwirksam, da sie ihn in treuwidriger Weise benachteiligt habe. Der Beklagte hätte bereits im Oktober 2003 entscheiden müssen, ob er bedingungsgemäße Leistungen gewähre oder ablehne. Der Beklagte könne ihn auch nicht auf seinen Umschulungsberuf als Kaufmann für Grundstücks- und Wohnungs-wirtschaft verweisen.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.355,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus 2.936 € seit dem 1. Dezember 2007 und aus je 139,80 € seit dem 1. Dezember 2007, 1. Januar 2008, 1. Februar 2008 aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu Lebensversicherungsnummern …99, …28 zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 1. März 2008 aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Lebensversicherung von den Beiträgen von monatlich 88,68 € bis zum Wegfall der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit, längstens bis zum Vertragsende am 1. Juli 2025, freizustellen;

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Kläger ab dem 1. März 2008 aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Lebensversicherungsnummer …28 von dem jährlichen Beitrag in Höhe von 613,55 € bis zum Wegfall der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit, längstens bis zum Vertragsende am 1. Dezember 2032, freizustellen;

4. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger über die Höhe der Überschussbeteiligung gemäß § 10 BUZ seit dem 1. März 2003 Auskunft zu erteilen;

5. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger den sich aus der gemäß Ziffer 4 des Antrags zu erteilenden Auskunft ergebenden Betrag zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, der Kläger sei nicht aufgrund der im November und Dezember 2001 erlittenen Epilepsieanfälle berufsunfähig als angestellter Schreiner. Schon zum Zeitpunkt der Antragstellung am 31. März 2003 sei er über eineinhalb Jahre anfallsfrei gewesen und sei dies auch zum Ende seines Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2003 gewesen. Nachdem der Kläger nunmehr acht Jahre anfallsfrei sei, könne man nicht von einer dauerhaften krankheitsbedingten Berufsunfähigkeit ausgehen, zumal auch das Fahrverbot für den Kläger aufgehoben worden sei, was unstreitig ist. Die Vereinbarung zwischen den Parteien von Oktober 2003 sei wirksam und nicht treuwidrig.

Mit Schriftsatz vom 1. Juli 2008 (Bl. 56 bis 73 d. A.) hat der Beklagte weiter vorgetragen, dass er rein vorsorglich den Kläger auf seine nunmehr ausgeübte Tätigkeit als Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft verweise. Der Beruf liege in seiner sozialen Wertschätzung nicht unter dem Niveau des Schreiners. Das erzielbare Einkommen eines selbständigen Kaufmanns in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft läge nicht unter dem des zuletzt erzielten Einkommens in dem Beruf als angestellter Schreiner. Da er diese Tätigkeit seit 19. Juni 2006 ausübe – was unstreitig ist –, könne er ihn nunmehr auf diesen Beruf verweisen.

Das Landgericht hat nach Einholung von medizinischen Sachverständigengutachten den Feststellungsanträgen des Klägers stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Vereinbarung zwischen den Parteien von Oktober 2003 sei unwirksam, so dass es für die Beurteilung der Frage der Berufsunfähigkeit auf den Gesundheitszustand des Klägers im März 2003 ankomme. Seit diesem Zeitpunkt sei der Kläger wegen der epileptischen Anfälle, die jederzeit wieder auftreten könnten, nicht in der Lage, als Schreiner zu arbeiten. Der Beklagte habe darauf verzichtet, ihn auf andere Berufe zu verweisen, woran er gebunden sei. Einen Zahlungsanspruch habe der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Er habe auch keinen Anspruch auf Überschussbeteiligung, so dass insoweit ein Auskunfts- und Zahlungsantrag nicht gegeben seien.

Hiergegen wenden sich beide Parteien mit ihren form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufungen, mit denen sie, der Kläger zum Teil, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrages ihr jeweiliges erstinstanzliches Begehren weiter verfolgen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt vor, der Beklagte habe ihm die unstreitig im Zeitraum vom 1. Februar 2006 bis 31. Januar 2008 geleisteten Beiträge zur Versicherung …99 in Höhe von insgesamt 2.128,32 € zurück zu erstatten. Er sei nach wie vor berufsunfähig als Schreiner und könne auch nicht auf seine neue Tätigkeit verwiesen werden. Er befinde sich noch in der Gründungsphase und verdiene nicht ansatzweise das, was er als angestellter Schreiner verdient habe.

Nachdem der Kläger die Berufung in Höhe von 613,55 € zurückgenommen hat, beantragt er nunmehr, unter Abänderung des am 31. März 2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Koblenz den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 2.128,32 € nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt, unter teilweiser Aufhebung des Urteils des Landgerichts Koblenz vom 31. März 2010 die Klage insgesamt abzuweisen sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die Vereinbarung zwischen den Parteien unwirksam sei. Jedenfalls sei der Kläger weder als Schreiner noch als Grundstückskaufmann berufsunfähig. Das Risiko, dass der Kläger erneut einen epileptischen Anfall erleide, sei so gering, dass es ihm zumutbar sei, auch an gefährlichen Maschinen zu arbeiten. Weiter könne er als Schreiner auch an weniger gefährlichen Maschinen arbeiten. Zudem könne er nunmehr auf den Beruf des Grundstückskaufmanns verwiesen werden. Dieser Beruf sei dem zuvor ausgeübten Beruf des angestellten Schreiners ebenbürtig. Bei dem zu erzielenden Einkommen könne man nicht die Gründungsphase als Maßstab heranziehen, sondern müsse das auf Dauer zu erzielende Einkommen heranziehen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, während die zulässige Berufung des Beklagten nur teilweise begründet ist.

Dem Kläger stehen Ansprüche aus den Lebensversicherungen mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen nur bis zum 1. September 2008 zu, mit der Folge, dass er die unstreitig vom 1. Februar 2006 bis 31. Januar 2008 gezahlten Beiträge in Höhe von 2.128,32 € zurückverlangen kann und festzustellen ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt Beitragsfreiheit besteht.

Aufgrund der Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen war der Kläger bis zum 1. September 2008 von der Beitragspflicht bezüglich der beiden Lebensversicherungen wegen seiner Berufsunfähigkeit befreit (§§ 1, 2 BBUZ 94).

Erstinstanzlich hat der Kläger seinen Zahlungsanspruch zwar nicht schlüssig dargelegt. Das Landgericht hätte aber auf die fehlende Begründung gemäß § 139 Abs. 1 ZPO hinweisen müssen. Der Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 29.Oktober 2008 bringt nicht zum Ausdruck, dass die Begründung ganz fehlt. Dem Kläger ist es deshalb nicht verwehrt, jetzt noch die Begründung nachzuholen. Das neue Vorbringen hierzu ist nicht nach § 531 ZPO ausgeschlossen.

Das Landgericht hat zutreffend angenommen, aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass der Kläger seit März 2003 berufsunfähig sei.

Maßgeblich für die Frage der Berufsunfähigkeit ist zunächst der Zustand des Klägers zum Zeitpunkt, als er im März 2003 Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung beantragte. Wenn die Berufsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt fest steht, kann der Beklagte den Gegenbeweis antreten, dass diese nicht mehr besteht oder der Kläger auf einen anderen Beruf verwiesen werden kann. Dagegen ist nicht entscheidend der Zustand des Klägers im Februar 2006, als die Befristung in der Vereinbarung der Parteien von Oktober 2003 auslief. Das Landgericht ist richtig davon ausgegangen, dass diese Vereinbarung unwirksam ist mit der Folge, dass die Berufsunfähigkeit des Klägers nach seinem Zustand bei Antragstellung zu beurteilen ist und der Beklagte bei Vorliegen einer Berufsunfähigkeit so zu behandeln ist, als ob er das Leistungsanerkenntnis abgegeben hätte, zu dem er nach den Versicherungsbedingungen verpflichtet war.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung den Parteien nicht verwehrt, die Leistungspflichten einvernehmlich zu regeln. Der Versicherer ist jedoch wegen der speziellen Ausgestaltung der Berufsunfähigkeitsversicherung nach Treu und Glauben in besonderer Weise gehalten, seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers auszunutzen. Für diesen hat die Berufsunfähigkeitsversicherung häufig existenzielle Bedeutung. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer sind die dem Versicherer geläufigen Regelungen der BBUZ über die Erklärung eines Leistungsanerkenntnisses und die Folgen nur schwer durchschaubar. Der Bundesgerichtshof hat deshalb entschieden, dass eine beiderseits interessengerechte Vereinbarung über die Leistungspflicht ein lauteres und vertrauensvolles Zusammenwirken der Vertragspartner voraussetze, das auf Ergebnisse abziele, die den Tatsachen und der Rechtslage entsprechen. Der Versicherer handele unter anderem dann objektiv treuwidrig, wenn er bei nahe liegender Berufsunfähigkeit die ernsthafte Prüfung seiner Leistungspflicht durch das Angebot einer befristeten Kulanzleistung hinausschiebe und so das gebotene Anerkenntnis unterlaufe. Vereinbarungen mit derartigen Nachteilen seien deshalb nur in engen Grenzen möglich, setzten eine noch unklare Sach- und Rechtslage voraus und erforderten vor ihrem Abschluss insbesondere klare, unmissverständliche und konkrete Hinweise des Versicherers darauf, wie sich die vertragliche Rechtsposition des Versicherungsnehmers darstellt und in welcher Weise diese durch den Abschluss der Vereinbarung verhindert oder eingeschränkt werden (BGH VersR 2007, 777 – 780).

Hier bot die von beiden Parteien unterschriebene „Vereinbarung“ für den Kläger den Nachteil, dass das völlige Offenlassen der Berufsunfähigkeit sich für den Kläger dann als nachteilig erwies, wenn er den Eintritt des Versicherungsfalls zu dem von ihm behaupteten Zeitpunkt hätte nachweisen können und ihm dies mit Ablauf der Befristung nicht mehr möglich ist. Bei einem Anerkenntnis des Versicherers hätte hingegen dieser im Nachprüfungsverfahren beweisen müssen, dass der Kläger nicht mehr berufsunfähig ist. Etwaige Zweifel gingen zu seinen Lasten. Das Offenlassen der Leistungspflicht des Beklagten in der Vereinbarung birgt für den Kläger mithin erhebliche Risiken, über die er von dem Beklagten im Zusammenhang mit der Vereinbarung nicht aufgeklärt wurde. In seinem Schreiben, das zu der Vereinbarung führte, führte der Beklagte lediglich die Vorteile der Regelung für den Kläger an. Aufgrund dieses Schreibens war der Kläger deshalb nicht in der Lage, die Vor- und Nachteile der Vereinbarung abzuwägen. Ob die Regelung ansonsten interessengerecht war, hat der Senat deshalb nicht zu prüfen. Mithin kann sich der Beklagte hier nach Treu und Glauben auf die außervertragliche Vereinbarung insoweit nicht berufen, als bei der Prüfung des Vorliegens von Berufsunfähigkeit der Gesundheitszustand des Klägers im Zeitpunkt des Ablaufs der Befristung maßgeblich sein sollte. Vielmehr bleibt der Leistungsanspruch des Klägers nach den in der Zeit seines ersten Antrags maßgebenden Verhältnissen zu beurteilen.

Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Ausführungen des Sachverständigen B. folgt und Berufsunfähigkeit seit März 2003 annimmt.

Der erstinstanzlich eingeschaltete Sachverständige kommt zu der Einschätzung, dass der Kläger an einer primär generalisierten Epilepsie leide. Auch unter antikonvulsiver Therapie zeigten sich in der elektroencephalographischen Untersuchung Befunde, die typisch für diese Diagnose seien. Diese Veränderungen im EEG ließen sich trotz der Dauermedikation nachweisen. Dies spreche dafür, dass die Anfälle jederzeit – auch tagsüber – wieder auftreten könnten. Eine Arbeit an gefährlichen Maschinen wie an dem früheren Arbeitsplatz des Klägers war deshalb damals wie auch heute ausgeschlossen.

Einwendungen gegen die fachliche Qualifikation des Sachverständigen erhebt der Beklagte nicht, sondern beruft sich auf die Ligaempfehlungen, die für Epileptiker auch Arbeiten an gefährlichen Maschinen zulassen, wenn mindestens drei Jahre Anfallsfreiheit vorliegen. Bei diesen Empfehlungen handelt es sich nur um allgemeine Empfehlungen. Der Sachverständige hat dagegen konkrete Anhaltspunkte, dass die Anfälle jederzeit wieder auftreten können. Dies reicht nach Auffassung des Senats aus, um die Unfähigkeit des Klägers, den Beruf des Schreiners auszuüben, anzunehmen.

Der Beklagte führt weiter an, ob das Restrisiko bezüglich der Anfälle tatsächlich eine Berufsunfähigkeit bewirke oder nicht, sei keine medizinische Frage, sondern eine rechtliche. Das Risiko sei hier so gering, dass es jedenfalls nunmehr unbeachtlich sei.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen betrug das Risiko eines erneuten Anfalls im maßgeblichen Zeitpunkt 70 %. Der Sachverständige führt hierzu aus, dass nach dem ersten epileptischen Anfall mindestens ein Drittel der Patienten weitere Anfälle innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre bekommen. Nach zwei Anfällen steige das Risiko innerhalb der nächsten fünf Jahre auf 70 %. Bei dieser hohen Wahrscheinlichkeit war es dem Kläger nicht zuzumuten, Arbeiten an gefährlichen Maschinen zu verrichten. Zwar war der Kläger grundsätzlich noch körperlich in der Lage, die Maschinen zu bedienen, aber die damit verbundene Gefahr war so erheblich, dass er nicht in der Lage war, den Beruf auszuüben. Auch wenn ein Beruf im Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit besondere Gefahren mit sich bringt, kann dies zu einer Berufsunfähigkeit führen, wie zum Beispiel der Beruf des Gastwirts für einen Alkoholiker (vgl. OLG München, Urteil vom 20. April 2007, 25 O 4246/06, VersR 2007, 1680).

Der Senat sieht auch keine Möglichkeit, dass der Kläger als Schreiner einen Arbeitsplatz finden konnte, den er gefahrlos ausfüllen konnte. Maßgeblich für die Frage der Berufsunfähigkeit ist zunächst der konkrete Arbeitsplatz des Versicherten. Diesen konnte der Kläger nicht mehr ausfüllen. Alternative Arbeitsplätze mit weniger Gefahrenpotential sieht der Senat nicht. Insoweit ist es zunächst Sache des Versicherers „Vergleichsberufe“ aufzuzeigen (Beckmann/Matusche-Beckmann – Versicherungsrechtshandbuch/Rixecker § 46 Rn 138). Der Beklagte hat nicht konkret aufgezeigt, dass es für Schreiner die Möglichkeit der Berufsausübung gibt, ohne dass sie an gefährlichen Maschinen arbeiten müssen. Dass es allgemein auch Maschinen mit besonderen, insoweit die Gefahren weitgehend ausschließenden Sicherheitsvorkehrungen gibt, genügt insoweit nicht.

Aufgrund des Gutachtens steht auch nicht fest, dass die Voraussetzungen für die Berufsunfähigkeit jetzt nicht mehr vorliegen, weil das Risiko eines erneuten Anfalls zu gering wäre. Der Gutachter führt aus, dass sich die Risiken eines erneuten Anfalls nicht genau bestimmen lassen, durchschnittlich aber nicht unter 30 % betragen, jedenfalls über 10 %. Für den Senat steht damit weiter fest, dass der Kläger nicht wieder als Schreiner tätig sein könnte.

Unerheblich ist auch, dass der Kläger wieder am Straßenverkehr teilnehmen darf. Es bestehen insoweit auch erhebliche Einschränkungen, da das Risiko eines erneuten epileptischen Anfalls so hoch eingeschätzt wird, dass das Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 weiterhin ausgeschlossen ist.

Ab dem 1. September 2008 kann der Beklagte den Kläger jedoch auf die ausgeübte Tätigkeit des Kaufmanns in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft verweisen (§ 7 Abs. 1 BBUZ 94).

Eine solche Verweisung ist nicht durch die Vereinbarung von Oktober 2003 mit dem dazu gehörigen Anschreiben ausgeschlossen. Die Aussage des Beklagten: „Wir verweisen Sie nicht auf einen anderen Beruf“, ist erkennbar nur für den Zeitraum bis zum Abschluss der Umschulung vorgesehen. Es ist nicht treuwidrig, wenn sich der Beklagte nach erfolgreichem Abschluss der Umschulungsmaßnahme auf die neu erworbenen Kenntnisse beruft.

Nach § 7 Abs. 1 BBUZ 94 kann der Versicherer nach Anerkennung oder Feststellung seiner Leistungspflicht das Fortbestehen der Berufsunfähigkeit und ihren Grad nachprüfen, wobei neu erworbene berufliche Fähigkeiten zu berücksichtigen sind. Der Versicherer darf also seine Leistungen nur dann einstellen, wenn die Nachprüfung ergibt, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten gebessert oder er neue berufliche Fähigkeiten erworben hat, aufgrund derer er eine andere Tätigkeit ausübt, die den Anforderungen des § 2 Nr. 1 BBUZ 94 entspricht. Lediglich Verweisungsmöglichkeiten, die dem Versicherer schon bei Abgabe des Leistungsanerkenntnisses zu Gebote standen, hat dieser auch für die Zukunft verloren.

Vorliegend sind die Voraussetzungen einer Leistungseinstellung nach § 7 Abs. 1 BBUZ 94 gegeben. Dabei steht der Wirksamkeit des von der Beklagten eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens nicht entgegen, dass der Beklagte das Ergebnis dieses Verfahrens in einem Schriftsatz im laufenden Prozessverfahren mitgeteilt hat (Schriftsatz vom 1. Juli 2008, Seite 11 f, Bl. 66 f d. A.). Der Versicherer kann die Mitteilung über das Ergebnis des Nachprüfungsverfahrens auch in einem während des Rechtsstreits übermittelten Schriftsatz vornehmen (BGH VersR 2000, 171 ff; OLG Koblenz VersR 2008, 1254 – 1256) und sogar die Änderungsmitteilung im Rahmen des Rechtsstreits lediglich hilfsweise an den Versicherungsnehmer richten (BGH VersR 1996, 958 ff).

Eine wirksame Mitteilung der Leistungseinstellung nach § 7 Abs. 1 BBUZ 94 setzt voraus, dass der Versicherer seine Entscheidung nachvollziehbar begründet. Das ist vorliegend der Fall. Der Beklagte verweist in seinem Schriftsatz darauf, dass der Kläger nunmehr den Beruf eines selbständigen Kaufmanns in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft ausübt. Unstreitig war der Kläger 2008 sowohl als Kaufmann für Grundstücks- und Wohnungswirtschaft selbständig tätig und hatte zudem eine Teilzeitanstellung bei der W. GmbH. Diese Tätigkeit kann der Kläger trotz der bestehenden Epilepsie ausüben. Sie entspricht auch seiner bisherigen Lebensstellung. Das soziale Ansehen eines selbständigen Immobilienkaufmanns steht dem eines angestellten Schreiners nicht nach. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die von ihm nunmehr ausgeübte Tätigkeit nicht mit seinem zuletzt ausgeübten Beruf vergleichbar sein soll. Er führt lediglich an, dass er derzeit noch nicht das gleiche Einkommen erziele. Insoweit kommt es aber nicht darauf an, was der Kläger tatsächlich in der Gründungsphase des Betriebes verdient, sondern auf das langfristig erzielbare durchschnittliche Einkommen (vgl. BGH VersR 2000, 171 bis 174). Grundsätzlich ist nicht erkennbar, dass der Kläger mit seinen neuen Tätigkeiten nicht das gleiche Einkommen erzielen könnte, wie zuvor als angestellter Schreiner.

Der Schriftsatz des Beklagten vom 1. März 2011 gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 2 S. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n. F. nicht gegeben sind.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren bis zum 10. August 2010 auf 7.439,46 € festgesetzt (Klageantrag zu 1: 2.741,87; Klageantrag zu 2: 2.979,65 €; Klageantrag zu 3: 1.717,94 €), danach auf 6.825,91 € (Klageantrag zu 1 reduziert auf 2.128,32 €), Berufung des Klägers zunächst 2.741,87 €, dann 2.128,32 €, Berufung des Beklagten 4.697,59 €.

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