Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Krankentagegeld gekürzt? Dieses BGH-Urteil stärkt Ihre Rechte gegen Versicherer!
- Das Dilemma mit dem sinkenden Einkommen: Worum geht es beim Krankentagegeld?
- Der erste Paukenschlag: BGH kippt Kürzungsklausel schon 2016
- Die Reaktion der Versicherer: Der Versuch, die Lücke zu schließen
- Der Streitfall: Darf der Versicherer die Klausel einfach austauschen?
- Die Kernfrage vor dem BGH: Wann ist eine Klauselersetzung „notwendig“?
- Das Urteil: Klares Nein zur Klauselersetzung – Vertrag gilt, wie ursprünglich vereinbart!
- Die Begründung des BGH: Warum die Ersetzung nicht zulässig war
- Welche Folgen hat das Urteil für Sie als Versicherungsnehmer?
- Was bedeutet das Urteil für die Versicherungsunternehmen?
- Praktische Tipps: Was tun, wenn Sie betroffen sind?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum BGH-Urteil IV ZR 32/24
- Mein Krankentagegeld wurde gekürzt, weil mein Einkommen gesunken ist. Hilft mir das Urteil?
- Gilt das Urteil für alle Krankentagegeldversicherungen?
- Was ist der Unterschied zwischen diesem Urteil und dem BGH-Urteil von 2016 (IV ZR 44/15)?
- Was bedeutet „Summenversicherung“ noch einmal genau?
- Mein Versicherer hat die Klausel ersetzt, aber mein Einkommen ist gar nicht gesunken. Ist das Urteil trotzdem relevant für mich?
- Kann der Versicherer mein Krankentagegeld jetzt überhaupt nicht mehr anpassen?
- Was soll ich tun, wenn ich unsicher bin, ob mein Vertrag betroffen ist?
- Fazit: Ein wichtiger Sieg für Versicherte und die Vertragstreue

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Versicherer dürfen ungültige Klauseln zur Kürzung von Krankentagegeld nicht einfach durch ähnliche neue Klauseln ersetzen. Verträge gelten weiter mit dem ursprünglich vereinbarten Tagessatz, auch wenn das Einkommen des Versicherten später sinkt.
- Betroffen sind vor allem Selbstständige und gut verdienende Angestellte mit privater Krankentagegeldversicherung, deren Versicherer ihre Zahlungen wegen vermeintlich gesunkenem Einkommen gekürzt haben.
- Praktisch bedeutet das: Versicherte können auf volle Zahlungen bestehen, auch wenn ihr Einkommen unter den ursprünglich versicherten Tagessatz fällt. Kürzungen aufgrund nachträglich eingeführter Ersatzklauseln sind unzulässig.
- Hintergrund: Krankentagegeldversicherungen zahlen eine feste Summe pro Krankheitstag – unabhängig vom tatsächlichen Einkommen. Das Risiko, dass der Tagessatz mal höher als das Einkommen ist, gehört zum Vertrag.
- Das Urteil stärkt den Schutz vor einseitigen Vertragsänderungen durch Versicherer und macht transparente, faire Bedingungen unverzichtbar.
- Das Urteil gilt für Verträge mit Klauseln, die nach 2016 wegen Intransparenz unwirksam wurden und durch neue gekürzt wurden. Versicherte sollten ihre Verträge prüfen und bei unberechtigten Kürzungen Nachzahlungen fordern.
- Ansprüche aus dem Urteil verjähren in der Regel nach drei Jahren, deshalb ist schnelles Handeln wichtig.
Quelle: Bundesgerichtshof (BGH) Az.: IV ZR 32/24 vom 12. März 2025
Krankentagegeld gekürzt? Dieses BGH-Urteil stärkt Ihre Rechte gegen Versicherer!
Stellen Sie sich vor, Sie sind selbstständig oder gut verdienender Angestellter. Um sich gegen Einkommensausfälle bei längerer Krankheit abzusichern, haben Sie eine private Krankentagegeldversicherung abgeschlossen. Sie zahlen jahrelang Ihre Beiträge und verlassen sich auf den vereinbarten Tagessatz. Doch dann werden Sie krank – und Ihr Versicherer teilt Ihnen mit, dass er Ihnen weniger zahlt als ursprünglich vereinbart. Der Grund: Ihr Einkommen sei zwischenzeitlich gesunken. Genau dieses Szenario betrifft tausende Versicherte in Deutschland und stand im Mittelpunkt einer wegweisenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH).
Am 12. März 2025 fällte der IV. Zivilsenat des BGH ein Urteil (Az. IV ZR 32/24), das die Rechte von Versicherten im Bereich der Krankentagegeldversicherung erheblich stärkt. Die Richter entschieden: Ein Versicherer darf eine Klausel zur Kürzung des Krankentagegeldes, die zuvor gerichtlich für unwirksam erklärt wurde, nicht einfach durch eine neue, inhaltlich ähnliche Klausel ersetzen. Dieses Urteil hat weitreichende Folgen und könnte vielen Betroffenen helfen, sich gegen unberechtigte Leistungskürzungen zu wehren.
Das Dilemma mit dem sinkenden Einkommen: Worum geht es beim Krankentagegeld?
Die Krankentagegeldversicherung ist für viele Menschen ein unverzichtbarer Baustein der finanziellen Absicherung. Sie springt ein, wenn man aufgrund von Krankheit oder Unfallfolgen für längere Zeit nicht arbeiten kann und der Arbeitgeber keinen Lohn mehr zahlt oder man als Selbstständiger keine Einnahmen mehr hat. Sie soll die Lücke schließen, die zwischen dem letzten Nettoeinkommen und den gesetzlichen Leistungen (wie Krankengeld) oder der Lohnfortzahlung entsteht.
Ein zentrales Merkmal der privaten Krankentagegeldversicherung ist, dass es sich um eine sogenannte Summenversicherung handelt. Das klingt technisch, bedeutet aber etwas Wichtiges: Im Versicherungsfall wird der vertraglich vereinbarte Tagessatz gezahlt – wobei dieser das durchschnittliche Nettoeinkommen des Versicherten nicht übersteigen darf (sog. Bereicherungsverbot). Sie vereinbaren also eine feste Summe pro Tag der Arbeitsunfähigkeit, zum Beispiel 150 Euro. Diese Summe erhalten Sie dann, wenn Sie ärztlich attestiert arbeitsunfähig sind (ab dem vereinbarten Tag nach Ablauf einer Wartezeit, der sogenannten Karenzzeit, z. B. ab dem für Arbeitnehmer üblichen 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit, während für Selbstständige oft frühere Zeitpunkte relevant sind).
Genau hier lag aber oft der Zündstoff: Was passiert, wenn das Nettoeinkommen des Versicherten nach Vertragsabschluss sinkt? Viele Versicherungsverträge enthielten Klauseln, die dem Versicherer das Recht gaben, in einem solchen Fall den vereinbarten Tagessatz entsprechend zu kürzen. Die Idee dahinter: Der Versicherte soll durch die Krankheit nicht mehr Geld zur Verfügung haben, als wenn er arbeiten würde (das bereits genannte sogenannte Bereicherungsverbot).
Doch die Umsetzung dieser Idee in den Versicherungsbedingungen war oft problematisch, insbesondere wurden Klauseln wie § 4 Abs. 4 der Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (MB/KT) vom Bundesgerichtshof (BGH) wegen Intransparenz für unwirksam erklärt.
Der erste Paukenschlag: BGH kippt Kürzungsklausel schon 2016
Der aktuelle Fall hat eine Vorgeschichte. Bereits am 6. Juli 2016 hatte derselbe Senat des BGH (Az. IV ZR 44/15) eine weitverbreitete Klausel zur Herabsetzung des Krankentagegeldes für unwirksam erklärt. Damals ging es um § 4 Absatz 4 der Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (MB/KT 2009), die viele Versicherer in ihre Verträge übernommen hatten.
Der Grund für die Unwirksamkeit: Die Klausel war intransparent. Sie verstieß gegen das Transparenzgebot im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer war nicht klar und verständlich geregelt, wie genau das „Nettoeinkommen“ berechnet wird und welcher Zeitraum für den Vergleich zwischen früherem und aktuellem Einkommen maßgeblich sein soll.
Der BGH sagte damals sinngemäß: Wenn der Versicherer sich das Recht vorbehalten will, die Leistung zu kürzen, muss er dem Versicherten auch klipp und klar sagen, unter welchen Bedingungen und nach welchen Regeln das geschieht. Das war bei der alten Klausel nicht der Fall.
Dieses Urteil von 2016 war bereits ein großer Erfolg für Versicherungsnehmer. Es bedeutete, dass Versicherer sich bei Verträgen mit dieser oder einer inhaltlich identischen Klausel nicht mehr auf ihr Kürzungsrecht berufen konnten. Die Klausel war schlicht unwirksam, als hätte sie nie im Vertrag gestanden.
Die Reaktion der Versicherer: Der Versuch, die Lücke zu schließen
Viele Versicherungsunternehmen standen nach dem Urteil von 2016 vor einem Problem: Die Möglichkeit, das Krankentagegeld bei gesunkenem Einkommen anzupassen, war ihnen genommen worden – zumindest in den Verträgen mit der unwirksamen Klausel. Einige Versicherer versuchten daraufhin, die entstandene Lücke im Vertragswerk zu schließen.
So auch im Fall, der nun vor dem BGH landete: Der Kläger hatte seit 2017 eine Krankentagegeldversicherung bei der beklagten Gesellschaft abgeschlossen, mit einem vereinbarten Tagessatz von über 200 Euro. Sein Vertrag enthielt ursprünglich die problematische Klausel nach dem Muster § 4 Abs. 4 MB/KT 2009.
Nachdem der BGH diese Klausel 2016 gekippt hatte, schickte der Versicherer dem Kläger im Juni 2018 neue Versicherungsbedingungen zu. Darin war die alte, unwirksame Klausel durch eine neue Regelung ersetzt worden. Diese neue Klausel sah ebenfalls vor, dass der Versicherer den Tagessatz kürzen kann, wenn das Nettoeinkommen des Versicherten sinkt. Zusätzlich fügte der Versicherer Definitionen für das „Nettoeinkommen“ ein, um dem Vorwurf der Intransparenz zu begegnen.
Der Versicherer berief sich dabei auf eine gesetzliche Vorschrift, den § 164 Absatz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Dieser Paragraph erlaubt es dem Versicherer unter bestimmten Voraussetzungen, unwirksame Klauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) durch neue Regelungen zu ersetzen.
Der Streitfall: Darf der Versicherer die Klausel einfach austauschen?
Der Kläger war mit diesem Vorgehen nicht einverstanden. Er argumentierte: Die ursprüngliche Klausel war unwirksam, also gilt sie nicht. Der Versuch des Versicherers, sie durch eine neue Klausel zu ersetzen, ist ebenfalls unzulässig. Sein Vertrag müsse daher mit dem ursprünglich vereinbarten, ungekürzten Tagessatz fortgeführt werden.
Als der Kläger später tatsächlich arbeitsunfähig wurde, zahlte der Versicherer nur ein gekürztes Krankentagegeld, das an sein zwischenzeitlich gesunkenes Einkommen angepasst war. Der Kläger zog vor Gericht und forderte:
- Feststellung, dass sein Vertrag mit dem hohen, ursprünglich vereinbarten Tagessatz weiterläuft.
- Feststellung, dass der Versicherer nicht berechtigt ist, das Tagegeld einseitig zu kürzen.
- Zahlung der Differenz zwischen dem vereinbarten und dem gekürzten Tagegeld für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit.
- Erstattung seiner Anwaltskosten.
Das Landgericht Köln gab dem Kläger zunächst weitgehend Recht. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln als nächste Instanz sah die Sache jedoch anders und wies die Klage ab. Das OLG folgte offenbar der Argumentation des Versicherers, dass die Ersetzung der Klausel zulässig gewesen sei. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Revision zum BGH ein – die letzte Hoffnung auf den ursprünglich vereinbarten Schutz.
Die Kernfrage vor dem BGH: Wann ist eine Klauselersetzung „notwendig“?
Im Revisionsverfahren vor dem BGH ging es um die entscheidende Frage: Waren die Voraussetzungen des § 164 VVG für eine Ersetzung der unwirksamen Klausel erfüllt?
Diese Vorschrift erlaubt eine solche Bedingungsanpassung durch den Versicherer nur, wenn sie zur Fortführung des Vertrages „notwendig“ ist ODER wenn das Festhalten am Vertrag ohne die Klausel für eine Seite eine unzumutbare Härte darstellen würde.
Der BGH konzentrierte sich auf die Frage der Notwendigkeit. Die Richter stellten klar: Eine solche Notwendigkeit kann nur dann bestehen, wenn die Lücke, die durch die unwirksame Klausel entstanden ist, so gravierend ist, dass der Vertrag eigentlich durch eine sogenannte ergänzende Vertragsauslegung angepasst werden müsste. Das ist ein juristisches Instrument, das Gerichte nur sehr zurückhaltend anwenden dürfen, um unvollständige Verträge sinnvoll zu ergänzen.
Eine solche ergänzende Vertragsauslegung kommt bei Versicherungsbedingungen aber nur infrage, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:
- Es gibt keine gesetzliche Regelung, die die Lücke automatisch füllt.
- Der Vertrag ist durch die unwirksame Klausel tatsächlich lückenhaft geworden.
- Das Wichtigste: Das Festhalten an dem Vertrag ohne die unwirksame Klausel wäre für eine der Parteien – hier den Versicherer – unzumutbar hart (§ 306 Abs. 3 BGB).
Damit spitzte sich alles auf die Frage zu: War es für den Versicherer unzumutbar, den Vertrag ohne die Kürzungsklausel fortzuführen und dem Kläger im Krankheitsfall den vollen vereinbarten Tagessatz zu zahlen, auch wenn dessen aktuelles Nettoeinkommen niedriger war?
Das Urteil: Klares Nein zur Klauselersetzung – Vertrag gilt, wie ursprünglich vereinbart!
Der BGH beantwortete diese Frage mit einem klaren Nein. Die Richter entschieden zugunsten des Klägers und hoben das Urteil des OLG Köln auf. Das ursprüngliche Urteil des Landgerichts Köln, das dem Kläger Recht gegeben hatte, wurde damit wiederhergestellt.
Der Tenor des BGH-Urteils vom 12. März 2025 (IV ZR 32/24) bedeutet im Klartext:
- Die Berufung des Versicherers gegen das für den Kläger positive Urteil des Landgerichts wird zurückgewiesen.
- Der Versicherer muss die Kosten des gesamten Rechtsstreits (Berufung und Revision) tragen.
- Die Ersetzung der unwirksamen Kürzungsklausel durch die neue Klausel im Jahr 2018 war unzulässig.
- Der Versicherungsvertrag des Klägers besteht mit dem ursprünglich vereinbarten, ungekürzten Tagessatz fort.
- Der Versicherer muss dem Kläger das zu wenig gezahlte Krankentagegeld nachzahlen.
Die Begründung des BGH: Warum die Ersetzung nicht zulässig war
Die Begründung des BGH ist für das Verständnis der Entscheidung zentral und hat weitreichende Bedeutung:
1. Keine „unzumutbare Härte“ für den Versicherer
Der Kern der Argumentation des BGH ist, dass das Festhalten an dem Vertrag ohne die Kürzungsklausel für den Versicherer keine unzumutbare Härte darstellt. Warum nicht? Hier kommt der Charakter der Krankentagegeldversicherung als Summenversicherung ins Spiel.
- Systemimmanente Abweichungen: Die Richter betonten, dass es zum Wesen der Summenversicherung gehört, dass die vereinbarte Leistung (der Tagessatz) vom tatsächlichen Bedarf oder Einkommensausfall abweichen kann. Mal liegt der Tagessatz vielleicht unter dem tatsächlichen Verlust, mal darüber. Diese potenzielle Abweichung ist Teil des Deals, den beide Seiten bei Abschluss des Vertrags eingehen.
- Akzeptierte Ungleichgewichte: Der BGH wies darauf hin, dass solche Abweichungen auch in die andere Richtung von den Parteien hingenommen werden. Wenn das Nettoeinkommen eines Versicherten steigt, führt das ja auch nicht automatisch zu einer Erhöhung des versicherten Tagessatzes (es sei denn, der Versicherte beantragt dies und der Versicherer stimmt zu, oft gegen höhere Beiträge).
- Subjektives Risiko ist nicht „unzumutbar“: Zwar mag es sein, dass das Risiko für den Versicherer steigt, wenn das Einkommen des Versicherten dauerhaft unter den versicherten Tagessatz sinkt (weil der Anreiz, schnell wieder gesund zu werden, theoretisch sinken könnte). Dieses erhöhte „subjektive Risiko“ allein macht die Situation für den Versicherer aber noch nicht „unzumutbar“ im rechtlichen Sinne. Es ist ein kalkuliertes Risiko der Summenversicherung.
- Andere Kontrollmechanismen bleiben: Der Versicherer ist nicht schutzlos. Er kann weiterhin Nachweise für die Arbeitsunfähigkeit verlangen und prüfen, ob der Versicherungsfall tatsächlich vorliegt.
Weil keine unzumutbare Härte vorlag, gab es auch keinen Grund für eine ergänzende Vertragsauslegung.
2. Keine „Notwendigkeit“ für die Klauselersetzung
Wenn aber keine ergänzende Vertragsauslegung geboten ist, dann war auch die Ersetzung der Klausel durch den Versicherer gemäß § 164 VVG nicht notwendig zur Fortführung des Vertrages. Der Vertrag konnte und musste nach Ansicht des BGH auch ohne die Kürzungsklausel weitergeführt werden – eben mit dem Risiko für den Versicherer, dass der vereinbarte Tagessatz das aktuelle Nettoeinkommen übersteigt.
3. Klarstellung zum „Bereicherungsverbot“
Der BGH stellte außerdem klar, dass eine andere Klausel, die oft in den Bedingungen steht (§ 4 Abs. 2 MB/KT 2009 – das sogenannte Bereicherungsverbot), hier nicht weiterhilft. Diese Klausel besagt, dass das Krankentagegeld zusammen mit anderen Krankentagegeldern oder Krankengeldern (z. B. von der gesetzlichen Kasse oder einer zweiten privaten Versicherung) das Nettoeinkommen nicht übersteigen darf. Sie begrenzt also die Gesamtleistung aus mehreren Quellen, ändert aber nichts am Anspruch aus dem einzelnen Vertrag gegenüber diesem Versicherer. Sie kann daher die Funktion der unwirksamen Kürzungsklausel (§ 4 Abs. 4) nicht ersetzen.
Experten-Einschätzung: Was bedeutet das Urteil rechtlich?
Juristen sehen in dem BGH-Urteil eine wichtige Klarstellung zu den Grenzen der Vertragsanpassung nach § 164 VVG. Kernpunkte sind:
- Hohe Hürden für Klauselersetzung: Der BGH macht deutlich, dass Versicherer unwirksame Klauseln nicht einfach durch neue ersetzen können, nur weil die alte Regelung für sie vorteilhaft war. Die Voraussetzungen „Notwendigkeit“ oder „unzumutbare Härte“ müssen tatsächlich vorliegen.
- Summenversicherung bleibt Summenversicherung: Das Risiko, dass die vereinbarte Summe den tatsächlichen Bedarf übersteigt, gehört zum Wesen der Summenversicherung und stellt per se keine unzumutbare Härte dar, die eine nachträgliche Vertragsanpassung rechtfertigt.
- Stärkung des § 307 BGB: Indirekt stärkt das Urteil auch die Bedeutung des Transparenzgebots. Wenn Versicherer die Folgen intransparenter Klauseln nicht einfach durch § 164 VVG reparieren können, steigt der Anreiz, von vornherein klare und faire Bedingungen zu verwenden.
- Vertragstreue geht vor: Der Grundsatz „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) wird gestärkt. Nachträgliche einseitige Änderungen zulasten des Versicherungsnehmers sind nur in engen Ausnahmefällen möglich.
Welche Folgen hat das Urteil für Sie als Versicherungsnehmer?
Dieses Urteil ist eine gute Nachricht für viele Inhaber einer Krankentagegeldversicherung.
- Mehr Sicherheit: Sie haben nun eine größere Sicherheit, dass der ursprünglich vereinbarte Tagessatz auch dann gilt, wenn Ihr Einkommen sinkt – vorausgesetzt, Ihr Vertrag enthielt die 2016 für unwirksam erklärte Klausel und der Versicherer hat versucht, diese nach § 164 VVG zu ersetzen. Diese Ersetzung ist nach dem BGH-Urteil in der Regel unzulässig.
- Anspruch auf volle Leistung: Wenn Ihr Versicherer Ihr Krankentagegeld in der Vergangenheit aufgrund einer solchen ersetzten Klausel gekürzt hat, könnten Sie Anspruch auf Nachzahlung der Differenzbeträge haben.
- Prüfungspflicht: Es lohnt sich, Ihre Versicherungsunterlagen genau zu prüfen, insbesondere wenn Sie nach 2016 Post von Ihrem Versicherer mit geänderten Bedingungen für die Krankentagegeldversicherung erhalten haben und/oder Ihr Tagegeld gekürzt wurde.
Was bedeutet das Urteil für die Versicherungsunternehmen?
Für die Versicherer bedeutet das Urteil, dass sie ihre Praxis der Vertragsanpassung überdenken müssen.
- Grenzen des § 164 VVG: Die Möglichkeit, unwirksame Klauseln in Bestandsverträgen einfach durch neue zu ersetzen, ist stark eingeschränkt. Der Nachweis einer echten Notwendigkeit oder unzumutbaren Härte wird in Zukunft kaum gelingen, wenn es um die Kernleistung einer Summenversicherung geht.
- Risikomanagement: Das Risiko schwankender Einkommen bei Versicherten müssen Versicherer stärker bei der ursprünglichen Kalkulation der Beiträge und bei der Risikoprüfung vor Vertragsabschluss (Underwriting) berücksichtigen. Nachträgliche Korrekturen über § 164 VVG sind kaum noch möglich.
- Fokus auf Neuverträge: Bei Neuverträgen bleibt es möglich, Anpassungsklauseln zu vereinbaren. Diese müssen aber unbedingt den hohen Transparenzanforderungen des BGH genügen, um wirksam zu sein.
- Alternative Instrumente: Versicherer müssen sich auf andere, rechtlich zulässige Instrumente konzentrieren, wie die genaue Prüfung der Arbeitsunfähigkeit oder gegebenenfalls Beitragsanpassungen nach den dafür vorgesehenen gesetzlichen Regeln (z. B. § 203 VVG), die aber nichts an der vereinbarten Leistungshöhe ändern.
Praktische Tipps: Was tun, wenn Sie betroffen sind?
Wenn Sie vermuten, dass Ihr Krankentagegeld aufgrund einer solchen unzulässigen Klauselersetzung gekürzt wurde oder wird, sollten Sie aktiv werden:
- Unterlagen prüfen: Suchen Sie Ihren ursprünglichen Versicherungsvertrag und alle späteren Mitteilungen Ihres Versicherers über Vertragsänderungen oder neue Versicherungsbedingungen (insbesondere Schreiben aus den Jahren 2017/2018). Achten Sie darauf, ob eine Klausel zur Herabsetzung des Tagegeldes bei Einkommensminderung geändert oder neu eingefügt wurde.
- Leistungsabrechnungen kontrollieren: Wenn Sie Krankentagegeld bezogen haben oder beziehen: Wurde Ihnen der volle vereinbarte Tagessatz gezahlt oder gab es Kürzungen mit Verweis auf Ihr gesunkenes Einkommen und eine geänderte Vertragsklausel?
- Versicherer kontaktieren (optional): Sie können Ihren Versicherer schriftlich um eine Stellungnahme bitten und unter Verweis auf das BGH-Urteil IV ZR 32/24 die Zahlung des vollen Tagessatzes bzw. die Nachzahlung fordern. Seien Sie sich aber bewusst, dass Versicherer möglicherweise nicht ohne Weiteres einlenken.
- Rechtzeitig handeln (Verjährung beachten): Ansprüche auf Nachzahlung von Versicherungsleistungen verjähren in der Regel nach drei Jahren. Die Frist beginnt am Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und Sie davon Kenntnis erlangt haben oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen. Wann genau die Verjährung eintritt, kann im Einzelfall komplex sein. Zögern Sie daher nicht zu lange!
- Anwaltlichen Rat einholen: Spätestens wenn der Versicherer Ihre Forderung ablehnt oder Sie unsicher sind, sollten Sie sich an einen auf Versicherungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt wenden, gerne stehen wir Ihnen als Fachanwalt für Versicherungsrecht zur Verfügung. Wir prüfen Ihren individuellen Fall, schätzen Ihre Erfolgsaussichten ein und setzen Ihre Ansprüche professionell durch. Fordern Sie unsere Ersteinschätzung an.
Richtig handeln, Fehler meiden
Was Sie tun sollten:
- Bewahren Sie alle Versicherungsunterlagen sorgfältig auf.
- Prüfen Sie Kürzungen des Krankentagegeldes kritisch.
- Holen Sie bei Unklarheiten oder Ablehnung durch den Versicherer anwaltlichen Rat ein.
Was Sie vermeiden sollten:
- Akzeptieren Sie eine Kürzung aufgrund einer ersetzten Klausel kommentarlos.
- Verwechseln Sie diese spezielle Kürzungsmöglichkeit mit allgemeinen Beitragsanpassungen – das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.
- Lassen Sie mögliche Ansprüche aus Unkenntnis verjähren.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum BGH-Urteil IV ZR 32/24
Mein Krankentagegeld wurde gekürzt, weil mein Einkommen gesunken ist. Hilft mir das Urteil?
Ja, sehr wahrscheinlich. Wenn die Kürzung auf einer Klausel basiert, die Ihr Versicherer nach 2016 als Ersatz für die ursprünglich unwirksame Klausel (§ 4 Abs. 4 MB/KT 2009 oder ähnlich) eingeführt hat, ist diese Kürzung laut BGH unzulässig. Sie haben gute Chancen, den vollen vereinbarten Tagessatz zu erhalten und Nachzahlungen zu fordern.
Gilt das Urteil für alle Krankentagegeldversicherungen?
Das Urteil bezieht sich auf Fälle, in denen eine spezifische, wegen Intransparenz unwirksame Klausel (§ 4 Abs. 4 MB/KT 2009) durch eine neue Regelung nach § 164 VVG ersetzt wurde. Es betrifft also Verträge, die diese Konstellation aufweisen. Es stärkt aber generell die Position von Versicherten gegenüber einseitigen Vertragsanpassungen durch den Versicherer.
Was ist der Unterschied zwischen diesem Urteil und dem BGH-Urteil von 2016 (IV ZR 44/15)?
Das Urteil von 2016 erklärte die ursprüngliche Kürzungsklausel für unwirksam (wegen Intransparenz). Das neue Urteil von 2025 klärt, dass der Versicherer diese unwirksame Klausel nicht einfach durch eine neue ersetzen darf, um das gleiche Ziel zu erreichen. Beide Urteile bauen aufeinander auf und stärken die Rechte der Versicherten.
Was bedeutet „Summenversicherung“ noch einmal genau?
Bei einer Summenversicherung wird im Versicherungsfall eine vorher fest vereinbarte Geldsumme gezahlt (z.B. der Tagessatz beim Krankentagegeld). Diese Summe ist unabhängig davon, wie hoch der tatsächliche finanzielle Schaden oder Einkommensausfall ist. Das Gegenteil ist die Schadenversicherung (z.B. Haftpflicht, Hausrat), bei der nur der konkret entstandene und nachgewiesene Schaden ersetzt wird.
Mein Versicherer hat die Klausel ersetzt, aber mein Einkommen ist gar nicht gesunken. Ist das Urteil trotzdem relevant für mich?
Ja, denn das Urteil bestätigt, dass Ihr Vertrag grundsätzlich mit dem ursprünglich vereinbarten Tagessatz und ohne die (unwirksam) ersetzte Kürzungsklausel fortbesteht. Sollte Ihr Einkommen zukünftig sinken, kann sich der Versicherer nicht auf die ersetzte Klausel berufen, um Ihr Tagegeld zu kürzen.
Kann der Versicherer mein Krankentagegeld jetzt überhaupt nicht mehr anpassen?
Das Urteil verhindert die Anpassung über den Weg der Klauselersetzung nach § 164 VVG unter den gegebenen Umständen. Es schließt aber nicht aus, dass in Neuverträgen wirksame (d.h. transparente) Anpassungsklauseln vereinbart werden können. Bestehende, wirksame Klauseln (wie das Bereicherungsverbot bei Leistungen aus mehreren Quellen) gelten weiterhin. Auch Beitragsanpassungen aus anderen Gründen (z.B. gestiegene Gesundheitskosten) sind von diesem Urteil nicht betroffen.
Was soll ich tun, wenn ich unsicher bin, ob mein Vertrag betroffen ist?
Im Zweifel sollten Sie immer einen Experten fragen. Ein auf Versicherungsrecht spezialisierter Rechtsanwalt oder eine Verbraucherzentrale kann Ihre Unterlagen prüfen und Sie individuell beraten.
Fazit: Ein wichtiger Sieg für Versicherte und die Vertragstreue
Das BGH-Urteil IV ZR 32/24 ist mehr als nur eine Entscheidung zu einer speziellen Klausel im Versicherungsrecht. Es ist ein klares Signal für die Stärkung der Rechte von Versicherungsnehmern und ein Bekenntnis zum Grundsatz der Vertragstreue. Versicherer können sich nicht einfach per Federstrich von den Folgen unwirksamer Klauseln befreien, indem sie diese durch neue ersetzen, wenn die strengen gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen.
Insbesondere die Betonung des Charakters der Summenversicherung ist bedeutsam: Wer eine feste Summe pro Tag versichert, muss sich darauf verlassen können, diese Summe im Krankheitsfall auch zu erhalten, solange keine wirksame (!) Klausel etwas anderes bestimmt. Das Risiko, dass diese Summe das aktuelle Einkommen übersteigt, ist Teil des Geschäftsmodells der Summenversicherung und kann nicht nachträglich einseitig auf den Versicherten abgewälzt werden, nur weil eine ursprünglich verwendete Klausel rechtlich keinen Bestand hatte.
Für betroffene Versicherungsnehmer bedeutet dies: Prüfen Sie Ihre Verträge und wehren Sie sich gegen unberechtigte Kürzungen! Das jüngste BGH-Urteil gibt Ihnen dafür starken Rückenwind. Es unterstreicht einmal mehr, wie wichtig es ist, seine Rechte als Versicherter zu kennen und im Zweifel professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.