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Unfallversicherung – Ausschluss bei Überfall des Versicherten aus privaten Gründen

Arbeitsunfall nach Überfall abgelehnt: persönliches Motiv des Täters im Fokus.

Eine Bewachungsangestellte wurde während des Wartens auf ihren Ehemann von einem maskierten Mann überfallen und schwer verletzt. Die gesetzliche Unfallversicherung lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, da der Überfall aus persönlichen Motiven des Täters erfolgte und nicht in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stand. Das Sozialgericht und auch das Berufungsgericht bestätigten diese Entscheidung und betonten, dass die persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer ausschlaggebend war und nicht der Umstand des Zurücklegens des Weges zwischen den Arbeitsstätten. Das Urteil des Landgerichts, das den Ehemann als Täter verurteilte, wurde berücksichtigt, jedoch nicht als ausschlaggebend gewertet. Die Berufungsklägerin argumentierte vergeblich mit einem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts, das eine Begünstigung durch Verhältnisse auf dem Weg zur Arbeitsstelle als ausreichend ansieht, um den Versicherungsschutz zu gewährleisten. Die Versicherungsschutz erstreckt sich jedoch nicht auf Überfälle, die aus persönlichen Motiven erfolgen. Die örtlichen Gegebenheiten am Tatort wurden als nicht wesentlich angesehen. Das Gericht lehnte die Prozesskostenhilfe ab, da es keine Erfolgsaussichten sah.


Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 2 U 37/20 – Urteil vom 04.05.2022

1. Die Berufung wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Überfalls als Arbeitsunfall.

Die 1976 geborene Klägerin und Berufungsklägerin war im Bewachungsgewerbe tätig. In der Nacht vom 23. auf den 24. November 2018 bewachte sie in der Zeit von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr eine V. am L. in H.- W.. Im Anschluss hatte sie den Auftrag, gegen 7:00 Uhr eine Filiale der K. in B. aufzuschließen. Ihr Ehemann hatte die Klägerin mit dem Auto von der gemeinsamen Wohnung zu der V. am L. gefahren und – wie bereits einige Male zuvor – angeboten, sie dort um kurz vor 5.00 Uhr auch wieder abzuholen und nach B. zu fahren, damit sie die Strecke nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen müsse. Beim Warten an der vereinbarten Abholstelle wurde die Klägerin von hinten von einem maskierten Mann mit einem Messer angegriffen und zu Boden gerissen. Hierbei erlitt sie Stichverletzungen an Rücken und Gesäß sowie schwere Verletzungen am Kopf. Noch am selben Tage wurde ihr Ehemann als Täter des Überfalles festgenommen und im Folgenden zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit Bescheid vom 18. Januar 2019 lehnte die Beklagte und Berufungsklägerin die Anerkennung des Ereignisses vom 24. November 2018 als Arbeitsunfall mit der Begründung ab, Versicherungsschutz liege nur vor, wenn Versicherte bei einem Überfall geschädigt werden, der nicht aus persönlichen Motiven erfolgte. Vorliegend sei die betriebsfremde Beziehung zwischen dem Täter und der Klägerin und nicht ein Zusammenhang mit der Zurücklegung des Weges die wesentliche Ursache, sodass Versicherungsschutz nicht vorliege.

Der Widerspruch der Klägerin vom 4. Februar 2019 wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2019 als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte führte aus, die örtlichen Gegebenheiten des Arbeitsweges zum Zeitpunkt des Überfalls (Straße in einem gewöhnlich belebten Wohngebiet in H.- W.) ließen nicht erkennen, dass diese den Überfall maßgeblich begünstigt hätten. Wesentlich für den Überfall sei allein die persönliche Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann gewesen. Diese Einschätzung sei durch die polizeilichen Ermittlungsergebnisse zweifellos gestützt worden. Weiter verwies die Beklagte auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG).

Hiergegen hat die Klägerin am 22. Oktober 2019 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben und vorgetragen, die Arbeitstätigkeit und die Arbeitsstätte der Klägerin seien ein wesentlicher Bestandteil der Tat gewesen. Der Täter habe gewusst, dass er die Klägerin auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte in der V. in W. zu ihrer weiteren Arbeitsstätte in der K.-Filiale in B. möglichst unerkannt hinterrücks überfallen könne und dies habe seine Tat wesentlich begünstigt. Die Bevollmächtigte der Klägerin legte zudem das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Juni 2019 (Az. 621 Ks 1/19) vor, mit dem der Täter wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten verurteilt wurde.

Die Beklagte hat sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid bezogen und geltend gemacht, auch anhand der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte sei die besondere Begünstigung des Überfalls durch die Zurücklegung des Arbeitsweges nicht erkennbar. Der Angriff auf die Klägerin sei im öffentlichen Verkehrsraum ohne erkennbare Ausnutzung spezifisch örtlicher Gegebenheiten erfolgt.

Das Sozialgericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Band 1-3) beigezogen, die auch eine Kopie der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft beinhaltet.

Nach diesbezüglicher Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. September 2020 abgewiesen. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin am 24. November 2018 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Zwar stünden Überfälle infolge einer versicherten Tätigkeit grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Aus den vorliegenden Unterlagen ergebe sich jedoch, dass die Klägerin am 24. November 2018 von ihrem Ehemann aus privaten Motiven heraus überfallen und schwer verletzt worden sei. Werde ein Überfall aus privaten Motiven durchgeführt, sei nicht die versicherte Tätigkeit die wesentliche Ursache des Unfalles, sondern die private Beziehung präge das Geschehen allein wesentlich. Es komme hierbei auch nicht darauf an, ob die Klägerin als Überfallene vor dem Überfallereignis positive Kenntnis über den Schädiger oder dessen Motive hatte. Entscheidend sei allein, dass der Überfall aus privaten Gründen erfolgte. Auch die Tatzeit bzw. die Umstände am Tatort führten nicht zur Zurechnung zur versicherten Tätigkeit, denn es hätten keine besonders begünstigenden Umstände vorgelegen, die die Tat erst möglich gemacht hätten. Insoweit habe die Beklagte zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) verwiesen.

Gegen diesen ihrer Prozessbevollmächtigten am 24. September 2020 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. Oktober 2020 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ihren bisherigen Vortrag im Wesentlichen wiederholt und unter Verweis auf die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Dezember 2017 – L 3 U 418/16 – vertieft. Danach könne dann, wenn die Verhältnisse des zurückliegenden Weges von und zu der Arbeitsstelle einen Überfall erst begünstigen oder ermöglichen, angenommen werden, dass der Weg als rechtlich wesentliche Ursache den Versicherungsschutz in der Unfallversicherung begründet habe. Aufgrund des Urteils des Landgerichts Hamburg stehe fest, dass der Täter gewusst habe, die Klägerin am gewählten Tatort unerkannt überfallen zu können. Da sich die Lebensbereiche der Eheleute getrennt hätten, habe er keine Kontrolle mehr über die Klägerin gehabt. Bei dem Tatort habe er jedoch gewusst, dass die Klägerin ihm nicht entweichen konnte.

Die Beklagte verweist auf den Gerichtsbescheid sowie auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Mit Beschluss vom 13. Januar 2021 hat der Senat die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt. Das Zurücklegen des Weges zwischen den Arbeitsstätten habe zwar objektiv die Einwirkung durch den Unfall verursacht, dieser Weg sei hierfür jedoch nicht rechtlich wesentlich im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII gewesen. Die Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann, der nicht damit einverstanden war, dass diese die Beziehung gegen seinen Willen beenden wollte und infolgedessen den Überfall plante, habe das Unfallgeschehen derart geprägt, dass auch unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten des Weges die versicherte Tätigkeit als Ursache zurücktrete. Wesentliche Ursache sei daher allein die nicht vom Schutzzweck der Unfallversicherung erfasste persönliche Beziehung zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Sitzungsniederschrift vom 4. Mai 2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG) Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 56 SGG; st. Rspr. des BSG, vgl. Urteil vom 31. August 2017 – B 2 U 1/16 R, juris, m.w.N.) zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass sie am 24. November 2018 einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) erlitten hat.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlichen begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt (Unfallkausalität) und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; st. Rspr., BSG, vgl. nur Urteil vom 10. August 2021 – B 2 U 2/20 R, juris, m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar hat die Klägerin unzweifelhaft einen Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII erlitten, denn der tätliche Angriff durch den Ehemann stellt ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis dar, das zu Stich- und Kopfverletzungen und damit zu einem Gesundheitsschaden geführt hat. Auch befand sich die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls auf einem Betriebsweg (vgl. dazu BSG, Urteil vom 05. Juli 2016 – B 2 U 5/15 R, BSGE 122, 1-11), weil sie entsprechend der Weisung ihres Arbeitgebers nach Beendigung der Schicht im L. ihren nächsten Einsatzort in B. erreichen wollte. Es fehlt jedoch an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Eintritt des Unfalls.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers nur begründet, wenn die durch die versicherte Verrichtung objektiv mitverursachte Einwirkung auf den Versicherten eine Gefahr mitverwirklicht hat, gegen die die begründete Versicherung schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert zweistufig die Erfüllung 1. tatsächlicher und 2. darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen. Die Verrichtung der versicherten Tätigkeit muss die Einwirkung (und in gleicher Weise muss die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod) sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 2 U 19/11 R, BSGE 112, 177-188).

Auf der 1. Stufe muss die versicherte Verrichtung im Sinne der „conditio-Formel“ eine erforderliche Bedingung des Erfolges (stets neben anderen Bedingungen) sein. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur als (bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare) zufällige Randbedingung anzusehen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage (vgl. Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R, juris; Urteil vom 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R, juris). Auf der zweiten Stufe ist festzustellen, ob sich die durch die versicherte Tätigkeit objektiv verursachte Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellt und deshalb die versicherte Tätigkeit „wesentlich“ war, ob also sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers wird nur begründet, wenn die durch die versicherte Verrichtung objektiv mitverursachte Einwirkung auf den Versicherten eine Gefahr mitverwirklicht hat, gegen die die begründete Versicherung schützen soll (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47).

Andere unversicherte Mitursachen können die rechtliche Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass sie die versicherte Wirkursache verdrängen, so dass der Schaden „im Wesentlichen“ rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des jeweiligen Versicherungstatbestandes unterfällt. Die versicherten und die auf der ersten Zurechnungsstufe festgestellten unversicherten Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile sind in einer rechtlichen Gesamtbeurteilung anhand des zuvor festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47; Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44).

Nach diesen vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätzen hat das Zurücklegen des Weges zwischen den Arbeitsstätten die Einwirkungen durch den Überfall auf der ersten Stufe objektiv verursacht. Objektiv mitursächlich für den Überfall war zudem die persönliche Beziehung der Klägerin zu ihrem Ehemann. Für die Klägerin hat sich durch den Überfall eine aus ihrem persönlichen Bereich stammende Gefahr realisiert. Sie wurde von ihrem Ehemann aus privaten und nicht aus berufsbezogenen Motiven überfallen und verletzt. Die Auswertung der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft sowie die Feststellungen des Landgerichts Hamburg im Urteil vom 19.06.2019 (Az. 621 Ks 1/19) bestätigen, dass die zu dem Überfall führenden Umstände aus dem Trennungsprozess der Eheleute und damit aus der privaten Beziehung der Klägerin herrührten. So ist das Landgericht Hamburg in seinem Urteil zu der Feststellung gelangt, dass für den Ehemann der Klägerin durch die Geschehnisse in der Tatnacht alle Hoffnungen auf einen Erhalt der Ehe und der Familie zerstört worden waren. Die Gewissheit über das endgültige Ende der Ehe habe ihn in eine tiefe Verzweiflung gestürzt und Aggressionen gegenüber der Klägerin ausgelöst. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe er den Entschluss gefasst, die Klägerin mit einem Messer anzugreifen und erheblich zu verletzen.

Diese Unfallursache erweist sich bei der vorzunehmenden Gesamtbeurteilung als prägend, so dass der Schaden nicht mehr im Wesentlichen vom Schutzbereich des Versicherungstatbestandes erfasst wird. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein Überfall, der während der Ausführung einer versicherten Tätigkeit – sei es auf einer Betriebsstätte oder auf einem versicherten Weg erfolgt – grundsätzlich als Arbeitsunfall anzuerkennen (BSG, Urteil vom 18. November 2008 – B 2 U 27/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 30, m.w.N.). Bezogen auf die Wegeversicherung hat das Bundessozialgericht jedoch festgestellt, dass die Gefahr aufgrund eigener privater Beziehungen und Kontakte oder sonstiger aus dem persönlichen Bereich stammender Umstände Opfer eines Überfalls (unabhängig von dem Ort der Tat und dessen besonderen Verhältnissen) zu werden, nicht vom Schutzbereich der Unfallversicherung erfasst wird. Eine solche Gefahr bestehe nicht nur auf öffentlich zugänglichen Wegen, sondern auch im häuslichen Bereich und stelle keine beim Zurücklegen eines Weges spezifische Gefahr dar (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47). Diese Wertung ist auf Überfälle, die sich – wie hier – auf einem Betriebsweg ereignen, übertragbar.

Gegenüber der privaten Beziehung zu ihrem Ehemann tritt die versicherte Tätigkeit auch unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten des Weges als Unfallursache zurück. Zwar hat das Bundessozialgericht angenommen, dass dann, wenn die Verhältnisse des zurückgelegten Weges von und zu der Arbeitsstätte einen grundsätzlich nicht unter den Versicherungsschutz fallenden Überfall erst begünstigen oder ermöglichen, der Weg als rechtlich wesentliche Ursache den Versicherungsschutz in der Wegeversicherung grundsätzlich begründen kann (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/21 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47; Urteil vom 19. Dezember 2000 – B 2 U 37/99 R; BSGE 87, 224, 226). Gleichwohl ist das Zurücklegen des Weges hier nicht rechtlich wesentliche Ursache für den Überfall.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass der verabredete Abholort es dem Täter ermöglichte, bei dem Überfall unerkannt zu bleiben, worauf es ihm nach den Feststellungen des Landgerichts gerade ankam. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass der Täter die Klägerin nur dort unerkannt hätte überfallen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die Ausführungen im PKH-Beschluss vom 13. Januar 2021. An diesen Ausführungen hält das Gericht auch nach nochmaliger Überprüfung fest. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch nicht davon auszugehen, dass sich die Lebensbereiche der Eheleute bereits derart getrennt hatten, dass sich das Leben der Klägerin der Kontrolle durch den Täter entzogen hatte. Obwohl die Eheleute bereits seit einiger Zeit faktisch getrennt lebten, wohnten sie zum Zeitpunkt der Tat noch in der gemeinsamen Wohnung und trafen – wie nicht zuletzt das Angebot des Täters, die Klägerin zu ihrem Arbeitsplatz zu fahren, zeigt – auch durchaus aufeinander. Dementsprechend war der Täter zur Verwirklichung seiner Tatvorstellung nicht darauf angewiesen, die Klägerin auf dem Weg zwischen den beiden Arbeitsstätten zu überfallen. Durch die Kenntnis der Lebensgewohnheiten und des Tagesablaufs der Klägerin hätte sich ihm durchaus die Gelegenheit geboten, der Klägerin zu einem anderen Zeitpunkt nach Verlassen der Wohnung aufzulauern und sie unerkannt anzugreifen.

Schließlich ist unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundessozialgerichts, das bei einem Angriff in einer nicht einsehbaren und halb geöffneten Garage diesen Umstand gegenüber der privat erlangten Kenntnis des Aufenthaltsorts sowie der privat geprägten Gründe und Art des Angriffs hatte zurücktreten lassen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47), auch hier davon auszugehen, dass die unversicherten Umstände der Tat weit mehr prägend waren als die versicherten Ursachen. Der Täter wusste lediglich aufgrund des Zusammenlebens in der gemeinsamen Wohnung von den verschiedenen Einsatzorten und -zeiten der Klägerin. Er hatte die Klägerin bereits mehrfach mit dem Auto zur Arbeit gefahren und kannte dementsprechend die örtlichen Gegebenheiten am vereinbarten Abholort. Nach den Feststellungen des Landgerichts steht zudem fest, dass der Täter den Tatentschluss vergleichsweise spontan gefasst hatte. So hatte er am Vorabend des Überfalls eine Wohnung besichtigt, wodurch die Trennung von seiner Ehefrau für ihn in greifbare Nähe gerückt war. Erst nachdem ihm die Klägerin während eines Telefongesprächs in der Tatnacht zu verstehen gegeben hatte, dass sie an der Trennung festhalte, kam der Täter im Zustand emotionaler Aufgewühltheit zu dem Entschluss, die Klägerin mit einem Messer zu überfallen und erheblich zu verletzen. Als ihm das Scheitern seiner Ehe bewusst geworden war, nutzte er folglich die erste Gelegenheit eines Zusammentreffens mit seiner Frau für den Überfall. Dass diese Begegnung stattfand, als sich die Klägerin auf dem Weg von einer Arbeitsstätte zur nächsten befand, erscheint vor diesem Hintergrund beinahe zufällig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

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