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Rückabwicklung Lebensversicherungsvertrag nach fehlerhaft erteilter Widerspruchsbelehrung

Lebensversicherung und Recht: Ein Streit um Rückabwicklung und Widerspruchsbelehrung

Der Fall, der vor dem Landgericht Leipzig verhandelt wurde, dreht sich um die komplexe Thematik der Rückabwicklung einer Lebensversicherung. Der Kläger hatte bei der Beklagten eine Lebensversicherung abgeschlossen und später mehrere Änderungen vorgenommen, darunter auch den Widerspruch gegen bestimmte Vertragsklauseln. Jahre später entschied er sich, die Lebensversicherung zu widerrufen und verlangte die Rückzahlung der gezahlten Beiträge sowie Zinsen. Das Hauptproblem in diesem Fall lag in der Frage, ob die Widerspruchsbelehrung im Versicherungsvertrag ausreichend hervorgehoben wurde und ob der Kläger Anspruch auf die geforderte Summe hat.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 03 O 141/21  >>>

Versäumnisurteil und Einspruch

Das Landgericht Leipzig hatte zunächst ein Versäumnisurteil erlassen, das die Beklagte zur Zahlung einer bestimmten Summe verurteilte. Die Beklagte legte jedoch Einspruch gegen dieses Urteil ein. Sie argumentierte, der Kläger habe seinen Anspruch nicht ausreichend substantiiert und zudem sei der Anspruch verwirkt. Die Beklagte erhob auch die Einrede der Verjährung hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Klagerücknahme und Anpassung der Forderung

Der Kläger nahm seine ursprüngliche Klage teilweise zurück und passte seine Forderung an. Er verlangte nun eine geringere Summe als ursprünglich gefordert. Dies hatte zur Folge, dass das Versäumnisurteil in Teilen aufgehoben wurde. Die Klage wurde in Bezug auf die neu titulierte Forderung abgewiesen.

Kostenverteilung und Vollstreckbarkeit

Das Gericht entschied, dass die Kosten des Rechtsstreits zwischen Kläger und Beklagter aufgeteilt werden sollten. Der Kläger sollte 18 % und die Beklagte 82 % der Kosten tragen. Das Urteil wurde als vorläufig vollstreckbar erklärt, allerdings nur gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages.

Streitwert und abschließende Überlegungen

Der Streitwert des Falls wurde auf 41.887,01 € festgesetzt. Das Urteil zeigt die Komplexität von Rechtsstreitigkeiten im Bereich der Lebensversicherungen, insbesondere wenn es um Rückabwicklung und Widerspruchsbelehrungen geht. Es verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, Vertragsbedingungen und -klauseln sorgfältig zu prüfen und gegebenenfalls rechtlichen Rat einzuholen.

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Das vorliegende Urteil

LG Leipzig – Az.: 03 O 141/21 – Urteil vom 24.06.2021

1. Das Versäumnisurteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 17.03.2021 wird insoweit aufrechterhalten, als die Beklagte hierin verurteilt wurde, an den Kläger 34.418,82 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit dem 08.10.2020 zu bezahlen.

2. Hinsichtlich des Differenzbetrages zwischen der unter Ziffer 1 des Versäumnisurteils titulierten Forderung und der zuletzt vom Kläger verfolgten Forderung von 34.498,43 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit dem 08.10.2020 ist das Versäumnisurteil vom 17.03.2021 durch Klagerücknahme wirkungslos.

3. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil vom 14.03.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

4. Soweit der Kläger nach Erlass des Versäumnisurteils die unter Ziffer 2 des Versäumnisurteils titulierte Forderung auf einen Betrag von 1.981,74 € erweitert hat, wird die Klage abgewiesen.

5. Das Versäumnisurteil vom 17.03.2021 wird im Kostenpunkt aufgehoben. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 18 % und die Beklagte zu 82 %.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages. Eine Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 17.03.2021 darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.

Der Kläger darf eine Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss: Der Streitwert wird auf 41.887,01 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung einer Lebensversicherung in Anspruch.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten unter dem 22.01.1997 mit dem als Anlage BLD 1 zu den Akten gereichten Antrag den Abschluss einer Lebensversicherung. Die Beklagte stellte hierauf unter dem 19.03.1997 den als Anlage K 1 zu den Akten gereichten Versicherungsschein über eine Lebensversicherung mit Versicherungsbeginn zum 01.02.1997 und Ablauf der Versicherung am 01.02.2022, einem anfänglichen jährlichen Tarifbeitrag von 1.329,39 DM und einer jährlichen Beitragserhöhung um 10 % aus. Wegen der im Versicherungsschein enthaltenen Widerrufsbelehrung wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.

In den Versicherungsvertrag wurde die mit der Anlage K 1 zu den Akten gereichten Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung, auf deren Inhalt verwiesen wird, einbezogen.

Während des Versicherungsverlaufs widerrief der Kläger unter dem 14.01.2002 die Dynamik für das Jahr 2002 (Anlage BLD 2), unter dem 18.01.2005 bat er die Beklagte, ab dem 01.02.2005 keine Dynamik zu berechnen (Anlage BLD 5), unter dem 01.02.2006 widerrief er die Dynamik für das Jahr 2006 (Anlage BLD 11) und widersprach einer Dynamikerhöhung erneut für das Jahr 2007 unter dem 10.01.2007 (Anlage BLD 12), worauf die Beklagte unter dem 13.01.2007 (Anlage BLD 13) und nochmals unter dem 30.10.2008 (Anlage BLD 15) bestätigte, dass hiermit bedingungsgemäß ein Dynamikausschluss verbunden sei.

Unter dem 25.02.2004 beantragte der Kläger eine rückwirkende Umstellung auf eine halbjährliche Zahlungsweise der Versicherungsprämie zum 01.02.2004 (Anlage BLD 4).

Unter dem 23.05.2005 erklärte sich der Kläger mit einem Einschluss des Verwertungsausschlusses bis zum Eintritt in den Ruhestand (sogenannte Hartz IV Klausel) einverstanden (Anlage BLD 9), was die Beklagte unter dem 22.06.2005 (Anlage BLD 10) bestätigte.

Die Beklagte bezifferte den Rückkaufswert der Lebensversicherung unter dem 19.05.2005 auf 6.909,- € und gab die bis dahin vom Kläger gezahlten Beiträge mit 7.335,50 € an (Anlage BLD 8).

Unter dem 25.09.2020 erklärte der Kläger einen Widerspruch der Lebensversicherung, jedoch keine Kündigung, und verlangte von der Beklagten eine Zahlung von 40.502,81 € bis zum 19.02.2020 (Anlage K 3). Dies wies die Beklagte unter dem 07.10.2020 (Anlage K 4) zurück. Der Kläger wiederholte seine Zahlungsaufforderung unter dem 05.11.2020 (Anlage K 5), was die Beklagte noch am selben Tag erneut zurückwies (Anlage K 6).

Der Kläger macht geltend, die Widerspruchsbelehrung in der Versicherungspolice und in den Versicherungsbedingungen sei drucktechnisch nicht ausreichend hervorgehoben.

Die von ihm bis zum 25.09.2020 gezahlten Versicherungsbeiträge hat der Kläger zunächst mit 27.698,20 € beziffert und hiernach unter Berücksichtigung einer Beitragsfreistellung im Jahr 2002 auf 26.978,87 € beziffert.

Die von der Beklagten gezogenen Nutzungen auf Basis der der BaFin gemeldeten Reinverzinsung der Beklagten hat der Kläger zunächst auf 15.296,74 €, sodann auf 14.693,56 € und zuletzt auf 12.599,38 € beziffert.

Den faktischen Versicherungsschutz hat der Kläger zunächst in Höhe von 4 % der gezahlten Beiträge, nämlich in Höhe von 1.107,93 €, sodann auf 1.097,13 € und zuletzt auf 5.079,82 € beziffert.

Vorgerichtliche Anwaltskosten hat der Kläger zunächst in Höhe einer 1,05 Geschäftsgebühr nach Anrechnung einer 0,75 Verfahrensgebühr in Höhe von 1.348,38 € geltend gemacht und zuletzt in Höhe einer 1,8 Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 34.498,43 €, nämlich in Höhe von 1.981,74 €.

Der Kläger hat die Beklagte zunächst auf Zahlung von 41.887,01 € nebst Zinsen sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten im Umfang von 1.348,38 € in Anspruch genommen.

Die Beklagte wurde mit Versäumnisurteil vom 17.3.2021 antragsgemäß verurteilt. Dieses Versäumnisurteil gelangte zur Geschäftsstelle am 22.03.2021. Die Verteidigungsanzeige der Beklagten ging am 19.03.2021 um 15:53 auf dem Server des Landgerichts Leipzig elektronisch ein. Sie wurde in der Poststelle des Landgerichts Leipzig am 22.03.2021 um 06:53 Uhr ausgedruckt und gelangte um ca. 09:00 Uhr zur Geschäftsstelle der 3. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig. Am selbigen Tag wurde das Versäumnisurteil vom 17.03.2021 zur Zustellung an die Beklagte versandt.

Gegen das der Beklagten am 27.03.2021 zugestellte Versäumnisurteil hat diese am 06.04.2021 Einspruch eingelegt.

Die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil vom 17.03.2021 wurde mit Beschluss der Kammer vom 16.04.2021, auf dessen Gründe verwiesen wird, ohne Sicherheitsleistung vorläufig eingestellt.

Der Kläger hat seine Klageforderung in der Hauptsache bis auf einen Betrag von 34.498,43 € zurückgenommen und seinen Anspruch auf Erstattung vorläufiger Rechtsanwaltskosten auf einen Betrag von 1.981,74 € erweitert.

Der Kläger beantragt zuletzt, das Versäumnisurteil des Landgerichts Leipzig vom 17.03.2021 mit der Maßgabe aufrechtzuerhalten, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 34.498,43 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 34,498,43 € seit dem 08.10.2020 zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltsvergütung in Höhe von 1.981,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil vom 17.03.2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte erhebt den Einwand der Verwirkung.

Sie hält den Vortrag des Klägers zur Anspruchshöhe für unsubstantiiert.

Hinsichtlich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.

Sie beziffert die vom Kläger gezahlten Prämien mit 27.654,41 €.

Die Abschluss- und Verwaltungskosten hat die Beklagte zunächst mit 2.425,90 € beziffert und sodann angegeben, die Abschlusskosten beliefen sich auf 826,88 €, hierneben seien Inkassokosten von 897,02 €, Verwaltungskosten von 1.653,76 € und Ratenzuschläge von 453,94 € angefallen.

Die kalkulierten Risikokosten beliefen sich auf 5.079,81 € und die von der Beklagten gezogenen Nutzungen auf 12.519,77 €.

Einen unterstellten Rückabwicklungsanspruch des Klägers beziffert die Beklagte mit 35.094,37 €.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.06.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch in der Sache Erfolg.

1. Obwohl das Versäumnisurteil der Kammer vom 17.03.2021 aus den Gründen des Beschlusses vom 16.04.2021, auf deren Inhalt verwiesen wird, nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist, kann es nach dem Willen des Gesetzgebers nur mittels Einspruchs beseitigt werden (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.06.1985, Az.: 3 U 9/85).

Die Rechtsfolgen eines gesetzwidrigen Versäumnisurteils unterscheiden sich von denen eines in gesetzlicher Weise ergangenen Versäumnisurteils nur hinsichtlich des Ausspruchs zu den Versäumniskosten (§ 344 ZPO) sowie hinsichtlich der Möglichkeit der Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung (§ 719 ZPO).

2. Der Widerspruch des Klägers vom 25.09.2020 war wirksam und hat den Versicherungsvertrag der Parteien in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt.

Die im Versicherungsschein enthaltene Widerspruchsbelehrung war drucktechnisch nicht hinreichend hervorgehoben.

Da der Versicherungsantrag vom 22.01.1997 datiert, beurteilt sich die Rechtslage nach § 5 a VVG in der Fassung vom 29.07.1994.

Hiernach begann der Lauf der Widerspruchsfrist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die weiteren Unterlagen nach § 5 a Abs. 1 VVG vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden war.

Eine drucktechnisch deutliche Form der Belehrung verlangt, dass sie dem Versicherungsnehmer beim Durchblättern des Versicherungsscheins und seiner Anlagen nicht entgehen kann, selbst wenn er nicht nach einer Widerspruchsmöglichkeit sucht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28.01.2004, Az.: IV ZR 58/03).

Die gesetzlich vorgeschriebene Belehrung von Versicherungsnehmern über ihr Widerrufsrecht muss darauf angelegt sein, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das Wissen um das es geht, zu vermitteln (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 16.11.1995, Az.: I ZR 175/93).

Erforderlich ist eine Form der Belehrung die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt. Deshalb kann nur eine Erklärung, die darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das Wissen, um das es geht, zu vermitteln als Belehrung angesehen werden (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16.10.2013, Az.: IV ZR 52/12).

Die Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung ist abstrakt zu beurteilen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25.01.2017, Az.: IV ZR 173/15).

Ob eine Widerspruchsbelehrung den gesetzlichen Anforderungen genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Eine höchstrichterliche Klärung, ob einzelne Widerspruchsbelehrungen formal und inhaltlich ordnungsgemäß sind, ist nicht geboten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17.05.2017, Az.: IV ZR 501/15 zur Rücktrittsbelehrung).

3. Im Streitfall besteht zwischen der Belehrungsklausel und dem übrigen Text des Versicherungsscheins drucktechnisch kein ausreichender Unterschied.

Eine ausreichende Abhebung der Widerspruchsbelehrung vom übrigen Text des Versicherungsscheins, so dass der Kläger die Widerspruchsmöglichkeit sofort und ohne Zweifel hätte erkennen können, auch wenn er nicht nach einer solchen Möglichkeit suchte, war nicht gegeben.

Die Widerspruchsbelehrung ist weder durch Fettdruck, Kursivdruck, Einrückung oder sonstige drucktechnische Gestaltungselemente vom übrigen Text des Versicherungsscheins abgehoben.

Der Gesamttext der Widerspruchsbelehrung ist nicht einmal auf ein- und derselben Seite des Versicherungsscheins abgedruckt, sondern auf zwei Seiten des Versicherungsscheins verteilt.

Die Widerspruchsbelehrung steht weder am Ende noch am Anfang des Versicherungsscheins.

Drucktechnisch auffällig sind dagegen andere Gestaltungselemente des Versicherungsscheins, wie etwa der Umstand, dass jede einzelne Seite des Versicherungsscheins von zwei Mitarbeitern der Beklagten unterzeichnet wurde, sowie die eigentümliche Gestaltung der ersten Seite des unblattierten Versicherungsscheins dadurch, dass dort eine auffällige Lücke am oberen rechten Rand besteht, deren Sinn und Zweck sich nicht erschließt.

Die Beklagte hat sich in den von ihr eingereichten Schriftsätzen nicht gegen die Annahme einer fehlenden drucktechnischen Hervorhebung der Widerspruchsbelehrung im Versicherungsschein gewandt.

4. Die Widerspruchsbelehrung in den Versicherungsbedingungen in § 3 Abs. 2 derselben ist vom Text der übrigen Bestimmungen der Versicherungsbedingungen nicht drucktechnisch hervorgehoben worden.

5. § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. ist unter Beachtung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19.12.2013 (C 209/12) richtlinienkonform einschränkend auszulegen.

Danach enthält § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. eine planwidrige Regelungslücke, die richtlinienkonform dergestalt zu schließen ist, dass die Vorschrift im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung sowie der Zusatzversicherung zur Lebensversicherung nicht anwendbar ist, aber auf die übrigen Versicherungsarten uneingeschränkt Anwendung findet.

Im Falle der demnach im Streitfall gegebenen Unanwendbarkeit des § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. besteht das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden ist, grundsätzlich fort (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 07.05.2014, Az.: IV ZR 76/11).

6. Das Recht des Klägers zum Widerspruch ist nicht verwirkt.

Für die Annahme einer Verwirkung fehlt es jedenfalls am Umstandsmoment.

Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie dem Kläger keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (vgl. hierzu BGH a.a.O. Textziffer 39).

Bei fehlerhafter Widerspruchsbelehrung kann Verwirkung nur ausnahmsweise angenommen werden. Erforderlich wären besonders gravierende Umstände des Einzelfalls (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 03.06.2020, Az.: IV ZB 9/19).

Der Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Widerruf allein genügt für die Annahme von Verwirkung nicht.

Einen Zeitraum von knapp 19 Jahren zwischen Vertragsschluss und Widerspruch veranlasste den BGH demzufolge nicht dazu, das Thema der Verwirkung auch nur zu erörtern (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20.07.2016, Az.: IV ZR 166/12).

Für die Annahme von Verwirkung müssen besonders gravierende Umstände vorliegen, welche über die reine Prämienzahlung hinaus gehen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 01.06.2016, Az.: IV ZR 343/15).

Der Umstand, dass eine Lebensversicherung bereits gekündigt und der Rückkaufswert ausgezahlt worden war und erst 8 Jahre später Widerspruch erklärt wurde, genügte dem BGH ebenfalls nicht für die Annahme von Verwirkung (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 01.06.2016, Az.: IV ZR 343/15).

Gleiches gilt für die Fallkonstellation, dass zwischen der Kündigung und der Auszahlung des Rückkaufswertes sowie dem anschließenden Widerspruch des Versicherungsnehmers 9 Jahre liegen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27.01.2016, Az.. IV ZR 488/14).

In einem Fall, in welchem der Widerruf erst 10 Jahre nach der vorausgegangenen Kündigung des Versicherungsvertrages erklärt worden war, sah der BGH keine Veranlassung, das Thema der Verwirkung auch nur in den Entscheidungsgründen zu erwähnen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16.10.2013, Az.: IV ZR 52/12).

Bloße Informationsbitten des Versicherungsnehmers genügen ebenso wenig für die Annahme von Verwirkung (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17.05.2017, Az.: IV ZR 499/14; BGH Urteil vom 21.12.2016, Az.: IV ZR 389/15) wie wiederholte Vertragsänderungen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21.12.2016, Az.. IV ZR 217/15; BGH Urteil vom 25.01.2017, Az.: IV ZR 173/15).

Soweit der Kläger wiederholt die vereinbarte Dynamik widerrufen hat und eine sogenannte Harz IV Klausel vereinbart wurde, und des Weiteren von der jährlichen zur halbjährlichen Zahlungsweise der Prämien übergegangen wurde, geht dies über bloße, für die Annahme von Verwirkung nicht ausreichende, Vertragsänderungen nicht hinaus.

7. Der Höhe nach ist die Kammer bei der Berechnung des Rückabwicklungsanspruches des Klägers jeweils von dem geringeren Betrag ausgegangen, den beide Parteien vorgetragen haben.

Demzufolge ist die Kammer ausgegangen von Beitragszahlungen des Klägers im Umfang von 26.978,87 € sowie von seitens der Beklagten gezogenen Nutzungen im Umfang von 12.519,77 € und abzuziehenden Risikokosten im Umfang von 5.079,82 €.

Hiernach ergibt sich der ausgeurteilte Rückabwicklungsanspruch des Klägers im Umfang von 34.418,82 €.

8. Hierauf stehen dem Kläger Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe zu, da die Beklagte unter dem 07.10.2020 Rückabwicklungsansprüche des Klägers ernsthaft und endgültig verweigert hat, womit sie ab dem Folgetag in Verzug geraten war.

9. Die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten kann der Kläger nicht beanspruchen.

Das Widerspruchsschreiben vom 25.09.2020 war verzugsbegründend. Die Kosten der verzugsbegründenden Mahnung sind allerdings nicht erstattungsfähig.

Die weitere anwaltliche Zahlungsaufforderung vom 05.11.202 war aussichtslos, da der Kläger mit seiner Zinsberechnung ab dem 08.10.2020 selbst zum Ausdruck bringt, das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 07.10.2020 als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung zu würdigen.

Die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten kann der Kläger auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes beanspruchen mit der Begründung, die Beklagte habe pflichtwidrig die Widerspruchsbelehrung nicht deutlich hervorgehoben.

Der Kläger legt nichts dafür dar und bietet hierfür erst recht keinen Beweis dafür an, dass er bei korrekt gestalteter Widerspruchsbelehrung von seinem Widerspruchsrecht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Widerrufsfrist gebraucht gemacht hätte.

10. Im Urteilstenor war klarstellend aufzunehmen, dass durch die teilweise Klagerücknahme, das zuvor ergangene Versäumnisurteil insoweit wirkungslos wurden (§ 269 Abs. 3 Satz 1 HS 2 ZPO).

Soweit der Kläger in Ansehung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zuletzt mit 1.981,74 € mehr forderte, als im Versäumnisurteil mit 1.348,38 € tituliert war, war der zusätzliche Ausspruch erforderlich, dass die Klage insoweit abgewiesen wurde.

11. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

12. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet seine Grundlage in den §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1, 711 ZPO.

13. Die Streitwertfestsetzung erfolgte für die Gerichtsgebühren nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Maßgebend für die Wertberechnung war nach § 40 GKG die Antragstellung, welche den Rechtszug einleitete.

Ein Antrag auf abweichende Wertfestsetzung für Teile der Anwaltsgebühren nach § 33 Abs. 1 RVG wurde bislang nicht gestellt.

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