Skip to content

Regress Kfz-Haftpflichtversicherung – Verdacht auf alkohol- oder drogenbedingte Fahruntüchtigkeit

LG Stuttgart – Az.: 4 S 276/20 – Urteil vom 16.02.2022

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg vom 02.12.2020, Az. 7 C 1673/19, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Regressansprüche nach einem Verkehrsunfall. Die Klägerin ist die Haftpflichtversicherung der Beklagten. Zwischen dem 07.04.2017 um 15:30 Uhr und dem 08.04.2017 um 14:00 Uhr wurde das auf dem Parkplatz (…) in M. abgestellte Fahrzeug der Geschädigten R. beschädigt. Ein gegen die Beklagte geführtes Strafverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde gemäß § 153a StPO eingestellt. Die Klägerin regulierte gegenüber der Geschädigten Reparaturkosten in Höhe von 4.495,19 €. Sie verlangt von der Beklagten einen Regressbetrag von 2.500,00 €.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil wird Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat nach Anhörung der Beklagten und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.500,00 € nebst Zinsen zu bezahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe gegen ihre Aufklärungspflicht gemäß E.1.3 der AKB verstoßen, indem sie sich unerlaubt von der Unfallstelle entfernte. Durch das bereits im gegen die Beklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort geführten Strafverfahren eingeholte Sachverständigengutachten des Dipl-.Ing. R. sei erwiesen, dass die Beklagte den Unfall verursacht habe. Die Schäden seien kompatibel. Die Beklagte habe den Unfall auch bemerkt; insoweit sei den Ausführungen des vom Gericht bestellten biomechanischen Sachverständigen Prof. B. zu folgen, der auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen überzeugend dargelegt habe, dass der Unfall taktil/ kinästhetisch deutlich über der Wahrnehmungsschwelle gelegen habe und dass die behaupteten Erkrankungen der Beklagten einer solchen Wahrnehmbarkeit nicht entgegenstünden.

Die Beklagte habe den Kausalitätsgegenbeweis nach E.7.2 AKB – also den Nachweis fehlender Ursächlichkeit ihrer Obliegenheitspflichtverletzung für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers – nicht führen können, weil sie nicht habe beweisen können, dass die Klärung des Unfallablaufs durch ihr Verhalten nicht beeinträchtigt worden sie. Insbesondere seien keine Feststellungen zu einer möglichen alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit möglich gewesen. Diese Unsicherheit gehe mit der beweisbelasteten Beklagten heim.

Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie rügt insbesondere, dass das Amtsgericht keinen fachmedizinischen Sachverständigen hinzugezogen habe, um den Einwänden der Beklagten zur subjektiven Bemerkbarkeit infolge ihrer Erkrankungen nachzugehen. Darüber hinaus stimmten die Feststellungen in den Gutachten zum Unfallort nicht mit dem tatsächlichen – von der Klägerin behaupteten – Unfallort überein. Auf dem Parkplatz, auf dem der Unfall passiert sein solle, habe sich in Abgrenzung zur Fahrbahn ein Bordstein befunden, weshalb die Feststellungen zur taktilen/ kinästhetischen Wahrnehmbarkeit unzutreffend seien. Schlussendlich habe das Amtsgericht zu Unrecht angenommen, dass die Beklagte den Kausalitätsgegenbeweis nicht habe führen können. Die von der Klägerin angedeutete Fahruntüchtigkeit bestreitet die Beklagte entschieden. Der Unfall sei als gewöhnlicher „Parkrempler“ gerade kein typischer Alkoholunfall. Die Klägerin hätte für den Schaden in jedem Fall einstehen müssen, weshalb eine Verheimlichung oder Vertuschung seitens der Beklagten ausscheide. Hierfür hätte es keinen Grund gegeben, weil sie im Tarif der Klägerin über einen sogenannten „Rabattschutz“ verfüge. Die Beklagte bleibe dabei, dass sie keinen Anstoß bemerkt habe.

Die Beklagte beantragt, Unter Abänderung des am 02.12.2020 verkündeten Urteils des Amtsgerichts  Ludwigsburg, Az. 7 C 1673/19, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als richtig. Sowohl die Verursachung des Unfalls als auch die Bemerkbarkeit seien nachgewiesen und die Beweiswürdigung des Amtsgerichts sei zutreffend. Die Beklagte habe die fehlende Ursächlichkeit der Obliegenheitsverletzung gemäß E.7.2 AKB nicht nachgewiesen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze und den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige, weil form- und fristgerecht eingereichte Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.

1.

Die Kammer teilt im Ausgangspunkt die Feststellungen des Amtsgerichts, nach welchen die Beklagte den streitgegenständlichen Unfall verursacht hat. Die Ausführungen des Sachverständigen R. sind überzeugend, die Schäden sind kompatibel und der von der Beklagten benannte Zeuge hat ihre Behauptung, die Schäden am Beklagtenfahrzeug stammten von einem anderen Schadensereignis, gerade nicht bestätigt. Die Kammer ist daher mit dem Amtsgericht davon überzeugt, dass die Beklagte – als einzige in Frage kommende Fahrerin ihres Pkw – den geparkten Pkw der Geschädigten R. beim Ein- oder Ausparken gestreift und dadurch beschädigt hat.

2.

Ob die Beklagte den Unfall bemerkt und sich deshalb unerlaubt von der Unfallstelle entfernt hat, oder ob der Anstoß von der Beklagten wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen und/oder des Umstandes, dass sich zwischen dem Parkplatz und der Fahrbahn im rückwärtigen Bereich ein Bordstein mit entsprechendem Höhenversatz befindet, tatsächlich nicht bemerkt wurde, braucht vorliegend nicht weiter aufgeklärt zu werden. Insbesondere ist es nicht erforderlich, das Gutachten des Prof. B. insoweit noch zu ergänzen oder zusätzlich fachmedizinische Informationen einzuholen.

3.

Denn selbst unterstellt, die Beklagte habe sich, obwohl sie den Anstoß bemerkte, unerlaubt von der Unfallstelle entfernt, so vermag die Kammer nicht zu erkennen, inwieweit aus diesem Verhalten für die Klägerin im konkreten Fall Feststellungsnachteile entstanden sind.

Der Beklagten ist deshalb der Kausalitätsgegenbeweis i.S.d. § 28 Abs. 3 S. 1 VVG/ E 7.2 AKB vorliegend gelungen. Bei dem Kausalitätsgegenbeweis hat der Versicherungsnehmer eine negative Tatsache zu beweisen (Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 28 Rn. 249, 258). Er muss nämlich nachweisen, dass dem Versicherer unter keinem Gesichtspunkt Feststellungsnachteile entstanden sind. Diesen Beweis kann der Versicherungsnehmer so führen, dass er zunächst die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten ausräumt und dann abwartet, welche Behauptungen der Versicherer über Art und Ausmaß aufstellt, die der Versicherungsnehmer dann ebenfalls zu widerlegen hat. Der Versicherer muss dazu die konkrete Möglichkeit eines für ihn günstigeren Ergebnisses aufzuzeigen, indem er zum Beispiel vorträgt, welche Maßnahme er bei rechtzeitiger Erfüllung der Obliegenheiten getroffen und welchen Erfolg er sich davon versprochen hätte (LG Bonn, Urteil v. 29.10.2013 – 8 S 118/13). Ein Nachweis einer negativen Tatsache setzt hingegen nicht voraus, dass der Beweispflichtige jede denktheoretisch mögliche oder vom Versicherer ins Blaue hinein aufgestellte Sachverhaltsvariante ausschließt, aufgrund derer diese Tatsache doch vorliegen könnte. Auch wenn an den Kausalitätsgegenbeweis grundsätzlich durchaus hohe Anforderungen zu stellen sind (Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 28 Rn. 250), würde eine solche Sichtweise bedeuten, die Anforderungen an die Erbringung des (Negativ-)Beweises gemäß §286 ZPO zu überspannen (OLG Hamm, Beschluss vom 28. Februar 2018 – I-20 U 188/17 -, juris).

Solche konkreten Feststellungsnachteile hat die Klägerin vorliegend weder konkret vorgetragen, noch vermag die Kammer sie aufgrund des festgestellten Sachverhalts zu erkennen:

a)

Die Verursachung des Unfalls durch das Beklagtenfahrzeug wurde durch das Gutachten R. zweifelsfrei geklärt. Die Beklagte ist Halterin des Fahrzeugs. Sie konnte ohne größeren Aufwand ermittelt werden. Die polizeiliche Vernehmung der Beklagten (in der beigezogenen Strafakte) ergibt, dass sie durchaus Angaben machte und einen Unfall für möglich hielt, den sie aber nicht bemerkt haben wollte. Sie erwähnte auch einen weiteren Schaden und einen möglichen (entlastenden) Zeugen, dem wurde durch die Polizei auch nachgegangen. Unabhängig davon, wer das Fahrzeug tatsächlich gefahren hat – realistisch kommt allein die Beklagte in Betracht, da ihr Mann über ein eigenes Auto verfügt – muss die Klägerin als Haftpflichtversicherung für Schäden, die bei dem Betrieb dieses Pkw entstehen, nach Maßgabe der § 7 ff. StVG einstehen.

b)

Des Weiteren ist die Haftungsfrage ebenfalls geklärt. Unstreitig stand das geschädigte Fahrzeug ordnungsgemäß auf dem Parkplatz abgestellt. Da der Anprall auf ein ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug erfolgte, kommt keine wie auch immer geartete Mithaftung der Geschädigten R. in Betracht. Die Klägerin musste zweifelsfrei den Schaden auf Grundlage einer Haftungsquote von 100 % regulieren. Die Beklagte selbst hätte aus einer Anzeige an die Klägerin keinen Nachteil zu befürchten gehabt, da sie mit der Klägerin einen sog. „Rabattschutz“ vereinbart hatte, der ihr eine Höherstufung im Tarif aufgrund dieses Schadens erspart hätte.

c)

Schlussendlich sind für die Kammer – lediglich insoweit abweichend von der Beurteilung des Amtsgerichts – keinerlei Anzeichen dafür erkennbar, dass die Beklagte den Unfall in einem Zustand alkohol- oder drogenbedingter Fahruntüchtigkeit verursacht hätte. Im konkreten Fall wäre dies die einzige denkbare Möglichkeit, die im Ergebnis zu einer Leistungsfreiheit der Klägerin bzw. zu einem Regressanspruch aus anderem Grund hätte führen können. Diesbezüglich fehlt es aber aus Sicht der Kammer schon an einem entsprechenden Sachvortrag der Klägerin, welchen die Beklagte zu entkräften hätte. Die Klägerin äußert lediglich allgemeine Verdächtigungen in Bezug auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit. Dies ist vorliegend so pauschal nicht ausreichend (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. August 2020 – 12 U 53/20 –, juris; OLG Hamm, a.a.O., 20 U 188/17; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 01. Februar 2017 – 5 U 26/16 –, juris). Konkrete Anhaltspunkte für eine alkohol- oder drogenbedingte Fahruntüchtigkeit der Beklagten gibt es vorliegend schlicht nicht. Es handelt sich um keinen typischen „Alkoholunfall“, sondern um einen gewöhnlichen „Parkrempler“, wie er jedem infolge Unaufmerksamkeit passieren kann und häufig passiert. Die Beklagte hat geschildert, dass sie in der in Frage kommenden Zeit mehrere Fahrstrecken (zum Einkaufen, zu ihrem Bruder) zurückgelegt hat. Es ergeben sich aus den Akten keine Anhaltspunkte dafür, dass sie bereits wegen Alkohol am Steuer aufgefallen wäre. Die Klägerin behauptet solches auch nicht konkret, sondern beruft sich nur vage darauf, es könne schließlich Alkohol im Spiel gewesen sein. Einen solchen Generalverdacht lehnt die Kammer jedoch im Einklang mit der oben genannten obergerichtlichen Rechtsprechung ab (vgl. auch BGH, Urteil vom 21. November 2012 – IV ZR 97/11 –, juris, Rn. 32: „Der Kausalitätsgegenbeweis erfordert im Streitfall ebenfalls nicht zwingend den Nachweis, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt nicht alkoholisiert gewesen ist (…); vielmehr genügte für eine fehlende Kausalität der Obliegenheitsverletzung bereits die Feststellung, dass die Beachtung der aus §142 Abs.2 StGB folgenden Rechtspflichten durch den Kläger der Beklagten keine zusätzlichen Aufklärungsmöglichkeiten verschafft hätte.“)

4.

Gleiches gilt für den Arglisteinwand des Versicherers, welcher dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises nehmen würde. Eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 2009 – IV ZR 62/07, VersR 2009, 968 Rn. 9; BGH, Urteil vom 21. November 2012 – IV ZR 97/11 Rn. 29, juris; LG Hechingen, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 3 S 24/17 –, juris). Die Kammer schließt sich der Auffassung an, nach welcher ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nicht ohne weiteres ein arglistiges Verhalten darstellt (LG Hechingen, Urteil vom 11. Oktober 2017 – 3 S 24/17 –, juris; vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 2016, 922; LG Karlsruhe, Urteil vom 13. April 2017 – 20 S 101/16 –, juris). Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, damit stets einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, gibt es nicht (LG Hechingen a.a.O.; LG Duisburg, Urteil vom 15. März 2013 – 7 S 104/12 m.w.N.).

Hinzu kommt, dass die Beklagte, wie oben ausgeführt, im Falle einer ordnungsgemäßen Anzeige selbst keine Nachteile zu befürchten hatte, weil sie über den „Rabattschutz“ verfügte. Dieser Umstand spricht ebenfalls gegen ein arglistiges Handeln der Beklagten.

Nach alledem war das Urteil auf die Berufung der Beklagten hin abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 708 Nr. 10 ZPO.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!