Skip to content

Private Krankenversicherung – Erstattung verjährter ärztlicher Honorarforderungen

Klage abgewiesen: Keine Erstattungsansprüche aus privater Krankheitskostenversicherung

Die Klägerin hatte seit 1989 eine private Krankheitskostenversicherung bei der Beklagten. Die Klage, die mehrere Rechnungen von zwei Ärzten für Behandlungen im Zeitraum 2009 bis 2012 betrifft, wurde von der Beklagten abgelehnt. Im Rechtsstreit hat die Beklagte wegen der gegen sie geltend gemachten Erstattungsansprüche aus den Jahren 2009 und 2010 die Einrede der Verjährung erhoben. Die Klägerin hatte behauptet, dass alle aufgeführten Behandlungen durchgeführt wurden und der Erstattungsanspruch nicht verjährt sei, weil die Beklagte noch ihre Ermittlungen nicht abgeschlossen habe. Das Landgericht hat die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils dazu verurteilt, der Klägerin einen Teilbetrag nebst Zinsen zu zahlen. Das Urteil wurde von der Beklagten angefochten und von der Klägerin verteidigt. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die auf Versicherungsleistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Krankheitskostenversicherung gerichtete Zahlungsklage insgesamt abzuweisen ist, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Klägerin rechtlich begründete Aufwendungen entstanden sind, deren Erstattung sie von der Beklagten beanspruchen könnte. Das klagabweisende Versäumnisurteil des Landgerichts wurde vollumfänglich aufrechterhalten. Die Voraussetzungen, unter denen die Beklagte der Klägerin Leistungen schuldet, ergeben sich aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Demnach bietet der Versicherer Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Erkrankungen, und er gewährt im Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag beschränkt sich somit auf medizinisch notwendige Heilbehandlung. In diesem Fall war nicht festzustellen, dass der Klägerin solche Heilbehandlungen von den Ärzten tatsächlich erbracht wurden. Die Beklagte muss der Klägerin somit keine Leistungen aus dem Versicherungsvertrag erbringen. […]


Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 47/21 – Urteil vom 08.04.2022

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 4. Mai 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 136/14 – teilweise abgeändert:

Das klagabweisende Versäumnisurteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Februar 2015 – 14 O 136/14 – wird insgesamt aufrechterhalten.

II. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits fallen der Klägerin zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.435,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer privaten Krankheitskostenversicherung. Die am 8. Juni 1949 geborene Klägerin unterhält bei der Beklagten seit dem 1. Juli 1989 einen Krankenversicherungsvertrag (Versicherungsschein-Nr.) auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung (AVB, identisch mit den MB/KK). Gegenstand der am 20. Januar 2014 zum Landgericht Bonn eingereichten und am 25. März 2014 zugestellten Klage, die in der Folge an das Landgericht Saarbrücken verwiesen wurde, waren mehrere Rechnungen des – mittlerweile verstorbenen – Arztes für Allgemeinmedizin Dr. A. und des Arztes Dr. B. (sen.) über eine Vielzahl angeblicher Behandlungen im Zeitraum vom 8. Juni 2009 bis zum 13. Juni 2012, die von der der Klägerin allenfalls teilweise beglichen wurden und deren Erstattung die Beklagte abgelehnt hat. Verschiedene Rechnungen waren in mehreren anwaltlichen Schreiben (10. Juli, 1. und 27. September sowie 30. November 2009) bei der Beklagten eingereicht worden mit dem Hinweis, dass bei ausbleibender Erstattung bis zum 20. Dezember 2009 von Verweigerung ausgegangen werde und die Beträge eingeklagt würden. Mit Schreiben vom 22. August 2012 wurde die Beklagte vergeblich zur Zahlung von 60.978,24 Euro sowie 1.761,08 Euro vorgerichtlicher Anwaltskosten bis zum 30. August 2012 aufgefordert. Die Beklagte wies ihrerseits mit Schreiben vom 27. September 2012 darauf hin, dass sie bezüglich der Behandlung durch Herrn Dr. B. bereits mit Schreiben vom 26. März 2010 um eine Vielzahl von Erläuterungen nachgesucht habe. Im Rechtsstreit hat die Beklagte wegen der gegen sie geltend gemachten Erstattungsansprüche aus den Jahren 2009 und 2010 die Einrede der Verjährung erhoben; außerdem hat sie schon erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass die zugrunde liegenden, nicht erfüllten Honorarforderungen mittlerweile verjährt sein dürften sowie darauf, dass gegen die Redlichkeit des Dr. B. erhebliche Bedenken bestünden, die insbesondere daraus resultierten, dass gegen diesen vor der 23. großen Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Köln wegen 876 Fällen vorwerfbarer Rechnungsbeträge im Gesamtumfang von 789.793,87 Euro Anklage erhoben worden sei.

Die Klägerin hat – soweit für das Berufungsverfahren noch erheblich – behauptet, die in den Rechnungen des Arztes Dr. B. aufgeführten Behandlungen seien alle von diesem durchgeführt worden. Sämtliche Behandlungen umfassten chronische und aktuelle Erkrankungen, insbesondere ein bei ihr vorhandenes Fibromyalgiesyndrom. Die chronischen Diagnosen seien im Betreff der Liquidationen vorangestellt, die aktuellen Diagnosen fänden sich an den Behandlungstagen im Leistungstext der Rechnungen. Sowohl die Diagnostik, als auch die Behandlungen hätten im Zeitpunkt ihrer Vornahme der vorherrschenden medizinischen Lehrmeinung entsprochen. Die von der Beklagten bezüglich des Erstattungsanspruches erhobene Verjährungseinrede greife nicht durch, nachdem sich aus dem Schreiben der Beklagten vom 27. September 2012 ergebe, dass diese ihre Ermittlungen noch nicht abgeschlossen habe und dass sie zwecks Klärung der Ansprüche der Klägerin verhandlungsbereit sei. Die Beklagte hatte die Klage zunächst für unschlüssig gehalten, weil allein die Vorlage von Rechnungen nicht ausreichend sei, um einen Erstattungsanspruch zu begründen. Außerdem hat sie die Durchführung der Behandlungen insbesondere durch Dr. B. in Abrede gestellt, u.a. mit dem Hinweis, dieser habe am 22. Oktober 2009 einen Betrag von 953,89 Euro für den Behandlungszeitraum 3. August 2009 bis 31. August 2009 berechnet, während Dr. A. mit Rechnung vom 16. September 2009 für denselben Zeitraum bei fast identisch abgerechneten Leistungen 1.066,10 Euro verlangt habe, wobei er durch Dr. B. für die Zeit vom 29. August 2009 bis 2. September 2009 in das Gemeinschaftskrankenhaus in Bonn eingewiesen worden sei. Auch handele es sich bei den abgerechneten Leistungen um solche außerhalb des Fachgebietes der beiden Ärzte, so dass ein Vergütungsanspruch schon aus diesem Grund ausscheide. Auf der Webseite von Dr. B. finde man, von Naturheilverfahren abgesehen, keine Fachgebietsbezeichnung. Die Behandlung eines etwaigen Fibromyalgiesyndroms hätte durch einen Arzt mit der Zusatzbezeichnung spezielle Schmerztherapie zu erfolgen; einem Allgemeinmediziner fehle für die Therapie dieses Krankheitsbildes jegliche Qualifikation.

Gegen die Klägerin ist vor dem Landgericht Saarbrücken am 3. Februar 2015 zunächst ein klagabweisendes Versäumnisurteil ergangen. Nach erfolgtem Einspruch hat das Landgericht Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 17. Mai 2016 (BI. 210 ff. GA) durch Vernehmung des Zeugen Dr. B. sowie gemäß Beschluss vom 4. Oktober 2017, 15. Dezember 2017 und 31. März 2020 (BI. 389 ff., 423, 616 ff. GA) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Mit dem angefochtenen Urteil (Bl. 823 ff. GA), auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils dazu verurteilt, an die Klägerin 10.435,73 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Oktober 2012 zu zahlen, im Übrigen hat es das klagabweisende Versäumnisurteil aufrechterhalten. Im Umfange der Verurteilung (Bl. 840 ff. GA) hat es die im Zeitraum vom 12. November 2009 bis zum 13. Juni 2012 durch den Arzt Dr. B. in Rechnung gestellten Beträge, die nach dem Ergebnis der Zeugenvernehmung auf tatsächlich durchgeführten Behandlungen beruhten, nach durchgeführter Begutachtung als Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen angesehen, deren Erstattungsfähigkeit die Sachverständige anerkannt habe. Diese Forderung sei bei ihrer Ablehnung am 27. September 2012 noch nicht fällig und daher bei Klageerhebung nicht verjährt gewesen. Auch im Verhältnis des Arztes zur Klägerin sei eine Verjährung nicht ersichtlich, insbesondere erscheine möglich, dass die Klägerin diesem gegenüber auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe. Dagegen seien Ansprüche wegen vermeintlicher Behandlungen durch Dr. A. von vornherein deshalb unbegründet, weil deren tatsächliche Durchführung nicht erwiesen sei.

Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel der vollständigen Klagabweisung weiter. Sie verbleibt dabei, dass auch die Behandlungen durch Dr. B. nicht stattgefunden hätten; die knappe Würdigung der Aussage dieses Zeugen durch das Landgericht als „glaubhaft“ sei nicht haltbar und lasse erhebliche Bedenken gegen dessen Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben außer Betracht, die u.a. aus der Anklageerhebung gegen den Zeugen vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Köln sowie daraus resultierten, dass der Zeuge ersichtlich als „spiritus rector“ und wirtschaftlich Beteiligter des Rechtsstreits gewissermaßen in eigener Sache ausgesagt habe. Ohnehin seien fachgebietsfremde Leistungen, wie sie der Arzt in zahlreichen Rechnungen für dermatologische, kardiologische und neurologische Eingriffe und Diagnostik abgerechnet habe, nicht erstattungsfähig. Mangels näherer Erläuterungen der Klägerin, welche Rechnungen sie bezahlt habe und welche Abreden diesbezüglich ggf. mit dem Behandler getroffen worden seien, müsse weiterhin von einer Verjährung der Forderungen des Arztes ausgegangen werden.

Die Beklagte beantragt (Bl. 892, 989 GA), das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und das Versäumnisurteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Februar 2015 insgesamt aufrechtzuerhalten.

Die Klägerin beantragt (Bl. 912 GA), die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die schriftliche Begutachtung vom 31. Juli 2019 und vom 4. September 2020 (BI. 456 ff., 696 ff. GA) und die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 19. September 2017 und vom 16. März 2021 (BI. 343 ff., 800 ff. GA) sowie des Senats vom 18. März 2022 (BI. 985 ff. GA) verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg. Die auf Versicherungsleistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Krankheitskostenversicherung gerichtete Zahlungsklage ist insgesamt abzuweisen, weil nicht festgestellt werden kann, dass der Klägerin rechtlich begründete Aufwendungen entstanden sind, deren Erstattung sie von der Beklagten beanspruchen könnte. Deshalb war das klagabweisende Versäumnisurteil des Landgerichts vom 3. Februar 2015 (Bl. 69 f. GA) vollumfänglich aufrechtzuerhalten.

1.

Die Voraussetzungen, unter denen die Beklagte der Klägerin Leistungen schuldet, ergeben sich aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Gemäß § 1 Abs. 1 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Bedingungen (AVB), die den Musterbedingungen MB/KK entsprechen, bietet der Versicherer Versicherungsschutz für Krankheiten, Unfälle und andere im Vertrag genannte Erkrankungen, und er gewährt im Versicherungsfall in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 und 2 AVB ist der Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Der Anspruch aus dem Versicherungsvertrag beschränkt sich dabei auf die Erstattung rechtlich begründeter Aufwendungen (Voit, in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., § 192 Rn. 121; vgl. BGH, Urteil vom 12. März 2003 – IV ZR 278/01, BGHZ 154, 154; Senat, Urteil vom 20. Dezember 2017 – 5 U 36/17, VersR 2018, 1056; OLG Oldenburg, VersR 2012, 764). Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trifft den Versicherungsnehmer. Stellt ein Behandler unberechtigte Vergütungsforderungen, obliegt es prinzipiell dem versicherten Patienten, sich dagegen zu wehren. Versäumt er dies und begleicht Rechnungen trotz fehlender Zahlungsverpflichtung, geht das zu seinem Nachteil, eine Leistungspflicht des Versicherers wird insoweit nicht ausgelöst (Senat, Urteil vom 20. Dezember 2017 – 5 U 36/17, VersR 2018, 1056; Voit in: Prölss/Martin, a.a.O., § 192 Rn. 121).

2.

Im Streitfall kann letztlich offen bleiben, ob – worüber die Parteien vorrangig gestritten haben – die zu keinem Gerichtstermin persönlich erschienene Klägerin die in den zweitinstanzlich noch gegenständlichen Rechnungen angegebenen Behandlungen durch den Zeugen Dr. B. tatsächlich in Anspruch genommen hat, mithin, ob entsprechende Aufwendungen für Heilbehandlung überhaupt dem Grunde nach entstanden sind, und ob diese im Rahmen einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung entstanden sind. Der Senat hat an beiden Voraussetzungen durchgreifende Zweifel (vgl. § 529 Abs. 1 ZPO); weitergehende Tatsachenfeststellungen, insbesondere durch erneute Vernehmung des vorsorglich zum Senatstermin geladenen, mit lapidarer Begründung nicht erschienenen Zeugen Dr. B., war vorliegend aber nicht geboten, weil die Klage, wie dort erörtert, schon aus anderen Gründen der Abweisung unterliegt.

a)

Die Berufung beanstandet allerdings zu Recht, dass die Feststellung des Landgerichts, wonach die abgerechneten Behandlungen sämtlich stattgefunden hätten, durchgreifenden Bedenken unterliegt, weil die Beweiswürdigung lückenhaft ist und erhebliche Indizien, die entscheidend gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen sprechen, außer acht lässt. Schon die protokollierte Aussage selbst erweist sich als inhaltsleer und letztendlich nicht überprüfbar; einzelne Nachfragen an den Zeugen wurden ebenfalls nicht plausibel und befriedigend beantwortet. Danach hat der Zeuge in seiner Vernehmung vor dem Landgericht auf Frage nach der Durchführung von Behandlungen zunächst nur pauschal erklärt, dass die Klägerin an sämtlichen Behandlungsdaten aus den Rechnungen vom 12. November 2009 bis zum 13. Juni 2012 bei ihm in Behandlung gewesen sei und dass die darauf vermerkten Diagnosen von ihm gestellt worden seien (Bl. 345 GA). Auf Nachfrage des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zum Behandlungstermin am 24. September 2009, d.h. aus dem Zeitraum, für den auch eine weitgehende gleichlautende Rechnung des Arztes Dr. A. vorliegt, äußerte der Zeuge, dass es sich dabei um eine Laboruntersuchung handele und dass die Klägerin „wahrscheinlich“ ein entsprechendes Sekret aus Mund, Rachen oder Nase abgegeben habe, das dann untersucht worden sei; weitergehende Angaben wurden nicht gemacht. Zum Procedere der Rechnungsstellung gab der Zeuge auf Nachfrage an, dass die Rechnung von einem Mitarbeiter geschrieben werde, wenn die Krankendokumentation vorliege, die er diesem Mitarbeiter übergebe. Die erforderliche hinreichende Gewissheit davon, dass sämtliche abgerechneten Behandlungen unbeschadet der von der Beklagten aufgezeigten Merkwürdigkeiten tatsächlich stattgefunden und erstattungsfähige Aufwendungen begründet haben, lässt sich mit diesen Angaben nicht gewinnen. Unterlagen, die eine Behandlung weitergehend dokumentieren könnten, und die der Zeuge selbst erwähnt hat, wurden trotz entsprechender Aufforderung ebenfalls nicht vorgelegt. Bei dieser Sachlage ist die bloße Angabe des Zeugen, er habe die Klägerin an allen in den Rechnungen vermerkten – zahllosen – Terminen, die zu diesem Zeitpunkt schon Jahre zurücklagen, ohne jeden Beweiswert.

b)

Hinzu kommen erhebliche Gründe, die durchgreifend gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben sprechen. So hat die Beklagte unwidersprochen dargelegt, dass gegen den Zeugen vor der 23. großen Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Köln Anklage erhoben worden sei, und dass Gegenstand dieses Verfahrens von der Kriminalpolizei ermittelte 876 Fälle in einem Gesamtumfang von 789.793,87 Euro mit vorwerfbaren Rechnungsbeträgen seien (Schriftsatz vom 11. Dezember 2018), mithin nicht nur bezüglich der Klägerin, sondern auch anderer Patientin Zweifel an der Redlichkeit des Zeugen in Bezug auf sein Abrechnungsverhalten bestünden. Weiterhin verweist die Berufung zu Recht darauf, dass der Zeuge – als wirtschaftlich mittelbar Beteiligter – ein erhebliches Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits habe. Das folgt aus mehreren unwidersprochen dargelegten Indizien, namentlich, dass Schriftsätze des früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin, bei dem es sich um den Sohn des Zeugen handelt, diesem vor der Absendung zur Korrektur vorgelegt wurden, und dass der Zeuge im Rahmen eines vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Koblenz geführten Rechtsstreits über Aufwendungen der Klägerin gutachterlich tätig war, wobei dieses Gutachten durch ein vom Oberlandesgericht Koblenz eingeholtes weiteres Gutachten (Bl. 213 ff. GA) nachhaltig in Frage gestellt wurde. Ohnehin ist auffällig, dass die von der Klägerin in Anspruch genommenen Behandlungen sowohl des verstorbenen Dr. A., als auch des Zeugen Dr. B., entsprechend den wiederholt in allen diesbezüglich zwischen den Parteien geführten Rechtsstreitigkeiten im Zuge der jeweiligen Beweisaufnahme zur Frage ihrer medizinischen Notwendigkeit auf erhebliche Vorbehalte bei den jeweils mit der Angelegenheit beauftragten Sachverständigen gestoßen sind. Es erscheint sehr fragwürdig, dass selbst nach derart oft wiederholten, wissenschaftlich eindeutigen und auch für einen medizinischen Laien ohne weiteres verständlichen Feststellungen, die zur Abweisung mehrerer Klagen in hoher fünfstelliger Höhe geführt haben, auch danach weiterhin Behandlungsmaßnahmen ähnlichen Ausmaßes durch die Klägerin und ihren Arzt unverändert weiterbetrieben worden sein sollen, selbst wenn letzterer – nach eigener Darstellung – dazu bereit ist, ihr offene Forderungen zu „stunden“, was selbst in einem intakten Arzt-Patienten-Verhältnis zumindest ungewöhnlich erscheint.

c)

Im Übrigen steht hier – bei zutreffender rechtlicher Würdigung – auch die medizinische Notwendigkeit der in Rede stehenden Heilbehandlung insgesamt nicht mit der erforderlichen Gewissheit (§ 286 ZPO) fest. Mit dem Begriff der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung wird – für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar – zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt; insoweit hängt die Beurteilung nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab, sondern von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung (BGH, Urteil vom 21. September 2005 – IV ZR 113/04, BGHZ 164, 122). Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen (BGH, Urteil vom 21. September 2005 – IV ZR 113/04, BGHZ 164, 122; Senat, Urteil vom 18. September 2019 – 5 U 4/19, VersR 2020, 357). Aus dem erstinstanzlich eingeholten Sachverständigengutachten (Bl. 466 GA) folgt jedoch – und zwar im Einklang mit den Feststellungen aus dem beim Senat geführten Vorprozess –, dass die von dem Zeugen Dr. B. aufgrund seiner Diagnosen (angeblich) durchgeführte wiederholte rein organbezogene Diagnostik und die mehrjährige symptomatische und passive Therapie mit Medikamenten, Chirotherapie, Nahrungsergänzungsmitteln, Akupunktur etc. ohne Einbindung in ein multimodales Behandlungskonzept nicht geeignet war, die Erkrankungen der Klägerin zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken. Diese in jeder Hinsicht nachvollziehbare gutachterliche Bewertung betrifft – entgegen der Ansicht des Landgerichts – auch die von der Sachverständigen bei ihrer auftragsgemäß vorgenommenen „Rechnungsprüfung“ kursiv dargestellten Leistungspositionen, von denen sie – rechtsirrig – meinte, diese „sollten“ erstattet werden. Denn diese Aussage beruhte, wie die Sachverständige klargestellt hat, auf der Annahme der in den Rechnungen gestellten Diagnosen (Bl. 801 GA), mithin auf einer formalen Betrachtung, die aus Rechtsgründung nicht statthaft ist, selbst wenn auch anderer Ärzte, insbes. auf orthopädischem Fachgebiet, ähnliche Diagnosen gestellt haben sollten (Bl. 462 ff. GA; wobei insbes. der Verweis auf ein Attest des Dr. Sch. vom 22. März 2016 nicht die hier in Rede stehenden Zeiträume betrifft). Wie die Beklagte in ihrer Stellungnahme zum Gutachten ausgeführt hat (Bl. 513 GA), betreffen diese Gebührenpositionen ganz überwiegend die Ziffern 1 (Beratung – auch mittels Fernsprecher) und 7 GOÄ (Vollständige körperliche Untersuchung mindestens eines Organsystems) und damit allgemeine Beratungs- und Untersuchungsleistungen, die vom gesamten weiteren Vorgang nicht trennbar sind und die, unbeschadet ihrer in dieser Form auch nicht nachvollziehbaren Häufung, ihrerseits medizinische Notwendigkeit der zugrunde liegenden Heilbehandlung voraussetzen; allein dass sie (möglicherweise) erbracht wurden, genügt nicht (vgl. gebührenrechtlich auch § 1 Abs. 2 GOÄ). Entscheidend ist vielmehr, dass die Sachverständige sich gerade nicht positiv zur medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung geäußert hat, letztendlich auch deshalb, weil ihr – ausweislich der mündlichen Erläuterung ihres Gutachtens – trotz mehrfacher Aufforderung keine weiteren ärztlichen Unterlagen vorlagen, auf deren Grundlage ihr eine Beurteilung der Notwendigkeit der einzelnen Behandlungen möglich gewesen wäre (Bl. 801 GA). Der Senat meint deshalb, dass die Angaben der Sachverständigen, die er insoweit auch gar nicht anders verstehen oder gar in Zweifel ziehen will (zur fehlenden Notwendigkeit einer erneuten Anhörung in diesen Fällen BGH, Beschluss vom 6. März 2019 – IV ZR 128/18, VersR 2019, 506; Beschluss vom 21. April 2010 – IV ZR 172/09, VRR 2010, 242), den vom Landgericht gezogenen Schluss auf die Erstattungsfähigkeit einzelner Gebührenziffern ohne eindeutige bejahende Aussage zur medizinischen Notwendigkeit der zugrunde liegenden Heilbehandlung nicht rechtfertigen.

3.

Letztlich ist all dies aber nicht entscheidend. Denn der erforderliche Nachweis erstattungsfähiger Aufwendungen der Klägerin scheitert – wie im Senatstermin erörtert, vgl. Bl. 985 ff. GA – auch an einem weiteren, selbständigen Einwand der Beklagten, den die Klägerin nicht ausgeräumt hat, nämlich daran, dass die konkrete Berechtigung der abgerechneten, vom Landgericht für erstattungsfähig erachteten Beträge mit Blick auf die möglicherweise nicht bzw. nicht vollständig erfolgte Bezahlung der Rechnungen und eine zwischenzeitliche Verjährung der Honorarforderungen nicht festgestellt werden kann.

a)

Vollkommen zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass die Honorarforderungen aus den streitgegenständlichen Rechnungen, die im Zeitraum bis Juni 2012 erstellt wurden, der dreijährigen Regelverjährung des § 195 BGB unterliegen, die nach Maßgabe des § 199 Abs. 1 BGB mit der Fälligkeit dieser Rechnungen begann, d.h. in dem Zeitpunkt, in dem die jeweilige, die formellen Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 bis 4 GOÄ erfüllende Rechnung erteilt wurde (vgl. BGH III ZR 117/06), und dass diese Frist zwischenzeitlich abgelaufen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass – so auch der Zeuge Dr. B. in seiner erstinstanzlichen Vernehmung – die Klägerin die streitgegenständlichen Rechnungen nur zum Teil bezahlt hat. Soweit hiernach offene Honorarforderungen zwischenzeitlich verjährt und infolgedessen nicht mehr durchsetzbar sind, steht dies der Annahme erstattungsfähiger Aufwendungen entgegen (Voit, in: Prölss/Martin, VVG 31. Auf., § 192 Rn. 121; LG Tübingen, RuS 2017, 27).

b)

Vorliegend ist nicht – und zwar nicht einmal in einem Mindestumfang – erwiesen, dass einzelne der vom Landgericht mit dem angefochtenen Urteil zugesprochene Rechnungsbeträge aus dem hier maßgeblichen Zeitraum entweder von der Klägerin bezahlt oder noch nicht verjährt sind; die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast trifft nach allgemeinen Grundsätzen die Klägerin, weil es um die Durchsetzbarkeit der Honorarforderung des Behandlers und damit um eine Voraussetzung des von ihr geltend gemachten Erstattungsanspruches geht.

aa)

Dazu genügt nicht der vom Landgericht erwogene, von der Klägerin im Rahmen der Berufungserwiderung aufgegriffene Umstand, wonach die Klägerin gegenüber dem Zeugen Dr. B. „möglicherweise“ auf die Einrede der Verjährung verzichtet habe. Ohnehin wäre ein solcher – von der Klägerin nicht einmal selbst dezidiert behaupteter – Verjährungsverzicht als vorsätzlicher Verstoß gegen die vertragliche, sonst aber auch kraft Gesetzes geltende Obliegenheit der Klägerin zur Schadensminderung anzusehen mit der Folge, dass die Beklagte in Ansehung dadurch bedingter zusätzlicher Aufwendungen leistungsfrei wäre (§§ 9 Abs. 4, 10 Abs. 1 AVB; §§ 82 Abs. 1, 3 und 4 VVG; vgl. Rogler, in: HK-VVG 4. Aufl., § 1 MB/KK 2009 Rn. 2; LG Tübingen, RuS 2017, 27). Überdies ist aber auch nicht einmal konkret vorgetragen, geschweige denn bewiesen, dass und hinsichtlich welcher einzelnen Forderungen ein solcher Verjährungsverzicht möglicherweise ausgesprochen wurde, so dass, weil nach der rechtskräftigen Teilabweisung der Klage durch das Landgericht nur noch einzelne Teilbeträge aus unterschiedlichen Rechnungen in Rede stehen, ein Anspruch auf Erstattung berechtigter Aufwendungen nicht einmal in Höhe eines Mindestbetrages feststellbar wäre (§ 287 ZPO).

bb)

Nichts anderes folgt aus der Aussage des Zeugen Dr. B., wonach die Klägerin „nur einen Teil der Rechnungen“ gezahlt habe und sie sich dann geeinigt hätten, dass die Rechnungen „gestundet“ würden (Bl. 345 GA). Davon abgesehen, dass ein solches Vorgehen seitens des behandelnden Arztes zumindest merkwürdig erscheint, und die Klägerin sich diese Aussage – soweit ersichtlich – auch nicht zu eigen gemacht hat, stellt sie doch – ganz im Gegenteil – zweitinstanzlich auf einen „möglichen“ Verjährungsverzicht ab, bleibt auch hier offen, welche der im Berufungsrechtzug noch gegenständlichen Rechnungen oder Rechnungsteile bezahlt wurden und welche der vermeintlichen „Stundung“ unterliegen. Relevant ist dies, weil – wie die Beklagte völlig zu Recht bemängelt hat – nicht klar ist, welchen konkreten Inhalt die angebliche Stundungsvereinbarung haben und wann diese geschlossen worden sein soll, insbesondere ob dies noch vor Eintritt der Verjährung und in Bezug auf welche Rechnungen dies geschehen ist. Hierzu hat sich die Klägerin trotz entsprechender Aufforderung der Beklagten (Bl. 366 GA) bis zuletzt nicht erklärt; dementsprechend lässt sich auch nicht durch Auslegung feststellen, welche rechtlichen Wirkungen in Bezug auf eine etwa noch laufende Verjährung (vgl. dazu Ellenberger, in: Palandt, BGB 80. Aufl., § 205 Rn. 2; Grothe, in: MünchKomm-BGB 9. Aufl., § 205 Rn. 3) an die hier in Rede stehende Vereinbarung ggf. anknüpfen.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!