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Unfallversicherung – Herzkreislaufstillstand als Erstkörperschaden

LG Münster – Az.: 115 O 7/17 – Urteil vom 14.12.2017

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen aus einem bei dem Beklagten bestehenden Unfallversicherungsvertrag.

Der Kläger unterhält bei dem Beklagten eine Unfallversicherung, mitversicherte Person ist sein am …..1990 geborener Sohn C1.

Vereinbart sind für diesen u.a. eine Invaliditätssumme von 76.404,00 EUR (mit Progression, bei Vollinvalidität: 382.020,00 EUR) und Reha-Leistungen von 10.000,00 EUR (Versicherungsschein Bl. 172 – 183 d.A.).

Vereinbart ist die Geltung der M AUB 2011 mit BB Progression Plus 2011 und BB-Reha-Leistungen 2011 (Bl. 184 – 193 d.A.).

Am Sonntag, dem 31.08.2014, kam es gegen 11.25 Uhr am Vormittag vor der Diskothek „D1“ in N1 zu einem Vorfall unter Beteiligung von C1 und den als Türstehern beschäftigten D2 und I.

Im Verlauf des Geschehens wurde der bäuchlings auf dem Boden liegende C1 von den Türstehern auf dem Boden fixiert. Nach Klägervortrag setzte sich Herr I auf die Beine von Herrn C1 während Herr D2 dessen Oberkörper zu Boden drückte, indem er dessen Arme nach hinten brachte und mit dem Knie auf dem Rücken die Fixierung verstärkte (die Einzelheiten der Fixierung sind zwischen den Parteien streitig).

Herr C1 wehrte sich zunächst, dann wurde er still, sein Gesicht lief blau an.

Durch den verständigten Notarzt wurde ein Herzkreislaufstillstand festgestellt und mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen, Herr C1 wurde auf die Intensivstation des Universitätsklinikums N1 gebracht.

Vor der Auseinandersetzung hatte sich der zuvor aus der Diskothek verwiesene Herr C1 auf dem Parkplatz davor aufgehalten und sich u.a. mit ausgestreckten Armen um die eigene Achse gedreht und war dabei gegen ein Auto und gegen die Wand gestoßen. Er stand unter Amphetamineinfluss, eine Herrn C1 um 14.13 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Amphetaminkonzentration von 440 ng/ml.

In einem an die N2 Klinik für Rehabilitation gerichteten Bericht des Universitätsklinikums N1 vom 25.09.2014 (Bl. 37 – 38 d.A.) sind u.a. folgende Diagnosen genannt:

„Am ehesten hypoxisch bedingter Kreislaufstillstand bei Drogenintoxikation am 31.08.2014, … Hypoxischer Hirnschaden …“.

Der Kläger meldete dem Beklagten das Geschehen vom 31.08.2014 mit schriftlicher Unfallanzeige vom 29.12.2014 (Bl. 201 – 202 d.A.).

Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 13.04.2015 (Bl. 43 d.A.) Versicherungsleistungen ab mit dem Hinweis, dass für Unfälle durch Geistes- oder Bewusstseinsstörung kein Versicherungsschutz bestehe, der Unfall sei durch den Einfluss von Drogen verursacht worden und daher Folge einer Bewusstseinsstörung.

Der Kinder- und Jugendarzt O erstellte am 18.06.2015 eine ärztliche Stellungnahme (Bl. 116 d.A.), in der es u.a. heißt:

„Nach dem mir vorgelegten Polizeibericht über den Hergang, der in den Herzkreislaufstillstand Hrn.C1s mündete (…), erscheint es mir als Arzt sehr wahrscheinlich, dass physische Einwirkung den Herzkreislaufstillstand herbeiführte.“

Von der Gemeinschaftspraxis C2/A, Fachärzte für Allgemeinmedizin, wurde am 01.10.2015 eine Herrn C1 betreffende ärztliche Bescheinigung (Bl. 117 d.A. ausgestellt), in der es u.a. heißt:

„Bei dem oben genannten Patienten besteht bei Z.n. Reanimation im August 2014 ein hypoxischer Hirnschaden. Aufgrund dessen besteht eine 100 %ige Invalidität.“

Mit ab dem 14.07.2016 gültigem Schwerbehindertenausweis des Kreises T1 ist Herrn C1 ein Grad der Behinderung von 90% bescheinigt worden.

Der Kläger behauptet, der Herzkreislaufstillstand – der Ursache des hypoxischen Hirnschadens gewesen sei – sei durch die von den Türstehern vorgenommenen Fixierungsmaßnahmen verursacht worden. Bei dieser Fixierung habe sich Herr I auf die Beine von Herrn C1 gesetzt, während Herr D2 den Oberkörper von Herrn C1 zu Boden gedrückt, dessen Arme nach hinten gebracht und dort fixiert habe und mit dem Knie auf dem Rücken die Fixierung über Minuten verstärkt habe, bis sich Herr C1 nicht mehr bewegt habe. Diese Fixierung in Bauchlage habe bei Herrn C1 zu einem Atem- und Herzstillstand geführt, bekannt als Positionsasphyxie oder Positional Asphyxia Syndrom (PAS).

Infolge des Herzkreislaufstillstands bestehe bei Herrn C1 Vollinvalidität. Er sei dauernd beeinträchtigt hinsichtlich der Geh- und Sprechfähigkeit, es bestehe Hilfsbedürftigkeit bei der Einnahme von Medikamenten, Nahrung und beim Ankleiden.

Einen Betrag von insgesamt 4.770,06 EUR (Anlagen K 24 zur Klageschrift) habe er aufwenden müssen für homöopathische Mittel, Unterbringung der Mutter in der Klinik während der Behandlung von Herrn C1 in der N2-Klinik, für Zuzahlungen bei den Behandlungskosten von Herrn C1 und für Krankentransportkosten und Eigenbeteiligung. Der Kläger ist der Ansicht, hierbei handele es sich um versicherte Reha-Leistungen.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an Herrn C1, T2-Straße …, … J, 386.937,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab Rechtshängigkeit (08.02.2017) zzgl. vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4.482,61 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er bestreitet, dass die Fixierung von Herrn C1 dessen Herzkreislaufstillstand verursacht oder auch nur mitverursacht habe und behauptet, Herr C1 habe sich in einem als Excited delirium bezeichneten Zustand befunden.

Der Beklagte ist der Ansicht, es fehle bereits an einer bedingungsgemäß erforderlichen rechtzeitigen ärztlichen Feststellung eines Dauerschadens.

Der Beklagte ist ferner der Ansicht, Versicherungsschutz sei nach Zi.5.1.1 AUB wegen Bewusstseinsstörung von Herrn C1 ausgeschlossen. Der Beklagte behauptet dazu, aufgrund des vorangegangenen Amphetaminkonsums sei Herr C1 zur Zeit des Vorfalls mit den Türstehern in seiner Körperbeherrschung massiv gestört gewesen.

Der Beklagte ist der Ansicht, Versicherungsschutz sei auch nach Zi.5.1.2 AUB ausgeschlossen und behauptet dazu, Herr C1 habe vor der Fixierung versucht, auf Herrn D2 einzuschlagen und damit den Tatbestand einer Straftat verwirklicht.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Akten … Js …/… StA N… sind beigezogen und mit Einverständnis der Parteien beweismäßig verwertet worden. Es ist weiterhin Beweis erhoben worden durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen L, der seine im Ermittlungsverfahren … Js …/… StA N… erstatteten Gutachten mündlich erläutert und ergänzt hat. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.11.2017 (Bl. 245 – 250 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Der Kläger kann von dem Beklagten wegen des Geschehens vom 31.08.2014 keine Leistungen aus dem bestehenden Unfallversicherungsvertrag verlangen, da er einen unfallbedingten Schaden nicht bewiesen hat.

Bei dem Geschehen vom 31.08.2014 handelt es sich um einen Unfall, den der Sohn des Klägers als mitversicherte Person erlitten hat. Nach Ziffer 1.3 AUB 2011 liegt ein Unfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

Die am 31.08.2014 erfolgte Fixierung auf dem Boden vor der Diskothek „D1“ stellte für Herrn C1 ein Unfallereignis dar, worüber zwischen den Parteien auch kein Streit besteht.

Der Kläger hat jedoch nicht bewiesen, dass sein Sohn infolge dieses Unfallereignisses eine Gesundheitsschädigung erlitten hat.

Für das Vorliegen einer unfallbedingten Verletzung im Sinne eines Erstkörperschadens trägt der Kläger die Beweislast, insoweit gilt der Beweismaßstab des § 286 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 17.10.2001, IV ZR 205/00, juris).

Die Kammer konnte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht zu der Überzeugung gelangen, dass die Fixierung von Herrn C1 zumindest mitursächlich für dessen Herzkreislaufstillstand (als Erstkörperschaden) geworden ist.

Der Sachverständige L hat hierzu unter Auswertung der Ermittlungsakte und der ärztlichen Untersuchungsberichte nachvollziehbar ausgeführt, dass es bei Herrn C1 infolge eines „excited delirium“ (erregtes Delirium, im Folgenden: EDS) zum Herzkreislaufstillstand gekommen ist. Bei dem EDS handele es sich um ein anerkanntes Krankheitsbild, das als medizinische Notfallsituation anerkannt sei. Zu den akuten Symptomen des EDS gehören nach den Ausführungen des Sachverständigen u.a. Verwirrtheit, bizarres Verhalten (wie etwa die kreiselnden Bewegungen des Versicherten auf dem Parkplatz), Aggressivität, erstaunliche körperliche Kraft, fehlende Ermüdung, Fortsetzung von Widerstandshandlungen trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit (wie die Gegenwehr gegenüber den Türstehern), spiegelnde Oberflächen wirken als Anziehungspunkt (wie der Lack des Pkw), hochgradiges Schwitzen, schnelle Atmung, schneller Herzschlag, hoher Blutdruck. Aus dem Zusammentreffen der – jeweils für sich genommenen unspezifischen – Symptome habe bei Herrn C1 die Diagnose EDS getroffen werden können. Auch der vorangegangene Amphetaminkonsum stelle ein diagnostisches Kriterium dar, welches für das Vorliegen eines EDS spricht.

Im Rahmen des EDS kommt es nach den Ausführungen des Sachverständigen zu einer erheblichen Beschleunigung der körperlichen Organfunktionen sowie zu Auswirkungen auf die Psyche im Sinne einer Erregtheit. Diese Steigerung der inneren Erregung kann dann zu einer Fehlregulation im Gehirn führen mit der Folge eines Herzkreislaufstillstandes.

Eine Mitwirkung der Fixierung von Herrn C1 im Sinne eines auslösenden Co-Faktors bei Eintritt dessen Herzkreislaufstillstandes erscheint nach den Ausführungen des Sachverständigen aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs zwar sehr wahrscheinlich, sicher lasse sich dies aber nicht feststellen. Aufgrund anderer Fälle, in denen es einerseits auch ohne Fixierungsmaßnahmen zum Herzkreislaufstillstand gekommen sei und in denen andererseits trotz Fixierungsmaßnahmen kein Herzkreislaufstillstand eingetreten sei, sei es als möglich anzusehen, dass allein das EDS – das sich bei Herrn C1 mit Sicherheit schon vor der Fixierung entwickelt habe – zu dem aufgetretenen Herzkreislaufstillstand geführt habe.

Soweit eine Mitwirkung der Fixierungsmaßnahme im Sinne eines auslösenden Faktor als wahrscheinlich anzusehen sei, sei dies dahingehend zu verstehen, dass es sich bei der Fixierung um den letzten Faktor gehandelt habe, der zum Auftreten des Herzkreislaufstillstandes im Rahmen des EDS als bereits zuvor aufgetretener Erkrankung geführt habe.

Eine Mitwirkung der Fixierungsmaßnahme in dem Sinne, dass eine Behinderung der Atmung Ursache für das Auftreten des Herzkreislaufstillstandes gewesen sei, hat der Sachverständige ausgeschlossen. Eine Behinderung der Atmung in einer derart hochgradigen Form, dass der Rückfluss des Blutes zum Herzen behindert worden wäre, hätte zum Auftreten erheblicher Stauungssyndrome im Kopfbereich, speziell zu Punktblutungen im Augenbereich geführt, die bei Herrn C1 aber nicht vorgelegen haben.

Die Kammer konnte aufgrund dieser nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen L, an dessen Sachkunde und Erfahrung keine Zweifel bestehen, nicht die erforderliche Überzeugung gewinnen, dass die Fixierung beim Auftreten des Herzkreislaufstillstandes zumindest mitgewirkt hat. Zweifel verbleiben insbesondere deshalb, weil es nach den Ausführungen des Sachverständigen in anderen Fällen auch ohne Fixierung zum Herzkreislaufstillstand gekommen ist und es möglich ist, dass allein das EDS bei Herrn C1 – unabhängig von den Fixierungsmaßnahmen – zum Herzkreislaufstillstand geführt hat.

Den Vollbeweis eines unfallbedingten Erstkörperschadens hat der Kläger damit nicht geführt. Ob darüber hinaus Ausschlussgründe gemäß Ziffer 5.1.1 AUB (Bewusstseinsstörung) oder gemäß Ziffer 5.1.2 AUB (Ausführung einer Straftat) in Betracht kommen, kann damit ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die ärztlichen Bescheinigungen O vom 31.08.2014 und C2/A vom 01.10.2015 in einer Gesamtschau ausreichend sind zur Feststellung eines unfallbedingten Dauerschadens im Sinne von Ziffer 2.1.1.1 AUB.

Der erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgte klägerische Vortrag im – nicht nachgelassenen – Schriftsatz vom 07.12.2017 erforderte keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO. Neuen Tatsachenvortrag enthält dieser Schriftsatz nicht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

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