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Vollkaskoversicherung – Leistungsanspruch bei Entfernen vom Unfallort

LG Erfurt, Az.: 8 O 354/13, Urteil vom 12.12.2013

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung aufgrund eines Kfz – Vollkaskoversicherungsvertrages mit einer Selbstbeteiligung von 300,00 EURO, der seit dem TT.MM.2010 bestanden hat und mit Wirkung vom TT.MM.2011 den Pkw … mit dem amtlichen Kennzeichen „…“ als versichertes Fahrzeug betraf (Anlage K 1). Am TT.MM.2011 gegen 0.15 Uhr befuhr der Kläger mit dem von ihm gehaltenen Pkw … die … Straße in …–…. Dort kam er nach links von der Fahrbahn ab und fuhr in einen dort befindlichen Graben und gegen eine diesen als Grundstückseinfahrt überspannende Betonbrücke. Am Fahrzeug entstand der im Schadensgutachten (Anlage K 3) festgestellte Totalschaden, an der Brücke ein Fremdschaden von über 5.000,00 EURO. Der Kläger hat die Unfallstelle zu Fuß verlassen und erst am TT.MM.JJ gegen 11.00 Uhr die Notaufnahme des Krankenhauses in … aufgesucht. Der behandelnde Arzt hat das als Anlage K 2 vorgelegte Attest erstellt.

Der Kläger beziffert den Schaden nach Abzug des Restwertes auf 15.250,00 EURO. Er stützt dies auf das vorgelegte Schadensgutachten. Die bestehende Fahrzeugfinanzierung hat der Kläger nach dem Unfall abgelöst.

Vollkaskoversicherung – Leistungsanspruch bei Entfernen vom Unfallort
Symbolfoto: Feodora/Bigstock

Er behauptet, er könne sich weder an den Unfall noch an das Geschehen danach erinnern. Er wisse nur, dass er in der Gartenlaube des heimischen Grundstücks in … aufgewacht sei. Er habe die Unfallstelle wohl im Schockzustand verlassen. Keinesfalls habe er dies vorsätzlich oder grob fahrlässig getan, um Feststellungen zu verhindern. Alkohol habe er vor dem Unfall nicht zu sich genommen. Er sei von ca. 19.30 Uhr bis 24.00 Uhr bei einem ebenfalls in … wohnenden Cousin zu Besuch gewesen. Dort habe er nur Wasser und Coca Cola getrunken. Dann habe er eine Rundfahrt unternommen, in deren Verlauf der Unfall passiert sein müsse.

Er ist der Ansicht, keine schuldhafte Vertragsverletzung begangen zu haben.

Der Kläger beantragt nach Klagerücknahme in Höhe von 424,39 EURO, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 14.825,61 EURO nebst jährlichen Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2012 sowie in gleicher Höhe seit Rechtshängigkeit zu verzinsende 455,65 EURO zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Kläger habe den Unfall unter Alkoholeinfluss verursacht. Der Unfallverlauf sei geradezu typisch für eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit. Der Unfall sei von einem Zeugen bemerkt worden, der auch die Polizei gerufen habe. Auf diese habe der Kläger nicht warten wollen, weil er nach eigenen Angaben getrunken habe. Er habe noch den ihm helfenden Zeugen bedroht, falls dieser ihn festhalten wolle. Er habe durch sein Verhalten vorsätzlich jegliche Feststellungen zu seiner Person, insbesondere zu einer eventuellen Blutalkoholkonzentration vereitelt. Ein Indiz hierfür sei auch, dass ihn die Polizei nach dem Unfall nicht zuhause angetroffen habe.

Der behauptete Schock und die behauptete Amnesie seien bloße Schutzbehauptungen, objektive Befunde seien hierzu nicht erhoben worden.

Das Gericht hat über die streitigen Tatsachen Beweis erhoben durch Beiziehen der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft … zu Az. … und Vernehmen der Zeugen … und Dipl.-Med. …. Hinsichtlich des Beweisergebnisses wird auf die beigezogene Akte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage war abzuweisen, da sie nicht begründet ist. Im Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger keinen Zahlungsanspruch aufgrund der zum Unfallzeitpunkt besehenden Kaskoversicherung. Die Beklagte hat ihre Leistung zu Recht unter Berufung auf die Pflichtverletzung des Klägers verweigert. Sie ist gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG in Verbindung mit E 6.1 und E 1.3 AKB 2008 leistungsfrei.

Im Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Kläger nach dem Unfall vorsätzlich entgegen der ihm bekannten Verpflichtung von der Unfallstelle entfernt hat, um Feststellungen zu seiner Person, insbesondere zu einer eventuellen Alkoholisierung zu verhindern. Damit hat er gegen E 1.3 und E 6.1 AKB 2008 verstoßen. Der Kläger hat unstreitig den objektiven Tatbestand des unerlaubten Entfernens von der Unfallstelle i. S. v. § 142 StGB erfüllt. Das Verbot des unerlaubten Entfernens von der Unfallstelle ist Ausfluss einer der elementaren, allgemein bestehenden und bekannten Rechtspflichten im Straßenverkehr, so dass die diesbezügliche Kenntnis des Klägers vermutet werden kann (vgl. MüKo – Wandt, VVG, § 28, Rn. 218 m.w.Nw.). Der subjektive Tastbestand des Vorsatzes ist durch die glaubhafte Aussage des Zeugen … belegt. Danach hat der Kläger den Unfall wahrgenommen und sich in Kenntnis dessen mit der ausdrücklichen Begründung entfernt, er könne nicht auf die (bereits von der Mutter des Zeugen verständigte) Polizei warten, weil er etwas getrunken habe. Dies hat der Zeuge in seiner polizeilichen Vernehmung unmittelbar nach dem Vorfall und im Termin vom 10.10.2013 schlüssig bekundet. Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage besehen nicht. Dasselbe gilt für seine Glaubwürdigkeit. Ebenso glaubhaft und angesichts der persönlichen Erscheinung beider Akteure nachvollziehbar ist die vom Zeugen geschilderte Drohung des Klägers mit körperlicher Gewalt für den Fall, dass er versuche, ihn am Weggehen zu hindern. Der Kläger ist nach seiner physischen Erscheinung dem Zeugen körperlich erheblich überlegen.

Eine verminderte Zurechnungsfähigkeit des Klägers – etwa aufgrund einer hohen Alkoholisierung oder eines durch den Unfall erlittenen Schocks oder einer Amnesie– schließt den Vorsatz nicht notwendig aus, da das Zivilrecht eine verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht kennt (vgl. MüKO- Wandt, a.a.O., Rn. 221 m.w.Nw.). Das schuldhafte, vorsätzliche Handeln und der damit verbundene schuldhafte Verstoß gegen E 1.3 und E 6.1 AKB 2008 sind nur dann ausgeschlossen, wenn sich der Kläger in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit im Sinne von § 827 Satz 1 BGB befunden hat. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines solchen Zustandes trifft – anders als im Strafrecht – allein den Kläger (statt aller: Palandt, BGB, 72. Auflage, § 827, Rn. 3 m.w.Nw.). Dieser Beweis ist ihm zur Überzeugung des Gerichts nicht im Ansatz gelungen. Hierzu ist nicht ausreichend, dass der von ihm behauptete Schockzustand und die von ihm behauptete Amnesie grundsätzlich mögliche Folgen des Unfallgeschehens sein können, wie der Zeuge Dipl.-Med. … glaubhaft bekundet hat.

Der weiteren Erörterung zu dem möglichen Unfallschock bedarf es nicht. Ein Schock dauert nicht stundenlang an, er verfliegt relativ rasch wieder (vgl. OLG Frankfurt, VersR 2001, 1374 m.w.Nw.). Danach wäre der Kläger unmittelbar in der Lage und verpflichtet gewesen, zur Unfallstelle zurückzukehren oder sich bei der Polizei zu melden, was er nicht getan hat. Dort ist erst am TT.MM.JJ gegen 23.20 Uhr ein Anruf seiner Schwester eingegangen, dass er wieder nach Hause gekommen sei (Bl. 31 der beigezogenen Akte).

Die behauptete unfallbedingte Amnesie ist eine Form der Störung des Gedächtnisses für zeitliche oder inhaltliche Erinnerungen. Sie kann als Unfallfolge durch eine Gehirnerschütterung oder eine Hirnprellung entstehen. Sie kann – je nach Ursache und Verlauf – mehrere Stunden oder auch Tage andauern (vgl. z. B. Medizininformation auf www.aok.de). Objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Amnesie sind allerdings weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Der Zeuge … konnte ca. 35 Stunden nach dem Unfall keinerlei objektiven Befund erheben, aufgrund dessen das Vorliegen einer Amnesie mehr als zum Anprall des Autos an den Brückenpfeiler plausibel und möglich wäre. Das ergibt sich bereits aus dem als Anlage K 2 vorgelegten Unfallbericht. Objektiv feststellbar war lediglich eine Gurtverletzung im Brustbereich des Klägers. Äußere Kopfverletzungen waren nicht feststellbar. Eine durchgeführte Überprüfung mit einem Schädel-CT ergab keine Hinweise auf eine abgelaufene Blutung oder eine Fraktur. Dies hat der Zeuge auch in seiner Vernehmung so bekundet. Seine diesbezügliche Aussage ist ebenso glaubhaft wie seine Bezugnahme auf die ihm vorliegenden Behandlungsunterlagen. Selbst Kopfschmerzen wurden nach seinem Bekunden und seinem Unfallbericht vom Kläger nicht mehr geklagt. Letztlich beruht die Diagnose einer Amnesie allein auf der Schilderung des Klägers, die dem Zeugen angesichts der erkennbaren Gurtverletzung und dem mitgeteilten Umstand des Unfalls glaubhaft erschien. Zu ergänzen ist, dass der Zeuge … als behandelnder Arzt keinerlei Grund hatte, an den Angaben des Klägers zu zweifeln.

Aus der Ermittlungsakte ergeben sich ebenfalls keine objektiven Anknüpfungspunkte für die behauptete Amnesie. Hierfür streitet insbesondere nicht die Einstellung des Strafverfahrens gegen Geldauflage gemäß § 153 a Abs. 2 StPO (Bl. 92 der beigezogenen Ermittlungsakte), da es sich hierbei um eine reine Opportunitätsentscheidung handelt.

Anhand der enthaltenen Fotos ist in Übereinstimmung mit dem Gutachten (Anlage K 3) festzustellen, dass der Kläger mit solcher Wucht in den Graben und gegen die Brücke gefahren ist, dass beide Frontairbags des … auslösten. Das Fahrzeug wurde in seinem kurz gebauten Fontbereich erheblich beschädigt, was aufgrund der weitgehend intakten Fahrgastzelle allerdings eher auf den verformungsfesten und über der Höhe des Stoßfängers diagonal getroffenen Kollisionsgegner Brücke als auf eine hohe Kollisionsgeschwindigkeit schließen lässt. Aus dem Schadensbild ist keine Kollisionsgeschwindigkeit zu folgern, die in Anbetracht der ausgelösten Airbags bei dem ausweislich der vom Zeugen … festgestellten Gurtverletzung mit dem Sicherheitsgurt angeschnallten Kläger eine Gehirnprellung oder eine Gehirnerschütterung hervorgerufen haben müsste. Das vermag das Gericht aufgrund langjähriger dienstlicher Erfahrung mit deformierten Pkw festzustellen, ohne hierzu ein Sachverständigengutachten einzuholen. Im Ergebnis bleibt es dabei, dass keine objektiven Anhaltspunkte für die behauptete Gesundheitsschädigung bestehen. Deshalb besteht auch keine Grundlage für ein medizinisches Gutachtens zum tatsächlichen Vorliegen der behaupteten Amnesie. Ein solches war deshalb nicht einzuholen.

Hingegen bestehen erhebliche Indizien gegen das Vorliegen einer Amnesie nach dem Unfall. So war der Kläger nach der Schilderung des Zeugen … eindeutig in der Lage, die Situation zu erkennen, aus ihr einen plausiblen Schluss zu ziehen und danach zu handeln. Auch war er in der Lage, seinen Handlungswillen gegenüber dem Zeugen durch das Androhen körperlicher Gewalt durchzusetzen. Zudem war er offensichtlich in der Lage, vom Unfallort in die Gartenlaube auf seinem Wohngrundstück zu gelangen. Das spricht angesichts einer Entfernung von ca. 2 Kilometern Luftlinie insbesondere bei Nacht sowohl für eine entsprechende Wegkenntnis und Orientierung als auch für ein gezieltes und gewolltes Handeln des Klägers.

Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, sein Verstoß gegen E 1.3 und E 6.1 AKB 2008 sei gemäß E 6.2 AKB 2008 nicht ursächlich für die eingetretenen Feststellungsnachteile der Beklagten. Verlässt der Versicherungsnehmer entgegen seiner Aufklärungspflicht aus E 1.3 AKB 2008 unerlaubt den Unfallort, geht dies regelmäßig mit konkreten Feststellungsnachteilen für den Versicherer einher, die entsprechend § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG zum Verlust des Versicherungsschutzes führen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 24.01.2001 zu Az. 7 U 23/00 und OLG Naumburg, Urteil vom 21.06.2012 zu Az. 4 U 85/11, beide zitiert nach Juris; Nugel in jurisPR-VerkR 23/2012, Anm. 4). Hier gilt nichts anderes. Aufgrund des Verhaltens des Klägers ist letztlich nicht mehr objektiv zu klären, ob Alkoholeinfluss bei dem Unfall eine Rolle gespielt hat. Das kann auch nicht im Nachhinein durch das Vernehmen des zum behaupteten abendlichen Trinkverhalten des Klägers benannten Zeugen … erfolgen. Seiner Vernehmung bedurfte es deshalb nicht.

Mangels einer Hauptforderung stehen dem Kläger auch die geltend gemachten Nebenforderungen nicht zu.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

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