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Krankheitskostenversicherung – Anfechtung wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflicht

OLG Hamm – Az.: 20 U 59/20 – Beschluss vom 29.05.2020

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil die Beklagte den Vertrag wegen arglistiger Täuschung vor Vertragsschluss durch den Kläger angefochten hat und der Vertrag damit als von Anfang an nichtig anzusehen ist (§ 142 Abs. 1 BGB, § 39 Abs. 1 Satz 2 VVG).

Die Einwendungen des Klägers, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründung (Bl. 28 ff. der elektronischen Gerichtsakte zweiter Instanz [im Folgenden: eGA II-28 ff.]) verwiesen wird, greifen nicht durch.

1.  Die Beklagte hat im Schreiben vom 20.09.2018 (Anl. K IV, eGA I-49 f.) die Anfechtung erklärt (§ 143 Abs. 1 BGB). Diese bedurfte keiner besonderen Form.

2.  Die Beklagte war nach § 22 VVG, § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung zur Anfechtung berechtigt, was auch bei einer Krankheitskostenversicherung – wie hier – gilt (vgl. BGH Urt. v. 7.12.2011 – IV ZR 105/11, VersR 2012, 304 Rn. 21).

a)  Der Kläger hat durch das Ankreuzen von „Nein“ bezüglich sämtlicher Gesundheitsfragen mit Ausnahme der Frage nach fehlenden Zähnen (Anl. BLD1, eGA I-174, sowie in lesbarerer Form Anl. BLD2, eGA I-177) durch aktives Tun objektiv falsche Angaben gemacht.

Die Erklärung des Antragstellers, d. h. die Antwort des Antragstellers auf die Frage des Versicherers, ist objektiv falsch.

Daran fehlt es freilich, wenn der Antragsteller die Frage in einem bestimmten Sinne verstanden hat und verstehen durfte (objektive Auslegung) und sie bei Zugrundelegung dieses Verständnisses richtig beantwortet hat. Die objektive Auslegung der Antragsfrage muss dabei, auch wenn man ihr keine AGB-Qualität beimisst, jedenfalls wie bei AGB erfolgen (vgl. vgl. BGH Urt. v. 22.9.1999 – IV ZR 15/99, r+s 1999, 491 = juris Rn. 17; OLG Düsseldorf Urt. v. 30.5.2017 – 4 U 41/16, r+s 2018, 126 = juris Rn. 34 m. w. N.; OLG Celle, Urteil vom 08.09.2016 – 8 U 70/16 – juris, Rn. 57; OLG Saarbrücken Urt. v. 1.2.2006 – 5 U 207/05, r+s 2006, 510 = juris Rn. 20; Felsch, r+s 2016, 321, 323; Neuhaus, Die vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung in Recht und Praxis, Rn. 140 m. w. N.).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Auslegung von AVB und von Erklärungen des VR auf den durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen abzustellen. In erster Linie ist bei der Auslegung vom Wortlaut auszugehen. Der verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. zu AVB st. Rspr., vgl. nur jeweils m. w. N. BGH Urt. v. 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 = NJW 1993, 2369 unter III.1.b = juris Rn. 14; zu Erklärungen des Versicherungsnehmers zu Formularfragen in Schadensanzeigeformularen BGH Urt. v. 26.10.1988 – IVa ZR 243/87, r+s 1989, 5 unter 2.a = juris Rn. 15).

Auch hiernach aber ist die Antwort falsch.

Vor Antragstellung am 21.12.2016 (Anl. BLD1, eGA I-173 ff.) besuchte der Kläger nach eigenem Vortrag seit Anfang 2014 teils mehrfach verschiedene Ärzte, teils aufgrund Verweisung eines zuvor besuchten Arztes. Anlass hierfür sei – abgesehen von Fällen des (alkoholbedingten) Einnässens – allein gewesen, dass er von einer Mitarbeiterin des Jobcenters derart unter Druck gesetzt / schikaniert worden sei, dass er sich unberechtigt habe krankschreiben lassen müssen, um Maßnahmen des Jobcenters zu entgehen. Grund seien aber nicht die von den Ärzten festgehaltenen psychischen Beschwerden gewesen. Die Diagnosen (u. a. Persönlichkeitsstörung, Anpassungsstörung, schwere depressive Episode) seien ihm nicht bekannt gewesen.

Bei diesen Arztbesuchen handelt es sich, unabhängig davon ob die Diagnosen zutreffend waren und dem Kläger mitgeteilt worden sind, um „Behandlungen / Untersuchungen“ in der letzten drei Jahren vor Antragstellung im Sinne von Frage 2, die der Kläger mit „Nein“ beantwortete.

Die Antragsfrage ist – auch im Hinblick auf den Einleitungssatz zu den Gesundheitsfragen – umfassend formuliert und erfasst jegliche Untersuchung und Behandlung.

Selbst wenn der Kläger seine Beschwerden nur vorgetäuscht haben sollte, stellte er sich gleichwohl bei den (Fach-)Ärzten vor, schilderte diesen seine Lage und erwartete von diesen eine Krankschreibung. Bereits das Vorstellenlassen und die Entgegennahme der Schilderung stellte aber im vorliegenden Fall eine Untersuchung dar. Erst recht gilt dies, wenn der Kläger ausführt, es sei zu einem „problemorientierten ärztlichen Gespräch“ gekommen. Zudem stellen die tatsächlich erfolgten Krankschreibungen und die Überweisung von einem zum anderen Arzt Behandlungen dar. Ersteres erschließt sich schon allein daraus, dass in der dafür nach einem „Ja“-Kreuzchen vorgesehenen Tabelle ausdrücklich nach Arbeitsunfähigkeitszeiten gefragt wird.

Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger Name und Anschrift zweier Ärzte angegeben hat. Denn angesichts der eindeutig beantworteten Gesundheitsfragen bestand insoweit schon dem Grunde nach weder eine Nachfrageobliegenheit der Beklagten beim Kläger noch eine Nachforschungsobliegenheit der Beklagten bei den benannten Ärzten (vgl. zur Nachfrageobliegenheit BGH Urt. v. 11.5.2011 – IV ZR 148/09, VersR 2011, 909 Rn. 14; BGH Urt. v. 25.3.1992 – IV ZR 55/91, VersR 1992, 603 = juris Rn. 30).

Hinzu kommt, dass den Versicherer bei arglistiger Täuschung – wie hier – ohnehin keine Nachfrageobliegenheit trifft (vgl. BGH Urt. v. 11.5.2011 – IV ZR 148/09, VersR 2011, 909 Rn. 15 m. w. N.; OLG Hamm Beschl. v. 11.9.2019 – 20 U 30/19, unter II.1.a.bb).

b)  Der Kläger machte diese objektiv falschen Angaben auch vorsätzlich. Er kannte die maßgeblichen Umstände unstreitig und entschied sich nach eigenem Vortrag willentlich dafür, diese der Beklagten nicht anzuzeigen.

Er unterlag insoweit auch keinem maßgeblichen Irrtum über den Umfang der Anzeigeobliegenheit. Denn er wusste – erst recht als Versicherungsvermittler – aufgrund des Einleitungssatzes zu den Gesundheitsfragen, dass auch aus seiner Sicht unwesentliche Umstände anzugeben waren. Vor allem aber wollte er die Angaben nur deshalb nicht machen, weil er wusste, dass die Beklagte den Antrag ansonsten nicht ohne Nachfragen oder sogar gar nicht annehmen würde, worauf es ihm ankam.

c)  Die vorsätzliche Täuschung war auch kausal für den Vertragsschluss, was der Kläger – wie schon das Landgericht ausgeführt hat – auch mit der Berufungsbegründung nicht substantiiert in Abrede gestellt hat.

Die Anfechtung der eigenen Willenserklärung des getäuschten Versicherers ist nicht nur dann zulässig, wenn er diese bei Vertragsschluss überhaupt nicht abgegeben hätte. Die erforderliche Kausalität zwischen Täuschungshandlung und Willenserklärung ist im Rahmen der Anfechtung nach § 22 VVG, § 123 BGB auch dann gegeben, wenn die Willenserklärung ohne die Täuschung mit einem anderen Inhalt oder zu einem anderen Zeitpunkt abgegeben worden wäre (vgl. BGH Urt. v. 23.10.2014 – III ZR 82/13, VersR 2015, 187 = juris Rn. 12 m. w. N.).

Letzteres war hier offenkundig der Fall, selbst wenn tatsächlich in Wahrheit gar keine Beschwerden des Klägers bestanden haben sollten. Denn auch in einem solchen Fall besteht aufgrund der Häufigkeit der Arztbesuche ein Interesse des Versicherers, die Möglichkeit zu erhalten, den Sachverhalt durch entsprechende Nachfragen bei dem Arzt näher aufzuklären (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 11.9.2019 – 20 U 30/19, unter II.1.a.aa).

d)  Der Kläger handelte auch arglistig.

Arglist setzt voraus, dass der Antragsteller erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen – oder erst später nach weiterer Prüfung – annehmen werde (vgl. m. w. N. nur BGH Beschl. v. 10.5.2017 – IV ZR 30/16, r+s 2017, 408 Rn. 16).

Hiernach liegt Arglist vor. Anhaltspunkte für Zweifel an der entsprechenden Feststellung des Landgerichts, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, bestehen nicht (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Vielmehr ist auch der Senat nach Gesamtwürdigung sämtlicher vom Kläger vorgetragener Umstände davon überzeugt, dass er arglistig handelte.

Dem Kläger war – erst recht als Versicherungsvermittler – völlig klar, dass die Beklagte bei wahrheitsgemäßer Angabe der Arztbesuche Nachforschungen betreiben würde. Und ihm war völlig klar, dass die Beklagte seinen Antrag erst recht nie angenommen hätte, hätte er gar wahrheitsgemäß angegeben, dort nur vorstellig geworden zu sein, um das Jobcenter zu betrügen.

3.  Die Anfechtungserklärung vom 20.09.2018 erfolgte fristgerecht innerhalb der Jahresfrist des § 124 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 BGB, da die Beklagte erst aufgrund der Leistungsaufstellung vom 08.05.2018 (Anl. BLD3, eGA I-181 ff.) Kenntnis von den Arztbesuchen des Klägers erhielt, sowie innerhalb der Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB.

II.

Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.

 

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