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Risikolebensversicherung – Beginn der Anfechtungsfrist bei arglistiger Täuschung

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 293/11 – 41 – Urteil vom 18.04.2012

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 21.6.2011 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 421/10 – wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 398.734,63 € festgesetzt.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus abgetretenem Recht, hilfsweise in gewillkürter Prozessstandschaft für die C. bank AG, auf Zahlung der Todesfallleistung aus einer Risikolebensversicherung in Anspruch.

Versicherungsnehmer war Herr R. D.. Er beantragte unter dem 26.6.2006 den Abschluss eines Risikolebensversicherungsvertrags mit einer Versicherungssumme von 575.000 € (Antragsschreiben Bl. 10 d. A.). Als bezugsberechtigte Person benannte er Frau M. G.. Unter „Besondere Vereinbarungen“ war der Hinweis eingetragen, die Risikolebensversicherung solle zur Kreditsicherung abgetreten werden. In der im Antragsformular enthaltenen „Gesundheitserklärung der zu versichernden Person“ erfragte die Beklagte Krankheiten, Störungen oder Beschwerden – unter anderem Tumor – in den letzten fünf Jahren. Der Versicherungsnehmer beantwortete sie mit „ja“ und fügte zur Erläuterung hinzu: „grippale Infekte, Knieschmerzen  alles ausgeheilt“. Als Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen in den letzten fünf Jahren gab er an „Grippe, Erkältungen“; zur Frage nach beanspruchten Ärzten verwies er auf den Hausarzt (Bl. 11 d. A.). Der Versicherungsnehmer änderte den auf den 1.7.2006 voreingetragenen Versicherungsbeginn handschriftlich ab in den 1.8.2006 (Bl. 12 d. A.).

Risikolebensversicherung - Beginn der Anfechtungsfrist bei arglistiger Täuschung
Symbolfoto: Von fizkes/Shutterstock.com

Mit an den Versicherungsnehmer gerichtetem Schreiben vom 28.6.2006 erklärte die Beklagte – was in zweiter Instanz erstmals thematisiert wurde, aber unstreitig ist –, seit Antragseingang genieße er vorläufigen Versicherungsschutz „gemäß den hierfür geltenden Bedingungen“. Dem Schreiben waren Allgemeine Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung beigefügt (Bl. 221 d. A.). Nach § 3 Abs. 2 a sollte der vorläufige Versicherungsschutz enden, „wenn der Versicherungsschutz aus der beantragten Versicherung begonnen hat“.

Noch vor der Vertragsannahme unterzeichneten der Versicherungsnehmer und die D. Bank AG eine Abtretungsvereinbarung (Bl. 15 d. A.), mit der sämtliche Ansprüche und Rechte für den Todesfall aus einer bei der „C. Direkt“ abzuschließenden Lebensversicherung (Versicherungsscheinnummer …) abgetreten wurden. Die Abtretung erfolge zur Sicherung aller Ansprüche der Bank gegen den Versicherungsnehmer aus einem „L-Bank GuW-Darlehen über 540.000 € auf Konto Nr. … gem. Angebot vom 31.07.2006“. Mit Schreiben vom 1.8.2006 – unterzeichnet vom Versicherungsnehmer und von einem Vertreter der Bank – wurde der Beklagten die Zession der Rechte „aus dem Versicherungsvertrag Nr. …“ angezeigt (Bl. 16 Rs. d. A.).

Die Beklagte verlangte mit Schreiben vom 3.7.2006 ergänzende Informationen zum Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers. Die unter anderem angeforderten Laborwerte standen am 9.8.2006 zur Verfügung (Bl. 125 d. A.). Unter dem 14.8.2006 teilte die Beklagte der D. Bank AG (Bl. 14 d. A.) mit Bezugnahme auf die „Abtretung mit Eingang vom 1.8.2006“ mit, dass die Versicherung bestehe. Zugleich übersandte sie das Original des Versicherungsscheins an die D. Bank AG, eine Ablichtung davon an den Versicherungsnehmer (Bl. 39 d. A.).

Der Versicherungsschein datiert vom 14.8.2006. Als Versicherungsbeginn ist der 1.8.2006 bezeichnet, und unter „Allgemeine Hinweise“ heißt es, der Versicherungsschutz beginne mit der Zahlung des Einlösungsbeitrags, jedoch nicht vor Abschluss des Versicherungsvertrags und nicht vor dem angegebenen Beginn der Versicherung.

Dem Versicherungsvertrag wurden die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Risikoversicherung zu Grunde gelegt (im Folgenden ALB, Bl. 7 Rs. d. A.) mit unter anderem diesen Klauseln:

㤠2 Wann beginnt Ihr Versicherungsschutz?

Der Versicherungsschutz beginnt, wenn Sie den ersten Beitrag (Einlösungsbeitrag) gezahlt und wir die Annahme Ihres Antrags schriftlich oder durch Aushändigung des Versicherungsscheins bestätigt haben. Vor dem im Versicherungsschein angegebenen Beginn der Versicherung besteht jedoch noch kein Versicherungsschutz.

§ 3 Was haben Sie bei der Beitragszahlung zu beachten?

(…)

(4) Der erste Beitrag wird sofort nach Abschluss des Versicherungsvertrags fällig.

(…)

§ 9 Was gilt bei Selbsttötung der versicherten Person?

(1) Bei Selbsttötung vor Ablauf von drei Jahren seit Zahlung des Einlösungsbeitrages oder seit Wiederherstellung der Versicherung besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn uns nachgewiesen wird, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Anderenfalls zahlen wir den für den Todestag berechneten Zeitwert Ihrer Versicherung.

(2) Bei Selbsttötung nach Ablauf der Dreijahresfrist bleiben wir zur Leistung verpflichtet.“

Im Versicherungsantrag hatte der Versicherungsnehmer der Beklagten eine Einzugsermächtigung für die Beiträge erteilt. Die Beklagte hat die erste Versicherungsprämie am 14.8.2006 eingezogen.

Die Klägerin hat ein von ihr verfasstes und an die Beklagte gerichtetes Schreiben vom 8.6.2009 (Bl. 93 d. A.) vorgelegt zu einer „Sammelanzeige Rechtsnachfolger an Drittschuldner“. Darin heißt es, „gemäß beigefügter Liste“ seien Ansprüche aus Lebensversicherungen an die D. Bank AG abgetreten worden; die D. Bank AG habe Teile ihrer Geschäftsbeziehungen auf die O. …bank AG übertragen; dabei seien auch die Ansprüche aus der Abtretung übergegangen; die Beklagte möge die Kenntnis von der Gläubigerstellung der O. …bank AG bestätigen. Die Beklagte erklärte unter dem 25.6.2009 (Bl. 94 d. A.), die gewünschte Bestätigung könne nicht übersandt werden, da keine rechtsverbindliche Anzeige des bisherigen Abtretungsgläubigers, der D. Bank AG, zur Übertragung der Ansprüche „aus den Abtretungen der Verträge (…) … (…)“ vorliege. In einem Schreiben der Klägerin an die Beklagte vom 26.8.2009 (Bl. 95 d. A.) hieß es dann, anliegend werde „die Bestätigung der D. Bank AG jetzt C. bank AG als Nachweis der Rechtsnachfolge“ übersandt.

Am 10.8.2009 beging der Versicherungsnehmer in seiner Wohnung Selbstmord. Im polizeilichen Bericht vom 10.8.2009 (Bl. 41 d. A.) ist festgehalten:

„Gespräch mit den Angehörigen und dem Geschäftspartner des Verstorbenen:

(…)

Der zwischenzeitlich Verstorbene hätte vor mehreren Jahren an Hodenkrebs gelitten. Bei einer Lungenentzündung Anfang 2009 bzw. bei einer Untersuchung aufgrund einer Rippenfraktur seien Schatten auf der Lunge des Verstorbenen festgestellt worden, wozu jedoch weder Herr A. noch das Ehepaar D. Genaueres mitteilen konnte. Der behandelnde Hausarzt des Verstorbenen ist nicht bekannt, eine Krebs-Nachuntersuchung erfolgte im Mai und Juni 2009 im S. Klinikum K. ohne Befund (Professor Dr. F.) (…)“

Zu der am Auffindetag und -ort durchgeführten Leichenbesichtigung war unter „Auffälligkeiten“ im Bereich „Rumpf/Genitalbereich/Körperrückseite“ eingetragen:

„Amputation des linken Hodens im Jahr 2004 nach Krebserkrankung“

Die A. Bank – eine Zweigniederlassung der Klägerin – übersandte der Beklagten unter dem 17.8.2009 ein Schreiben zu „Risikolebensversicherung Nr. …“ (Bl. 19 d. A.), in dem es hieß, die Rechte aus der Versicherung seien mit Urkunde vom 1.8.2006 an die D. Bank AG abgetreten worden; zwischenzeitlich sei die Beklagte von der Abtretung der Ansprüche durch die D. Bank AG an die A. Bank in Kenntnis gesetzt worden. Die versicherte Person sei am 10.8.2009 verstorben; die Beklagte möge „die fällige Leistung“ an „R. D.-Erben“ überweisen.

Die Beklagte erhielt im November 2009 Einsicht in die Ermittlungsakte mit dem Polizeibericht vom 10.8.2009. Im Dezember des Jahres 2010 teilte sie der Bezugsberechtigten des Vertrags, Frau M. G., mit, die Akte enthalte Hinweise auf eine Krebserkrankung des Versicherungsnehmers und eine Hodenamputation im Jahr 2004. Sie möge alle ihr vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere die Histologie des Krebsbefundes sowie den Befund der Nachsorge, übersenden und ansonsten Auskunft darüber erteilen, wo und durch wen der Versicherungsnehmer behandelt worden sei. Mit Schreiben vom 20.12.2010 wandte sie sich an das S. Klinikum K. und bat, einen Befund- und Entlassungsbericht über die Behandlung im Jahr 2009 – damals hatte die im Polizeibericht ebenfalls erwähnte Nachuntersuchung stattgefunden – zur Verfügung zu stellen. Daraufhin erhielt sie einen vom 14.7.2009 datierenden Arztbericht vom 14.7.2009 (Bl. 73 d. A.). Er erwähnt die Diagnose eines histologisch embryonalen Karzinoms, eines Dottersacktumors und eines Seminoms des linken Hodens, eine Hodenentfernung im Mai 2004 sowie eine Chemotherapie. Die Beklagte erklärte sowohl gegenüber der Bezugsberechtigten als auch gegenüber der A. Bank und der Klägerin die Anfechtung zum Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung (Schreiben vom 24.2.2011 und vom 23.2.2011, Bl. 75, 78, 80 d. A.).

Das Amtsgericht K. eröffnete am 3.3.2010 das Insolvenzverfahren über den Nachlass (Beschluss Bl. 36 d. A.). Der Nachlassinsolvenzverwalter hat mit Schreiben vom 22.2.2011 (Bl. 97 d. A.) gegenüber der Klägerin erklärt, falls diese Inhaberin der Versicherungsansprüche geworden sei, überlasse er die Forderungen gemäß § 170 Abs. 2 InsO zur Verwertung.

Die Klägerin hat Zahlung von 398.734,63 € verlangt, hilfsweise im Wege der Prozessstandschaft Zahlung an die C. bank AG. Sie hat behauptet, aus dem mit der Lebensversicherung gesicherten Darlehen sei noch eine Gesamtforderung in dieser Höhe offen.

Den auf § 14 Abs. 4 ALB gestützten Einwänden der Beklagten gegen ihre Aktivlegitimation hat sie entgegengehalten, die Formerfordernisse der Abtretungsklausel gälte für den vorliegenden Fall, in dem der Forderungsübergang auf der Verschmelzung der D. Bank AG mit der C. bank AG beruhe, nicht. Die Klägerin hat zudem gemeint, nach der ersten Abtretung an die D. Bank sei der Schutzzweck des § 14 Abs. 4 ALB nicht mehr berührt gewesen.

Nach Ansicht der Klägerin scheitert der Anspruch nicht an der Suizidklausel des § 9 Abs. 1 ALB. Die dort geregelte Karenzfrist von drei Jahren sei abgelaufen. Fristbeginn sei das Einsetzen des materiellen Versicherungsschutzes zum 1.8.2006. Hilfsweise hat die Klägerin ihre Ansprüche auf eine Schadensersatzpflicht der Beklagten wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung gestützt. Nach ihrer Einschätzung wäre der Vertrag bei zeitnaher Bearbeitung vor dem 1.8.2006 zu Stande gekommen.

Die Arglistanfechtung hat die Klägerin als verspätet erachtet. Die an die Kenntnis von der Täuschung anknüpfende Anfechtungsfrist des § 124 Abs. 1 BGB habe spätestens im November 2009 zu laufen begonnen, als die Beklagten – unstreitig – vom Inhalt der amtlichen Ermittlungsakte erfahren habe.

Die Beklagte hat, gestützt auf § 14 Abs. 4 AVB, die Aktivlegitimation der Klägerin in Abrede gestellt. Nach der Abtretung an die D. Bank AG seien weitere Abtretungen nicht wirksam von dem „bisherigen Berechtigten“ angezeigt worden. Eine gewillkürte Prozessstandschaft sei unzulässig, weil damit der Abtretungsausschluss umgangen würde.

In der Sache greife der Risikoausschluss des § 9 Abs. 1 ALB. Außerdem sei der Vertrag wirksam und fristgerecht angefochten. Die Anfechtungsfrist sei nicht schon dadurch in Gang gesetzt worden, dass sie den Polizeibericht gekannt habe. Auf die dort erwähnten Berichte von „Angehörigen“, wonach der Versicherungsnehmer „vor mehreren Jahren“ an Hodenkrebs gelitten habe, hätte sie keine Anfechtung stützen können, sondern sei gehalten gewesen, sich eine zuverlässige Kenntnis in Bezug auf die genaue Art der Krebserkrankung, ihre Behandlung und die Abfragezeiträume zu verschaffen.

Mit dem am 21.6.2011 verkündeten Urteil (Bl. 152 d. A.) hat das Landgericht Saarbrücken die Klage abgewiesen.

Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils Bezug.

Die Klägerin hat Berufung eingelegt.

Nach ihrer Ansicht kommt es für den Beginn der Dreijahresfrist gemäß § 9 ALB nicht auf den tatsächlichen Zahlungsfluss an. Aufgrund der Gewährung vorläufigen Versicherungsschutzes sei wegen § 2 a der hierfür geltenden Versicherungsbedingungen die Zahlung des Einlösungsbeitrags mit der Ermächtigung zum Beitragseinzug gleich zu setzen.

Die Klägerin zieht eine Parallele zu § 38 VVG a. F. Dort genüge es, dass der Versicherungsnehmer die Leistungshandlung – hier durch das Erteilen einer Einzugsermächtigung – vorgenommen habe. Die Dreijahresfrist frühestens mit Vertragsbeginn laufen zu lassen, hält die Klägerin wegen der schon vorher bestehenden vorläufigen Deckung für verfehlt. Sie verweist auf den Zweck der Dreijahresfrist, der die Annahme zu Grunde liege, nach ihrem Ablauf sei eine von Anfang an geplante Selbsttötung nicht mehr anzunehmen. Diese Vermutung greife wegen des vorläufigen Versicherungsschutzes schon ab Antragseingang, mithin spätestens seit dem 28.6.2006. Dessen ungeachtet sei die Karenzzeit richtigerweise vom materiellen Versicherungsbeginn an zu rechnen, hier ab dem 1.8.2006 (Bl. 210 d. A.).

Unabhängig davon ist die Klägerin der Ansicht, die Beweislast für einen freiverantwortlichen Suizid trage der Versicherer. Das sei auf der Grundlage neuropsychiatrischer Forschungen geboten. Die Klägerin behauptet – erstmals in zweiter Instanz –, der Versicherungsnehmer habe nicht infolge einer freien Willensbestimmung gehandelt, und bietet hierfür Sachverständigenbeweis an. Anhaltspunkte dafür entnimmt sie den im Bericht des Polizeipräsidiums K. vom 10.8.2009 erwähnten privaten, gesundheitlichen und beruflichen Problemen des Versicherungsnehmers.

Die Klägerin hält die in § 9 ALB geregelte Beweislastverteilung zum Nachteil des Bezugsberechtigten gemäß §§ 307 Abs. 1 Satz 1, 309 Nr. 12 BGB für unwirksam.

Hilfsweise stützt sie ihre Ansprüche auf den Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen verzögerter Antragsbearbeitung bei Vertragsverhandlungen. Es sei nicht dargelegt, warum die angeforderten Informationen nach den Risikoprüfungsgrundsätzen der Beklagten erforderlich gewesen seien.

Die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung stellt die Klägerin nach wie vor in Abrede. Hilfsweise vertritt sie die Auffassung, mit einer Anfechtung des Hauptvertrags komme der Versicherungsvertrag über die vorläufige Deckung (mit einer Versicherungssumme von 100.000 €) zum Tragen. Dort sei die Dreijahresfrist (des § 161 Abs. 1 VVG) bereits abgelaufen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 21.6.2011 (14 O 421/10) aufzuheben und

1. die Beklagte zu verurteilen an sie 398.734,63 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 384.734,63 € seit dem 4.11.2009 nebst Zinsen in Höhe des auf den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank beruhenden durchschnittlichen Marktzinses aus 13.754,71 € seit dem 4.11.2009 zu zahlen, hilfsweise

2. die Beklagte zu verurteilen, an die C. bank AG, PLZ, Ort, 398.734,63 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 384.734,63 € seit dem 4.11.2009 nebst Zinsen in Höhe des auf den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank beruhenden durchschnittlichen Marktzinses aus 13.754,71 € seit dem 4.11.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht beginnt die Dreijahresfrist im Falle einer Einzugsermächtigung frühestens mit der Fälligkeit des Einlösungsbeitrags, hier wegen § 3 Abs. 4 Satz 1 ALB erst „nach Abschluss des Versicherungsvertrags“ am 14.8.2006.

Die in zweiter Instanz aufgestellte Behauptung der Klägerin, der Suizid sei in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit verübt worden, hält die Beklagte für präkludiert. Überdies sieht sie keine Anhaltspunkte, wonach der Versicherungsnehmer den Suizid in einem derartigen Zustand verübt haben könnte.

Was Ansprüche aus dem Vertrag über den vorläufigen Versicherungsschutz anbelangt, verneint die Beklagte die Aktivlegitimation mangels hierauf bezogener Zessionen. Abgesehen davon habe der vorläufige Versicherungsschutz mit dem Einsetzen des Versicherungsschutzes aus dem Hauptvertrag geendet und er lebe auch nicht durch die Anfechtung des Hauptvertrags wieder auf.

Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 17.5.2011 (Bl. 134 d. A.) und des Senats vom 28.3.2012 (Bl. 257 d. A.) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 21.6.2011 (Bl. 152 d. A.) Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1.

Die Frage der Aktivlegitimation der Klägerin bzw. einer zulässigen Prozessstandschaft kann offen bleiben. Jedenfalls ist ein Zahlungsanspruch aus dem Lebensversicherungsvertrag aus zwei Gründen nicht gegeben. Ihm wurde mit den Anfechtungserklärungen vom Februar 2011 die Grundlage entzogen (§§ 123 Abs. 1, 142 BGB; das Landgericht hat das offen gelassen). Unabhängig davon kommt der vom Landgericht zutreffend bejahte Risikoausschlussgrund gemäß der Selbsttötungsklausel des § 9 Abs. 1 ALB zum Tragen.

a.

Die Beklagte konnte die Annahme des Versicherungsantrags des Versicherungsnehmers gemäß § 123 Abs. 1 BGB, § 22 VVG anfechten, weil der Versicherungsnehmer sie bei der Antragstellung arglistig getäuscht hat (die Voraussetzungen sind für Altverträge – wie den streitgegenständlichen – und Neuverträge identisch, siehe Rolfs in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2008, § 22 Rdn. 3).

(1)

Die Anfechtungserklärung (§ 143 Abs. 1 BGB) ist mit dem Zugang an die Bezugsberechtigte Frau M. G. wirksam geworden. Grundsätzlich ist Anfechtungsgegner im Sinne des § 143 Abs. 1 BGB der Vertragspartner, im Fall seines Todes die Erben. In Allgemeinen Versicherungsbedingungen kann aber anderes geregelt werden. Hier bezeichnet § 7 Abs. 8 ALB den Bezugsberechtigten als bevollmächtigt, eine Anfechtungserklärung entgegenzunehmen. Das ist zulässig und begründet eine wirksame Empfangsvollmacht (Müller-Frank in: MünchKommVVG, 2010, § 22 Rdn. 46). Die Abtretung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag änderte daran nichts (vgl. Ellenberger in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 143 Rdn. 5).

(2)

Die Voraussetzungen des Anfechtungsgrunds der arglistigen Täuschung (§ 123 Abs. 1 BGB) sind erfüllt.

(a)

Eine arglistige Täuschung, die den Abschluss des Versicherungsvertrags bewirkt, setzt zunächst voraus, dass dem Versicherer gefahrerhebliche Umstände verschwiegen werden. Das war der Fall. Der Versicherungsnehmer hat in dem am 26.6.2006 ausgefüllten Antragsformular zur Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden in den letzten 5 Jahren – mit exemplarischer Bezugnahme auf Tumorerkrankungen – die Antwort „ja“ angekreuzt und diese konkretisiert durch die erläuternde Angabe „grippale Infekte, Knieschmerzen  alles ausgeheilt“. Zu der Frage nach Untersuchungen, Beratungen, Behandlungen oder Operationen in den letzten fünf Jahren beschränkte er sich auf die Angabe „Grippe, Erkältungen“. Verschwiegen hat er eine Hodenkrebserkrankung, wegen deren zwei Jahre vor Antragstellung der linke Hoden entfernt und eine Chemotherapie durchgeführt wurden.

Dass ein Tumorleiden für den Abschluss einer Lebensversicherung gefahrerheblich ist, wird von der Klägerin zwar bestritten, ist aber offenkundig und nicht beweisbedürftig (§ 291 ZPO).

(b)

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Versicherungsnehmer mit seiner Täuschung bewusst und gewollt Einfluss auf die Willensentschließung der Beklagten nehmen wollte und damit arglistig agiert hat.

Anerkanntermaßen gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass der Versicherungsinteressent, der Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen unrichtig beantwortet, stets die Absicht verfolgt, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Häufig werden unrichtige Angaben etwa aus Gleichgültigkeit oder in der Annahme gemacht, die erlittenen Krankheiten seien bedeutungslos. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer erkannt und gebilligt hat, der Versicherer werde bei wahrheitsgemäßen und vollständigen Antworten seinen Antrag nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen (BGH, Urt. v. 28.2.2007 – IV ZR 331/05 – VersR 2007, 785). Da es sich um eine innere Tatsache handelt, kann der Beweis in der Praxis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden (Senat, Urt. v. 12.10.2005 – 5 U 82/05 – VersR 2006, 824). Liegen objektive Falschangaben vor, ist es im Grundsatz Sache des Versicherungsnehmers, substanziiert plausibel zu machen, warum und wie es zu diesen gekommen ist (Senat, Urt. v. 9.1.2005 – 5 U 50/05- 6 – VersR 2006, 681).

Hier rechtfertigen die feststehenden Umstände den Schluss, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte und sich bewusst war, dass die Beklagte, wüsste sie von seiner Krebserkrankung, den Antrag nicht ohne weiteres annehmen würde (vgl. Senat, Urt. v. 3.11.2004 – 5 U 190/04 – VersR 2005, 929). Wenn nämlich ein Versicherungsnehmer schwere, chronische oder immer wieder auftretende zahlreiche oder dauerhafte Erkrankungen oder gesundheitliche Beeinträchtigungen verschweigt, dann ist schon dies ein hinreichendes Indiz für die Absicht, den Versicherer zum Vertragsschluss zu bewegen oder zum Einräumen günstiger Konditionen zu veranlassen (vgl. Senat, Urt. v. 12.10.2005 – 5 U 82/05 – VersR 2006, 824 – für den Fall einer colitis ulcerosa; siehe auch OLG Brandenburg, VuR 2009, 146; OLG Thüringen, VersR 1999, 1526; Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 22 Rdn. 5). Im Hinblick auf die Schwere einer malignen Erkrankung mit der Folge einer Hodenamputation und einer Chemotherapie wäre es lebensfremd anzunehmen, der Versicherungsnehmer sei sich ihrer beim Ausfüllen des Formulars nicht bewusst gewesen. Hinzu kommt, dass er in der Gesundheitserklärung Bagatellerkrankungen wie Erkältungen und Kniebeschwerden aufführte und damit den Eindruck erweckte, durchaus vollständige Angaben machen zu wollen, auch wenn diese ersichtlich keinen Zusammenhang mit einem erhöhten Sterberisiko aufwiesen. Eine Täuschungsabsicht ist indiziert, wenn – wie hier – an sich belanglose Erkrankungen bei gleichzeitigem Verschweigen einer gravierenden angegeben werden. Der Versicherungsnehmer konnte, selbst wenn er angenommen haben sollte, die Krebserkrankung sei ausgeheilt, nach der Formulierung der Gesundheitsfragen auch nicht auf den Gedanken gekommen sein, die Auswahl der für den begehrten Versicherungsschutz bedeutsamen Umstände obliege zumindest auch ihm selbst. Die Verwendung der Begriffe „Krankheiten, Störungen oder Beschwerden“ verdeutlichte, dass sämtliche Beeinträchtigungen anzugeben seien, ohne dass dem Antragsteller eine eigene Wertung zustünde. Die weit gefasste Offenbarungspflicht findet ihre Grenze erst bei offenkundig belanglosen oder alsbald vergehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen (Senat, Urt. v. 12.10.2005 – 5 U 82/05 – VersR 2006, 824). Solche standen hier evident nicht im Raum, und das musste der Versicherungsnehmer wissen.

Der Umstand, dass der Hausarzt als am besten über die Gesundheitsverhältnisse unterrichtet benannt wurde, steht der Annahme arglistigen Verhaltens nicht entgegen. Der Versicherungsnehmer hat sich dem Versicherer als im Wesentlichen gesund dargestellt und damit einer Nachfrage gerade vorgebeugt (vgl. BGH Urt. v. 07.03.2001 – IV ZR 254/00 – VersR 2001, 620). Durch das Benennen einer neutralen Informationsquelle wurde sogar der Schein verstärkt, der Versicherer könne sich auf die Richtigkeit der Angaben verlassen (siehe Senat, Urt. v. 12.10.2005 – 5 U 82/05 – VersR 2006, 824).

Besondere Umstände, welche die dargestellten hinreichenden Arglistindizien entkräften könnten, sind nicht ersichtlich.

(c)

Die Erklärung der Anfechtung erfolgte fristgerecht.

Gemäß § 124 Abs. 1 BGB kann die Anfechtung einer nach § 123 BGB anfechtbaren Willenserklärung nur binnen Jahresfrist erfolgen. Sie beginnt gemäß § 124 Abs. 2 BGB mit dem Entdecken der Täuschung. Entscheidend ist der Moment, in dem der Anfechtungsberechtigte von dem Irrtum und dem arglistigen Verhalten des anderen Teils erfährt und über die Täuschung bestimmte Behauptungen aufzustellen vermag (Singer/von Finkenstein in Staudinger, BGB, 2012, § 124 Rdn. 4; Hefermehl in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, § 124 Rdn. 2). Weil § 124 Abs. 2 BGB ein Wissen verlangt, sind ein Verdacht, eine Vermutung oder eine fahrlässig fortbestehende Unkenntnis nicht genügend. Andererseits muss der Getäuschte nicht sämtliche Einzelheiten kennen oder die volle Gewissheit erlangt haben. Letztlich soll es auf den „Gesamteindruck“ ankommen (Armbrüster in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 124 Rdn. 3).

Im Zusammenhang mit dem Abschluss von Versicherungsverträgen ist streitig, ob der Versicherer behandelt werden muss, als wisse er um Täuschung, Irrtum und Arglist, wenn Verdachtsmomente aufgetreten sind, denen er nachzugehen versäumte. Das ist abzulehnen. Auch hier steht die fahrlässige Unkenntnis des Versicherers, der Rückfragen trotz entsprechender Anhaltspunkte unterlässt, der positiven Kenntnis nicht gleich (OLG Hamm, VersR 1982, 85; siehe auch OLG Köln, VersR 1998, 351; Härle in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 22 Rdn. 46). In der neueren Rechtsprechung ist anerkannt, dass das Anfechtungsrecht als solches unabhängig davon besteht, ob der Versicherer Nachfrageobliegenheiten verletzt hat (siehe zuletzt BGH, Urt. v. 11.5.2011 – IV ZR 148/09 – VersR 2011, 909; Senat, Urt. v. 12.10.2005 – 5 U 31/05 – VersR 2007, 93; OLG Celle, OLGR 2009,333). Überträgt man diese Wertung auf die hier relevante Fragestellung (hierzu Rolfs in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2008, § 22 Rdn. 28), können unterbliebene Nachforschungen den Beginn der Frist des § 124 Abs. 1 BGB nicht zu Gunsten des arglistigen Versicherungsnehmers vorverlagern. Maßgeblich bleibt der Zeitpunkt der sicheren und zuverlässigen Kenntnis nach hinreichender Klärung des Sachverhalts (Knappmann in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl. 2009, § 14 Rdn. 137 i. V. m. Rdn. 88; vgl. – für den Rücktritt – BGH, Urt. v. 20.9.2000 – IV ZR 203/99 – VersR 2000, 1486).

Die Beklagte hatte diese Kenntnis erst ab dem Zeitpunkt, in dem ihr verlässliche Informationen über die Hodenkrebserkrankung und den Zeitpunkt von Diagnose und Behandlung aus ärztlicher Quelle zugegangen sind. Das war nicht vor Dezember 2010 der Fall. Damals hatte sie sich an das S. Klinikum K. gewandt mit der Bitte, Unterlagen über die Behandlung im Jahr 2009 zu übersenden. In dem daraufhin zur Verfügung gestellten Arztbericht vom 14.7.2009 (Bl. 73 d. A.) ist von der Krebsdiagnose, der Hodenentfernung im Mai 2004 und einer sich anschließende Chemotherapie die Rede. Basierend auf diesen Informationen, hat die Beklagte sodann im Februar 2011 den Vertrag fristgerecht angefochten.

Entgegen der Auffassung der Klägerin, die für eine länger als ein Jahr vor der Anfechtungserklärung erlangte Kenntnis darlegungs- und beweisbelastet ist (zur Beweislast Armbrüster in: MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 124 Rdn. 16), begann die Anfechtungsfrist nicht schon im November 2009 zu laufen. Zwar war der Beklagten schon damals die Ermittlungsakte mit dem Bericht des Polizeipräsidiums K. vom 10.8.2009 zugegangen. Dieser Bericht ließ indes nicht mit hinreichender Sicherheit auf eine arglistige Täuschung schließen. Die dort niedergeschriebenen Informationen über frühere Erkrankungen beruhten auf einem „Gespräch mit den Angehörigen und dem Geschäftspartner des Verstorbenen“. Die befragten Personen selbst hatten berichtet, der Versicherungsnehmer habe „vor mehreren Jahren an Hodenkrebs gelitten“. Zu einer späteren Untersuchung im Jahr 2009, bei welcher „Schatten auf der Lunge des Verstorbenen“ festgestellt worden seien, konnte niemand etwas Genaueres mitteilen. Auch der behandelnde Hausarzt war nicht bekannt. Soweit in der „Darstellung der Fundsituation“ im Rahmen der „Leichenbesichtigung“ unter „Auffälligkeiten“ die Angabe „Amputation des linken Hodens im – nunmehr konkretisierten – Jahr 2004 nach Krebserkrankung“ die Rede ist, beruht dieser Vermerk offensichtlich ebenfalls auf den Angaben der vor Ort befragten Personen, da ärztliche Unterlagen nicht zur Verfügung standen. Der Senat verkennt nicht, dass es demnach in dem Polizeibericht durchaus deutliche Hinweise auf ein arglistiges Verschweigen gefahrerheblicher Vorerkrankungen und -behandlungen im relevanten Fünfjahreszeitraum gegeben hatte. Allerdings begründeten die allgemein gehaltenen Informationen, welche die offenbar ihrerseits nicht umfassend informierten, etwa den Hausarzt des Verstorbenen nicht kennenden, Angehörigen in der Situation nach dem Auffinden des Leichnams aus ihrer – in der Verlässlichkeit kaum einschätzbaren – Erinnerung abgerufen hatten, allenfalls ein gewichtiges Indiz. Es musste bei der Beklagten Argwohn auslösen und hätte Anlass zu einer umgehenden weiteren Prüfung geben sollen, eine positive Kenntnis im Sinne des § 124 Abs. 2 BGB verschaffte es aber noch nicht. Zur abschließenden Klärung, ob und welche Erkrankung innerhalb des mit den Gesundheitsfragen erfassten Abfragezeitraums tatsächlich vorgelegen hatte, musste die Beklagte sich bei den behandelnden Ärzten erkundigen (in diesem Sinne – für die Rücktrittsfrist – OLG Hamm, VersR 1987, 150). Dass diese Ermittlungen, wie sie Ende des Jahres 2010 mit der Rückfrage beim Städtischen Klinikum K. erfolgten, zunächst versäumt worden waren, mag nachlässig gewesen sein, ist aber, wie dargelegt, nicht geeignet, die Anfechtungsfrist in Lauf zu setzen (siehe auch OLG Köln, VersR 1973, 1035 (für den Rücktritt): der Versicherer müsse und dürfe Ermittlungen anstellen, um sichere Kenntnis zu erlangen; im dort entschiedenen Fall hatte der Versicherungsnehmer ausweislich eines Arztberichts anamnestisch angegeben, seit etwa zehn Jahren beständen ein – bei Vertragsschluss im Mai 1968 verschwiegener – Diabetes mellitus und eine Hypertonie; nach Ansicht des OLG Köln hat der Versicherer nicht ohne weiteres erkennen können, ob eine voll erkannte und behandelte Vorerkrankung vorgelegen habe, und er sei zunächst gehalten gewesen, sämtliche Angaben unter Ausschöpfung aller ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten zu überprüfen).

Unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen treuwidrigen Kenntnisverweigerung gilt nichts anderes. Bisweilen wird es – in verschiedenen rechtlichen Zusammenhängen – einer positiven Kenntnis gleichgestellt, wenn der Anfechtungsberechtigte vor sich aufdrängenden Erkenntnissen die Augen verschließt (Singer in Staudinger, BGB, 2012, § 121 Rdn. 5). So hat der Bundesgerichtshof zu § 990 BGB ausgeführt, die Kenntnis der Nichtberechtigung zum Besitz müsste dann als erlangt gelten, wenn ein redlich Denkender sich der Überzeugung der Nichtberechtigung nicht versperren könne (BGH, Urt. v. 22.1.1958 – V ZR 27/57 – BGHZ 26, 256). Von einem treuwidriger Verschließen der Augen kann indessen dort nicht die Rede sein, wo der Sachverhalt noch nicht abschließend geklärt ist (vgl. Singer in Staudinger, BGB, 2012, § 121 Rdn. 6).

Die Erwägungen des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 10.9.2003 (IV ZR 198/02, zfs 2004,73) stellen die Annahme einer nicht schon im Jahr 2009 erlangten Kenntnis der Beklagten nicht infrage. Die dortige Fallgestaltung war der hiesigen nicht vergleichbar. Der Versicherer, bei dem der Versicherungsnehmer mehrere Verträge unterhalten hatte, hatte umfassendes Wissen über frühere Krankheiten, focht indessen nur die Annahmeerklärung zu einem dieser Verträge an. Der BGH hat angenommen, der Versicherer hätte prüfen müssen, ob sich in seinem Bestand weitere Verträge auf das Leben des Versicherten befänden und ob diese ebenfalls von den Anfechtungsgründen betroffen seien. Die in den eigenen Akten gesammelten Daten seien aktuelles und von ihr zu berücksichtigendes Wissen gewesen. Anders als hier hatten dem Versicherer mithin sämtliche Informationen in der eigenen Sphäre zur Verfügung gestanden, er hatte bloß nicht auf sie zugegriffen.

(3)

Die wirksame Anfechtung führt nicht dazu, dass der vorläufige Versicherungsschutz wieder zum Tragen kommt.

Die Klägerin meint, wegen des rückwirkenden Wegfalls des Hauptvertrags sei die vorläufige Deckung nicht beendet worden. Das geht fehl. Gemäß § 3 Abs. 2 a der Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung endet der vorläufige Versicherungsschutz dann, „wenn der Versicherungsschutz aus der beantragten Versicherung begonnen hat“. Das war mit dem Abschluss des Hauptvertrags im August 2006 der Fall. An dem damit erst einmal eingetretenen „Beginn“ gleichartigen Versicherungsschutzes – auf den auch die gesetzliche Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 VVG abstellt – ändert die spätere Anfechtung nichts. Die vorläufige Deckung war und blieb beendet. Zwar wurde mit der Anfechtung der zunächst eingetretenen materiellen Absicherung des Risikos nachträglich und wegen § 142 Abs. 1 BGB mit Rückwirkung die Grundlage entzogen. Sowohl der Wortlaut des § 52 Abs. 1 VVG als auch der dem Vertrag zu Grunde gelegten Klausel in § 3 Abs. 2 a der Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz in der Lebensversicherung (Bl. 221 d. A.) stellen jedoch klar, dass es ausschließlich auf den tatsächlichen Beginn des Versicherungsschutzes ankommt und ein späterer rückwirkender Wegfall die vorläufige Deckung nicht wieder aufleben lässt (in diesem Sinne ausdrücklich und unter beispielhafter Erwähnung der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung die Gesetzesbegründung zu § 52 VVG, BT-Drucks. 16/3945, S. 75; ebenso Klimke in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 52 Rdn. 9). Da in solchen Fällen die Auflösung des ursprünglich gewährten Versicherungsschutzes auf einem schwer schuldhaften Verhalten des Versicherungsnehmers beruht, ist auch kein schutzwürdiges Interesse erkennbar, ihm nachträglich wieder vorläufige Deckung zu verschaffen (hierzu Rixecker in: MünchKommVVG, 2010, § 52 Rdn. 21). Anders als die Klägerin meint, geht es nicht darum, die Anfechtung des Hauptvertrags als Beendigungsgrund zu definieren, obgleich weder § 3 Abs. 2 a der Bedingungen über den vorläufigen Versicherungsschutz noch § 52 Abs. 1 VVG einen solchen Beendigungsgrund vorsehen. Beendigungsgrund ist nicht die Anfechtung, sondern der von ihr nicht tangierte, in den Bedingungen wie im Gesetz erwähnte „Beginn“ des Versicherungsschutzes aus dem Hauptvertrag.

b.

Unabhängig von dem begründeten Einwand der Arglistanfechtung scheitert der Zahlungsanspruch auch an der Leistungsausschlussklausel des § 9 Abs. 1 ALB.

Versicherungsschutz besteht bei Selbsttötung vor Ablauf von drei Jahren seit Zahlung des Einlösungsbeitrages nur dann, wenn nachgewiesen wird, dass die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist.

Hier hat der Versicherungsnehmer sich innerhalb der Karenzfrist das Leben genommen. Die von der Klägerin erstmals in zweiter Instanz aufgestellte Behauptung, der Suizid sei nicht freiverantwortlich gewesen, ist im Berufungsverfahren wegen § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen, zudem nicht mit Substanz dargetan.

(1)

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die Dreijahresfrist sei erst zu dem Zeitpunkt in Gang gesetzt worden, zu dem die Beklagte von der ihr erteilten Bankeinzugsermächtigung erstmals hätte Gebrauch machen dürfen, mithin nicht vor dem Zustandekommen des Versicherungsvertrags.

Der Vertrag wurde geschlossen mit dem Zugang der Annahmeerklärung der Beklagten am 14.8.2006. Die Frist endete drei Jahre später mit Ablauf des 14.8.2006 (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB), so das der Suizid am 10.8.2006 innerhalb der Wartefrist erfolgte.

Nicht maßgeblich für den Fristbeginn war das Erteilen der Einzugsermächtigung Ende Juni 2006.

(a)

§ 9 Abs. 1 ALB stellt ab auf die „Zahlung des Einlösungsbeitrags“. Der Einlösungsbeitrag wird in § 2 ALB definiert. Dort heißt es: „Der Versicherungsschutz beginnt, wenn Sie den ersten Beitrag (Einlösungsbeitrag) gezahlt und wir die Annahme Ihres Antrags schriftlich oder durch Aushändigung des Versicherungsscheins bestätigt haben.“ Die Fälligkeit des Einlösungsbeitrages ist in § 3 Abs. 4 ALB geregelt, wonach der „erste Beitrag (…) sofort nach Abschluss des Versicherungsvertrags fällig“ wird. Ausgangspunkt für die Auslegung des Begriffs der „Zahlung“ ist der allgemeine Sprachgebrauch. Danach kommt es auf das tatsächliche Verschaffen des geschuldeten Betrags an. Eine Einziehungsermächtigung allein genügt dafür nicht (so – für einen dem hiesigen vergleichbaren Fall – BGH, Urt. v. 13.3.1991 – IV ZR 37/90 – VersR 1991, 574).

Es stellt sich die Frage, wann nun im Fall einer erteilten Abbuchungsermächtigung eine Zahlung des Einlösungsbeitrags im Sinne des § 9 Abs. 1 ALB angenommen werden kann. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Der verständige Versicherungsnehmer weiß und erschließt aus § 3 Abs. 4 ALB, dass der Einlösungsbeitrag vor Abschluss des Versicherungsvertrags nicht zu entrichten ist. Hat er bei Antragstellung eine Einziehungsermächtigung erteilt, ist ihm klar, dass der sich an die eigenen Bedingungen haltende Versicherer von ihr erst dann Gebrauch machen wird, wenn Fälligkeit im Sinne des § 3 Abs. 4 ALB eingetreten ist. Wenn nun § 9 Abs. 1 ALB den Beginn einer Frist auf die „Zahlung des Einlösungsbeitrages“ datiert, kann der Versicherungsnehmer nicht meinen, die Zahlung sei schon mit der Erteilung der Einziehungsermächtigung erfolgt. Mit ihr hat er lediglich dem Versicherer die Möglichkeit und das Recht eingeräumt, für die Zahlung, wenn sie dann nach Vertragsschluss zu erbringen ist, selbst Sorge zu tragen. Die Zahlungspflicht wandelte sich gewissermaßen zur Holschuld (vgl. BGH, Urt. v. 13.3.1991 – IV ZR 37/90 – VersR 1991, 574). Demnach ist richtigerweise ist frühestens auf den Moment abzustellen, in dem der Versicherer anstelle des Versicherungsnehmers den tatsächlichen Geldfluss hätte initiieren dürfen, mithin das Wirksamwerden der Annahme des Versicherungsantrags (in diesem Sinne schon OLG Hamm, zfs 2000, 263; zustimmend Reiff/Schneider in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, ALB 86 § 8 Rdn. 4; zur Maßgeblichkeit der Fälligkeit der Prämie auch BGH, Urt. v. 13.3.1991 – IV ZR 37/90 – VersR 1991, 574). Soweit der Senat mit Urteil vom 2.9.1998 (5 U 261/98 – VersR 1999, 85) für eine vergleichbare Selbsttötungsklausel ausgeführt hat, das Zustandekommen des Versicherungsvertrags sei neben der bedingungsgemäßen Zahlung des Einlösungsbeitrags keine Voraussetzung für den Beginn der Wartefrist, betraf das einen anderen Sachverhalt ohne die Besonderheit der Einziehungsermächtigung. Dort hatte der Versicherungsnehmer die erste Premiere schon vor der Vertragsannahme tatsächlich gezahlt, und das durfte er als bedingungsgemäße „Zahlung des Einlösungsbeitrages“ verstehen.

Das Argument der Klägerin, aus § 2 a der Allgemeinen Bedingungen für den vorläufigen Versicherungsschutz folge, dass Zahlung des Einlösungsbeitrags und Ermächtigung zum Beitragseinzug dasselbe seien, verfängt nicht. Im Gegenteil belegt das alternative Nebeneinander beider tatbestandlichen Voraussetzungen („oder“) die sachliche Differenzierung.

Ebenso wenig überzeugt der Vergleich mit § 38 VVG a. F., bei dem es als genügend angesehen wurde, wenn der Versicherungsnehmer das für eine Zahlung seinerseits Erforderliche getan hatte (vgl. Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 38 Rdn. 10). Dieses Verständnis ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die den Versicherungsnehmer möglicherweise existenziell treffende Sanktion einer Leistungsfreiheit gemäß § 38 Abs. 2 VVG a. F. nicht gerechtfertigt war, wenn er alle Voraussetzungen dafür geschaffen hatte, dass die Prämie dem Versicherer zufließen konnte. Für die formale Frage des Ingangsetzens einer Wartefrist gilt Derartiges nicht, so dass die von der Klägerin zitierte Entscheidung OLG Hamm, VersR 1984, 231, für den gegebenen Fall nichts hergibt.

Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers sieht der Senat nicht. Die Klägerin macht darauf aufmerksam, dass es allein der Versicherer in der Hand habe, zu einem beliebigen Zeitpunkt von der Einzugsermächtigung Gebrauch zu machen und dadurch die Wartefrist in Gang zu setzen. Das überzeugt nicht. Wie oben ausgeführt, begann die Frist unter den gegebenen Bedingungen nicht vor dem Vertragsschluss am 14.8.2006 zu laufen. Ein Hinauszögern der Abbuchung von Seiten der Beklagten stand weder im Raum, noch hätte es auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung, die gar nicht auf den tatsächlichen Zahlungseingang beim Versicherer abstellt, zum Nachteil des Versicherungsnehmers gewirkt.

Die – komplizierte – Argumentation der Klägerin mit dem Sinn der Wartefrist und der Überlegung, wegen des vorläufigen Versicherungsschutzes beginne die Vermutung, die Versicherung werde wegen einer geplanten Selbsttötung genommen, bereits mit Antragseingang und entfalle genau drei Jahre später, geht fehl. Die Formulierung des § 9 Abs. 1 ALB und die hier vertretene Interpretation des maßgeblichen Terminus’ der Zahlung des Einlösungsbeitrags werden damit nicht in Frage gestellt.

Was die Ausführungen zu materiellem, formellem und technischem Versicherungsbeginn und der Bezugnahme auf die Kommentierung von Winter (in: Bruck/Möller, VVG, 8. Aufl. 1988, Anm. G 132) anbelangt, so heißt es dort zwar, die Karenzzeit sei „vom eigentlichen materiellen Versicherungsbeginn an zu rechnen“, was sich aus § 8 ALB und den entsprechenden Bestimmungen der übrigen Bedingungswerke“ ergebe, wo als Beginn der Karenzzeit die Zahlung des Einlösungsbeitrages festgelegt werde, „also derjenige Zeitpunkt, zu dem nach dem Einlösungsprinzip des § 38 Abs. 2 (VVG a. F.) der materielle Versicherungsschutz“ beginne. Weiter ist dann aber ausgeführt, das bedeute nicht, dass die Wartezeit schon zu laufen beginne, wenn der Einlösungsbeitrag bereits gezahlt, der Vertrag aber noch nicht wirksam zu Stande gekommen sei; Voraussetzung für den Beginn der Wartezeit sei der Abschluss des Lebensversicherungsvertrags und die Zahlung der Einlösungsprämie (Winter in: Bruck/Möller, VVG, 8. Aufl. 1988, Anm. G 132). Das entspricht der hier vertretenen Auslegung.

Der Hinweis der Klägerin, dass dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer die Unterscheidung zwischen formellem, materiellem und technischem Versicherungsbeginn unbekannt sei, trifft wohl zu (vgl. BGH, Urt. v. 13.3.1991 – IV ZR 37/90 – VersR 1991, 574: der Versicherungsnehmer verstehe unter „Versicherungsbeginn“ den Beginn des Versicherungsschutzes, also den „materiellen“ Versicherungsbeginn). Das besagt aber nichts für die Frage, wann er in den Fällen einer Einziehungsermächtigung von einer bedingungsgemäßen Zahlung im Sinne des § 9 Abs. 1 ALB ausgehen kann. Das ist – wie oben erläutert und auch vom BGH in der eben zitierten Entscheidung, die den Beginn des materiellen Versicherungsschutzes gerade nicht als relevant anerkennt, so gesehen (BGH, Urt. v. 13.3.1991 – IV ZR 37/90 – VersR 1991, 574) – erst mit Vertragsschluss und der dadurch ausgelösten Fälligkeit der Erstprämie der Fall. Der Begriff des wie auch immer verstandenen „Versicherungsbeginns“ ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung.

(b)

Die Wirksamkeit einer Selbsttötungsklausel mit Wartefrist war in Rechtsprechung und Literatur unter der Geltung des alten Versicherungsvertragsrechts anerkannt (siehe nur BGH, Urt. v. 13.10.1993 – IV ZR 220/92 – VersR 1994,162; Kollhosser in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 8 ALB 86).

Unter der Geltung des für den hiesigen Versicherungsfall wegen Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 EGVVG nunmehr einschlägigen § 161 VVG (siehe hierzu die zutreffenden Ausführungen S. 7/8 des landgerichtlichen Urteils, Bl. 158/159 d. A.) gilt nichts anderes. Das Landgericht hat dargelegt, die Leistungsfreiheit des Versicherers sei gemäß § 161 Abs. 1 Satz 1 VVG in geringfügiger Abweichung von § 169 VVG a. F. ausgestaltet. Nunmehr gelte auch von Gesetzes wegen eine dreijährige Karenzfrist. Mit Blick auf die Unterschiede in Bezug auf den Fristbeginn – Vertragsschluss bei § 161 Abs. 1 Satz 1 VVG, Zahlung des Einlösungsbeitrags bei § 9 Abs. 1 ALB – hat es die Ansicht vertreten, diese seien unschädlich, sofern die Zahlung des Einlösungsbeitrags tatsächlich nicht nach Abschluss des Vertrags erfolge. Andernfalls sei die Klausel durch Auslegung dahin zu korrigieren, dass die Zahlung des Einlösungsbeitrags nur dann relevant sei, wenn er dem Vertragsschluss – wie hier nicht – vorausgegangen sei (S. 8 des Urteils, Bl. 159 d. A.). Diese Erwägungen sind richtig. Nach § 171 VVG darf von der Regelung des § 161 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers nicht abgewichen werden. Versäumt es der Versicherer, seine Bedingungen dem neuen Recht anzupassen, sind Klauseln, die gegen einseitig zwingende Normen verstoßen oder mit wesentlichen Grundgedanken der neuen Regelung nicht vereinbar sind, unwirksam. An die Stelle der unwirksamen Regelung tritt dann gemäß § 306 Abs. 2 BGB die gesetzliche (Brand in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl. 2011, Art. 1 EGVVG Rdn. 30, 31). Für den vorliegenden Fall hat das zur Konsequenz, dass – im Sinne der vom Landgericht vertretenen Ansicht – § 161 VVG in die Ausschlussklausel des § 9 Abs. 1 ALB hinein zu lesen ist. Unter den gegebenen Umständen – Beginn der Wartefrist nach den Versicherungsbedingungen mit Zahlung des Einlösungsbeitrages, die nicht vor Zugang der Annahmeerklärung erfolgte – ist der Vertragsschluss der Umstand, an den für den Fristbeginn anzuknüpfen ist (siehe – auch mit Blick auf von § 161 VVG abweichende Regelungen in Allgemeinen Versicherungsbedingungen – Peters in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl. 2011, § 161 Rdn. 7; ebenso Reiff/Schneider in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, ALB 86 § 8 Rdn. 4: bei Erteilung einer Einziehungsermächtigung sei „jetzt für den Fristbeginn also immer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen“).

(c)

Die Auffassung der Klägerin, § 9 Abs. 1 ALB verstoße wegen der dort geregelten Beweislastverteilung gegen § 309 Nr. 12 BGB und auch gegen das Verbot unangemessener Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, trifft nicht zu. Die Beweislastverteilung des § 9 Abs. 1 ALB entspricht derjenigen des § 161 VVG. Eine Klausel, die eine gesetzliche Vorschrift wiederholt, ist kontrollfest. Das liegt schon deshalb auf der Hand, weil sie ansonsten – ohne erkennbaren Sinn, weil ohne Vorteil für den Vertragspartner des Verwenders – gemäß § 306 Abs. 2 BGB durch die inhaltsgleiche Norm ersetzt werden müsste. Das Gesetz stellt das in § 307 Abs. 3 BGB klar. Die Auffassung der Klägerin, § 307 Abs. 3 BGB komme hier nicht zum Tragen, teilt der Senat nicht. Dass § 161 Abs. 1 VVG eine Abweichung zu Gunsten des Versicherungsnehmers erlaubt, ändert nichts daran, dass er selbst sie eben nicht normiert und dass § 9 Abs. 1 ALB ihm deshalb entspricht. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, ob der Wortlaut des § 161 Abs. 1 Satz 2 eine „ausdrückliche Beweislastverteilung“ vorsieht. Es ist allgemein anerkannt und beruht auf den Grundsätzen der Auslegung von Vorschriften mit Ausnahmecharakter („dies gilt nicht (…)“, § 161 Abs. 1 Satz 2 VVG), dass der Anspruchsteller die Voraussetzungen einer nicht auf einem freien Willen beruhenden Selbsttötung zu beweisen hat (siehe nur Schneider in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 161 Rdn. 24; Ortmann in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 161 Rdn. 22). Deshalb entspricht die Regelung im Hinblick auf die Beweislastverteilung der Klausel des § 9 Abs. 1 ALB trotz des Umstands, dass sie, anders als diese, das Wort „nachweist“ nicht verwendet. Der Hinweis der Klägerin auf eine nicht durch Erlaubnisnormen einschränkbare AGB-Kontrolle von Verbraucherverträgen, passt nicht. § 161 VVG ist keine mit Blick auf die Kontrollfähigkeit möglicherweise problematische besondere Erlaubnisnorm, welche Spielräume für vom Gesetzgeber nicht bedachte spezifische Gefahren eines formularmäßigen Gebrauchmachens eröffnen würde (hierzu die von der Klägerin zitierte Kommentierung von Kieninger in: MünchKommBGB, 5. Aufl. 2007, § 307 Rdn. 11).

Die von der Klägerin vorgetragenen Erkenntnisse neuerer empirischer Forschungen zum Selbstmord, auf welche sich Harrer/Mitterauer in der von ihr zitierten Abhandlung stützen (VersR 2007, 579), mögen – wenn überhaupt – de lege ferenda relevant sein, de lege lata sind sie es nicht (siehe zum insoweit klaren Gesetzeswortlaut auch Ortmann in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 161 Rdn. 23, auch Harrer/Mitterauer, VersR 2007, 579, sprechen lediglich die Empfehlung aus, an der lex lata nicht festzuhalten).

(2)

Dem Risikoausschluss gemäß § 9 Abs. 1 ALB kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, es habe eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit vorgelegen, aufgrund deren eine freie Willensbestimmung zum Zeitpunkt des Suizids ausgeschlossen gewesen wäre.

(a)

Die Klägerin ist mit diesem Vorbringen im Berufungsverfahren gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

Gemäß § 531 Abs. 2 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen, wenn sie einen vom Erstgericht erkennbar übersehenen oder für unerheblich gehalten Gesichtspunkt betreffen oder wenn sie infolge eines Verfahrensmangels nicht geltend gemacht worden sind oder aus sonstigen Gründen, ohne dass diese auf einer Nachlässigkeit der Partei beruhten.

Erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten im Sinne des § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO hat das Landgericht in Bezug auf die Hintergründe des Selbstmords und die Frage einer freien Willensbestimmung hier nichts. Zu keinem Zeitpunkt hatte die Klägerin – hierfür sowohl gemäß § 161 VVG als auch nach § 9 Abs. 1 ALB darlegungsbelastet – sich in erster Instanz auf Derartiges berufen. Eine Veranlassung, auf entsprechende Erklärungen hinzuwirken, bestand wegen des Beibringungsgrundsatzes und auch unter dem Gesichtspunkt der gebotenen richterlichen Neutralität nicht. Für einen Verfahrensmangel (§ 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist ebenfalls nichts ersichtlich. Ebenso wenig sind die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO gegeben. Wenn eine Partei im ersten Rechtszug Tatsachen nicht vorgetragen hat, obwohl ihr dies objektiv möglich gewesen wäre, hängt die Zulassung neuen Vorbringens in zweiter Instanz davon ab, ob sie bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt die Entscheidungsrelevanz des Vorbringens hätte erkennen können. Fahrlässigkeit schadet (zum Vorstehenden Ball in: Musielak, ZPO, 8. Aufl. 2011, § 531 Rdn. 19). Der vorliegenden Rechtsstreit betraf von Beginn an im Wesentlichen die Frage, ob die Beklagte sich auf den in § 9 Abs. 1 ALB geregelten Risikoausschluss bei Selbsttötung berufen kann. Schon in erster Instanz war der Inhalt des Polizeiberichts vom 10.8.2006, der den Inhalt der Gespräche mit Angehörigen zu den Hintergründen des Suizids enthält, Prozessstoff. In der Berufungsbegründung beruft die Klägerin sich nunmehr nicht etwa auf später zu Tage getretene Erkenntnisse über die den Versicherungsnehmer zur Selbsttötung treibende Geisteslage. Explizit gibt sie lediglich Teile des Inhalts des polizeilichen Ermittlungsberichts wieder. Warum sie die Relevanz dieser Umstände nicht schon in erster Instanz hätte sehen können und warum es ihr erst im Berufungsverfahren möglich geworden sein sollte, zu den Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ALB vorzutragen, sagt sie nicht, und es ist auch nicht ersichtlich.

(b)

Dessen ungeachtet hat die Klägerin auch in der Sache nicht substanziiert dargetan, dass der Versicherungsnehmer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden hätte. Der angebotene Sachverständigenbeweis wäre nicht zu erheben.

Ein Ausschluss der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider noch möglich war oder ob umgekehrt infolge der Geistesstörung äußere Einflüsse den Willen übermäßig beherrschten (Ortmann in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 161 Rdn. 10). Eine allgemeine emotionale Psychose ist für eine Selbsttötung charakteristisch und noch keine krankhafte Störung (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1468; Ortmann in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 161 Rdn. 14), ebenso wenig eine bloße Willensschwäche, Erschöpfungszustände oder depressive Verstimmungen, solange der steuerbare Wille noch Einfluss auf die Entscheidung des Versicherten hat. Wichtiges Kriterium bei der Beurteilung der Frage, ob unkontrollierbare Triebe und Vorstellungen in den Tod getrieben haben, ist in aller Regel das Fehlen nachfühlbarer Motive (Peters in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl. 2011, § 161 Rdn. 10)

Denjenigen, der sich auf den fehlenden freien Willen des Versicherungsnehmers beruft und die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens beantragt, treffen spezifische Anforderungen an die Substanziierung des Sachvortrags. Einem Sachverständigen müssen ausreichend gesicherte Anknüpfungstatsachen über Persönlichkeit und Verhalten des Verstorbenen geboten werden, die ihm erlauben, tragfähige Schlüsse in Bezug auf dessen geistigen und psychischen Zustand zu ziehen (vgl. OLG Koblenz, VersR 2001, 445; OLG Köln, r+s 1993, 75; Peters in: Looschelders/Pohlmann, VVG, 2. Aufl. 2011, § 161 Rdn. 21; Brambach in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 2009, § 161 Rdn. 15; Ortmann in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 161 Rdn. 33). Wäre der Sachverständigenbeweis reine Ausforschung, ist das Gericht zur Beweiserhebung nicht gehalten (Ortmann in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 161 Rdn. 34).

An substanziiertem Vortrag im vorstehend dargelegten Sinne fehlt es. Die Klägerin gibt Teile des polizeilichen Ermittlungsberichts wieder: Der Versicherungsnehmer habe bei einem Familientreffen einen stark in sich gekehrten und zerstreuten Eindruck gemacht. Zudem sei er wegen eines grippalen Infekts erschöpft gewesen. Er habe sich von seiner langjährigen Lebensgefährtin getrennt und im Jahr 2009 über mehrere Monate psychologische Hilfe in Anspruch genommen, weil er beruflich belastet gewesen sei. Ferner habe er 200.000 € vom Geschäftskonto abgebucht, die in der Woche des Selbstmords wieder hätten ausgeglichen werden sollen. Er habe auch einen Abschiedsbrief hinterlassen. Der Senat wäre auf dieser Grundlage nicht gehalten, Sachverständigenbeweis zu erheben. Zwar darf vom Anspruchssteller als Laien keine umfassende und stimmige Schilderung aller in Betracht kommenden Indiztatsachen verlangt werden (BGH, Urt. v. 5.2.1997 – IV ZR 79/96 – VersR 1997, 687; im dortigen Fall hatte die Klägerin allerdings ein Parteigutachten vorgelegt). Hier beschränkt die Klägerin sich aber darauf, gesundheitliche, berufliche und private Probleme des Versicherungsnehmers darzutun. Das genügt nicht zur Beurteilung einer krankhaft ausgeschlossenen freien Willensbildung. Vielmehr können solche Probleme für ein nachvollziehbares Motiv und damit gegen einen die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand sprechen (siehe OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1468; Ortmann in: Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 161 Rdn. 39).

c.

Die Klageforderung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen der Verletzung vorvertraglicher Pflichten gemäß § 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 249 Abs. 1 BGB begründet. Die Klägerin meint, die Beklagte habe die Vertragsannahme mit einer Bearbeitungszeit von sechs Wochen unangemessen hinausgezögert. Abgesehen davon, dass der Senat diese Einschätzung im Hinblick auf die zeitnah angeforderten und erst im August vollständig zur Verfügung stehenden Gesundheitsdaten nicht teilt, würde selbst eine verzögerte Bearbeitung den Anspruch nicht tragen. Eine Ersatzpflicht besteht nur für solche Schäden, die nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Geht es um die Verletzung (vor-)vertraglicher Pflichten, müssen Nachteile entstanden sein, zu deren Abwendung die verletzte Pflicht übernommen worden ist (siehe nur Vieweg in: Staudinger, BGB, Eckpfeiler des Zivilrechts – J. Schadensersatzrecht, Rdn. 124). Daran fehlt es. Die Pflicht, alsbald über die Annahme eines Versicherungsantrags zu entscheiden, trifft den Versicherer deshalb, weil der Versicherungsnehmer die Möglichkeit haben muss, sich gegebenenfalls rechtzeitig anderweitigen Versicherungsschutz zu beschaffen. Wird er davon durch eine überlange Bearbeitungsdauer abgehalten, bleiben in diesem Zeitraum eingetretene Schäden ungedeckt (siehe Senat, Urt. v. 11.1.2006 – 5 U 584/04 – VersR 2006, 1345). Das Gebot einer zügigen Bearbeitung verfolgt hingegen nicht den Zweck, bedingungsgemäße Karenzfristen möglichst schnell in Gang zu setzen, damit ein mehrjähriger Risikoausschluss für den – vom Versicherungsnehmer herbeigeführten – Versicherungsfall des Suizids früher endet.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die von der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung für grundsätzlich erachteten Fragen sind in Rechtsprechung und Literatur hinreichend geklärt.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 398.734,63 €.

 

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