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Krankenversicherung – Erhebung eines individuellen Risikozuschlags bei Tarifwechsel

LG München I – Az.: 25 S 2896/14 – Urteil vom 17.12.2014

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 27.01.2014, Az. 122 C 24764/13, abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

2. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 2.875,32 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten, bei dem im November 2010 seitens des Klägers beantragten Wechsel in der bestehenden Krankheitskostenversicherung aus dem Tarif VS600 in den Tarif AM-P90 einen Risikozuschlag zu verlangen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Mit Urteil des Amtsgerichts München vom 27.01.2014 wurde festgestellt, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, bei einem Wechsel des Klägers in der bestehenden Krankheitskostenversicherung aus den Tarifen VS600 und VSZ2 in den Tarif AM-P90 neben der Vereinbarung eines Leistungsausschlusses hinsichtlich der Mehrleistung einen Risikozuschlag zu verlangen. Hinsichtlich der geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,50 EUR wurde die Klage im Übrigen abgewiesen.

Das Amtsgericht München hatte dies im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger bei Neuabschluss des Zieltarifs im Jahr 2010 ein optimales Risiko wäre, das keinen Risikozuschlag zur Prämie rechtfertigen würde, weil die Nierensteinzertrümmerung bei dem Kläger 14 Jahre zurücklag. Der Kläger hatte bei Antragstellung im Jahr 1998 ein vier Jahre vor Antragstellung zurückliegendes Leiden angegeben, welches auch bis zum Antragszeitpunkt keinerlei Beschwerden mehr verursachte. Nachdem regelmäßig lediglich Gesundheitsrisiken sowie Behandlungen der letzten 5-10 Jahre vor Antragstellung im Rahmen der Erhebung zu gefahrerheblichen Umständen bei Neuabschluss mitgeteilt werden müssten, ging das Amtsgericht München davon aus, dass die Risikobewertung insoweit basierend auf dem Zeitpunkt des Antrages auf Tarifwechsel im Jahr 2010 und nicht rückblickenden zum Zeitpunkt des ursprünglichen Abschlusses der verfahrensgegenständlichen Krankheitskostenversicherung im Jahr 1998 hätte erfolgen müssen.

Die Klageabweisung im Übrigen hinsichtlich der geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten begründete das Amtsgericht München damit, dass ein entsprechender Anspruch des Klägers nicht besteht, nachdem die Rechtsauffassung der Beklagten vertretbar sei und ihre bisherige Weigerung daher keine Pflichtverletzung darstelle.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 27.01.2014 hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 11.02.2014 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsätzen vom 31.03.2014, 07.05.2014 und 09.07.2014 begründet.

Die Beklagte wendet unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes gegen das erstinstanzliche Urteil ein, dass sie berechtigt sei, bei dem im November 2010 seitens des Klägers beantragten Wechsel in der bestehenden Krankheitskostenversicherung aus den Tarifen VS600 und VSZ2 in den Tarif AM-P90 einen Risikozuschlag in Höhe von 32,96 EUR monatlich zu verlangen. Die Berechtigung der Beklagten für die Erhebung dieses Risikozuschlages ergebe sich aus der seit Vertragsbeginn im Jahr 1998 bestehenden Risikoeinstufung im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Klägers als „Zustand nach Nierenstein“, da bei einem Tarifwechsel der bei Vertragsbeginn festgestellte Gesundheitszustand maßgeblich sei. Nach § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG habe der Kläger als Versicherungsnehmer einen Anspruch auf Tarifwechsel unter Anrechnung der erworbenen Rechte und der Altersrückstellung. Weiter dürfe die Beklagte als Versicherer aus diesem Grund bei einem Tarifwechsel entgegen der Auffassung des Amtsgerichts München gerade nicht den aktuellen Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des beantragten Wechsels zugrunde legen. Bei den Tarifen VS600 und VSZ 2 handele es sich um Pauschaltarife, bei denen in der Grundprämie bereits eine große Bandbreite von Risiken abgedeckt sei. Demgegenüber handele es sich bei dem Tarif AM-P90 um einen Tarif, in dessen Grundprämie nur sehr wenige Risiken abgedeckt seien, so dass für eine Vielzahl von Risiken Risikozuschläge erhoben werden. Die Beklagte sei als Versicherer auch nicht dazu verpflichtet, von sich aus zu überprüfen, ob sich die Risikosituation des Klägers als Versicherungsnehmer verbessert habe. Das Gesetz sehe insofern vielmehr nur ein Herabsetzungsrecht des Versicherungsnehmers nach § 41 VVG vor, wonach der Versicherungsnehmer den Wegfall oder die Verminderung eines Risikozuschlages verlangen müsse und er auch die Beweislast dafür trage, dass das erhöhte Risiko weggefallen sei. Ein derartiges Herabsetzungsrecht gemäß § 41 VVG habe der Kläger jedoch bislang nicht geltend gemacht.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Amtsgerichts München vom 27.01.2014 abzuändern, soweit festgestellt wurde, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, bei einem Wechsel des Klägers in der bestehenden Krankheitskostenversicherung aus dem Tarif VS600 in den Tarif AM-P90 neben der Vereinbarung eines Leistungsausschlusses hinsichtlich der Mehrleistung einen Risikozuschlag zu verlangen, und die Klage auch insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil, soweit dieses durch die Berufung der Beklagten angegriffen wird. Insofern ist der Kläger der Ansicht, dass das Amtsgericht München zutreffend davon ausgegangen sei, dass der Gesundheitszustand des Klägers weder im Jahr 2010, noch im Jahr 1998 einen Risikozuschlag wegen der im Jahr 1994 erfolgten Nierensteinzertrümmerung rechtfertige. Bereits im Zeitpunkt der Antragstellung habe der Kläger ein „bestes“ Risiko dargestellt und mithin habe weder nach den Risikoprüfungsgrundsätzen des Herkunfts-, noch den Prüfungsgrundsätzen des Zieltarifes die Rechtfertigung für einen Risikozuschlag bestanden. Selbst wenn man den Erwägungen der Beklagten in der Berufung folgend annehme, dass das Amtsgericht München einen falschen Prüfungsmaßstab angewendet habe, müsse das erstinstanzliche Urteil Bestand haben. Denn die Beklagte als Versicherer habe kein Recht anlässlich des Tarifwechsels des Klägers einen Risikozuschlag zu verlangen, soweit der Versicherungsnehmer von seiner Abwendungsbefugnis Gebrauch mache. Der Gesetzgeber habe mit der Vorschrift des § 204 Abs. 1 Satz 1 VVG eine abschließende Regelung darüber getroffen, unter welchen Voraussetzungen eine Zuschlagserhebung bei einem Tarifwechsel durch den Versicherungsnehmer erfolgen könne. Auch seien die bei einem Tarifwechsel zu berücksichtigenden erworbenen Rechte einzig die konkrete Risikoeinstufung und gerade nicht der tatsächliche Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers bei Vertragsabschluss, da zugunsten des Versicherungsnehmers diejenige. Bewertung geschützt werden soll, die der Versicherer im Zeitpunkt des Erstvertragsschlusses getroffen hat.

Weiter führte der Kläger erstmalig in der Berufungsinstanz aus, dass der Kläger bei der ursprünglichen Antragstellung im Jahr 1998 gegenüber der Beklagten mittels einer ärztlichen Bescheinigung des behandelnden Arztes nachgewiesen habe, dass bei ihm keine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Nierensteinerkrankung bestehe, sowie dass dies die Beklagte damals dazu veranlasst habe, den Kläger als bestes Risiko einzustufen und keinen Risikozuschlag zu erheben.

Außerdem führte der Kläger erstmalig in der Berufungsinstanz aus, dass er sich über die Erwägungen des Amtsgerichts München hinaus auch auf § 41 VVG berufen könne. Ein Herabsetzungsverlangen des Klägers sei dabei bereits seinen vorprozessualen Einwänden gegen den von der Beklagten beanspruchten Risikozuschlag zu entnehmen. Es sei erstinstanzlich vorgetragen und unter Beweis gestellt worden, dass wegen des Bagatellcharakters der jahrelang zurückliegenden Nierensteinzertrümmerung ein Risikozuschlag auch nach der Kalkulation des Zieltarifes nicht angemessen sei, so dass spätestens damit ein Herabsetzungsverlangen formuliert worden sei.

Weiter hat der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 27.01.2014 mit Schriftsatz vom 30.05.2014 Anschlussberufung eingelegt, soweit die Klage hinsichtlich der geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,50 EUR im Übrigen abgewiesen wurde.

Der Kläger wendet mit der Anschlussberufung ein, dass das Amtsgericht München rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, dass ein Verschulden hinsichtlich der rechtswidrigen Weigerung der Beklagten, einen Tarifwechsel ohne Erhebung eines Risikozuschlages vorzunehmen, ausscheide, weil die Rechtsauffassung der Beklagten vertretbar sei. Entsprechend den sich aus dem Urteil des BGH vom 30.04.2014, Az. VIII ZR 103/13 ergebenden Grundsätzen sei nämlich wenigstens eine leichte Fahrlässigkeit der Beklagten zu bejahen.

Der Kläger beantragt, unter teilweisen Abänderung des Urteils des Amtsgerichts München vom 27.01.2014 die Beklagte weiter zu verurteilen, den Kläger vom Anspruch der Rechtsanwälte … auf Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 147,50 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte begründet dies damit, dass bereits die Annahme des Amtsgerichts München, der Beklagten sei eine Pflichtverletzung vorzuwerfen, falsch gewesen sei, so dass folglich bereits deswegen die Nebenforderung abzuweisen gewesen wäre. Darüber hinaus liege ein Verschulden der Beklagten vor dem Hintergrund der ganz herrschenden Meinung nicht vor.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen Dr. … und … . Zum Ergebnis dieser Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2014 verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf sämtliche Schriftsätze der Parteien sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2014 Bezug genommen.

II.

Berufung der Beklagten

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Das Urteil des Amtsgerichts München vom 27.01.2014 ist abzuändern, soweit festgestellt wurde, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, bei einem Wechsel des Klägers in der bestehenden Krankheitskostenversicherung aus den Tarifen VS600 und VSZ2 in den Tarif AM-P90 neben der Vereinbarung eines Leistungsausschlusses hinsichtlich der Mehrleistungen einen Risikozuschlag zu verlangen. Auch insoweit ist die Klage abzuweisen.

1. § 204 Abs. 1 Nr. 1 VVG als gesetzliche Grundlage

Die gesetzliche Grundlage für den verfahrensgegenständlichen Antrag des Klägers auf Wechsel aus den Tarifen VS600 und VSZ2 in den Tarif AM-P90 ist die Regelung des § 204 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

Unzutreffend ging das das Amtsgericht München mit Urteil vom 27.01.2014 hierbei davon ausging, dass die Risikobewertung basierend auf dem Zeitpunkt des Antrages auf Tarifwechsel im Jahr 2010 und nicht rückblickenden zum Zeitpunkt des ursprünglichen Abschlusses der verfahrensgegenständlichen Krankheitskostenversicherung im Jahr 1998 hätte erfolgen müssen.

Denn – entsprechend der Rechtsprechung des BVerwG, vgl. Urteil vom 05.03.1999, Az. 1 A 1/97 sowie Urteil vom 23.06.2010, Az. 8 C 42/09 – ist zu berücksichtigen, dass bei einem Tarifwechsel gerade kein neuer Versicherungsvertrag abgeschlossen wird, sondern der bisherige Vertrag nach Maßgabe des neuen Tarif fortgesetzt wird. Konsequenz hieraus ist, dass die aus dem bisherigen Vertrag erworbenen Rechte bei einem Tarifwechsel nicht wegfallen, sondern anzurechnen sind. Zu diesen erworbenen Rechten gehört auch die Risikoeinstufung, die der Versicherer aufgrund des von ihm überprüften Gesundheitszustandes des Versicherten bei Beginn des Vertrages als für den Vertrag maßgebend festgelegt hat.

Entscheidend für den Tarifwechselantrag des Klägers ist somit die Risikobewertung der Beklagten zum Zeitpunkt des ursprünglichen Abschlusses der verfahrensgegenständlichen Krankheitskostenversicherung im Jahr 1998. Weiter ist zu berücksichtigen, dass sich hierbei aus dem § 204 Abs. 1 Nr. 1 VVG auch kein Verbot dafür ergibt, Risikozuschläge zu verlangen, wenn im bisherigen Tarif höhere Risiken durch eine Pauschalprämie berücksichtigt wurden und deswegen im bisherigen Tarif keine Risikozuschläge zu zahlen waren.

2. Unterschiedliche Kalkulationsstruktur der Tarife VS600 und VSZ2 sowie des Tarifs AM-P90

Die Kammer geht aufgrund der nachvollziehbaren, in sich schlüssigen und damit glaubhaften Angaben des Zeugen …, der bei der Beklagten Leiter eines Referates ist, in, dem die hier relevanten Tarife kalkuliert werden, davon aus, dass die bisherigen Tarife VS600.und VSZ2 sowie der neue Tarif AM-P90 eine unterschiedliche Kalkulationsstruktur haben. Aufgrund der glaubhaften Angaben des Zeugen … hierzu geht die Kammer insbesondere von Folgendem aus:

Bei den Tarifen VS600 und VSZ2 handelt es sich um Pauschaltarife mit denen ambulante, stationäre und zahnärztliche Heilbehandlungen abgedeckt werden. Die Tarife VS 600 und VSZ2 sind hierbei so kalkuliert, dass in der Grundprämie bereits eine große Bandbreite möglicher Risiken, die sich durch die jeweilige konkrete Risikoprüfung anhand der vom Versicherten beantworteten Gesundheitsfragen ergeben, abgedeckt ist. Bei diesen Tarifen werden folglich Risikozuschläge nur vergleichsweise selten erhoben. Weitere Konsequenz ist jedoch, dass die Grundprämie dieser Tarife bereits höher kalkuliert ist.

Demgegenüber handelt es sich bei dem erst seit dem Jahr 2007 bestehenden Tarif AM-P90 nicht um einen Pauschaltarif, sondern um einen Tarif, bei dem nur sehr wenige Risiken über dessen Grundprämie abgedeckt sind. Folglich ist die Grundprämie dieses Tarifes niedriger als die Grundprämie des Tarifes VS600. Weitere Folge ist jedoch, dass für eine Vielzahl von Risiken, die nicht von der niedrigeren Grundprämie des Tarifs AM-P90 abgedeckt sind, Risikozuschläge erhoben werden, um auf diese Weise einen Ausgleich zwischen den niedrigeren Grundprämien und dem abzudeckenden Gesamtschaden zu schaffen.

Da es bei Einführung des Tarifes AM-P90 im Jahr 2007 noch keine ausreichende Datenbasis für eine Kalkulation gegeben hatte, wurde dieser Tarif unter anderem anhand des Tarifes VS600 als Stütztarif kalkuliert. Bei dieser Kalkulation wurde auf der Grundlage des Tarifs VS600 zunächst der voraussichtliche Kopfschaden errechnet, in dem man die insgesamt angefallenen Schäden in Abhängigkeit von Altersgruppen auf die Anzahl der Versicherten umlegt. Die in dem Tarifen VS600 erhobenen Risikozuschläge wurden hierbei vorher abgezogen. Anschließend ergibt sich der jeweilige Kopfschaden für die Einzelalter im Wege der Interpolation. In der Folge wurden dann die jeweiligen Kopfschäden auf das Leistungsversprechen in dem Tarif AM-P 90 umgerechnet und durch einen Faktor kleiner als 1 an die andere Tarifstruktur des neuen Tarifs AM-P 90 angepasst. Durch diesen Faktor kleiner als 1 wurde ausgedrückt, dass die Grundprämie des neue Tarifs AM-P90 nicht sämtliche Grundrisiken beinhaltet, die in der Grundprämie des alten Tarif VS600 beinhaltet waren. Der Faktor kleiner als 1 wurde dabei von einer Firma R. Consulting auf der Grundlage von einer Vielzahl von Daten verschiedener Versicherter errechnet. In die Kalkulation dieses Faktors kleiner als 1 wurde letztlich zugunsten der Tarifwechsler weiter berücksichtigt, dass dieser Faktor nicht nur die Tarifwechsler, sondern auch Neukunden abdecken soll.

Damit hat sich der Sachvortrag der Beklagten hinsichtlich der unterschiedlichen Tarifstrukturen der Tarife VS600 und VSZ2 auf der einen Seite sowie dem Tarif AM-P90 auf der anderen Seite und die jeweilige Tarifkalkulation bestätigt.

3. Risikozuschlag für Gesundheitszustand „Zustand nach Nierensteinzertrümmerung“

Die Kammer geht aufgrund der nachvollziehbaren, in sich schlüssigen und damit glaubhaften Angaben des Zeugen … der bei der Beklagten als Versicherungskaufmann beschäftigt ist, davon aus, dass die Beklagte berechtigt ist, bei dem verfahrensgegenständlichen Antrag des Klägers auf Wechsel in den neuen Tarif AM-P90 einen Risikozuschlag hinsichtlich des Gesundheitszustandes „Zustand nach Nierensteinzertrümmerung“ zu verlangen. Aufgrund der glaubhaften Angaben des Zeugen … hierzu geht die Kammer insbesondere von Folgendem aus:

Die Beklagte geht davon aus, dass bei Personen, die bereits einmal einen Nierenstein hatten, ein erhöhtes Risiko dafür besteht, dass nochmals ein Nierenstein auftritt. Von einem derartigen Rezidivrisiko des Klägers war die Beklagte auch im Jahr 1998 – also zu dem Zeitpunkt des ursprünglichen Vertragsabschlusses – ausgegangen. Zu diesem Zeitpunkt wurde für dieses Risikos seitens der Beklagten jedoch kein Risikozuschlag zu der Grundprämie des Tarifes VS600 erhoben, da der Nierenstein von dem Kläger als zertrümmert angegeben worden war, dies für die Beklagte einer Operation gleich gestanden und die Krankheit damit von der Beklagten als behoben angesehen worden war. Einen Risikozuschlag hätte die Beklagte bei dem ursprünglichen Vertragsabschluss im Jahr 1998 nur erhoben, wenn der Nierenstein des Klägers noch bestanden hätte.

Im Vergleich dazu löst die Angabe einer Nierensteinzertrümmerung im neuen Tarif AM – P 90 einen Risikozuschlag unabhängig vom Alter des Versicherten aus, da dieses Risiko nicht durch die Grundprämie dieses Tarifes abgedeckt ist. Der individuelle Verlauf findet hierbei keine Berücksichtigung. Aufgrund der Daten des Klägers liegt der entsprechende Risikozuschlag bei einem nicht zertrümmerten Nierenstein und ohne Angaben von Behandlungsdaten bei 27% und bei einem zertrümmerten Nierenstein bei 13%, jeweils bezogen auf die Grundprämie des neuen Tarifs AM-P90 und unter Berücksichtigung des Alters, die der Kläger bei der ursprünglichen Antragstellung im Jahr 1998 hatte.

Damit hat sich der Sachvortrag der Beklagten bestätigt, dass im Jahr 2010 bei einem Versicherten mit dem Gesundheitszustand und dem Alter, das der Kläger zum Zeitpunkt des ursprünglichen Vertragsabschlusses im Jahr 1998 hatte, zu der Grundprämie des Tarifes AM-P90 der verfahrensgegenständliche Risikozuschlag erhoben wird.

4. Glaubwürdigkeit der Zeugen

Die Zeugen … machten – auch unter Berücksichtigung dessen, dass beide bei der Beklagten beschäftigt und folglich deren Lager zuzuordnen sind – auf die Kammer einen glaubwürdigen Eindruck. Beide Zeugen sagten sachlich aus. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugen ihre Angaben geleitet von den Interessen der Beklagten machten, waren nicht ersichtlich.

5. Neuer Sachvortrag des Klägers in der Berufungsinstanz

Das neue Vorbringen des Klägers in der Berufungsinstanz fand keine Berücksichtigung, da insofern keine der Voraussetzungen für eine Zulassung gemäß § 531 Abs. 2 ZPO vorlag. Insbesondere ist der entsprechende Sachvortrag des Klägers, der nicht bereits in der ersten Instanz erfolgt ist, in der Berufungsinstanz verspätet.

Folglich fand der Vortrag des Klägers keine Berücksichtigung, dass er bei der ursprünglichen Antragstellung im Jahr 1998 gegenüber der Beklagten mittels einer ärztlichen Bescheinigung des behandelnden Arztes nachgewiesen habe, dass bei ihm keine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Nierensteinerkrankung bestehe sowie dass dies die Beklagte damals dazu veranlasst habe, ihn als bestes Risiko einzustufen und keinen Risikozuschlag zu erheben.

Auch fand der Einwand des Klägers keine Berücksichtigung, dass er sich üben die Erwägungen des Amtsgerichts München hinaus auch auf § 41 VVG berufen könne. Ein Herabsetzungsverlangen des Klägers sei dabei bereits seinen vorprozessualen Einwänden gegen den von der Beklagten beanspruchten Risikozuschlag zu entnehmen. Es sei erstinstanzlich vorgetragen und unter Beweis gestellt worden, dass wegen des Bagatellcharakters der jahrelang zurückliegenden Nierensteinzertrümmerung ein Risikozuschlag auch nach der Kalkulation des Zieltarifes nicht angemessen sei, so dass spätestens damit ein Herabsetzungsverlangen formuliert worden sei.

Der Kläger hätte den vorstehenden Sachvortrag bereits in der ersten Instanz vortragen können.

6. Insgesamt erweist sich die Berufung der Beklagten damit als begründet.

III.

Anschlussberufung des Klägers

Die zulässige Anschlussberufung des Klägers ist unbegründet.

Aus den oben unter II. dargestellten Gründen hat der Kläger keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte bei dem von ihm beantragten Wechsel aus dem ursprünglichen Tarif VS600 in den neuen Tarif AM-P90 keinen Risikozuschlag hinsichtlich des Gesundheitszustandes „Zustand nach Nierensteinzertrümmerung“ erhebt. Konsequenz hieraus ist, dass der Kläger auch keinen Anspruch hinsichtlich der im Wege der Anschlussberufung geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat.

IV.

Entscheidung hinsichtlich der Kosten und der vorläufigen Vollstreckbarkeit

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO.

V.

Zulassung der Revision

Die Revision wird zugelassen, da die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 II ZPO. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Risikozuschläge bei Tarifwechseln auf der Grundlage des § 204 Abs. 1 Nr. 1 VVG erhoben werden können, war bislang nur Gegenstand der höchstgerichtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes hierzu liegt bislang jedoch nicht vor.

VI.

Streitwertbeschluss

Der Streitwert war – insoweit im Beschlusswege – auf 2.875,32 € festzusetzen. Maßgebend war hierfür das Interesse der Beklagten an der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils des Amtsgerichts München vom 27.01.2014.

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