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Krankentagegeldversicherung – Leistungspflicht trotz verspäteter Anzeige Versicherungsfall

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 19/19 – Urteil vom 23.10.2019

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 31. Januar 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 262/17 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.312,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28. Dezember 2017 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.312,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Mit seiner am 27. Dezember 2017 zum Landgericht Saarbrücken erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung weiteren Krankentagegeldes für die Zeit vom 12. November 2016 bis zum 13. August 2017 in Anspruch genommen.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten einen privaten Versicherungsvertrag über eine Krankentagegeldversicherung als Zusatzversicherung zur gesetzlichen Krankenversicherung (Versicherungsschein Nr. …-…, Bl. 21 GA); als Versicherungsleistung ist die Zahlung eines Krankentagegeldes in Höhe von 75,- Euro je Kalendertag ab der siebenten Woche der Arbeitsunfähigkeit vereinbart. Bestandteil des Vertrages sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der Beklagten für die Krankentagegeldversicherung (BI. 23 ff. GA). Der Kläger, der als Verkaufsleiter im Außendienst beruflich tätig ist, war seit 30. September 2016 wegen eines operativ behandelten Bandscheibenvorfalls ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt; infolgedessen konnte er seine überwiegend im Sitzen wahrzunehmende berufliche Tätigkeit nicht ausüben. Der Beklagten zeigte er seine Arbeitsunfähigkeit – erstmals – am 14. August 2017 an. Die Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 17. August 2017 den Eingang der Anzeige; zugleich wies sie den Kläger darauf hin, dass sie infolge der verspäteten Anzeige berechtigt sei, den Anspruch auf Krankentagegeld herabzusetzen und bat ihn um ergänzende Angaben und weitere Unterlagen (Bl. 53 GA). Nach Durchführung der Leistungsprüfung erkannte die Beklagte den Versicherungsfall dem Grunde nach an. Mit Schreiben vom 5. September 2017 teilte sie dem Kläger mit, dass sie wegen „Arbeitsunfähigkeit vom 30. September 2016“ in der „erstattungsfähigen Zeit“ vom 12. November 2016 bis zum 23. August 2017 Krankentagegeld in Höhe von 11.062,50 Euro überwiesen habe, und zwar für 275 Tage jeweils 37,50 Euro und für weitere 10 Tage jeweils 75,- Euro. Wegen der verspäteten Anzeige des Versicherungsfalles und weil sie „nach den gesetzlichen Bestimmungen berechtigt“ sei, den Anspruch auf Krankentagegeld herabzusetzen (§ 28 Abs. 2 VVG), werde für die Zeit vom 12. November 2016 bis zum 13. August 2017 ein „reduzierter Tagessatz“ in Höhe von 37,50 Euro gezahlt (Bl. 6 f. GA).

Zur Begründung seiner auf Auszahlung der Differenz zur ungekürzten Versicherungsleistung in Höhe weiterer 10.312 Euro gerichteten Klage hat der Kläger behauptet, er habe die Beklagte erst am 14. August 2017 über seine Arbeitsunfähigkeit informiert, weil er aufgrund seiner Erkrankung und der langen und intensiven Behandlungsdauer, die auch psychische Beeinträchtigungen nach sich gezogen habe, die Existenz seiner Krankentagegeldversicherung schlicht vergessen habe; dies sei weder vorsätzlich noch grobfahrlässig geschehen. Auch habe seine Obliegenheitsverletzung weder Auswirkungen auf den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls, noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht gehabt, denn aufgrund der ärztlichen Dokumentation aller Behandlungen des Klägers habe die verspätete Anzeige weder zu einem Verlust von Beweismitteln, noch zu einer nicht mehr möglichen Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht geführt. Die Beklagte, die auch im Anschluss an den klagegegenständlichen Zeitraum und bis zum Jahre 2018 an den Kläger weiter Krankentagegeld wegen Arbeitsunfähigkeit gezahlt hat, hat sich wegen einer grobfahrlässigen Verletzung der Anzeigeobliegenheit zur anteiligen Kürzung der Versicherungsleistung für berechtigt gehalten, weil ihr infolgedessen die Prüfung des Eintritts des Versicherungsfalles mit einer Verzögerung von nahezu einem Jahr nicht mehr möglich gewesen sei; Gegenteiliges habe der Kläger substantiiert darzulegen und zu beweisen. Auf einen vom Landgericht in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis hat sie im Rahmen eines ihr nachgelassenen Schriftsatzes weiter behauptet, bei fristgerechter Anzeige hätte sie nach einem Zeitraum von drei, spätestens vier Monaten nach dessen Eintritt eine gutachterliche Kontrolluntersuchung zu den Voraussetzungen ihrer Eintrittspflicht vorgenommen; bei üblichem Krankheitsverlauf wäre jedenfalls im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2017 mit einer Teilarbeitsfähigkeit des Klägers und infolgedessen einem Wegfall der Leistungspflicht zu rechnen gewesen.

Mit dem daraufhin ergangenen, dem Senat zur Berufung angefallenen Urteil, auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, der Kläger habe die Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige des Versicherungsfalles grobfahrlässig verletzt, und er habe, nachdem die Beklagte mit dem nachgelassenen Schriftsatz ihrer Substantiierungslast nachgekommen sei, auch nicht bewiesen, dass dieser dadurch keine Feststellungsnachteile erwachsen seien.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der unter Vertiefung seines früheren Vorbringens weiter auf Zahlung des restlichen Krankengeldes anträgt und ergänzend behauptet, dass sich selbst für den Fall, dass die Beklagte im Januar 2017 eine Kontrolluntersuchung in Auftrag gegeben hätte, sich daraus eine weitere bedingungsgemäße Arbeitsunfähigkeit des Klägers ergeben hätte.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 31. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

1. an den Kläger 10.312,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 8. November 2018 (Bl. 79 ff. GA) sowie des Senats vom 2. Oktober 2019 (Bl. 172 f. GA) verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung des Klägers ist weit überwiegend begründet. Das Landgericht hat die Klage verfahrensfehlerhaft unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers und auch in der Sache zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit einen Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld im vertraglich vereinbarten Umfang. Die Beklagte war nicht berechtigt, die von ihr dem Grunde nach unstreitig geschuldete Versicherungsleistung wegen grobfahrlässiger Verletzung der Obliegenheit zur fristgemäßen Anzeige des Versicherungsfalles (§ 18 Abs. 2 AVB) anteilig zu kürzen, weil schon auf der Grundlage ihres eigenen Vorbringens feststeht, dass ihr infolge dieser Obliegenheitsverletzung keine Feststellungsnachteile entstanden sind:

1.

Darüber, dass dem Kläger aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages in der Zeit vom 12. November 2016 bis zum 23. August 2017 ein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld dem Grunde nach zusteht, besteht zwischen den Parteien kein Streit. Der Versicherungsvertrag sieht für den Fall einer bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit, mithin wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 1 Abs. 3 AVB), ab der siebenten Woche einen kalendertäglichen Anspruch auf Krankentagegeld in Höhe von 75,- Euro vor. Dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum diese vertraglichen Voraussetzungen erfüllte und die Beklagte dementsprechend eintrittspflichtig war, hat diese, wie sie selbst in der Klageerwiderung einräumt, nach Durchführung ihrer Leistungsprüfung anerkannt (u.a. Bl. 49 GA); das darin zu sehende schriftsätzliche Geständnis (§ 288 ZPO) erlangte Wirksamkeit dadurch, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zur Sache verhandelt und hierbei stillschweigend auf ihre vorbereitenden Schriftsätze und damit auf das darin enthaltene Geständnis Bezug genommen hat (§ 137 Abs. 3 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 14. April 1999 – IV ZR 289/97, VersR 1999, 838). Es wurde auch nicht durch den nachfolgenden Vortrag der Beklagten, wonach bei üblichem Krankheitsverlauf jedenfalls im Verlauf der ersten Jahreshälfte 2017 möglicherweise mit einer Teilarbeitsfähigkeit des Klägers und infolgedessen einem Wegfall ihrer Leistungspflicht zu rechnen gewesen wäre, unwirksam. Selbst wenn darin ein Widerruf ihres Geständnisses zu sehen sein sollte, woran allerdings Zweifel bestehen, nachdem sich die Ausführungen der Beklagten ersichtlich auf Fragen der Kausalität (§ 19 Abs. 1 Satz 6 AVB; § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG) beziehen, wäre die Beklagte hierzu jedenfalls nicht berechtigt gewesen, weil ihr Geständnis nicht durch einen Irrtum veranlasst war (§ 290 ZPO), sondern – ganz im Gegenteil – darauf beruhte, dass die Beklagte auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Informationen trotz Wissens um die verspätete Anzeige des Versicherungsfalles zu der Erkenntnis gelangt war, im gesamten maßgeblichen Zeitraum dem Grunde nach Versicherungsleistungen zu schulden.

2.

Hiervon ausgehend, war die Beklagte im Streitfall nicht dazu berechtigt, den Anspruch des Klägers für den Zeitraum vom 12. November 2016 bis zum 13. August 2017 – wie geschehen – wegen einer grobfahrlässigen Obliegenheitsverletzung um 50 Prozent zu kürzen und das geschuldete Krankentagegeld lediglich mit einem anteiligen Tagessatz von 37,50 Euro auszuzahlen (§§ 18 Abs. 2, 19 Abs. 1 AVB; § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG). Der Kläger hat zwar gegen die in § 18 Abs. 2 Satz 1 AVB vereinbarte Obliegenheit, die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), spätestens aber am Tag des tariflich vereinbarten Leistungsbeginns, durch Vorlage einer Bescheinigung des behandelnden Arztes anzuzeigen, verstoßen, indem er den – unstreitigen – Versicherungsfall vom 30. September 2016 erst am 13. August 2017, mithin fast ein Jahr später, anzeigte. Auch spricht einiges dafür, dass diese Obliegenheitsverletzung grobfahrlässig erfolgte, was nach dem Gesetz vermutet wird (§ 28 Abs. 2 Satz 2 VVG) und gerade in Fällen der nicht unwesentlich verspäteten Anzeige des Versicherungsfalles häufig naheliegt (s. nur Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG 30. Aufl., § 30 Rn. 16 m. Nachw.). Inwieweit der Einwand des Klägers, er habe die Existenz des Versicherungsvertrages krankheitsbedingt „vergessen“, möglicherweise geeignet ist, die verspätete Anzeige zu entschuldigen (abl. KG, VersR 1951, 50; vgl. auch OLG Köln, RuS 2001, 255), muss der Senat jedoch nicht entscheiden, weil sich die Obliegenheitsverletzung hier – entgegen der verfahrensfehlerhaft zustande gekommenen Einschätzung des Erstrichters – jedenfalls nicht ursächlich zum Nachteil der Beklagten ausgewirkt hat und eine Berufung auf die Leistungsfreiheit schon deshalb ausscheidet:

a)

Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 6 AVB; § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG bleibt der Versicherer – vom hier nicht in Rede stehenden Fall der Arglist nach § 19 Abs. 1 Satz 7 AVB; § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG abgesehen – auch bei vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung einer vertraglich vereinbarten Obliegenheit zur Leistung verpflichtet, soweit deren Verletzung weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Erforderlich ist eine konkrete Kausalität; dass die Obliegenheitsverletzung bloß generell geeignet war, die Interessen des Versicherers zu gefährden, genügt nicht (KG, VersR 2011, 789; OLG Oldenburg, VersR 2011, 1437; OLG Naumburg, VersR 2017, 93; OLG Hamm, VersR 2018, 929; Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 28 Rn. 243). Der Nachweis der fehlenden Kausalität obliegt dem Versicherungsnehmer; er verlangt bei der Verletzung von Anzeige- oder Aufklärungsobliegenheiten, dass dem Versicherer keine Feststellungsnachteile erwachsen sind. Dazu genügt aber nicht die bloße Beeinflussung des Feststellungsverfahrens; vielmehr muss die Feststellung selbst, d.h. deren Ergebnis, zum Nachteil des Versicherers beeinflusst worden sein (BGH, Urteil vom 4. April 2001 – IV ZR 63/00, VersR 2001, 756; OLG Oldenburg, VersR 2011, 1437; Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 30 Rn. 254). Der Versicherungsnehmer kann diesen negativen Beweis praktisch aber nur so führen, dass er zunächst die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten ausräumt und dann abwartet, welche Behauptungen der Versicherer über Art und Maß der Kausalität aufstellt, die der Versicherungsnehmer dann ebenfalls zu widerlegen hat. Der Versicherer muss dazu die konkrete Möglichkeit eines für ihn günstigeren Ergebnisses aufzeigen, indem er zum Beispiel vorträgt, welche Maßnahmen er bei rechtzeitiger Erfüllung der Obliegenheit getroffen und welchen Erfolg er sich davon versprochen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2001 – IV ZR 63/00, VersR 2001, 756; Senat, Urteil vom 19. Juni 2019 – 5 U 99/18, VersR 2019, 1289; OLG Karlsruhe, VersR 2010, 1307; OLG Celle, RuS 2018, 132; OLG Köln, RuS 2019, 80).

b)

Hiervon ausgehend, hatte der Erstrichter zunächst zutreffend erkannt, dass die vorab erforderlichen Darlegungen der Beklagten zur Kausalität unzureichend waren. Denn diese hatte sich – bei dem Grunde nach zugestandener Eintrittspflicht – lediglich darauf berufen, dass der Versicherungsfall ihr mit erheblicher Verspätung gemeldet worden sei, weshalb ihr die „Prüfung des Eintritts des Versicherungsfalles… nicht mehr möglich gewesen“ sei, und den Vortrag des Klägers, die Verspätung habe auf ihre Eintrittspflicht keine Auswirkungen gehabt, „bestritten“ (Bl. 51 GA). Dementsprechend hatte der Erstrichter die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 8. November 2018 zu Recht darauf hingewiesen, dass diese ihrer Darlegungslast bezüglich der Kausalität bis zu diesem Zeitpunkt nicht hinreichend nachgekommen sei (Bl. 80 GA). Die anschließende Klageabweisung mit der Begründung, der Kläger habe der – erstmals mit dem daraufhin nachgelassenen Schriftsatz vom 3. Januar 2019 aufgestellten – Behauptung, bei früherer Anzeige hätte die Beklagte nach drei oder vier Monaten ergänzende Ermittlungen angestellt, die zur Einstellung der Leistungen geführt hätten, nichts ausreichendes entgegengesetzt, beruhte indessen – unbeschadet der materiellen Unrichtigkeit dieser Einschätzung – auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers (Artikel 103 Abs. 1 des Grundgesetzes). Räumt das Gericht einer Partei ein Schriftsatzrecht zur Stellungnahme zu einem erst in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis ein und wird in einem daraufhin eingegangenen Schriftsatz neuer entscheidungserheblicher Prozessstoff eingeführt, so muss das Gericht die mündliche Verhandlung wiedereröffnen oder in das schriftliche Verfahren übergehen, um dem Gegner rechtliches Gehör zu gewähren (BGH, Beschluss vom 20. September 2011 – VI ZR 5/11, VersR 2011, 1462; Greger, in: Zöller, ZPO 32. Aufl., § 139 Rn. 14b). Diese Grundsätze hat der Erstrichter hier missachtet.

c)

Darüber hinaus und dessen unbeschadet, liegt der angegriffenen Entscheidung auch eine unzutreffende Beurteilung der materiellen Rechtslage zugrunde. Denn selbst unter Berücksichtigung der nachgelassenen Ausführungen der Beklagten sind ihre Darlegungen insgesamt nicht geeignet, eine Kausalität der Obliegenheitsverletzung schlüssig zu begründen; deren Vorliegen ist hier vielmehr durch die Umstände widerlegt. Die Beklagte hat zwar zuletzt behauptet, bei fristgerechter Anzeige hätte sie nach einem Zeitraum von drei, spätestens vier Monaten nach dessen Eintritt eine gutachterliche Kontrolluntersuchung zu den Voraussetzungen ihrer Eintrittspflicht vorgenommen, aus der sich – möglicherweise – abweichende Erkenntnisse ergeben hätten. Der Verlust solcher eigenen Erkenntnismöglichkeiten des Versicherers reicht jedoch für sich genommen gerade nicht aus, um die Ursächlichkeit einer verspäteten Anzeige des Versicherungsfalles darzulegen, solange – wie hier – nur das Feststellungsverfahren und nicht das Ergebnis der Feststellungen für den Versicherer nachteilig beeinflusst wurde (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2001 – IV ZR 63/00, VersR 2001, 756; Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 28 Rn. 254; Wandt, in: MünchKommVVG 2. Aufl., § 28 Rn. 293). Leistungsfreiheit tritt daher nicht ein, wenn alle durch die Verzögerung der Schadenanzeige begründeten Nachteile ausgeglichen sind, wenn also die Beweislage des Versicherers zum Zeitpunkt ihres (verspäteten) Eingangs mit der vorher bestehenden identisch ist (Senat, Urteil vom 19. Juni 2019 – 5 U 99/18, VersR 2019, 1289; vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2004 – IV ZR 265/03, VersR 2004, 1117; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl., § 30 Rn. 14). Das aber war hier – unstreitig – der Fall. Die Beklagte ist, wie sie nach Durchführung der Leistungsprüfung zugestanden hat, für den streitgegenständlichen Versicherungsfall eintrittspflichtig; dabei bezog sich diese Erklärung ausweislich ihres Abrechnungsschreibens vom 5. September 2017 auf den gesamten klagegegenständlichen Zeitraum, während die zugleich ausgesprochene Kürzung der Versicherungsleistung von ihr allein mit der verspäteten Anzeige des Versicherungsfalles begründet wurde. Das Ergebnis der Feststellungen, die der Beklagten durch die Vereinbarung der Anzeigeobliegenheit ermöglicht werden sollten, entspricht damit der Sach- und Rechtslage. In einem solchen Fall kann von einer – für die Annahme von Kausalität im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG erforderlichen – nachteiligen Beeinflussung der Feststellungen zum Versicherungsfall oder zur Leistungspflicht des Versicherers jedoch keine Rede sein. Dass der Beklagten durch die verspätete Anzeige in der Zwischenzeit weitergehende Möglichkeiten der Prüfung, etwa die Anordnung einer gutachterlichen Kontrolluntersuchung, genommen wurden, betrifft bei dieser besonderen Sachlage lediglich das Feststellungsverfahren; dieser Aspekt spielt jedoch keine Rolle, wenn die spätere Entscheidung des Versicherers dadurch nicht beeinflusst wird, weil seine Eintrittspflicht – wie hier – feststeht und sich die zunächst fehlenden Kenntnisse vom Vorliegen eines Versicherungsfalles daher im Ergebnis nicht nachteilig für ihn ausgewirkt haben (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2007 – IV ZR 95/07, VersR 2008, 241; anders mglw. bei – hier nicht gegebener – unklarer Eintrittspflicht des Krankentagegeldversicherers: OLG Frankfurt, VersR 1980, 326; Rixecker, in: Langheid/Rixecker, a.a.O., § 28 Rn. 97). Ohnehin könnte von einem Versicherungsnehmer nicht verlangt werden, auch die kaum jemals ganz auszuschließende Möglichkeiten auszuräumen, nachträgliche Ermittlungen hätten doch noch zu – nach Lage der Dinge unerwarteten – Erkenntnissen führen können (vgl. OLG Köln, VersR 1970, 1022). Alles andere liefe auf ein allgemeines Sanktionsrecht wegen der verspäteten Anzeige des Versicherungsfalles hinaus, das die Beklagte hier – wohl – für sich in Anspruch nehmen wollte, das nach dem Willen des Gesetzgebers aber – aus generalpräventiven Erwägungen, vgl. BT-Drucks. 16/3945, S. 69; Wandt, in: MünchKomm-VVG, a.a.O., § 28 Rn. 267 – nur im Falle der Arglist besteht, für die hier nichts dargetan oder ersichtlich ist.

3.

Der Zinsanspruch folgt im geltend gemachten Umfange aus § 291 BGB. Dagegen hat der Kläger einen Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in geltend gemachter Höhe von 958,19 Euro zzgl. Zinsen nicht schlüssig dargetan. An Vorbringen zu den Anspruchsvoraussetzungen fehlt es hier völlig; auch vorprozessualer Schriftverkehr, dem sich Solches entnehmen ließe ist, von der insoweit nichtssagenden Kostennote abgesehen, nicht vorgelegt worden, selbst nachdem die Beklagte den Anfall der Kosten in ihrer Klageerwiderung ausdrücklich bestritten hatte. Da lediglich eine Nebenforderung betroffen ist, bedurfte es diesbezüglich keines besonderen gerichtlichen Hinweises (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO); vielmehr war, weil die Klage insoweit unschlüssig ist, das Rechtsmittel gegen das klageabweisende Urteil insoweit als unbegründet zurückzuweisen.

4.

Die Ausführungen aus dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten, nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 16. Oktober 2019 geben keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung. Der auf die darin vorgetragene Klaglosstellung gestützte Erfüllungseinwand (§ 362 Abs. 1 BGB) ist als neue Tatsache gemäß § 296a Satz 1 ZPO verspätet. Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, bestand nicht, da kein Fall des § 156 ZPO vorliegt. Die von der Beklagten behauptete Zahlung nach Schluss der mündlichen Verhandlung ist jedoch im Vollstreckungsverfahren beachtlich und könnte, da § 767 Abs. 2 ZPO insoweit nicht eingreift, notfalls mit der Vollstreckungsabwehrklage geltend gemacht werden.

5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG.

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