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Krankentagegeldherabsetzung bei gesunkenem Nettoeinkommen

Krankentagegeld: Keine Herabsetzung bei gesunkenem Nettoeinkommen

Das Landgericht Köln hat entschieden, dass die Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen durch die Versicherung nicht zulässig ist. Die ursprüngliche Klausel zur Herabsetzung wurde für unwirksam erklärt, und die Ersetzung der Klausel durch die Versicherung erfüllte nicht die gesetzlichen Anforderungen. Dem Kläger wurde eine Entschädigung für die unrechtmäßige Herabsetzung seines Krankentagegeldes zugesprochen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 23 O 168/21  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Unzulässigkeit der Herabsetzung: Das Gericht stellte fest, dass die Herabsetzung des Krankentagegeldes bei sinkendem Nettoeinkommen nicht erlaubt ist.
  2. Unwirksamkeit der ursprünglichen Klausel: Die Klausel zur Herabsetzung des Krankentagegeldes wurde wegen Intransparenz für unwirksam erklärt.
  3. Ersetzung der Klausel nicht gerechtfertigt: Die von der Versicherung vorgenommene Ersetzung der Klausel erfüllte nicht die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen.
  4. Festhalten am Vertrag zumutbar: Das Gericht befand, dass es für die Versicherung zumutbar ist, am ursprünglichen Vertrag festzuhalten.
  5. Keine Störung des Äquivalenzverhältnisses: Es fehlte an einer notwendigen Störung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung.
  6. Zahlungspflicht der Versicherung: Die Versicherung wurde zur Zahlung der Differenz zwischen dem herabgesetzten und dem ursprünglich vereinbarten Krankentagegeld verurteilt.
  7. Zinsforderung begründet: Die Zinsforderung des Klägers wurde ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit anerkannt.
  8. Freistellung von Rechtsanwaltskosten: Der Kläger hat Anspruch auf Freistellung von bestimmten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Rechtsfragen rund um die Krankentagegeldversicherung

Im Bereich des Versicherungsrechts ergeben sich häufig komplexe Fragestellungen, insbesondere wenn es um die Anpassung von Leistungen im Zuge veränderter finanzieller Verhältnisse der Versicherten geht. Ein besonders interessantes Feld stellt dabei die Krankentagegeldversicherung dar, ein Thema, das sowohl für Versicherte als auch für Versicherer von großer Bedeutung ist. Hierbei steht oft die Frage im Raum, unter welchen Umständen und inwieweit Anpassungen der Versicherungsleistungen, speziell die Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen, rechtlich zulässig sind.

In einem konkreten Fall, der vor dem Landgericht Köln verhandelt wurde, ging es genau um diese Problematik. Die juristischen Auseinandersetzungen in solchen Fällen beleuchten die Grenzen und Möglichkeiten, die Versicherungsverträge und deren Anpassungsklauseln bieten. Insbesondere die Wirksamkeit solcher Klauseln und die rechtlichen Folgen ihrer Anwendung stehen im Fokus. Der folgende Bericht beleuchtet ein Urteil, das wesentliche Aspekte in der Handhabung von Krankentagegeldherabsetzungen und die damit verbundenen rechtlichen Überlegungen aufzeigt. Tauchen Sie ein in die Details dieses interessanten Falles, der wichtige Einsichten für Versicherte und Versicherungsgesellschaften gleichermaßen bereithält.

Streit um Krankentagegeld: Der Fall vor dem LG Köln

Im Zentrum dieses Rechtsstreits stand ein Kläger, der bei der Beklagten, einer Versicherungsgesellschaft, eine Krankentagegeldversicherung mit mehreren Tarifbausteinen unterhielt. Ursprünglich war ein Krankentagegeld ab dem 15. Tag der Arbeitsunfähigkeit im Tarif TG 14 und weitere Beträge in den Tarifen N02 und N03 vereinbart, was insgesamt 204,52 EUR pro Tag nach Ablauf der Karenzfristen bedeutete. Der Fall nahm eine entscheidende Wendung, als die Beklagte im Juni 2018 eine Änderung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen ankündigte, die eine Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen vorsah. Diese Änderung basierte auf einer vom Bundesgerichtshof für unwirksam erklärten Klausel, die nun durch eine klarere Regelung ersetzt werden sollte.

Konflikt über Herabsetzung des Krankentagegeldes

Die Beklagte setzte das Krankentagegeld des Klägers ab Mai 2020 auf 175,00 EUR pro Tag herab, nachdem sie festgestellt hatte, dass sein Nettoeinkommen niedriger als das versicherte Krankentagegeld war. Der Kläger widersprach dieser Herabsetzung und forderte die Fortführung des Vertrages mit dem ursprünglich höheren Krankentagegeldsatz. Die Beklagte berief sich dabei auf die neu gefasste Klausel, die der Kläger jedoch für unwirksam hielt. Er argumentierte, dass weder die Ersetzung der Klausel zur Fortführung des Vertrages notwendig sei, noch das Festhalten am Vertrag ohne neue Klausel eine unzumutbare Härte darstelle. Zudem betonte er, dass die Beklagte auch ohne die Möglichkeit zur Herabsetzung eine angemessene Prämie für das vereinbarte Krankentagegeld erhalte.

Gerichtliche Bewertung der Klauselerneuerung

Das Landgericht Köln befand, dass die Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen auf Basis der ursprünglichen oder der neugefassten Klausel nicht zulässig sei. Dabei stellte das Gericht fest, dass die ursprüngliche Klausel aufgrund von Intransparenz unwirksam war und die neu gefasste Klausel die rechtlichen Anforderungen zur wirksamen Ersetzung nicht erfüllte. Das Gericht urteilte, dass ein Festhalten am Vertrag ohne die neue Regelung für die Beklagte zumutbar sei und es an einer notwendigen Störung des Äquivalenzverhältnisses fehle. Dementsprechend sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen, das Krankentagegeld einseitig herabzusetzen.

Urteil des LG Köln und dessen Folgen

Das LG Köln entschied zugunsten des Klägers und verurteilte die Beklagte zur Zahlung der Differenz zwischen dem herabgesetzten und dem ursprünglich vereinbarten Krankentagegeld für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Darüber hinaus wurde die Beklagte verpflichtet, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen freizustellen. Dieses Urteil ist ein wichtiges Beispiel dafür, wie Gerichte mit der Anpassung von Versicherungsleistungen umgehen und unterstreicht die Bedeutung klarer und transparenter Versicherungsbedingungen. Es zeigt auch, dass Versicherungsnehmer bei ungerechtfertigten Herabsetzungen von Leistungen rechtliche Schritte einleiten können und damit Erfolg haben könnten.

Im konkreten Fall des LG Köln wurde deutlich, dass die Versicherungsbedingungen und deren Anpassungen einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung unterliegen und Versicherungsnehmer sich gegen ungerechtfertigte Herabsetzungen zur Wehr setzen können.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet die Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen?

Die Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen bezieht sich auf eine Situation, in der das Krankentagegeld eines Versicherten reduziert wird, wenn sein Nettoeinkommen sinkt. Das Krankentagegeld ist eine Leistung, die von der Krankenversicherung gezahlt wird, wenn eine Person aufgrund von Krankheit nicht arbeiten kann. Die Höhe des Krankentagegeldes darf zusammen mit anderen Krankentage- und Krankengeldern das auf den Kalendertag umgerechnete Nettoeinkommen nicht übersteigen.

Das Nettoeinkommen, das für die Berechnung des Krankentagegeldes herangezogen wird, ist in der Regel der Durchschnittsverdienst der letzten zwölf Monate vor Antragstellung oder vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Bei Angestellten beläuft es sich auf 80 % des durchschnittlichen Bruttoverdienstes der letzten zwölf Monate. Für Selbständige und Freiberufler gilt das Nettoeinkommen, der Gewinn gemäß § 2 Abs. 2.1 Einkommenssteuergesetz (ESTG), aus der im Antrag angegebenen Tätigkeit.

Wenn das Nettoeinkommen des Versicherten sinkt, kann der Versicherer das Krankentagegeld und den Beitrag entsprechend dem geminderten Nettoeinkommen herabsetzen. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, dem Versicherer unverzüglich eine nicht nur vorübergehende Minderung des aus der Berufstätigkeit herrührenden Nettoeinkommens mitzuteilen.

Es ist jedoch zu erwähnen, dass ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2016 festgestellt hat, dass die Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen unwirksam ist, wenn der Begriff des „Nettoeinkommens“ nicht transparent geregelt ist. Dies bedeutet, dass die Versicherer die Klausel zur einseitigen Herabsetzung des Krankentagegeldes wegen Intransparenz nicht mehr verwenden dürfen.


Das vorliegende Urteil

LG Köln – Az.: 23 O 168/21 – Urteil vom 11.01.2023

Es wird festgestellt, dass der Krankentagegeldversicherungsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten zur Versicherungsscheinnummer N01 über den 01.05.2020 hinaus mit einem vereinbarten Tagessatz im Tarif TG21 von 51,13 EUR ab dem 22. Tag fortbesteht und die Beklagte nicht berechtigt ist, das Krankentagegeld einseitig herabzusetzen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.446,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2021 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen der Prozessbevollmächtigten i.H.v. 397,85 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist wegen des Zahlungsanspruchs vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger (geb. am 13.09.1952) unterhält bei der Beklagten u.a. eine Krankentagegeldversicherung mit mehreren Tarifbausteinen. Versichert war zunächst – jedenfalls seit dem 01.04.2017 (Nachtrag zum Versicherungsschein aus Februar 2017, Anlage K4, Bl. 13 d.A.) – ab dem 15. Tag der Arbeitsunfähigkeit ein Tagessatz in Höhe von 102,26 EUR im Tarif TG 14 und von weiteren 51,13 EUR im Tarif N02 sowie ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit ein Tagessatz von 51,13 EUR im Tarif N03, mithin Krankentagegeld in Höhe von insgesamt 204,52 EUR nach Ablauf der Karenzfristen. Der Kläger unterhält ferner eine Krankentagegeldversicherung mit einem weiteren Tagessatz von 51,13 EUR bei einer anderen Krankenversicherung.

Mit Schreiben aus Juni 2018 (Anlage K1, Bl. 8 d.A.) benachrichtigte die Beklagte den Kläger über Änderungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen. Soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse, teilte sie ihm mit, sie habe die vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 06.07.2016 – IVZR 44/15 wegen Intransparenz für unwirksam erklärte Klausel in § 4 Abs. 4 MB/KT a.F. zur Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen durch eine klarere Regelung ersetzt. Wegen des Wortlautes des neugefassten § 4 Abs. 4 MB/KT wird auf Anlage BLD 1 (Bl. 55 d.A.) verwiesen.

Der Kläger erhielt aufgrund einer bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit Krankentagegeld von der Beklagten. Nach einer Überprüfung des Krankentagegeldsatzes teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 11.03.2020 (Anlage K2, Bl. 9 d.A.) mit, sein Nettoeinkommen sei niedriger als das versicherte Krankentagegeld, weshalb das vertragliche Krankentagegeld ab dem 01.05.2020 auf einen Betrag von insgesamt 175,00 EUR reduziert werde. In Umsetzung der Reduzierung wurde der Tagessatz in dem Tarifbaustein N03 auf 21,61 EUR herabgesetzt. In dem Zeitraum vom 01.05.2020 bis zum 17.03.2021 zahlte die Beklagte dem Kläger Krankentagegeld von täglich 175,00 EUR.

Der Kläger widersprach der Reduzierung des Krankentagegeldsatzes mit Schreiben vom 16.03.2020 (Anlage K5, Bl. 16 d.A.) und forderte die Beklagte auf, den Vertrag über den 01.05.2020 unverändert fortzuführen. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 24.03.2020 mitteilte, die Herabsetzung des Tagessatzes sei aufgrund der ersetzten Klausel wirksam, ließ der Kläger die Beklagte mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 22.04.2021 (Anlage K7, Bl. 18 f. d.A.) unter Fristsetzung auffordern, den Vertrag unverändert mit dem höheren Krankentagegeldsatz fortzuführen.

Der Kläger ist der Ansicht, die von der Beklagten vorgenommene Klauselersetzung sei unwirksam. Die Beklagte sei daher zur Zahlung restlichen Krankentagegeldes von 29,52 EUR für 320 Tage verpflichtet. Weder sei die Ersetzung zur Fortführung des Vertrags notwendig noch stelle das Festhalten an dem Vertrag ohne neue Klausel eine unzumutbare Härte dar. Die Beklagte erhalte auch ohne die Möglichkeit zur Herabsetzung eine risikoadäquate Prämie für das vereinbarte Krankentagegeld. Das subjektive Risiko sei lediglich in Fällen erhöht, in denen der Versicherungsnehmer betrügerisch Leistungen verlange, auf die ohnehin kein Anspruch bestehe. Die Beklagte als Verwenderin sei überdies nicht berechtigt, eine intransparente Klausel durch eine inhaltsgleiche, ggf. transparente Klausel zu ersetzen. Der Sanktionszweck des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB werde durch die Möglichkeit einer inhaltsgleichen Ersetzung vereitelt. Die bloße Beseitigung einer Intransparenz reiche nicht, zusätzlich sei eine materielle Besserstellung des Versicherungsnehmers zwingend geboten. Sehe die Beklagte – wie vorliegend – von einer Ausgestaltung der Krankentagegeldversicherung als Schadensversicherung ab, so realisiere sich durch die Unwirksamkeit der ursprünglichen Klausel allein das Verwendungsrisiko des Versicherers. Es liege im Wesen einer Summenversicherung, dass diese auch über den konkreten Schaden hinausgehen könne. Die Beklagte könne nicht zugleich die Vorteile der Summenversicherung – keine Prüfung des Umfangs der Leistungspflicht im Einzelfall – und der Schadenversicherung – Begrenzung der Leistungspflicht auf den konkreten Schaden – in Anspruch nehmen.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass der Krankentagegeldversicherungsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten zur Versicherungsscheinnummer N01 über den 1.5.2020 hinaus mit einem vereinbarten Tagessatz im Tarif TG21 von 51,13 EUR ab dem 15. Tag fortbesteht und die Beklagte nicht berechtigt ist, das Krankentagegeld einseitig herabzusetzen;

2. die Beklagte ferner zu verurteilen, an den Kläger 9.446,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.3.2021 sowie Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten aus 29,52 EUR seit dem 1. Mai 2020 sowie jeden folgenden Tag bis zum 17.3.2021 (einschließlich) zu zahlen;

3. die Beklagte ferner zu verurteilen, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten und Auslagen der Prozessbevollmächtigten i.H.v. 790,99 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das Krankentagegeld sei aufgrund des sich – aus der Bescheinigung des klägerischen Steuerberaters vom 27.02.2020 (Anlage BLD 2, Bl. 65 d.A.) ergebenden – geringeren Netto-Einkommens wirksam herabgesetzt worden. Sie sei zur Ersetzung der Klausel in § 4 Abs. 4 MB/KT berechtigt gewesen. Diese sei notwendig gewesen, da die Krankentagegeldversicherung gem. § 4 Abs. 2 MB/KT darauf basiere, dass maximal das berufliche Netto-Einkommen versicherbar sei. Aufgrund der Tatsache, dass ohne eine solche Regelung das subjektive Risiko stark steigen würde, wäre eine Krankentagegeldversicherung ohne eine entsprechende Herabsetzungsregelung für sie, die Beklagte, nicht zumutbar, da sie ansonsten die Tarife völlig neu kalkulieren müsse. Ein Festhalten an dem Vertrag ohne die neue Regelung würde eine unzumutbare Härte für sie, die Beklagte, aber auch für die Versichertengemeinschaft, bedeuten, da mit höheren Leistungen und daher auch in der Folge mit höheren Beiträgen zu rechnen wäre. Dem Äquivalenzinteresse sei dadurch Rechnung getragen, dass sich im Falle einer Herabsetzung des Krankentagegeldes auch der Beitrag entsprechend reduziere. Schließlich bewirke die neue Klausel aufgrund der Neudefinition des Netto-Einkommens und des Bezugszeitraums keine schlichte inhaltsgleiche Ersetzung der unwirksamen Klausel.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Die Klage ist am 30.09.2021 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und weitestgehend begründet.

I.

Die Feststellungsklage ist zulässig.

Zunächst ist das Klagebegehren des Klägers zu Antrag 1. dahingehend auszulegen, dass die Feststellung des Fortbestandes eines Tagessatzes im Tarif N03 von 51,13 EUR ab dem 22. Tag begehrt wird. Bei verständiger Würdigung ist der Kläger hinsichtlich der im Antrag bezeichneten Karenzfrist einem offenkundigen Irrtum unterlegen, da sich sowohl aus der Tarifbezeichnung als auch dem mit der Klage vorgelegten Nachtrag zum Versicherungsschein vom 13.03.2020 (Anlage K3, Bl. 10 d.A.) ergibt, dass die Reduzierung in dem Tarifbaustein mit einer 21-tägigen Karenzfrist erfolgte.

Die Klage auf Feststellung ist zulässig. Die klägerseits begehrte Feststellung, dass die Beklagte mangels wirksamer Anpassungsklausel nicht berechtigt ist, den Krankentagegeldsatz zu reduzieren, betrifft unmittelbar den Bestand eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO. Eine Entscheidung in der Hauptsache allein über das Zahlungsbegehren wäre nicht geeignet, die zu klärenden Rechtsbeziehungen erschöpfend zu regeln.

II.

Das Feststellungsbegehren gemäß Klageantrag zu 1. ist begründet. Die Beklagte war nicht berechtigt, das im Tarif N03 ab dem 22. Tag der Arbeitsunfähigkeit vereinbarte Krankentagegeld mit Wirkung zum 01.05.2020 von 51,13 EUR auf 21,61 EUR herabzusetzen.

1.

Die Beklagte kann die Herabsetzung des Krankentagegeldes bei gesunkenem Nettoeinkommen nicht auf die dem Vertrag ursprünglich zugrunde liegende Klausel stützen, da diese, was zwischen den Parteien auch nicht in Streit steht, der vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 06.07.2016 – IVZR 44/15 wegen Intransparenz für unwirksam erklärten Regelung des § 4 Abs. 4 MB/KT a.F. entsprach.

2.

Auch auf die dem Kläger mit Schreiben aus Juni 2018 mitgeteilte Ersetzung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen durch den neugefassten § 4 Abs. 4 MB/KT (Anlage BLD 1, Bl. 55 d.A.) kann die Beklagte eine Herabsetzung des Krankentagegeldes nicht stützen. Die Voraussetzungen zur Ersetzung der höchstrichterlich für unwirksam erklärten Klausel betreffend die Herabsetzung des Krankentagegeldsatzes gemäß §§ 203 Abs. 4, 164 VVG lagen nicht vor.

Nach § 164 Abs. 1 Satz 1 VVG kann der Versicherer eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die – wie vorliegend – durch höchstrichterliche Entscheidung für unwirksam erklärt worden ist, durch eine neue Regelung ersetzen, wenn dies zur Fortsetzung des Vertrages notwendig ist oder wenn das Festhalten an dem Vertrag ohne neue Regelung für eine Vertragspartei auch unter Berücksichtigung der Interessen der anderen Vertragspartei eine unzumutbare Härte darstellen würde.

a)

Die Ersetzung der Klausel ist zur Fortsetzung des Vertrages nicht notwendig.

Eine Regelungsbedürftigkeit in diesem Sinne liegt regelmäßig dann vor, wenn wesentliche Vertragselemente betroffen sind, insbesondere die Leistungspflichten und Ansprüche der Parteien. Für die Beurteilung der Erheblichkeit der Vertragsstörung kann die Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung bei Unwirksamkeit einer Klausel herangezogen werden. Danach ist eine ergänzende Vertragsauslegung nur zulässig, wenn die aufgetretene Lücke zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zu Gunsten des Vertragspartners des Verwenders verschiebt. Entsteht infolge der Unwirksamkeit einer Klausel eine Regelungslücke, die nicht durch dispositives Gesetzesrecht gefüllt wird, bleibt es also bei der Regelungslücke, wenn sie das Äquivalenzverhältnis vertretbar zu Gunsten des Vertragspartners des Klauselverwenders verschiebt. Dies dient der Sanktionierung des Verwenders einer unwirksamen Klausel (vgl. Wandt in: MüKo-VVG, 2. Aufl. 2017, § 164 VVG Rn. 50 m.w.N.).

Entfällt die Möglichkeit zur Anpassung des Krankentagegeldes an das Nettoeinkommen des Versicherten, ist es nach Ansicht der Kammer nicht unzumutbar, den Versicherer am insoweit lückenhaften Vertrag festzuhalten. Zwar widerspricht ein vom Verdienst abgekoppeltes Krankentagegeld zunächst dem Zweck der Krankentagegeldversicherung, den Verdienstausfall abzudecken. Diese Lösung von Verdienst und Krankentagegeld ist indes bereits in der Ausgestaltung der Krankentagegeldversicherung als – auf einer abstrakten Bedarfsberechnung beruhende – Summen- und nicht als Schadensversicherung angelegt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 04.07.2001 – IV ZR 307/00). Ein bei einer Diskrepanz zwischen Nettoeinkommen und Krankentagegeld ggf. erhöhtes subjektives Risiko des Versicherers besteht in erheblichem Maße bereits bei einem dem Nettoeinkommen entsprechenden Krankentagegeld (vgl. Bach/Moser/Wilmes, Private Krankenversicherung, 4. Auflage 2009, MB/KT § 4 Rn. 6) und ist durch die Versicherungsprämien abgedeckt (vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 23.12.2014 – 9a U 15/14).

Da die Beklagte weiterhin eine risikoadäquate Prämie – in Form der für das vereinbarte Krankentagegeld kalkulatorisch notwendigen Prämie – erhält, fehlt es nach Auffassung der Kammer an der für eine Anpassung grundsätzlich notwendigen Störung des Äquivalenzverhältnisses. Eine solche hat auch die Beklagte nicht hinreichend konkret geltend gemacht. Soweit sie geltend macht, die weiterhin vereinnahmte höhere Prämie werde nie den gesamten Leistungsanfall abdecken, was letztlich zu einer Belastung der gesamten Versicherungsgemeinschaft führe, ist anzumerken, dass diese Ausführung unabhängig von der Höhe des jeweiligen Nettoeinkommens gilt und die Kalkulation der vom einzelnen Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämie überdies auch nicht bezweckt, den in seiner Person eintretenden Versicherungsfall in Gänze „abzudecken“. Sofern die Beklagte pauschal behauptet, dass ein Versicherungsnehmer, der ein sein Nettoeinkommen übersteigendes Krankentagegeld erhält, dazu neige, die Krankheit auszudehnen, wird nach Auffassung der Kammer in unzulässiger Weise der unredliche Versicherungsnehmer zum Leitbild erhoben. Überdies bestehen für den Versicherer sowohl Anlass als auch Möglichkeit, das Vorliegen eines Versicherungsfalles zu überprüfen, grundsätzlich unabhängig von der Höhe des versicherten Krankentagegeldes.

b)

Das Festhalten an dem Vertrag ohne eine Neuregelung stellt auch für keine Vertragspartei eine unzumutbare Härte dar. Es fehlt an der für eine Anpassung grundsätzlich notwendigen Störung des Äquivalenzverhältnisses. Die Beklagte erhält weiterhin eine risikoadäquate Prämie, denn der Versicherungsnehmer schuldet weiterhin die kalkulatorisch notwendige Prämie für das vereinbarte Krankentagegeld. Entsprechen sich aber Leistung und Gegenleistung, so ist eine unzumutbare Härte für die Beklagten nicht feststellbar. Sonstige Gründe für die Annahme einer Unzumutbarkeit hat auch die Beklagte nicht konkret geltend gemacht.

c)

Ob einer wirksamen Klauselersetzung darüber hinaus – wie klägerseits geltend gemacht – entgegensteht, dass die Beklagte eine unzulässige inhaltsgleiche Ersetzung vornahm, kann vorliegend dahinstehen.

III.

Der Kläger hat aus dem Krankentagegeldversicherungsvertrag gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung weiteren Krankentagegeldes in Höhe von 9.446,40 EUR. Das Vorliegen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Zeitraum vom 01.05.2020 bis zum 17.03.2021 steht zwischen den Parteien nicht in Streit. Aufgrund der unwirksamen Herabsetzung des dem Kläger gezahlten Krankentagegeldsatzes auf 175,00 EUR, wegen deren Einzelheiten auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen wird, ist die Beklagte zur Zahlung der sich bei Ansatz des ursprünglich versicherten Krankentagegeldes von insgesamt 204,52 EUR ergebenden Differenz verpflichtet (29,52 EUR x 320 Tage).

Die Zinsforderung ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit begründet. Ein früherer Verzugseintritt ist aus der vorgerichtlichen Korrespondenz nicht ersichtlich.

IV.

Der Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist gem. §§ 280 Abs. 1 S. 1, 257 BGB teilweise begründet, da die Beklagte durch die unberechtigte Herabsetzung des Krankentagegeldes eine vertragliche Nebenpflicht verletzt hat und der Kläger die Beauftragung eines Rechtsanwaltes für erforderlich halten durfte. Der maßgebliche Gegenstandswert beläuft sich indes auf lediglich bis 5.000,00 EUR. Die anwaltliche Tätigkeit (Schreiben vom 22.04.2020) erfolgte zeitlich vor den hier streitgegenständlichen Zahlungsansprüchen, so dass sich der Gegenstandswert lediglich nach dem Interesse des Klägers an der Feststellung der streitigen Differenz der Tagessatzhöhe bemisst, welches mangels vorgerichtlichen Zusammentreffens mit einem Zahlungsanspruch mit der Hälfte des einjährigen Krankentagegeldbezuges abzgl. 20 % zu bewerten ist (BGH, Beschluss vom 14.12.2016 – IV ZR 477/15).

……………

V.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergehen gem. §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 S. 2 ZPO.

Streitwert: 10.523,88 EUR

(9.446,40 EUR für Klageantrag zu 2. zzgl. 1.077,48 EUR für Klageantrag zu 1., [= 20 % der Hälfte des einjährigen Krankentagegeldbezuges in Höhe der allein streitigen Herabsetzung, entsprechend BGH, Beschluss vom 14.12.2016 – IV ZR 477/15]; Antrag zu 3. bleibt ohne Ansatz, da Nebenforderung)

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