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Krankentagegeld – fortwährende Behandlung i.S.v. § 4 Abs. 5 MB/KT – Voraussetzungen

OLG Hamm: Fortgesetzte medizinische Behandlung begründet Anspruch auf Krankentagegeld

Im Urteil des OLG Hamm (Az.: I-20 U 117/22) vom 17. März 2023 wurde entschieden, dass der Kläger Anspruch auf weiteres Krankentagegeld für den Zeitraum vom 29. April 2016 bis zum 11. Juli 2016 hat. Dies wurde aufgrund der fortgesetzten medizinisch notwendigen Behandlung seiner Erkrankung begründet, die eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte. Die vorherige Entscheidung des Landgerichts Münster wurde somit teilweise abgeändert, und die beklagte Versicherung muss zusätzlich 7.400 Euro nebst Zinsen an den Kläger zahlen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: I-20 U 117/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  1. Das OLG Hamm hat einem Kläger zusätzliches Krankentagegeld für einen bestimmten Zeitraum zugesprochen.
  2. Grundlage ist die medizinisch notwendige, fortwährende Behandlung einer Krankheit, die zur Arbeitsunfähigkeit führte.
  3. Die Entscheidung ändert ein früheres Urteil des Landgerichts Münster teilweise ab.
  4. Die beklagte Versicherung muss nun 7.400 Euro plus Zinsen an den Kläger zahlen.
  5. Die Behandlung erfolgte kontinuierlich, auch wenn sie in geringerer Frequenz und als kürzere Sitzungen stattfand.
  6. Die medizinische Notwendigkeit der Behandlung und die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit wurden anerkannt.
  7. Obliegenheitsverletzungen seitens des Klägers, die zu einer Leistungskürzung hätten führen können, wurden verneint.
  8. Das Urteil betont die Wichtigkeit der individuellen medizinischen Behandlungspläne und deren Anerkennung durch die Versicherung.

Krankentagegeld: Voraussetzung einer fortwährenden Behandlung

Ein Krankentagegeld soll Versicherten bei Krankheit den Verlust von Arbeitseinkommen ausgleichen. Hierbei spielt die fortwährende Behandlung des Versicherten eine entscheidende Rolle. Die diesbezüglichen Voraussetzungen werden im § 4 Abs. 5 MB/KT geregelt. Um die Leistung des Krankentagegelds zu erhalten, muss eine ununterbrochene ärztliche Behandlung vorliegen. Wann eine Behandlung noch als fortwährend gilt, ist im Einzelfall zu beurteilen und kann abhängig von dem Krankheitsbild und dem individuellen Behandlungsplan variieren. Urteile wie das des OLG Hamm liefern hierbei wertvolle Anhaltspunkte für die Auslegung der Voraussetzungen einer fortwährenden Behandlung im Sinne des Krankentagegelds.

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Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Forderung eines Klägers gegen seine Krankentagegeldversicherung, vertreten durch die Beklagte, auf Zahlung von ausstehendem Krankentagegeld für den Zeitraum vom 29. April 2016 bis zum 11. Juli 2016. Der Kläger, ein bei der Beklagten privat kranken- und pflegeversichertes Individuum, machte geltend, dass die Versicherung die Zahlungen für das Krankentagegeld, basierend auf den vereinbarten Bedingungen nach einer Karenzzeit von 42 Tagen, zu Unrecht eingestellt hatte. Der Fall nahm seinen Ausgangspunkt in einem physischen und psychischen Zusammenbruch des Klägers im September 2014, nach welchem er eine Gesprächstherapie aufnahm und beruflich nicht mehr tätig war.

Der Weg durch die Instanzen

Die Auseinandersetzung zog sich über mehrere Instanzen. Nachdem das Landgericht Münster der Klage teilweise stattgegeben hatte und für einen begrenzten Zeitraum Krankentagegeld zuerkannte, forderte der Kläger in der Berufung vor dem OLG Hamm die Zahlung für den weiteren Zeitraum. Das Landgericht hatte seine Entscheidung damit begründet, dass der Kläger die Notwendigkeit einer medizinischen Heilbehandlung nur bis zu einem bestimmten Datum nachgewiesen hatte.

Die Rolle der medizinischen Behandlung

Ein wesentlicher Dreh- und Angelpunkt in der rechtlichen Auseinandersetzung war die Frage, ob und inwieweit im relevanten Zeitraum eine medizinisch notwendige Heilbehandlung stattgefunden hatte. Der Kläger legte dar, dass eine kontinuierliche Behandlung durch die Zeugin A, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzausbildung in Psychotherapie, durchgeführt wurde. Diese Behandlung bestand auch während des strittigen Zeitraums, wobei sie teilweise in Form von kürzeren, stützenden Gesprächen erfolgte. Diese therapeutische Strategie folgte der Empfehlung eines von der Beklagten benannten Gutachters, die Behandlungsintervalle zu strecken, um eine Übertherapierung zu vermeiden.

Die Entscheidung des OLG Hamm

Das OLG Hamm gab der Berufung des Klägers statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung des ausstehenden Krankentagegeldes nebst Zinsen. Das Gericht stützte seine Entscheidung maßgeblich auf die Feststellung, dass der Kläger auch im streitgegenständlichen Zeitraum eine medizinisch notwendige Heilbehandlung erhielt und somit der Versicherungsfall fortbestand. Die Beweisaufnahme, insbesondere die Einvernahme der behandelnden Ärztin, überzeugte das Gericht von der fortwährenden Behandlungsbedürftigkeit und der tatsächlichen Durchführung der Therapie.

Rechtsgrundlagen und Bedeutung für die Versicherungspraxis

Das Urteil stützt sich auf die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (MB/KT 94) und hebt hervor, dass die Bewertung, ob eine fortwährende Behandlung vorliegt, nach den Maßstäben der Krankheitskostenversicherung zu erfolgen hat. Weiterhin stellt das Gericht klar, dass die von der Beklagten angeführte Sanktionsklausel unwirksam ist, da sie eine wesentliche Abweichung von § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG darstellt, ohne dass die Beklagte eine konkrete Einbeziehung im Vertragsverhältnis nachweisen konnte.

Das Urteil verdeutlicht die Notwendigkeit einer individuellen Betrachtung des Behandlungsverlaufs und der medizinischen Erfordernisse im Kontext der Krankentagegeldversicherung. Es unterstreicht zudem die Bedeutung der präzisen Dokumentation und Kommunikation zwischen Versicherungsnehmern und ihren behandelnden Ärzten, um im Streitfall die medizinische Notwendigkeit und Kontinuität der Behandlung nachweisen zu können.

Das OLG Hamm bestätigt mit seinem Urteil den Anspruch des Klägers auf das strittige Krankentagegeld, indem es die durchgeführte medizinische Behandlung und deren Notwendigkeit anerkennt.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Welche Voraussetzungen müssen für die Zahlung von Krankentagegeld erfüllt sein?

## Voraussetzungen für die Zahlung von Krankentagegeld

Für die Zahlung von Krankentagegeld müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Hier sind die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

  • Arbeitsunfähigkeit: Der Anspruch auf Krankengeld entsteht, wenn eine Person aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig ist und dies ärztlich bescheinigt wurde.
  • Dauer der Arbeitsunfähigkeit: Krankengeld wird von der gesetzlichen Krankenkasse gezahlt, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als 6 Wochen andauert. Für die ersten 6 Wochen der Arbeitsunfähigkeit erfolgt in der Regel eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber.
  • Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse: Der Anspruch auf Krankengeld setzt voraus, dass die Person Pflichtmitglied oder freiwillig versichert in einer gesetzlichen Krankenkasse ist.
  • Lückenlose Krankschreibung: Die Arbeitsunfähigkeit muss lückenlos durch ärztliche Atteste nachgewiesen werden. Die Krankschreibungen müssen rechtzeitig bei der Krankenkasse eingereicht werden.
  • Höchstbezugsdauer: Krankengeld wird für dieselbe Krankheit für maximal 78 Wochen (546 Kalendertage) innerhalb einer sogenannten Blockfrist von 3 Jahren gezahlt.
  • Höhe des Krankengeldes: Das Krankengeld beträgt in der Regel 70 Prozent des regelmäßig erzielten Bruttoarbeitsentgelts bis zur Beitragsbemessungsgrenze, jedoch nicht mehr als 90 Prozent des letzten Nettoarbeitsentgelts.
  • Weitere Einkünfte: Das Krankentagegeld darf zusammen mit sonstigen Einkünften das auf den Kalendertag umgerechnete Nettoeinkommen nicht übersteigen.
  • Besondere Regelungen für Selbstständige: Selbstständige, die nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind, müssen sich um eine eigene Absicherung kümmern und können ein privates Krankentagegeld abschließen.
  • Kinderkrankengeld: Für Eltern gibt es besondere Regelungen für den Bezug von Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes.
  • Antragstellung: Ein gesonderter Antrag auf Krankengeld ist in der Regel nicht notwendig, da die Krankenkasse nach Eingang der Krankschreibung Kontakt mit dem Versicherten aufnimmt.

Es ist wichtig, dass die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, um Krankentagegeld zu erhalten. Bei Unklarheiten oder spezifischen Fragen sollte man sich direkt an die eigene Krankenkasse wenden oder rechtlichen Rat einholen.

Inwiefern spielt die Arbeitsunfähigkeit eine Rolle beim Anspruch auf Krankentagegeld?

Arbeitsunfähigkeit ist eine zentrale Voraussetzung für den Anspruch auf Krankentagegeld. Krankentagegeld aus der privaten Krankenversicherung wird nur dann gezahlt, wenn der Versicherte vollständig, das heißt zu 100 Prozent arbeitsunfähig ist. Die Arbeitsunfähigkeit muss ärztlich bescheinigt werden und gilt als nachgewiesen, wenn der Versicherte aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls seine berufliche Tätigkeit nicht ausüben kann und tatsächlich auch keiner Erwerbstätigkeit nachgeht.

Für gesetzlich Versicherte beginnt der Anspruch auf Krankengeld, wenn sie wegen derselben Krankheit länger als sechs Wochen arbeitsunfähig sind. In dieser Zeit erfolgt in der Regel eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Nach Ablauf dieser sechs Wochen springt die gesetzliche Krankenversicherung ein und zahlt das Krankengeld.

Die Arbeitsunfähigkeit muss lückenlos durch ärztliche Atteste nachgewiesen werden, und die Krankschreibungen müssen rechtzeitig bei der Krankenkasse eingereicht werden. Bei privaten Krankenversicherungen wird das Krankentagegeld in der Regel ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit gezahlt.

Zusammenfassend ist die Arbeitsunfähigkeit also ein entscheidender Faktor für den Bezug von Krankentagegeld, da sie die Grundlage für den Leistungsanspruch bildet.

Was besagt § 4 Abs. 5 MB/KT im Kontext der Krankentagegeldversicherung?

### § 4 Abs. 5 MB/KT in der Krankentagegeldversicherung

Der § 4 Abs. 5 der Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (MB/KT) regelt die Voraussetzungen für die Zahlung von Krankentagegeld im Falle einer Arbeitsunfähigkeit. Laut diesem Paragraphen setzt die Zahlung von Krankentagegeld voraus, dass die versicherte Person während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit durch einen niedergelassenen approbierten Arzt behandelt wird.

Die Behandlungspflicht während der Arbeitsunfähigkeit ist also ein wesentlicher Bestandteil des Anspruchs auf Krankentagegeld. Dies bedeutet, dass die versicherte Person nicht nur arbeitsunfähig sein muss, sondern auch eine kontinuierliche ärztliche Behandlung nachweisen muss, um Krankentagegeld von der Versicherung zu erhalten.

Welche Konsequenzen hat die unwirksame Sanktionsklausel für den Versicherungsnehmer?

Die unwirksame Sanktionsklausel in Versicherungsverträgen kann für den Versicherungsnehmer sowohl positive als auch negative Konsequenzen haben. Eine Sanktionsklausel ist in der Regel dazu gedacht, den Versicherungsschutz einzuschränken, falls bestimmte, durch internationale Sanktionen vorgegebene Bedingungen erfüllt sind. Ihre Unwirksamkeit kann daher zunächst als Vorteil für den Versicherungsnehmer erscheinen, da der Versicherungsschutz nicht durch solche Klauseln eingeschränkt wird.

Positive Konsequenzen:

1. Erweiterter Versicherungsschutz: Die Unwirksamkeit einer Sanktionsklausel kann dazu führen, dass der Versicherungsschutz umfassender ist, als es bei Gültigkeit der Klausel der Fall wäre. Dies bedeutet, dass der Versicherungsnehmer unter Umständen Leistungen erhält, die ansonsten aufgrund der Sanktionsklausel ausgeschlossen gewesen wären.

2. Rechtssicherheit: Die Unwirksamkeit der Klausel kann dem Versicherungsnehmer eine gewisse Rechtssicherheit bieten, da er sich nicht mit der komplexen und möglicherweise sich ändernden Landschaft internationaler Sanktionen auseinandersetzen muss, um seinen Versicherungsschutz zu verstehen.

Negative Konsequenzen:

1. Rechtliche Unsicherheit und Risiken: Die Unwirksamkeit kann auch rechtliche Unsicherheiten mit sich bringen, insbesondere wenn es um die Frage geht, wie internationale Sanktionen den Versicherungsschutz beeinflussen. Dies kann zu Schwierigkeiten bei der Schadensregulierung führen, wenn unklar ist, ob bestimmte Sanktionen den Versicherungsschutz beeinträchtigen.

2. Mögliche Konflikte mit Sanktionsrecht: Versicherungsnehmer könnten sich in einer Situation wiederfinden, in der sie zwar theoretisch Versicherungsschutz genießen, dieser aber in der Praxis aufgrund von Sanktionsrecht nicht umsetzbar ist. Dies könnte zu Konflikten führen, insbesondere wenn Versicherungsleistungen direkt oder indirekt Sanktionen verletzen würden.

3. Anpassung der Versicherungsprämien: Langfristig könnten Versicherer auf die Unwirksamkeit von Sanktionsklauseln reagieren, indem sie die Versicherungsprämien anpassen, um das erhöhte Risiko zu kompensieren, das sie ohne die Möglichkeit, sich auf solche Klauseln zu berufen, eingehen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Unwirksamkeit einer Sanktionsklausel dem Versicherungsnehmer kurzfristig Vorteile in Form eines erweiterten Versicherungsschutzes bieten kann. Langfristig jedoch könnten sich rechtliche und finanzielle Risiken ergeben, insbesondere wenn die Versicherungsleistungen in Konflikt mit internationalen Sanktionen stehen. Es ist daher wichtig, dass Versicherungsnehmer die potenziellen Auswirkungen solcher Klauseln verstehen und gegebenenfalls rechtlichen Rat einholen.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KT 94: Regelt den Versicherungsfall in der Krankentagegeldversicherung, speziell die medizinisch notwendige Heilbehandlung bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit oder Unfallfolgen. Im vorliegenden Fall ist dies die Grundlage für den Anspruch des Klägers auf Krankentagegeld während seiner Arbeitsunfähigkeit.
  • § 4 Abs. 5 MB/KT 94: Bezieht sich auf die Durchführung einer fortwährenden Behandlung zur Sicherstellung des Krankentagegeldanspruchs. Dieser Paragraph war entscheidend, um zu beurteilen, ob der Kläger während des strittigen Zeitraums eine fortwährende medizinische Behandlung erhalten hat.
  • § 6 VVG a.F.: Erwähnt in Verbindung mit der Sanktionsklausel § 10 Abs. 1 MB/KT 94, die sich auf Obliegenheitsverletzungen des Versicherten bezieht. Das Gericht stellte fest, dass die Klausel unwirksam ist, da sie eine vollständige Leistungsfreiheit der Versicherung vorsieht, was eine wesentliche Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften darstellt.
  • § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG: Betrifft die Folgen von Obliegenheitsverletzungen durch den Versicherungsnehmer und deren Auswirkungen auf den Versicherungsschutz. Das Gericht argumentierte, dass die Anwendung der Sanktionsklausel eine wesentliche Abweichung von dieser Vorschrift darstellt.
  • § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO: Relevanz für die Überprüfung von Tatsachenfeststellungen in der Berufungsinstanz. Das Gericht sah keinen Grund, die vom Landgericht getroffenen Feststellungen anzuzweifeln, insbesondere bezüglich der Arbeitsunfähigkeit und der Notwendigkeit der medizinischen Behandlung.
  • § 286 ZPO: Grundlage für die freie Beweiswürdigung durch das Gericht. Der Senat nutzte diesen Paragraphen, um die Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage der behandelnden Ärztin und somit die durchgeführte medizinische Behandlung des Klägers zu beurteilen.


Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: I-20 U 117/22 – Urteil vom 17.03.2023

Auf die Berufung des Klägers wird das am 08.03.2022 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster (115 O 24/19) teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger – über das Urteil des Landgerichts hinaus – weitere 7.400,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.02.2019 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte in der Berufungsinstanz noch Ansprüche auf Zahlung von (Rest-)Krankentagegeld für den Zeitraum vom 29.04.2016 bis einschließlich 11.07.2016, also für 74 Tage, geltend.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Kranken- und Pflegeversicherung. Die – mittlerweile wegen eingetretener Berufungsunfähigkeit mit Ablauf des 11.07.2016 beendete und in eine Anwartschaftsversicherung umgewandelte – Krankentagegeldversicherung sah nach einer Karenzzeit von 42 Tagen die Zahlung eines täglichen Krankentagegeldes in Höhe von 100 Euro vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein verwiesen (Bl. 21 ff. der Papierakte erster Instanz – nachfolgend: GA-I). Der Krankentagegeldversicherung liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankentagegeldversicherung (MB/KT 94), ergänzt durch die Tarifbedingungen der Beklagten (TB/KT), zugrunde (vgl. Bl. 40 ff. GA-I).

Der Kläger war zuletzt als „(…)“ tätig. Er erlitt im September 2014 einen körperlichen und psychischen Zusammenbruch und nahm eine Gesprächstherapie bei der Zeugin A, Fachärztin für Allgemeinmedizin mit Zusatzausbildung für Psychotherapie, auf. Seitdem ist der Kläger nicht mehr beruflich tätig.

Vorprozessual zahlte die Beklagte insgesamt Krankentagegeld in Höhe von 8.500 Euro für insgesamt 85 Tage im Zeitraum zwischen dem 05.12.2014 und dem 07.06.2015. Weitergehende Ansprüche wies die Beklagte mit Schreiben vom 01.08.2017 zurück (vgl. Bl. 141 ff. GA-I).

Erstinstanzlich hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung eines weiteren Krankentagegeldes für den Zeitraum bis zum 11.07.2016 in Höhe von insgesamt 52.500 Euro nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 45.100 EUR nebst Zinsen stattgegeben. Die Zahlungspflicht sei auf den Zeitraum bis einschließlich den 28.04.2016 beschränkt, weil der Kläger die Durchführung einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung nur bis dahin dargelegt habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren – soweit aberkannt – weiter. Der Kläger behauptet unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung und Antritt von Zeugenbeweis, es sei auch im Zeitraum vom 29.04.2016 bis einschließlich zum 11.07.2016 (74 Tage) eine medizinisch notwendige Heilbehandlung durchgeführt worden.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn weiter 7.400 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie rügt die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung der Zeugin A und deren Benennung als Zeugin als verspätet.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin A. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen weiteren Anspruch auf Krankentagegeld für den Zeitraum vom 29.04.2016 bis einschließlich zum 11.07.2016 aus der zwischen den Parteien bestehenden Krankentagegeldversicherung.

1. Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird (§ 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KT 94). Das Landgericht hat – von der Beklagten nicht angegriffen – festgestellt, dass der Kläger zwischen dem 10.11.2014 und dem 11.07.2016 (und damit im hier noch streitgegenständlichen Zeitraum) arbeitsunfähig erkrankt war. Vollständigkeits- und Richtigkeitszweifel an den insoweit getroffenen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) sind weder dargetan noch ersichtlich. Gleiches gilt für die landgerichtliche Feststellung, dass es sich bei der Behandlung des Klägers durch die Zeugin A um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung gehandelt hat.

2. Der Versicherungsfall hat auch nicht vor dem 11.07.2016 geendet. Weder ist im streitgegenständlichen Zeitraum die Behandlungsbedürftigkeit entfallen (vgl. § 1 Abs. 2 MB/KT 94; dazu unter a)) noch ist in diesem Zeitraum eine Heilbehandlung tatsächlich nicht durchgeführt worden (b)).

a) Der Versicherungsfall endete nicht aufgrund vorzeitigen Fortfalls der Behandlungsbedürftigkeit (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 399/13 -, juris Rn. 18; Prölss/Martin/Voit, VVG, 31. Aufl. 2021, MB/KT 2009 § 1 Rn. 10). Die beim Kläger (auch) im streitgegenständlichen Zeitraum vorliegende, niemals vollständig remittierte schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (F32.2 ICD-10) bzw. Somatisierungsstörung (F45.0 ICD-10) hat nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vortrag eine fortwährende medizinische Behandlung erforderlich gemacht.

b) Der Kläger ist im streitgegenständlichen Zeitraum auch tatsächlich durch eine niedergelassene approbierte Ärztin, nämlich die Zeugin A, behandelt worden und hat somit der Behandlungsklausel nach § 4 Abs. 5 MB/KT 94 genügt. Ob eine fortdauernde Behandlung, eine für den Versicherungsfall unschädliche bloße Behandlungspause oder ein – den Versicherungsfall beendender – Behandlungsabschluss (ggf. bei späterer Wiederaufnahme einer neuen Behandlung) vorliegt, bestimmt sich nach den für die Krankheitskostenversicherung geltenden Maßstäben und damit insbesondere nach dem Behandlungsplan – hier – der behandelnden Ärztin (vgl. Prölss/Martin/Voit, 31. Aufl. 2021, MB/KT 2009 § 1 Rn. 11 mit dem dortigen Hinweis auf MB/KK 2009 § 1 Rn. 16).

Nach dem vom Kläger in der Berufungsinstanz gehaltenen Vortrag lag auch im streitgegenständlichen Zeitraum eine fortwährende Behandlung vor bzw. waren allenfalls unschädliche Behandlungspausen gegeben (aa). Dieser Vortrag ist berücksichtigungsfähig (bb). Seine Richtigkeit steht nach durchgeführter Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest (cc).

aa) Der Kläger hat in der Berufungsinstanz geltend gemacht, auch im streitgegenständlichen Zeitraum kontinuierlich behandelt worden zu sein. Er habe Gesprächstermine bei der Zeugin auch am 04. und 13.05.2016 sowie am 01. und 07.06.2016 wahrgenommen. Es habe sich hierbei um kürzere, stützende Gespräche gehandelt. Es habe einer Empfehlung des von der Beklagten benannten Gutachters B entsprochen, die Therapiesitzungen zeitlich gestreckt und in geringerer Häufigkeit durchzuführen, um eine „Übertherapierung“ zu vermeiden. Es habe sich hierbei um eine bewusste therapeutische Entscheidung mit genau definiertem Zeitraum gehandelt.

In seiner persönlichen Anhörung hat der Kläger ergänzend erklärt, die Zeugin A habe sich die Einschätzung des Gutachters zu eigen gemacht und eine „Streckung“ der Behandlungstermine befürwortet, damit er aus dem „Behandlungsstress“ heraus- und zur Ruhe komme. Alle Behandlungstermine hätten im Behandlungszimmer der Zeugin stattgefunden. Er habe lediglich kurze Impulse benötigt, da alles eingehend im Rahmen der vorhergehenden Gesprächstherapie vorbesprochen gewesen sei.

bb) Dieser Vortrag ist zu berücksichtigen. Er ist nicht neu im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO, sondern konkretisiert und verdeutlicht nur bereits gehaltenen Vortrag (vgl. dazu BGH, Urt. v. 21. Dezember 2006 – VII ZR 279/05, NJW 2007, 1531, 1532; BGH, Beschluss vom 2. April 2009 – V ZR 177/08 -, juris Rn. 9). Der Kläger hat bereits erstinstanzlich behauptet, seit seinem Zusammenbruch kontinuierlich – und damit auch im streitgegenständlichen Zeitraum – durch die Zeugin A behandelt worden zu sein. Auch hat er bereits in erster Instanz geltend gemacht, dass bei Abholung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Mai auch „Kurzsitzungen“ stattgefunden hätten.

cc) Es steht nach durchgeführter Beweisaufnahme auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum im Sinne des § 4 Abs. 5 MB/KT 94 behandelt wurde (§ 286 ZPO).

(1) Die Zeugin A hat glaubhaft bekundet, dass der Gutachter dem Kläger eine Therapiepause bzw. kürzere Kontakte empfohlen habe. Sie habe das befürwortet und zusammen mit dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum umgesetzt. Sie hat ferner unter Heranziehung ihrer Behandlungsdokumentation glaubhaft bekundet, dass jedenfalls am 04. und 13.05 sowie am 01. und 07.06 und dann wieder am 11.08.2016 Gesprächstermine unterschiedlicher Länge stattgefunden hätten. In den kürzeren Gesprächen sei es um die Stabilisierung des bereits Erarbeiteten gegangen. Die Abrechnung einer Behandlungsziffer habe nur bei längeren Gesprächen erfolgen können. Soweit es im ärztlichen Bericht vom 21.02.2018 (Bl. 143 f. GA-I) heiße, dass Gespräche nur bis März 2016 geführt worden seien, habe sich dies auf längere Sitzungen bezogen.

Der Senat ist von der Richtigkeit dieser Bekundungen überzeugt. Die Angaben korrespondieren zudem mit der von der Beklagten zur Akte gereichten Abrechnung der Zeugin vom 31.08.2016 (Anlage BE1). Soweit aus der Patientenakte hervorgeht, es habe im streitgegenständliches Zeitraum ein letztes Gespräch Ende April 2016 stattgefunden, handelt es sich bei dem erstinstanzlich zur Akte gereichten Konvolut ersichtlich nur um einen unvollständigen Auszug der Patientenakte.

(2) Auf dem Boden dieses Beweisergebnisses ist der Kläger auch im streitgegenständlichen Zeitraum im Sinne des § 4 Abs. 5 MB/KT behandelt worden. Die geringere Frequenz sowie die kürzere Dauer der Behandlungstermine entsprach dem zwischen der Zeugin und dem Kläger abgestimmten Behandlungsplan. Auch die kürzeren Gesprächstermine erreichten zudem, weil sie an die frühere Gesprächstherapie anknüpften und der Impulssetzung und Stabilisierung dienten, die Qualität einer bedingungsgemäßen medizinischen Behandlung.

3. Die Beklagte – die hierauf in der Berufungsinstanz auch nicht mehr zurückgekommen ist – ist nicht wegen Obliegenheitsverletzungen zur Leistungskürzung berechtigt oder gar leistungsfrei. Die auf § 6 VVG a.F. verweisende Sanktionsklausel § 10 Abs. 1 MB/KT 94 ist – wie das Landgericht zutreffend gesehen hat – unwirksam, weil aufgrund der angeordneten vollständigen Leistungsfreiheit eine wesentliche Abweichung von § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG vorliegt und die Beklagte nicht in substantiierter Weise dargelegt hat, von der ihr nach Art. 1 Abs. 3 EGGVG eingeräumten Einbeziehungsmöglichkeit im konkreten Vertragsverhältnis Gebrauch gemacht zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2011 – IV ZR 199/10 -, juris Rn. 17).

4. Auch der in der Berufungsinstanz noch gegenständliche Restanspruch ist mit Zugang des Schreibens der Beklagten vom 01.08.2017 wegen ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung fällig geworden (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 14 Rn. 3).

5. Der Höhe nach ergibt sich ein Restanspruch für 74 Tage je 100 EUR, also in Höhe von 7.400 EUR. Rechtshängigkeitszinsen stehen dem Kläger ab dem 16. Februar 2019 zu. Rechtshängigkeit ist (spätestens) mit Eingang der Akten beim Prozessgericht am 15. Februar 2019 eingetreten (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 – III ZR 164/08 -, juris Rn. 17 ff.).

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1, § 708 Nr. 10 Satz 1, § 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Berufungsstreitwert: 7.100,00 EUR

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