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Beweispflicht Versicherer bei vorsätzlicher Schadensherbeiführung

OLG Köln – Az.: I-9 U 126/17 – Beschluss vom 03.05.2018

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln (24 O 368/16) vom 12.10.2017 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Beklagte.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 13000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Beschluss ergeht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO.

Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss vom 29.03.2018 Bezug genommen.

Das ergänzende Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 26.04.2018, worin diese im Wesentlichen ihre bisherigen und im Senatsbeschluss vom 29.03.2018 bereits berücksichtigten Einwendungen wiederholt, rechtfertigt keine abweichende rechtliche Beurteilung. In Anwendung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Einzelfall ist die Beklagte beweisfällig für eine vorsätzliche Herbeiführung des Schadens an den Rechtsgütern der Geschädigten M durch den Versicherungsnehmer.

Der Versicherer ist für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes einer vorsätzlichen Schadensherbeiführung im Sinne der §§ 103 VVG, Nr. 7.1. AHB 2008 beweispflichtig. Es geht deshalb zu seinen Lasten, wenn die innere Einstellung des Täters zur Zeit der Tat nicht aufgeklärt werden kann (Harsdorf-Gebhardt, in Späte/Schimikowski, Haftpflichtversicherung, 2. Aufl., § 7 AHB, Rn. 23 m. w. N.; Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2013, § 103, Rn. 91 ff. m. w. N.). Es gilt das Beweismaß des § 286 ZPO (Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2013, § 103, Rn. 91 ff. m. w. N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedeutet dies, dass die vom Versicherer zu beweisenden Indizien in ihrer Gesamtschau für das Gericht ein solch praktisches Maß an Überzeugung an einer vorsätzlichen Schadensherbeiführung ergeben, das vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 22.11.2006 – IV ZR 21/05 – zur Eigenbrandstiftung, juris; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1993 – VI ZR 221/92 -, Rn. 13, juris). Die tatrichterliche Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruhen, und die vom Gericht gezogenen Schlussfolgerungen dürfen sich nicht als bloße Vermutungen erweisen. Eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit ist indessen nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 22.11.2006 – IV ZR 21/05 – m. w. N., juris; BGH, Urteil vom 14. Dezember 1993 – VI ZR 221/92 -, Rn. 13, juris).

Vorliegend reichen die von der Beklagten vorgetragenen Indizien in ihrer Gesamtschau nicht aus, um den Senat von einer vorsätzlichen Herbeiführung der Schäden an den Rechtsgütern der Geschädigten M durch den verstorbenen Versicherungsnehmer zu überzeugen. Wie der Senat bereits in seinem Hinweisbeschluss vom 29.03.2018 eingehend ausgeführt hat, bestehen unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls vernünftige Zweifel, dass der Versicherungsnehmer nach der Tötung seines Sohnes und vor seinem beabsichtigten Suizid die Schädigung von Rechtsgütern der am Familienkonflikt unbeteiligten Mieterin M in sein Vorstellungsbild einbezogen und zumindest billigend in Kauf genommen hat, als er seine eigene Wohnung vorsätzlich in Brand gesetzt hat.

Neben dem unmittelbaren Tatgeschehen, auf welches sich die Beklagte stützt, sind die Vorgeschichte und insbesondere die – bereits vor dem Tatgeschehen und in demselben – nach außen zu Tage getretenen Persönlichkeitsmerkmale des Handelnden mit in die Beurteilung einzubeziehen (OLG Bamberg, Urteil vom 08. August 2006 – 5 U 247/04 -, Rn. 30, juris). Außerdem dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Feststellung der Voraussetzungen des Vorsatzes besondere Umstände, die zur Beeinträchtigung oder zum Ausschluss der Schuldfähigkeit des Versicherungsnehmers führen können, nicht außer Betracht bleiben (BGH, Urteil vom 17. Juni 1998 – IV ZR 163/97 -, Rn. 11, juris). Eine bloße Minderung der Willenskraft führt zwar nicht zum Ausschluss der Verantwortlichkeit. Sie ist jedoch bei der Feststellung des Vorsatzes sowohl auf der Ebene der Haftungsbegründung als auch hinsichtlich der Schadensfolgen zu berücksichtigen und somit von Bedeutung für § 103 VVG. Gleiches gilt bei krankhafter Gleichgültigkeit gegenüber den Folgen eines Handelns oder der Unfähigkeit zu vernünftigen Überlegungen. In allen diesen Fällen bestehen begründete Zweifel, ob der Versicherungsnehmer die erforderliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit für die Annahme auch nur bedingten Vorsatzes, bezogen auch auf die Schadensfolgen, hat (zum Ganzen Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2013, § 103, Rn. 44).

So liegt der Fall hier. Es ist nicht auszuschließen, dass der Versicherungsnehmer sich vor, während und nach der Tötung seines Sohnes in einem emotionalen Ausnahmezustand befand, der seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit bezüglich der sich anschließenden Inbrandsetzung entfallen ließ. Der Vortrag der Beklagten verhält sich nicht zu den Persönlichkeitsmerkmalen des Versicherungsnehmers und seiner Bewusstseinslage nach der Tötung des eigenen Sohnes. Allein das Ausbringen von Brandbeschleuniger innerhalb der eigenen Wohnung des Versicherungsnehmers, verteilt auf drei Etagen, lässt nicht den Rückschluss zu, dass der Versicherungsnehmer sich der Möglichkeit einer Schädigung unbeteiligter Dritter überhaupt bewusst war. Von dem im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen wird der Versicherungsnehmer als cholerisch und sehr emotional beschrieben. Angesichts dessen besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass das aggressive Verhalten des Versicherungsnehmers zunächst gegen seinen Sohn und anschließend gegen sich selbst dazu geführt hat, dass dieser bei der Inbrandsetzung seiner Wohnung zu Überlegungen nicht mehr in der Lage war, die jedem „normalen“ Menschen in dieser Situation hätten einleuchten müssen, nämlich dass das Feuer auf weitere Wohnungen übergreifen und damit auch das Eigentum der Mieterin M schädigen kann. Es fehlen Indizien, die eindeutig auf eine wissentliche und willentliche Schädigung von Rechtsgütern der anderen Mieter im Mehrfamilienhaus hindeuten, wie etwa die Auslegung von Brandbeschleuniger im Treppenhaus oder im Bereich der Eingangstüren zu den übrigen Wohnungen. Die angesichts des gesamten Tatgeschehens bestehende Möglichkeit einer krankhaften Gleichgültigkeit des Versicherungsnehmers gegenüber jeglichen Folgen seines Handelns vermochte die Beklagte ebenfalls nicht auszuschließen.

Die aufgezeigten Zweifel des Senats gehen zulasten der Beklagten, die den Vollbeweis für eine vorsätzliche Schadensherbeiführung zu erbringen hat. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich insoweit nicht um eine antizipierte Beweiswürdigung. Die Beklagte hat keinen geeigneten Beweis zur Aufklärung der Bewusstseinslage des Versicherungsnehmers im Zeitpunkt der Inbrandsetzung angeboten. Der von der Beklagten angebotene Zeugen- und Sachverständigenbeweis ist ungeeignet, um im Nachhinein die Willensrichtung des verstorbenen Versicherungsnehmers in Bezug auf die Folgen seiner Brandstiftung festzustellen. Insbesondere fehlen hinreichende Anknüpfungstatsachen für die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf seine Ausführungen in dem Hinweisbeschluss vom 29.03.2018, denen die Beklagte in ihrer ergänzenden Stellungnahme nicht erheblich entgegengetreten ist.

Die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor. Alle maßgeblichen Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung und Literatur geklärt. Der Senat hat die vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze zum Nachweis einer vorsätzlichen Schadensherbeiführung durch den Versicherungsnehmer auf den vorliegenden Einzelfall angewandt. Eine mündliche Verhandlung vor dem Senat ist auch sonst nicht geboten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

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