Auf einer losen Kiesauffahrt setzte ein Autofahrer zum Wenden an, rutschte seitlich ab und sein Wagen glitt die Böschung hinab. Kurz darauf meldete der Motor einen schwerwiegenden Schaden, dessen Bezahlung der Fahrzeughalter von seiner Vollkaskoversicherung forderte. Die Versicherung jedoch verweigerte die Leistung und bestand darauf, das Abrutschen sei kein versicherter Unfall gewesen.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Was geschah auf der Kiesauffahrt, das diesen ungewöhnlichen Rechtsstreit auslöste?
- Wie argumentierte der Autobesitzer, und warum verweigerte die Versicherung die Zahlung?
- Warum endete der Fall zunächst vor dem Landgericht?
- Warum zog der Autobesitzer den Fall vor das Oberlandesgericht?
- Welche entscheidende Rolle spielte ein Gutachter bei der Urteilsfindung?
- Warum entschied das Gericht letztlich gegen den Fahrzeughalter?
- War der zeitliche Zusammenhang nicht Beweis genug für den Schaden?
- Wichtigste Erkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was unterscheidet einen „Unfallschaden“ von einem „Betriebsschaden“ in der Kfz-Versicherung?
- Welche Bedeutung hat der kausale Zusammenhang bei der Geltendmachung von Versicherungsansprüchen?
- Wer trägt die Beweislast bei der Geltendmachung von Schäden in Versicherungsfällen?
- Warum sind Sachverständigengutachten und eindeutige Beweise für die Durchsetzung von Versicherungsansprüchen so wichtig?
- Reicht ein bloßer zeitlicher Zusammenhang aus, um einen Schaden als versichert anzuerkennen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 10 U 2305/19 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht München
- Datum: 08.11.2019
- Aktenzeichen: 10 U 2305/19
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht (Kfz-Vollkaskoversicherung), Zivilprozessrecht (Beweislast)
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Autofahrer, dessen Fahrzeug vollkaskoversichert war. Er forderte von seiner Versicherung die Regulierung eines Motorschadens als Unfallschaden.
- Beklagte: Die Kfz-Vollkaskoversicherung des Klägers. Sie weigerte sich zu zahlen, da sie den Motorschaden als nicht versicherten Betriebsschaden einstufte.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Das Auto des Klägers rutschte auf einer Kiesauffahrt seitlich ab. Kurz darauf trat ein Motorschaden auf.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: War der Motorschaden ein versicherter Unfallschaden, der direkt durch das Abrutschen verursacht wurde, oder ein nicht versicherter Schaden, der beim normalen Betrieb entstand?
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen.
- Zentrale Begründung: Das Gericht konnte nicht feststellen, dass der Motorschaden unmittelbar durch das Abrutschen des Fahrzeugs verursacht wurde.
- Konsequenzen für die Parteien: Der Kläger erhält keine Versicherungsleistung und muss die Kosten des Verfahrens tragen.
Der Fall vor Gericht
Was geschah auf der Kiesauffahrt, das diesen ungewöhnlichen Rechtsstreit auslöste?
Stellen Sie sich vor, Sie fahren entspannt zu Ihrem Angelplatz. Der Weg führt über eine provisorische Auffahrt, aufgeschüttet mit losem Kies. Um zu wenden, setzen Sie Ihr Fahrzeug rückwärts. Dann, beim Vorwärtsfahren bergab, passiert es: Sie lenken einen Moment zu früh ein, Ihr Wagen gerät ins Rutschen, gleitet seitlich die kiesige Böschung hinab. Es ist kein harter Aufprall, eher ein unsanftes Herabgleiten. Doch kurze Zeit später leuchtet im Cockpit eine Warnmeldung auf, und es wird klar: Der Motor hat einen ernsten Schaden erlitten.

Für den Fahrzeughalter, nennen wir ihn Herrn W., schien der Fall klar zu sein: Seine Vollkaskoversicherung müsste für diesen Schaden aufkommen. Schließlich war das Auto abgerutscht – ein Unfall, dachte er. Doch seine Versicherung sah das ganz anders, und so landete der Fall vor Gericht, in dem es um eine grundlegende Frage ging: War das Abgleiten auf dem Kies tatsächlich der Auslöser für den Motorschaden, wie von einem versicherten „Unfall“ gefordert?
Herr W. besaß einen Pkw VW Kombi, der bei der beklagten Versicherung, wir nennen sie einfach „die Versicherung“, vollkaskoversichert war. Eine Vollkaskoversicherung ist eine Art von Autoversicherung, die Schäden am eigenen Fahrzeug abdeckt – auch wenn man selbst den Schaden verursacht hat. Die Bedingungen dieser Versicherung sahen vor, dass Schäden am Fahrzeug durch „Unfall“ versichert sind. Als Unfall wurde definiert: „ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis“. Herr W. war überzeugt, dass sein Rutschmanöver genau dieser Beschreibung entsprach. Die Versicherung hielt dagegen, es handle sich um einen Betriebsschaden – einen Schaden, der im normalen Betrieb des Fahrzeugs entsteht, ohne dass eine äußere, plötzliche Gewalteinwirkung vorliegt. Solche Schäden durch Verschleiß, Materialfehler oder unsachgemäßen Gebrauch sind typischerweise nicht von der Vollkaskoversicherung abgedeckt. Dieser grundlegende Unterschied war der Kern des Rechtsstreits.
Wie argumentierte der Autobesitzer, und warum verweigerte die Versicherung die Zahlung?
Herr W. trug vor, sein Fahrzeug sei auf der mit Kies aufgeschütteten Auffahrt zu einer Autobahnbaustelle seitlich abgerutscht. Er schätzte die Rutschstrecke auf 50 bis 100 Meter. Direkt im Anschluss, so seine Aussage, sei die Motorwarnmeldung erschienen. Der Motorschaden bestand darin, dass sich der Keilrippenriemen aufgelöst und Fragmente dieses Riemens die Steuerkette beschädigt hatten, was zu einem schwerwiegenden Motorschaden führte.
Für Herrn W. war klar: Das Abrutschen war das versicherte Ereignis. Er vermutete, dass während des Rutschens auf dem Kies oder durch das Aufsetzen der Fahrzeugunterseite Steine oder Schotter in den Motorraum gelangt waren. Diese Fremdkörper hätten dann den Keilrippenriemen beschädigt und so die fatale Kette ausgelöst, die zum Motorschaden führte. Er forderte daher von der Versicherung die Regulierung des Schadens.
Die Versicherung wies die Forderung entschieden zurück. Ihr Hauptargument war, dass der von den Versicherungsbedingungen geforderte kausale Zusammenhang fehle. Ein Kausaler Zusammenhang bedeutet, dass ein Ereignis (hier das Abrutschen) tatsächlich die Ursache für einen Schaden (der Motorschaden) sein muss. Es muss eine direkte und nachweisbare Ursache-Wirkung-Kette bestehen. Die Versicherung argumentierte, es handele sich um einen typischen Betriebsschaden und bestritt, dass der Motorschaden durch eine von außen einwirkende mechanische Gewalt, wie eindringende Steine, verursacht wurde. Sie forderte von Herrn W. einen eindeutigen Beweis dafür, dass der Schaden direkt auf das Abrutschen zurückzuführen war.
Warum endete der Fall zunächst vor dem Landgericht?
Nachdem die außergerichtlichen Bemühungen gescheitert waren, reichte Herr W. Klage gegen die Versicherung ein. Der Fall wurde zunächst vor dem Landgericht Landshut verhandelt. Ein Landgericht ist ein Gericht, das über größere Streitigkeiten entscheidet und oft die erste Instanz in vielen zivilrechtlichen Fällen ist. Das Gericht hatte zu prüfen, ob Herr W. beweisen konnte, dass sein Motorschaden tatsächlich die direkte Folge eines versicherten Unfalls war, der durch die äußere Einwirkung von Kies oder Steinen verursacht wurde.
Das Landgericht Landshut hörte die Argumente beider Parteien an und prüfte die Beweislage. Am Ende seiner Prüfung kam es zu dem Schluss, dass Herr W. den erforderlichen Nachweis nicht erbringen konnte. Das Gericht wies die Klage von Herrn W. ab, was bedeutete, dass er den Schaden selbst tragen musste und keine Leistung von seiner Vollkaskoversicherung erhielt.
Warum zog der Autobesitzer den Fall vor das Oberlandesgericht?
Mit dem Urteil des Landgerichts war Herr W. nicht einverstanden. Er war weiterhin fest davon überzeugt, dass sein Motorschaden eine direkte Folge des Abrutschens auf der Kiesauffahrt war und somit von seiner Versicherung bezahlt werden musste. Daher legte er Berufung ein. Eine Berufung ist ein Rechtsmittel, mit dem eine Partei die Überprüfung eines erstinstanzlichen Urteils – hier das des Landgerichts – durch ein höheres Gericht beantragen kann, wenn sie mit der Entscheidung nicht einverstanden ist.
Die nächste Instanz war das Oberlandesgericht München, kurz OLG. Das OLG sollte nun den gesamten Fall noch einmal prüfen, die Beweislage neu bewerten und entscheiden, ob das Landgericht in seiner Entscheidung Fehler gemacht hatte oder die Sache anders zu beurteilen war. Herr W. beantragte, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Versicherung zur Zahlung der Reparaturkosten für den Motorschaden zu verurteilen. Die Versicherung beantragte ihrerseits, die Berufung von Herrn W. zurückzuweisen und das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen.
Welche entscheidende Rolle spielte ein Gutachter bei der Urteilsfindung?
Im Rahmen des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht spielte die Frage des kausalen Zusammenhangs – also ob das Abrutschen den Motorschaden wirklich verursacht hat – die entscheidende Rolle. Um dies zu klären, bestellte das Gericht einen Sachverständigen. Ein Sachverständiger ist eine fachkundige Person, oft ein technischer Gutachter, die vom Gericht beauftragt wird, in komplexen technischen Fragen eine unabhängige Einschätzung oder ein Gutachten zu erstellen. Sein Wissen und seine Erfahrung helfen dem Gericht dabei, die Wahrheit in technischen Belangen herauszufinden.
Der Sachverständige H. wurde beauftragt, den Wagen von Herrn W. zu untersuchen und zu klären, ob ein Zusammenhang zwischen dem geschilderten Abrutschereignis und dem Motorschaden herzustellen war. Hierbei kam auch der Begriff der Beweislast zum Tragen. Die Beweislast beschreibt die Verpflichtung einer Partei vor Gericht, eine Behauptung zu beweisen. Im deutschen Zivilrecht muss derjenige, der einen Anspruch geltend macht – hier Herr W., der Geld von seiner Versicherung forderte – in der Regel beweisen, dass die Voraussetzungen für diesen Anspruch erfüllt sind. Herr W. musste also beweisen, dass der Motorschaden eine Folge eines versicherten Unfalls und nicht eines nicht versicherten Betriebsschadens war. Das Gericht stützte sich dabei auf die Regeln des § 286 der Zivilprozessordnung, der ZPO. Dieser Paragraph regelt, wie das Gericht Beweise würdigen muss, um zu seiner Überzeugung zu gelangen, ob eine Behauptung bewiesen ist oder nicht.
Warum entschied das Gericht letztlich gegen den Fahrzeughalter?
Das Oberlandesgericht München bestätigte das Urteil des Landgerichts und wies die Berufung von Herrn W. zurück. Die Entscheidung basierte maßgeblich auf den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen H. Dieser konnte keinen beweissicheren, also eindeutig nachweisbaren, kausalen Bezug zwischen dem vom Kläger geschilderten Abrutschereignis und dem Motorschaden feststellen.
Der Sachverständige untersuchte das Fahrzeug gründlich und stellte fest:
- Keine Schmutzanhaftungen: An der Fahrzeugunterseite im Bereich des Motors, wo Keilrippenriemen und Zahnriemen verbaut sind, waren keine Schmutzanhaftungen ersichtlich. Solche wären zu erwarten gewesen, wenn das Fahrzeug beim Herabrutschen auf dem Untergrund aufgeschlagen und dadurch Schmutz in den Motorraum gelangt wäre.
- Schutz durch Abschirmbleche: Der Sachverständige erläuterte, dass die Fahrzeugunterseite in diesem Bereich durch Abschirmbleche gekapselt ist. Nur wenige kleine Bohrungen für den Werkzeugzugang könnten ein Eindringen von Schotter oder Steinchen überhaupt ermöglichen.
- Keine vergleichbaren Fälle: Dem Sachverständigen war aus seiner langjährigen Erfahrung in der Schadenspraxis kein Fall bekannt, bei dem sich eine derartige Schadenssymptomatik – also die Art des Schadens und die Art der Entstehung – so rekonstruieren ließ, dass sie eindeutig auf eindringende Steine zurückzuführen gewesen wäre.
Der Motorschaden selbst wurde nach Sachverständigenaussage dadurch verursacht, dass sich der Keilrippenriemen an einer Seite aufgelöst hatte und dessen Fragmente in den daneben verlaufenden Zahnriemen gelangten, der für die Steuerung des Motors unerlässlich ist. Eine frühere Untersuchung eines anderen Sachverständigen, die im Auftrag der Versicherung erfolgte, hatte zwar eine Oberflächenbeschädigung am Keilrippenriemen festgestellt, aber keine Aussage darüber treffen können, warum sich die äußere Bahn des Riemens aufgelöst hatte, die den Folgeschaden verursachte. Eine eindeutige Ursachenklärung hätte eine detaillierte materialtechnische Untersuchung des Riemens erfordert. Da der Riemen zum Zeitpunkt der gerichtlichen Begutachtung nicht mehr vorhanden war und Herr W. eine solche Untersuchung nicht veranlasst hatte, konnte die genaue Ursache des Riemenauflösens nicht mehr beweissicher festgestellt werden.
War der zeitliche Zusammenhang nicht Beweis genug für den Schaden?
Herr W. hatte argumentiert, der Motorschaden sei in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Abrutschmanöver aufgetreten, was doch einen Beweis für den Zusammenhang darstelle. Das Gericht prüfte dieses Argument, verwarf es jedoch als nicht ausreichend für den erforderlichen beweissicheren Nachweis des Kausalzusammenhangs.
Das Gericht führte aus, dass Motorschäden auch bei Fahrzeugen auftreten können, die nicht in einen Unfall verwickelt waren. Zudem gab Herr W. selbst an, dass er mit dem Fahrzeug regelmäßig in unbefestigtem Gelände unterwegs war, um angeln zu gehen. Dies erhöhte die Möglichkeit, dass Steine oder andere Fremdkörper auch schon früher oder zu einem anderen Zeitpunkt in den Motorraum gelangt sein könnten, ohne dass es zu einem versicherten Ereignis kam. Der bloße zeitliche Zusammenhang allein reichte daher nicht aus, um den Motorschaden eindeutig einem Unfallereignis zuzuordnen.
Nach Einschätzung des Sachverständigen wäre ein derartiger Zusammenhang des Motorschadens mit dem geschilderten Fahrmanöver ohnehin ungewöhnlich. Da Herr W. in der Beweisverhandlung keine Einwände gegen die nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen erhoben hatte und die entscheidende Materialuntersuchung des Keilrippenriemens nicht durchgeführt werden konnte, konnte Herr W. den ihm obliegenden Beweis für einen unfallbedingten Schaden nicht erbringen. Die Klage wurde daher, wie schon in erster Instanz, zu Recht abgewiesen. Das Oberlandesgericht erklärte sein Urteil für vorläufig vollstreckbar, was bedeutet, dass die Kosten des Verfahrens schon eingezogen werden können, auch wenn theoretisch noch ein weiteres Rechtsmittel möglich wäre. Eine Revision, also eine weitere Überprüfung des Urteils durch den Bundesgerichtshof, wurde vom OLG nicht zugelassen, womit das Urteil endgültig wurde, sobald die Frist für eine Nichtzulassungsbeschwerde abgelaufen war.
Wichtigste Erkenntnisse
Wer Versicherungsleistungen beansprucht, trägt die volle Beweislast dafür, dass ein versichertes Ereignis den geltend gemachten Schaden tatsächlich verursacht hat.
- Zeitlicher Zusammenhang ersetzt keine Kausalität: Ein Motorschaden, der kurz nach einem Fahrzeugrutsch auftritt, beweist noch nicht, dass das Rutschereignis den Schaden verursacht hat. Gerichte verlangen eine nachweisbare Ursache-Wirkung-Kette, die über bloße zeitliche Nähe hinausgeht.
- Sachverständigengutachten entscheiden über technische Zusammenhänge: Wenn Versicherungsnehmer behaupten, äußere Einwirkungen hätten Motorschäden verursacht, müssen sie dies durch fundierte technische Beweise belegen. Fehlen physische Spuren wie Schmutzanhaftungen oder sind alternative Schadensursachen wahrscheinlicher, scheitert der Nachweis.
- Versäumte Beweissicherung verhindert erfolgreiche Ansprüche: Wer entscheidende Beweisgegenstände wie defekte Fahrzeugteile nicht rechtzeitig untersuchen lässt, kann später den erforderlichen Kausalnachweis nicht mehr führen und verliert dadurch seinen Versicherungsanspruch.
Vollkaskoversicherungen zahlen nur dann, wenn Versicherungsnehmer lückenlos beweisen, dass ein äußeres Ereignis den Schaden direkt verursacht hat – Vermutungen genügen nicht.
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Das Urteil in der Praxis
Manchmal ist die Geschichte plausibel, der Schaden sichtbar – und trotzdem gibt’s keinen Cent. Dieses Urteil des OLG München ist eine schonungslose Erinnerung daran, dass im Versicherungsrecht der bloße zeitliche Zusammenhang eines Schadens mit einem Ereignis absolut nicht ausreicht. Ohne handfeste, beweisbare äußere Einwirkung und einen glasklaren Kausalitätsnachweis – selbst bei ungewöhnlichen Abläufen – bleibt der Versicherungsnehmer auf seinen Kosten sitzen. Es unterstreicht brutal die Bedeutung der Beweislast und die Notwendigkeit, alle physischen Spuren akribisch zu sichern, bevor sich entscheidende Beweismittel in Luft auflösen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was unterscheidet einen „Unfallschaden“ von einem „Betriebsschaden“ in der Kfz-Versicherung?
Ein Unfallschaden ist in der Kfz-Vollkaskoversicherung ein Ereignis, das unmittelbar von außen plötzlich und mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkt. Im Gegensatz dazu ist ein Betriebsschaden ein Schaden, der im normalen Betrieb des Fahrzeugs entsteht, ohne eine solche äußere, plötzliche Gewalteinwirkung.
Man kann sich das so vorstellen: Ein Unfallschaden ist wie ein plötzlicher Schlag von außen, der das Auto trifft. Ein Betriebsschaden hingegen gleicht eher einer inneren Schwäche, beispielsweise einem Verschleiß an einem Bauteil oder einem Materialfehler, der sich während der normalen Nutzung entwickelt.
Diese Unterscheidung ist entscheidend für die Leistungspflicht einer Vollkaskoversicherung. Die Versicherung deckt typischerweise Schäden ab, die durch einen „Unfall“ verursacht wurden. Ein Schaden durch Verschleiß, Materialfehler oder unsachgemäßen Gebrauch, der im regulären Betrieb auftritt, gilt nicht als Unfallschaden und ist somit meistens nicht versichert. Für die Anerkennung eines Unfallschadens muss zudem ein direkter und nachweisbarer kausaler Zusammenhang zwischen dem äußeren Einwirken und dem entstandenen Schaden bestehen. Es muss also eine klare Ursache-Wirkung-Kette erkennbar sein.
Diese genaue Definition dient dazu, die Risiken klar abzugrenzen, die von der Vollkaskoversicherung getragen werden, und jene, die dem Fahrzeughalter selbst obliegen.
Welche Bedeutung hat der kausale Zusammenhang bei der Geltendmachung von Versicherungsansprüchen?
Der kausale Zusammenhang ist von entscheidender Bedeutung bei Versicherungsansprüchen, denn er stellt sicher, dass ein Schaden direkt und nachweisbar durch ein versichertes Ereignis verursacht wurde. Ohne diese direkte Ursache-Wirkungs-Beziehung besteht kein Anspruch auf Versicherungsleistung.
Man kann es sich wie eine Kette vorstellen: Jedes Glied muss nahtlos in das nächste übergehen, um die Verbindung vom versicherten Ereignis bis zum Schaden herzustellen. Fehlt ein Glied oder ist die Verbindung unklar, bricht die Kette, und der Anspruch entfällt.
Es reicht nicht aus, dass ein Schaden lediglich irgendwann nach einem versicherten Ereignis auftritt. Die Versicherung benötigt einen eindeutigen Beweis dafür, dass das versicherte Ereignis die tatsächliche Ursache für den konkreten Schaden war. Das bedeutet, es muss eine lückenlose und nachvollziehbare Kette von Ursache (Ereignis) und Wirkung (Schaden) bestehen.
Die Beweislast hierfür liegt in der Regel bei der Person, die den Anspruch geltend macht. Sie muss beweisen, dass die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt sind, insbesondere also den direkten Zusammenhang zwischen Ereignis und Schaden.
Diese Anforderung schützt das Vertrauen in die Funktionsweise von Versicherungen, indem sie sicherstellt, dass Leistungen nur für Schäden erbracht werden, die tatsächlich durch versicherte Risiken entstanden sind.
Wer trägt die Beweislast bei der Geltendmachung von Schäden in Versicherungsfällen?
In Versicherungsfällen trägt grundsätzlich die Person, die einen Schaden bei ihrer Versicherung geltend macht, die Beweislast dafür, dass alle Voraussetzungen für den Versicherungsanspruch erfüllt sind. Dies bedeutet, es liegt in der Verantwortung des Versicherungsnehmers, zu belegen, dass der Schaden durch ein versichertes Ereignis entstanden ist.
Man kann es mit einem Verkäufer vergleichen: Er muss beweisen, dass sein Produkt die versprochenen Eigenschaften hat und funktioniert. Genauso muss der Versicherungsnehmer nachweisen, dass der entstandene Schaden unter die vereinbarten Versicherungsbedingungen fällt und somit von der Versicherung gedeckt ist.
Der Anspruchsteller muss insbesondere belegen, dass ein versichertes Ereignis, wie ein Unfall, tatsächlich stattgefunden hat. Zudem ist es entscheidend, einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und dem entstandenen Schaden nachzuweisen. Dies bedeutet, dass das versicherte Ereignis tatsächlich die Ursache für den Schaden war. Im vorliegenden Fall musste der Fahrzeughalter beweisen, dass sein Motorschaden eine direkte Folge des Abrutschens war und nicht etwa ein Betriebsschaden, der nicht versichert ist.
Diese Regelung stellt sicher, dass Ansprüche auf einer nachprüfbaren Grundlage beruhen und schützt vor unbegründeten Forderungen.
Warum sind Sachverständigengutachten und eindeutige Beweise für die Durchsetzung von Versicherungsansprüchen so wichtig?
Sachverständigengutachten und eindeutige Beweise sind für die erfolgreiche Durchsetzung von Versicherungsansprüchen entscheidend, da subjektive Einschätzungen und Annahmen vor Gericht und bei Versicherungen nicht ausreichen. Gerichte und Versicherungen benötigen objektive, fachlich fundierte Fakten, um einen Anspruch prüfen und anerkennen zu können.
Man kann es mit der Arbeit eines Detektivs vergleichen: Er braucht nicht nur Indizien, sondern handfeste Beweise und die Expertise von Forensikern, um einen Fall zu lösen und zweifelsfrei zu beweisen, was wirklich geschehen ist. Ebenso müssen Versicherungsansprüche mit belastbaren Fakten untermauert werden.
In komplexen Fällen, wie einem Motorschaden nach einem angeblichen Unfall, müssen Anspruchsteller den direkten Ursachenzusammenhang zwischen dem Ereignis und dem Schaden beweisen. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger liefert hierfür eine unabhängige, technische Einschätzung. Er untersucht beispielsweise, ob Schmutzanhaftungen vorhanden sind oder ob Schutzvorrichtungen ein Eindringen von Fremdkörpern verhindert hätten. Das Fehlen solcher objektiven Beweise oder die Unmöglichkeit einer Untersuchung, weil relevante Teile nicht mehr vorhanden sind, kann dazu führen, dass der erforderliche Beweis für einen Unfallschaden nicht erbracht werden kann. Ein bloßer zeitlicher Zusammenhang zwischen Ereignis und Schaden ist allein oft nicht ausreichend.
Diese Anforderungen stellen sicher, dass Entscheidungen über Versicherungsansprüche auf einer soliden, nachprüfbaren Grundlage getroffen werden und nicht auf Vermutungen basieren.
Reicht ein bloßer zeitlicher Zusammenhang aus, um einen Schaden als versichert anzuerkennen?
Nein, ein bloßer zeitlicher Zusammenhang reicht in der Regel nicht aus, um einen Schaden als versichert anzuerkennen. Ein Gericht verlangt einen eindeutigen und nachweisbaren ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Ereignis und dem entstandenen Schaden.
Stellen Sie sich vor, der Lichtschalter flackert, kurz nachdem man ein Bild aufgehängt hat. Das bedeutet nicht automatisch, dass das Bild das Problem verursacht hat. Es braucht einen direkten Beweis, dass der Nagel die Elektrik beschädigt hat, um einen Zusammenhang herzustellen.
Auch wenn ein Schaden kurz nach einem Ereignis auftritt, ist dies lediglich ein Indiz und ersetzt keinen klaren Nachweis. Gerichte prüfen genau, ob eine direkte Ursache-Wirkung-Kette besteht. Es muss ausgeschlossen werden können, dass der Schaden durch andere Faktoren entstanden ist, die nicht versichert sind – beispielsweise durch normalen Betrieb, Verschleiß oder andere, nicht versicherte Einwirkungen. Die Partei, die einen Anspruch geltend macht, trägt die Last, diesen kausalen Zusammenhang schlüssig darzulegen und zu beweisen. Dazu sind oft konkrete, physische Belege oder Sachverständigengutachten notwendig, die den Hergang der Schadensentstehung durch das versicherte Ereignis belegen und andere mögliche Ursachen widerlegen.
Diese strenge Anforderung an den Kausalitätsnachweis schützt Versicherungen vor unbegründeten Forderungen und stellt sicher, dass nur Schäden reguliert werden, die tatsächlich auf ein versichertes Ereignis zurückzuführen sind.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Berufung
Eine Berufung ist ein Rechtsmittel, mit dem eine Partei die Überprüfung eines erstinstanzlichen Urteils durch ein höheres Gericht beantragen kann. Sie nutzen dieses Mittel, wenn Sie mit der Entscheidung eines Gerichts nicht einverstanden sind. Das höhere Gericht prüft dann den gesamten Fall noch einmal und bewertet die Beweislage neu.
Beispiel: Herr W. legte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut ein und zog den Fall vor das Oberlandesgericht München, weil er mit der Abweisung seiner Klage nicht einverstanden war.
Betriebsschaden
Ein Betriebsschaden ist ein Schaden, der im normalen Betrieb des Fahrzeugs entsteht, ohne dass eine äußere, plötzliche Gewalteinwirkung vorliegt. Solche Schäden entstehen durch Verschleiß, Materialfehler oder unsachgemäßen Gebrauch und sind typischerweise nicht von der Vollkaskoversicherung abgedeckt. Die Versicherung unterscheidet bewusst zwischen Schäden durch äußere Einwirkung und solchen, die durch die normale Nutzung entstehen.
Beispiel: Die Versicherung argumentierte, dass der Motorschaden von Herrn W. ein Betriebsschaden sei – also durch normalen Verschleiß oder Materialfehler entstanden und nicht durch das Abrutschen auf dem Kies.
Beweislast
Die Beweislast beschreibt die Verpflichtung einer Partei vor Gericht, eine Behauptung zu beweisen. Im deutschen Zivilrecht muss derjenige, der einen Anspruch geltend macht, in der Regel beweisen, dass die Voraussetzungen für diesen Anspruch erfüllt sind. Können Sie den Beweis nicht erbringen, verlieren Sie den Fall.
Beispiel: Herr W. trug die Beweislast dafür, dass sein Motorschaden eine Folge eines versicherten Unfalls und nicht eines nicht versicherten Betriebsschadens war – ein Beweis, den er letztendlich nicht erbringen konnte.
Kausaler Zusammenhang
Ein kausaler Zusammenhang bedeutet, dass ein Ereignis tatsächlich die Ursache für einen Schaden sein muss. Es muss eine direkte und nachweisbare Ursache-Wirkung-Kette bestehen, wie eine Reihe von Dominosteinen, die nacheinander umfallen. Ein bloßer zeitlicher Zusammenhang reicht nicht aus – Sie müssen beweisen, dass A wirklich B verursacht hat.
Beispiel: Die Versicherung bestritt den kausalen Zusammenhang zwischen dem Abrutschen auf dem Kies und dem Motorschaden, da nicht bewiesen werden konnte, dass eindringende Steine tatsächlich den Keilrippenriemen beschädigt hatten.
Landgericht
Ein Landgericht ist ein Gericht, das über größere Streitigkeiten entscheidet und oft die erste Instanz in vielen zivilrechtlichen Fällen darstellt. Es ist höher als das Amtsgericht angesiedelt und behandelt komplexere Rechtsfälle. Wenn Sie mit dessen Urteil nicht einverstanden sind, können Sie in die nächste Instanz gehen.
Beispiel: Das Landgericht Landshut verhandelte zunächst über den Fall von Herrn W. und wies seine Klage gegen die Versicherung ab, weil er den erforderlichen Nachweis für den Unfallschaden nicht erbringen konnte.
Oberlandesgericht
Das Oberlandesgericht (OLG) ist ein höheres Gericht, das Berufungen gegen Urteile der Landgerichte prüft. Es überprüft den gesamten Fall noch einmal und entscheidet, ob das erstinstanzliche Gericht richtig geurteilt hat. Das OLG kann das ursprüngliche Urteil bestätigen, ändern oder aufheben.
Beispiel: Das Oberlandesgericht München prüfte die Berufung von Herrn W. gegen das Urteil des Landgerichts Landshut und bestätigte letztendlich die Entscheidung der ersten Instanz.
Sachverständiger
Ein Sachverständiger ist eine fachkundige Person, die vom Gericht beauftragt wird, in komplexen technischen Fragen eine unabhängige Einschätzung oder ein Gutachten zu erstellen. Sein Fachwissen hilft dem Gericht dabei, die Wahrheit in technischen Belangen herauszufinden, die für Juristen zu speziell sind.
Beispiel: Das Oberlandesgericht bestellte den Sachverständigen H., um zu untersuchen, ob ein Zusammenhang zwischen dem Abrutschereignis und dem Motorschaden herzustellen war – dessen Gutachten war entscheidend für das Urteil.
Vollkaskoversicherung
Eine Vollkaskoversicherung ist eine Art von Autoversicherung, die Schäden am eigenen Fahrzeug abdeckt – auch wenn Sie selbst den Schaden verursacht haben. Sie geht über die gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherung hinaus und schützt Ihr eigenes Auto vor verschiedenen Risiken. Allerdings sind nicht alle Schäden abgedeckt – die genauen Bedingungen stehen im Versicherungsvertrag.
Beispiel: Herr W. besaß eine Vollkaskoversicherung für seinen VW Kombi und erwartete, dass diese für den Motorschaden aufkommt, da er das Abrutschen als versicherten Unfall ansah.
Wichtige Rechtsgrundlagen
Kausalzusammenhang (Kausalität)
Ein Kausalzusammenhang bedeutet, dass ein Ereignis die tatsächliche und nachweisbare Ursache für einen bestimmten Schaden sein muss.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Für die Deckung durch die Versicherung musste Herr W. beweisen, dass das Abrutschen des Fahrzeugs auf dem Kies ursächlich für den entstandenen Motorschaden war.
Beweislast und Freie Beweiswürdigung (§ 286 ZPO)
Die Beweislast legt fest, welche Partei eine bestimmte Behauptung vor Gericht beweisen muss, und die freie Beweiswürdigung erlaubt dem Gericht, alle vorgelegten Beweise umfassend und nach eigener Überzeugung zu beurteilen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Herr W. trug die Beweislast dafür, dass der Motorschaden durch einen versicherten Unfall verursacht wurde, und das Gericht würdigte unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens, dass er diesen Beweis nicht erbringen konnte.
Unfallbegriff in der Vollkaskoversicherung
Ein Unfall im Sinne der Vollkaskoversicherung wird in der Regel als ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis definiert.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Fall drehte sich darum, ob das Abrutschen des Fahrzeugs auf der Kiesauffahrt diese vertragliche Definition eines Unfalls erfüllte, insbesondere ob eine „mechanische Gewalteinwirkung von außen“ vorlag.
Betriebsschaden
Ein Betriebsschaden ist ein Schaden, der im normalen Betrieb des Fahrzeugs entsteht, beispielsweise durch Verschleiß, Materialfehler oder unsachgemähen Gebrauch, und ist typischerweise nicht von der Vollkaskoversicherung gedeckt.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherung argumentierte, der Motorschaden sei ein nicht versicherter Betriebsschaden, da er nicht durch eine äußere Gewalteinwirkung, sondern durch interne Fahrzeugvorgänge oder Materialversagen verursacht wurde.
Das vorliegende Urteil
OLG München – Az.: 10 U 2305/19 – Urteil vom 08.11.2019
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