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Kaskoversicherung – Fahrzeugdiebstahl bei Schlüsseleinwurf in Autohausbriefkasten

Landgericht Oldenburg: Urteil zugunsten des Klägers im Versicherungsfall

Das Landgericht Oldenburg hat in einem viel beachteten Urteil eine Entscheidung im Versicherungsrecht getroffen. Das Gericht befasste sich mit einem Fall, bei dem ein Fahrzeug gestohlen wurde, nachdem der Kläger es in einem Autohaus abgestellt und den Schlüssel in den Briefkasten geworfen hatte. Die Versicherung zahlte einen Teil des Schadens, reduzierte jedoch die Leistung um 25 Prozent, da sie dem Kläger grobe Fahrlässigkeit vorwarf.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 13 O 688/20 >>>

Keine grobe Fahrlässigkeit beim Einwurf des Schlüssels in gesicherten Briefkasten

Der Kläger argumentierte erfolgreich, dass der Einwurf des Fahrzeugschlüssels in einen gesicherten Briefkasten keine grobe Fahrlässigkeit darstellt. Das Gericht folgte seiner Argumentation und betonte, dass der Briefkasten im geschützten Eingangsbereich des Autohauses lag und keine äußeren Umstände auf eine leichte Entwendung des Schlüssels hindeuteten.

Gericht stützt sich auf äußeres Bild und Zeugenaussage

Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung des Fahrzeugs überzeugend dargelegt und bewiesen hat. Eine Zeugenaussage einer Begleitperson des Klägers unterstützte diese Darstellung. Aufgrund dieser Beweise verurteilte das Gericht die Versicherung zur Zahlung des restlichen Schadensbetrags an den Kläger.

Kein Ersatz für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten

Das Gericht entschied jedoch, dass der Kläger keinen Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten hat. Die Kosten des Rechtsstreits wurden der Beklagten auferlegt. Das Urteil kann vorläufig vollstreckt werden, wenn eine Sicherheitsleistung erbracht wird.

Auswirkungen auf ähnliche Versicherungsfälle und Position der Versicherungsnehmer

Das Urteil des Landgerichts Oldenburg hat weitreichende Auswirkungen auf ähnliche Fälle im Versicherungsrecht. Es verdeutlicht, dass eine genaue Prüfung der individuellen Umstände erforderlich ist, um grobe Fahrlässigkeit festzustellen. Die Entscheidung stärkt die Position der Versicherungsnehmer und unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Analyse der Situation vor dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit.


Das vorliegende Urteil

LG Oldenburg – Az.: 13 O 688/20 – Urteil vom 14.10.2020

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.146,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.12.2018 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Leistungen aus einer Kaskoversicherung.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Teilkaskoversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 150 € für sein Fahrzeug Mercedes CLS 500.

Der Kläger behauptet, am 18.02.2018, einem Sonntag, habe er sein Fahrzeug auf dem P. des Autohauses … in … abgestellt. Für den darauffolgenden Montag habe er einen Termin in der Werkstatt gehabt, den er aus beruflichen Gründen nicht unmittelbar am Montag habe wahrnehmen können. Den Fahrzeugschlüssel habe er absprachegemäß in den Briefkasten des Autohauses geworfen, der fest in die Fassade integriert sei und sich im Gebäude selbst befinde; er sei gegen ein Herausangeln besonders gesichert, da im Innern des Briefkastens ein gezacktes Metallteil eingebaut und 2 gegenläufige Schrägen vorhanden seien. In der Nacht zum Montag sei das Fahrzeug gestohlen worden. Die Beklagte habe auf einen Wiederbeschaffungswert von 37.500 € abzüglich Mehrwertsteuer von 914,63 und Berücksichtigung einer Selbstbeteiligung 27.289,03 € reguliert und habe dabei einen Mithaftungsanteil von 25 % (9.146,34 €) angenommen. Der Kläger meint, das Einwerfen des Schlüssels in einen derart gesicherten Briefkasten begründe nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 9.146,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.12.2018 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 455,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet den Diebstahl und trägt vor, die behauptete Absprache mit dem Autohaus habe es nicht gegeben. Es sei dort vollkommen unüblich, Fahrzeugschlüssel außerhalb der Öffnungszeiten einzuwerfen. Es habe auch keine feste Reparaturvereinbarung gegeben; der Kläger habe lediglich bei Abholung eines anderen Fahrzeugs eine Reparatur für das streitgegenständliche Fahrzeug angekündigt. Der Kläger sei nicht glaubwürdig, weil er über die angebliche Absprache getäuscht habe. Deshalb sei der Vollbeweis des Diebstahls zu erbringen. Außerdem sei sie leistungsfrei, da der Kläger versucht habe, mit eben diesen falschen Angaben auf die Regulierungsentscheidung Einfluss zu nehmen. An dem Briefkasten seien äußerlich keine Vorkehrungen gegen ein Herausangeln des Schlüssels zu erkennen. Deshalb sei es grob fahrlässig, den Schlüssel dort einzuwerfen. Außerdem stelle das Verhalten des Klägers eine erhebliche Gefahrerhöhung dar, so dass die Reduzierung der Leistung um 25 % noch moderat und angemessen sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat den Kläger persönlich angehört und hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin …. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2020 verwiesen.

Die Ermittlungsakten 741 UJs 33491/18 der StA Oldenburg waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus dem Kaskoversicherungsvertrag ein Anspruch auf eine weitere, über den bereits gezahlten Betrag hinausgehende Versicherungsleistung zu.

Zwischen den Parteien besteht ein Kaskoversicherungsvertrag, aus dem die Beklagte zur Leistung verpflichtet ist, wenn das versicherte Fahrzeug entwendet wird (A.2.2.1.2 der zugrundeliegenden AKB). Den Tatbestand der Entwendung hat der Kläger bewiesen. Wenn auch die Beklagte auf den angezeigten Versicherungsfall hin schon Leistungen erbracht hat, ist sie dennoch berechtigt, die Entwendung des Fahrzeugs im Prozess zu bestreiten. Deshalb war der Beweis zu erheben.

Es ist anerkannt, dass der Versicherungsnehmer nicht den Vollbeweis für den Tatbestand der Entwendung führen muss, sondern dass es ausreicht, wenn er das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung darlegt und beweist. Er muss also ein Mindestmaß an Tatsachen vortragen und beweisen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen. Es genügt, wenn er darlegt und beweist, dass er den Wagen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt und dort nicht wieder aufgefunden hat (BGH NJW 1995, 2169). Wenn Zeugen nicht vorhanden sind, genügen auch Angaben des Versicherungsnehmers bei der persönlichen Anhörung.

Die Zeugin … hat ausgesagt, dass sie das streitgegenständliche Fahrzeug gemeinsam mit dem Kläger an einem Sonntag zum Autohaus gefahren habe. Der Kläger habe das Fahrzeug auf dem Parkplatz abgestellt und danach etwas in den Briefkasten geworfen. Genaueres habe sie nicht gesehen, da sie währenddessen in ihrem eigenen Auto gesessen habe, mit dem sie dann weggefahren seien. Wenige Tage später habe der Kläger ihr erzählt, dass das Fahrzeug entwendet worden sei. Damit allein ist das äußere Bild noch nicht bewiesen, da die Zeugin bezüglich des Nicht-Wiederauffindens keine eigenen Bekundungen angeben konnte.

Der Kläger persönlich, informatorisch angehört, hat aber glaubhaft angegeben, dass das Autohaus ihm mitgeteilt habe, dass das Fahrzeug schon am Montag nicht (mehr) auf dem H. gestanden habe. Das Abstellen des Fahrzeugs hat er ebenso geschildert wie die Zeugin. Die Tatsache der Entwendung ergibt sich zudem auch aus der beigezogenen Ermittlungsakte.

Die Beklagte ist nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei. Nach § 28 Abs. 2 VVG ist der Versicherer im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung einer Obliegenheit berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Eine grobe Fahrlässigkeit liegt aber nicht vor. Der Kläger hat angegeben, dass er den Schlüssel in einen kleinen Schlüsselanhänger gesteckt, den Anhänger verschlossen und diesen dann in den Briefkasten des Autohauses eingeworfen hat. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist dieses Verhalten nicht grob fahrlässig und begründet keine Leistungskürzung.

Es ist zwar anerkannt, dass das Einwerfen eines Schlüssels in den Briefkasten eines Autohauses den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit erfüllen kann (siehe beispielsweise OLG Köln, 9U 65/00); dieser Grundsatz gilt aber nicht ohne Weiteres. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalles, so dass es also darauf ankommt, ob es für jeden einleuchtend und ersichtlich ist, dass ein in den Briefkasten eingeworfener Schlüssel im konkreten Einzelfall leicht wieder herausgezogen werden kann, und ob sonstige äußere Umstände den Verdacht aufkommen lassen müssen, der Schlüssel sei dort nicht sicher und dem Zugriff Dritter leicht ausgesetzt. Solche Umstände liegen hier nicht vor.

Der Briefkasten befindet sich im direkten Eingangsbereich des Autohauses. Der Eingangsbereich liegt zurückgesetzt hinter den Schaufenstern der Ausstellung und ist somit in das Gebäude hineingezogen. Die rings um das Haus laufende Überdachung ragt weit nach vorn hinaus und hat über dem Eingangsbereich etwa die doppelte Tiefe. Seitlich in diesem Eingangsbereich befindet sich der Briefkasten. Es erweckt aufgrund dieser beschriebenen Örtlichkeiten den Eindruck, als befinde der Briefkasten sich in einem geschützten Bereich, in dem sich zudem Lampen befinden, die den eingegrenzten Eingangsbereich beleuchten. Der Briefkasten selbst sieht von außen aus, als sei er tief, so dass die oben in den Schlitz eingeworfenen Teile weit nach unten fallen und dass man diese von außen nicht erreichen und herausholen kann. Der Briefkasten sieht zudem stabil aus, als sei er nicht leicht aufzubrechen. Bei diesem äußeren Bild mussten dem Kläger keine Zweifel kommen, dass der Schlüssel von Unbefugten aus dem Briefkasten herausgenommen werden würde. Er hat auch angegeben, dass er darauf geachtet habe, dass der Schlüssel nach unten fällt. Daraus lässt sich nun aber nicht schließen, dass der Kläger selbst konkrete Verdachtsmomente bezüglich der Sicherheit dieses Vorgehens als solches hatte, sondern nur, dass er sichergehen wollte, dass die für eine angenommene Sicherheit erforderliche Voraussetzung des Herunterfallens des Schlüssels bis auf den Boden des Briefkastens erfüllt war. Es ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es hier früher schon zu einem vergleichbaren Entwendungsfall gekommen ist und dass der Kläger davon wusste.

Da das Einwerfen des Schlüssels in diesen Briefkasten schon nicht als grob fahrlässig anzusehen ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob zwischen dem Kläger und dem Autohaus abgesprochen war, dass der Schlüssel am Sonntag auf diese Weise abgegeben werden sollte.

Der Wert des Fahrzeugs ist unstreitig. Die Beklagte war deshalb wie beantragt zur weiteren Zahlung zu verurteilen.

Ein Anspruch auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht jedoch nicht. Zu dem Zeitpunkt, als die Bevollmächtigten des Klägers tätig geworden sind, befand die Beklagte sich nicht im Verzug.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 709 ZPO.

 

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