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Heizöl-Albtraum im Keller: BGH-Urteil klärt Haftung beim falschen Tanklaster-Einsatz

Ein Routinevorgang wird zum finanziellen und rechtlichen Albtraum: Statt im Erdtank landeten Tausende Liter Heizöl durch eine falsche Leitung im Keller eines Hauses. Plötzlich steht die Eigentümerin vor massivem Schaden und der drängenden Frage: Wer haftet für dieses Desaster – der Lieferant, die Versicherung oder sie selbst? Ein komplexer Fall, der den Bundesgerichtshof beschäftigte.
Fataler Fehler bei der Heizöllieferung - Anschluss an falschen Tankstutzen verursacht massiven Schaden.
Heizöl-Albtraum im Keller: Fehler am Domschacht führte zur massiven Keller- und Erdreich-Verunreinigung. | Symbolbild: KI generiertes Bild

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Tanklasters muss für den entstandenen Heizölschaden zahlen, auch wenn der Schaden beim Arbeiten am stehenden Fahrzeug passiert ist.
  • Betroffen sind Hausbesitzer, Lieferfirmen, Fahrer und deren Versicherungen bei Schäden durch falsche Handhabung von Fahrzeugen mit Arbeitsfunktionen (z. B. Pumpen).
  • Praktisch heißt das: Schäden durch typische Arbeitsvorgänge eines Fahrzeugs (z. B. Abpumpen von Öl) sind oft über die Versicherung abgedeckt, auch wenn das Fahrzeug nicht fährt.
  • Eigentümer müssen alte, nicht mehr genutzte Anschlüsse auf ihrem Grundstück nicht als Anlagenbetreiber haften, wenn diese endgültig stillgelegt sind, tragen aber die Verantwortung, solche Gefahrenstellen deutlich zu sichern oder zu kennzeichnen.
  • Fahrer, der einen Fehler macht, haftet grundsätzlich selbst, aber der Arbeitgeber und die Kfz-Versicherung übernehmen meist die Kosten.
  • Es ist wichtig, Gefahrenquellen klar zu markieren und Schäden sofort zu dokumentieren und der Versicherung zu melden, um Ansprüche geltend zu machen.
  • Das Urteil gilt seit dem 16. Januar 2024 und bietet Betroffenen eine bessere Absicherung bei Unfällen, die beim sogenannten „Gebrauch“ eines Fahrzeugs entstehen, nicht nur beim „Betrieb“ (Fahren).

Quelle: Bundesgerichtshof (BGH) Az.: VI ZR 385/22 vom 16. Januar 2024

Heizöl-Albtraum im Keller: Wer zahlt, wenn der Tanklaster falsch liefert? BGH klärt Haftung und Versicherungsschutz

Stellen Sie sich vor, Sie bestellen Heizöl für den Winter. Der Tanklaster kommt, der Fahrer koppelt den Schlauch an, die Pumpe läuft – alles Routine. Doch dann der Schock: Statt im Erdtank landet das Öl literweise in Ihrem Keller. Ein Albtraum, der für Frau S., Miteigentümerin eines Hauses, zur bitteren Realität wurde. Fast 3000 Liter Heizöl flossen durch eine Fehlleitung direkt ins Gebäude, verursachten massive Schäden und verseuchten das Erdreich. Ein komplexer Rechtsstreit entbrannte: Wer muss für diesen immensen Schaden geradestehen? Die Lieferfirma? Der Fahrer? Dessen Arbeitgeber? Oder die Kfz-Haftpflichtversicherung des Tanklasters? Und trägt vielleicht sogar Frau S. selbst eine Mitschuld?

Diese Fragen landeten schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH), Deutschlands höchstem Zivilgericht. In seinem Urteil vom 16. Januar 2024 (Aktenzeichen: VI ZR 385/22) mussten die Richter knifflige juristische Details klären, die weitreichende Folgen für ähnliche Fälle haben. Es ging um die feine, aber entscheidende Unterscheidung zwischen dem „Betrieb“ und dem „Gebrauch“ eines Fahrzeugs und darum, was rechtlich überhaupt als gefährliche Anlage gilt. Das Urteil ist eine wichtige Lektion für Hausbesitzer, Lieferdienste und Versicherungen und zeigt, wie schnell aus einer alltäglichen Lieferung ein juristisches Minenfeld werden kann.

Der verhängnisvolle Fehler am Domschacht

Was war genau passiert? Auf dem Grundstück von Frau S. gab es einen unterirdischen Heizöltank, zugänglich über einen sogenannten Domschacht. In diesem Schacht mündeten zwei Einfüllstutzen. Einer führte, wie vorgesehen, zum funktionierenden Erdtank. Der andere jedoch war ein Relikt aus der Vergangenheit – ein „blinder“ Stutzen, der zu einem längst ausgebauten Kellertank gehörte. Von diesem Stutzen führte nur noch ein offenes Rohrstück in den Keller.

Als der Fahrer des beauftragten Spediteurs am 1. Juli 2019 zur Lieferung eintraf, wurde er von Frau S. oder einer von ihr beauftragten Person ausdrücklich darauf hingewiesen, dass einer der beiden Stutzen eben dieser „blinde“ Anschluss sei. Eine klare Warnung, die jedoch folgenlos blieb. Trotz des Hinweises schloss der Fahrer den Schlauch des Tanklastwagens an den falschen, funktionslosen Stutzen an. Anschließend aktivierte er die Pumpe seines Fahrzeugs. Die Katastrophe nahm ihren Lauf: 2.926 Liter Heizöl wurden nicht in den Tank, sondern direkt in den Keller gepumpt. Die Folgen waren gravierend: erhebliche Schäden am Gebäude und eine kostspielige Kontamination des Erdreichs.

Wer haftet für das Desaster? Ein juristisches Puzzle beginnt

Frau S. stand vor einem Scherbenhaufen und der Frage: Wer ersetzt den Schaden? Sie verklagte im Wege einer sogenannten Widerklage die ursprüngliche Heizölfirma, bei der sie bestellt hatte. Zusätzlich zog sie mittels einer Drittwiderklage auch den Fahrer selbst, dessen Arbeitgeber (den Spediteur) und – ganz entscheidend – die Kfz-Haftpflichtversicherung des Tanklasters zur Verantwortung. Sie forderte von allen gemeinsam, als sogenannte Gesamtschuldner, den Ersatz für die Beseitigung der Ölverschmutzung und die Reparatur ihres Hauses. Gesamtschuldner bedeutet, dass jeder der Verurteilten den vollen Schaden ersetzen muss, Frau S. aber insgesamt nur einmal den Betrag erhält.

Damit waren die Fronten geklärt, doch die juristische Bewertung war alles andere als einfach. Mehrere Rechtsbereiche und Haftungsprinzipien spielten eine Rolle:

  1. Die Haftung des Fahrers: Hatte der Fahrer fahrlässig gehandelt und damit das Eigentum von Frau S. beschädigt? Das schien naheliegend, denn er hatte den falschen Stutzen benutzt, obwohl er gewarnt worden war. Hier geht es um die sogenannte deliktische Haftung nach § 823 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), die immer dann greift, wenn jemand schuldhaft das Eigentum, die Gesundheit oder andere Rechte eines anderen verletzt.
  2. Die Haftung des Fahrzeughalters (Spediteur): Muss der Halter des Tanklastwagens, also der Spediteur, für den Schaden aufkommen? Hier kommt die Gefährdungshaftung nach § 7 Absatz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) ins Spiel. Diese greift unabhängig von einem Verschulden, einfach weil vom Betrieb eines Kraftfahrzeugs immer eine gewisse Gefahr ausgeht. Die Kernfrage war hier: War der Schaden „bei dem Betrieb“ des Tankwagens entstanden, obwohl das Fahrzeug stand und nur seine Pumpe lief?
  3. Die Haftung der Kfz-Haftpflichtversicherung: Springt die Versicherung des Tanklasters ein? Nach dem Pflichtversicherungsgesetz (§ 1 PflVG) muss jedes Kfz haftpflichtversichert sein. Geschädigte können den Versicherer direkt verklagen (§ 115 Versicherungsvertragsgesetz, VVG), wenn der Schaden „durch den Gebrauch“ des Fahrzeugs verursacht wurde. Ist das Abpumpen von Öl mit der Fahrzeugpumpe ein solcher Gebrauch? Und ist dieser Begriff vielleicht weiter zu verstehen als der Betrieb im StVG?
  4. Eine mögliche Mithaftung von Frau S.: Musste sich Frau S. vielleicht einen Teil des Schadens selbst anrechnen lassen? Hier kam § 89 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) ins Spiel. Dieses Gesetz sieht eine Haftung für Betreiber von Anlagen vor, die mit wassergefährdenden Stoffen umgehen – ebenfalls eine Gefährdungshaftung, also ohne Verschulden. Die Vorinstanz meinte: Der blinde Stutzen sei Teil einer solchen alten Anlage, für deren Zustand Frau S. als Grundstückseigentümerin mitverantwortlich sei. Wenn das stimmte, hätte ihr Anspruch nach § 254 BGB wegen Mitverschuldens gekürzt werden müssen.

Die Gerichte der Vorinstanzen kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen, insbesondere bei der Frage der Versicherungshaftung und der Mithaftung von Frau S. wegen des alten Stutzens. Daher musste der BGH als höchste Instanz für Klarheit sorgen.

Im Fokus des BGH: Betrieb, Gebrauch und die Tücken einer alten Leitung

Der BGH konzentrierte sich auf die strittigsten Punkte, die für die endgültige Entscheidung über die Haftung entscheidend waren:

  • War das „Betrieb“? Die Frage der Halterhaftung (§ 7 StVG): Der BGH bestätigte die Sicht der Vorinstanzen: Eine Haftung des Spediteurs als Halter nach § 7 StVG scheidet aus. Die Begründung: Diese spezielle Gefährdungshaftung soll nur die Gefahren abdecken, die typischerweise vom Auto als Fortbewegungs- und Transportmittel ausgehen. Entscheidend ist, ob sich eine Gefahr realisiert hat, die mit dem Fahren, Anhalten oder der Bewegung des Fahrzeugs im Verkehr zusammenhängt. Im Moment des Öl-Pumpens stand der Tanklaster aber still. Seine Funktion als Transportmittel spielte keine Rolle mehr. Er wurde rein als Arbeitsmaschine eingesetzt, nämlich zum Betreiben der Pumpe. Der BGH verwies auf seine ständige Rechtsprechung: Wenn ein Fahrzeug mit Arbeitsfunktion (wie ein Kranwagen, eine Kehrmaschine oder eben ein Tanklaster beim Entladen) nur noch als Arbeitsgerät genutzt wird und die Fortbewegungsfunktion keine Rolle spielt, liegt kein „Betrieb“ im Sinne des § 7 StVG vor.
  • Aber war es „Gebrauch“? Die Frage der Versicherungshaftung (§ 1 PflVG / § 115 VVG): Hier kam der BGH zu einem anderen Ergebnis als das Berufungsgericht und bejahte die Einstandspflicht der Kfz-Haftpflichtversicherung. Der entscheidende Punkt: Der Begriff „Gebrauch“ des Fahrzeugs im Versicherungsrecht (§ 1 PflVG) ist weiter gefasst als der Begriff „Betrieb“ im Haftungsrecht (§ 7 StVG). Die Pflichtversicherung soll nicht nur Schäden abdecken, die aus der reinen Verkehrsgefahr entstehen, sondern auch solche, die bei der sonstigen typischen Nutzung des Fahrzeugs und seiner Einrichtungen passieren – auch wenn es dabei als Arbeitsmaschine dient.

    Der BGH argumentierte: Das Entladen von Heizöl mithilfe der fest installierten Pumpe und des Schlauchs ist eine typische und bestimmungsgemäße Verwendung eines Tanklastwagens. Der Schaden entstand genau während dieses Vorgangs und durch den Einsatz der fahrzeugeigenen Technik (Pumpe, Schlauch). Dass der unmittelbare Auslöser ein Fehler des Fahrers war (Verwechslung der Stutzen), ändert nichts daran, dass der Schaden im Rahmen des Gebrauchs des Fahrzeugs geschah. Das fahrlässige Handeln des Fahrers bei einer typischen, gebrauchsbezogenen Tätigkeit unterbricht den Zusammenhang zum Fahrzeuggebrauch nicht. Daher muss die Kfz-Haftpflichtversicherung für den durch den Fahrer verursachten Schaden eintreten. Diese weite Auslegung dient dem Schutz der Geschädigten und entspricht dem Sinn der Pflichtversicherung, die Haftungsrisiken aus der vielfältigen Nutzung moderner Fahrzeuge abdecken soll.

Experten-Einblick: Betrieb vs. Gebrauch – Ein feiner, aber folgenreicher Unterschied

Für Laien klingen Betrieb und Gebrauch eines Fahrzeugs ähnlich, juristisch gibt es aber einen wichtigen Unterschied mit großen praktischen Konsequenzen:

  • Bei dem Betrieb (§ 7 StVG): Dieser Begriff zielt auf die Gefährdungshaftung des Halters. Er erfasst primär Schäden, die aus der Verkehrsfunktion des Fahrzeugs resultieren (Fahren, Bremsen, Anhalten im Verkehrsfluss, aber auch z. B. das Herabfallen von Ladung während der Fahrt). Steht das Fahrzeug und wird nur als Arbeitsmaschine genutzt (z. B. Kran hebt Last, Pumpe fördert Öl), liegt meist kein Betrieb mehr vor. Der Halter haftet dann nicht allein aufgrund seiner Haltereigenschaft (verschuldensunabhängig).
  • Durch den Gebrauch (§ 1 PflVG, § 115 VVG): Dieser Begriff definiert den Umfang der Kfz-Pflichtversicherung. Er ist weiter als der Betriebsbegriff. Er umfasst nicht nur die Verkehrsfunktion, sondern auch die Nutzung des Fahrzeugs und seiner fest verbundenen Einrichtungen für ihren vorgesehenen Zweck, auch wenn es dabei steht. Das Be- und Entladen mittels fahrzeugeigener Pumpen, Kränen oder Ladebordwänden gehört typischerweise dazu. Entsteht dabei ein Schaden (z. B. durch einen Fehler des Fahrers), ist dieser durch den Gebrauch verursacht, und die Versicherung muss leisten – vorausgesetzt, jemand (Fahrer, Halter) haftet dem Grunde nach (z. B. aus Verschulden nach § 823 BGB).

Fazit: Auch wenn der Halter nicht nach § 7 StVG haftet, weil das Fahrzeug nur als Arbeitsmaschine diente, kann die Kfz-Haftpflichtversicherung trotzdem eintrittspflichtig sein, wenn der Schaden beim Gebrauch der Arbeitsfunktion entstand und der Fahrer (oder Halter aus anderem Grund) haftet. Genau das war im Heizöl-Fall entscheidend.

  • War der alte Stutzen eine gefährliche Anlage? Die Frage der Mithaftung (§ 89 WHG): Das Berufungsgericht hatte gemeint, Frau S. müsse sich wegen des funktionslosen Stutzens eine Mithaftung anrechnen lassen, da dieser Teil einer alten Anlage zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen sei. Dem erteilte der BGH eine klare Absage. Eine Anlage im Sinne des Wasserhaushaltsgesetzes ist eine Einrichtung, die dazu bestimmt ist, wassergefährdende Stoffe zu lagern, zu befördern etc. Diese Zweckbestimmung hängt vom Willen des Betreibers ab.

    Der BGH stellte fest: Nachdem der zugehörige Kellertank bereits Jahre zuvor (2007) entfernt worden war, hatten der blinde Stutzen und das Rohrstück objektiv keine Funktion mehr. Ihre ursprüngliche Bestimmung war endgültig aufgegeben worden. Die Gefährdungshaftung nach § 89 WHG knüpft aber an die Gefahren an, die von einer Anlage bei bestimmungsgemäßer Nutzung oder bei Betriebsstörungen ausgehen. Sie erfasst nicht Schäden, die dadurch entstehen, dass eine Einrichtung, die gar nicht mehr für diesen Zweck vorgesehen ist, irrtümlich und bestimmungswidrig so genutzt wird, als wäre sie eine aktive Anlage. Der funktionslose Stutzen selbst stellte keine Gefahr dar; die Gefahr entstand erst durch seine falsche Benutzung durch den Fahrer. Daher konnte Frau S. keine Mithaftung aus § 89 WHG treffen.

  • Dies ist eine wichtige Klarstellung: Stillgelegte und funktionslose Teile einer früheren Anlage begründen nicht automatisch eine fortwährende Haftung als Anlagenbetreiber, wenn die Zweckbestimmung nachweislich aufgegeben wurde und vom Restteil selbst keine Gefahr mehr ausgeht.

Das Urteil und seine Folgen: Wer zahlt nun – und wer nicht ganz?

Der BGH fasste zusammen:

  1. Der Spediteur als Halter haftet nicht aus der reinen Gefährdungshaftung (§ 7 StVG).
  2. Der Fahrer haftet für seinen Fehler nach § 823 BGB (fahrlässige Eigentumsverletzung). Damit haftet auch sein Arbeitgeber, der Spediteur (nach § 831 BGB, da er sich nicht entlasten konnte).
  3. Da der Schaden durch den Gebrauch des Tanklasters entstand und der Fahrer haftet, muss die Kfz-Haftpflichtversicherung des Spediteurs für den Schaden eintreten (§ 115 VVG).
  4. Frau S. trifft keine Mithaftung aus der speziellen Gefährdungshaftung für Anlagen nach § 89 WHG, da der funktionslose Stutzen keine Anlage mehr war.

Der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts in den Punkten auf, die die Versicherungshaftung verneint und eine Mithaftung nach WHG angenommen hatten. Die Sache wurde zur neuen Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Aber Vorsicht: Das bedeutet nicht automatisch, dass Frau S. nun den vollen Schaden ersetzt bekommt. Der BGH gab dem Berufungsgericht ausdrücklich auf, zu prüfen, ob Frau S. nicht aus anderen Gründen ein Mitverschulden nach § 254 BGB trifft.

Denkbar wäre hier eine Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten. Hätte sie zum Beispiel trotz des mündlichen Hinweises die beiden sehr ähnlichen Einfüllstutzen im schlecht einsehbaren Domschacht besser kennzeichnen oder den funktionslosen Stutzen vielleicht sogar versiegeln müssen, um eine Verwechslung zu verhindern? Diese Frage muss das Berufungsgericht nun klären. Es ist also möglich, dass Frau S. am Ende doch einen Teil des Schadens selbst tragen muss – aber nicht wegen einer angeblichen Anlagen-Haftung, sondern wegen möglicher Versäumnisse bei der allgemeinen Sicherung ihres Grundstücks.

Was bedeutet das Urteil für die Praxis? Wichtige Lehren für Betroffene

Das Urteil des BGH hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung:

  • Für Geschädigte bei Liefer- und Arbeitsunfällen mit Fahrzeugen: Die Entscheidung stärkt die Position von Geschädigten. Sie können auch dann auf die Leistung der Kfz-Haftpflichtversicherung hoffen, wenn der Schaden nicht direkt durch die Fahrbewegung, sondern beim Einsatz der Arbeitsfunktionen des Fahrzeugs (Pumpen, Heben etc.) durch einen Fehler des Fahrers entstanden ist. Der Weg über den Direktanspruch gegen den Versicherer (§ 115 VVG) ist oft einfacher und erfolgversprechender als die alleinige Inanspruchnahme des Fahrers oder Halters.
  • Für Unternehmen mit Spezialfahrzeugen (Speditionen, Baufirmen etc.): Das Urteil bestätigt den breiten Schutzumfang der Kfz-Haftpflichtversicherung. Sie deckt eben nicht nur klassische Verkehrsunfälle, sondern auch Haftpflichtansprüche aus Schäden, die bei typischen Arbeitseinsätzen dieser Fahrzeuge entstehen. Dies unterstreicht die Wichtigkeit einer ausreichenden Versicherungssumme.
  • Für Eigentümer von Grundstücken mit alten oder stillgelegten Anlagen: Die Klarstellung zum Anlagenbegriff im Wasserhaushaltsrecht ist relevant. Wer nachweisen kann, dass eine Anlage oder ein Anlagenteil endgültig stillgelegt und zweckentfremdet wurde und davon keine Gefahr mehr ausgeht, muss weniger befürchten, bei einer irrtümlichen Fremdnutzung automatisch als Betreiber einer gefährlichen Anlage zu haften. Eine sorgfältige Dokumentation von Stilllegungs- und Rückbaumaßnahmen ist hier Gold wert. Gleichzeitig zeigt der Fall aber auch: Die allgemeinen Pflichten zur Sicherung des Grundstücks (Verkehrssicherungspflichten) bleiben bestehen. Offensichtliche Gefahrenquellen, auch wenn sie von stillgelegten Teilen ausgehen (z. B. Stolperfallen, ungesicherte Öffnungen oder eben verwechselbare Anschlüsse), müssen beseitigt oder gesichert werden.

Praktische Tipps: Was tun bei ähnlichen Vorfällen?

Auch wenn jeder Fall anders liegt, lassen sich aus dem Urteil einige allgemeine Hinweise ableiten:

  • Bei Öllieferungen oder ähnlichen Vorgängen: Sorgen Sie für klare Verhältnisse am Lieferort. Weisen Sie Fahrer unmissverständlich auf Besonderheiten hin (z. B. mehrere Stutzen, alte Anschlüsse). Eine deutliche und dauerhafte Kennzeichnung (z. B. Schilder, farbliche Markierungen, Versiegelung nicht genutzter Anschlüsse) ist besser als ein rein mündlicher Hinweis. Dokumentieren Sie den Zustand vor der Lieferung, eventuell mit Fotos.
  • Wenn ein Schaden eintritt: Dokumentieren Sie den Schaden sofort umfassend (Fotos, Videos, Zeugen). Melden Sie den Schaden unverzüglich dem Lieferanten/Dienstleister und dessen Versicherung. Holen Sie Kostenvoranschläge für die Beseitigung ein. Sichern Sie Beweise (z. B. den Lieferschein, Namen des Fahrers).
  • Bei alten Anlagenteilen auf dem Grundstück: Prüfen Sie, ob davon noch Gefahren ausgehen könnten. Dokumentieren Sie Stilllegungen oder Rückbauten sorgfältig. Entfernen oder sichern Sie funktionslose Teile, die zu Verwechslungen oder Unfällen führen könnten.
  • Rechtliche Prüfung: Bei komplexen Schäden mit mehreren Beteiligten und unklarer Haftungslage ist frühzeitige anwaltliche Beratung ratsam. Ein Anwalt kann die verschiedenen Haftungsgrundlagen prüfen (Vertragshaftung, Deliktshaftung, Gefährdungshaftung), die Ansprüche beziffern und gegenüber den richtigen Anspruchsgegnern (Lieferant, Halter, Fahrer, Versicherung) geltend machen. Beachten Sie mögliche Verjährungsfristen für Ihre Ansprüche! Als Fachanwalt für Versicherungsrecht stehe ich Ihnen gerne für eine Ersteinschätzung zur Verfügung.

FAQ – Häufige Fragen zum Urteil und zur Haftung bei Lieferschäden


1. Deckt die Kfz-Haftpflichtversicherung immer Schäden beim Be- oder Entladen?

Nicht automatisch, aber sehr oft. Entscheidend ist laut BGH, ob der Schaden „durch den Gebrauch“ des Fahrzeugs oder seiner festen Einrichtungen (wie Pumpe, Ladekran) entstanden ist und ob jemand (meist der Fahrer) dafür haftet (z.B. aus Verschulden). Die reine Halterhaftung (§ 7 StVG) greift bei stehendem Fahrzeug als Arbeitsmaschine oft nicht, die Versicherungspflicht (§ 1 PflVG) aber schon.


2. Was ist der einfache Unterschied zwischen „Betrieb“ und „Gebrauch“ eines Fahrzeugs?

„Betrieb“ (§ 7 StVG) meint hauptsächlich die Gefahren aus der Fortbewegung im Verkehr (Halterhaftung). „Gebrauch“ (§ 1 PflVG) ist weiter und umfasst auch die Nutzung der Arbeitsfunktionen des Fahrzeugs (z.B. Pumpen, Heben), was für den Versicherungsschutz relevant ist.


3. Bin ich als Grundstückseigentümer immer für alte, ungenutzte Rohre oder Tanks haftbar?

Nicht automatisch als „Anlagenbetreiber“ nach § 89 WHG, wenn die Anlage nachweislich und endgültig stillgelegt ist und keine Gefahr mehr davon ausgeht. Aber: Sie haben allgemeine Verkehrssicherungspflichten. Wenn der alte Anschluss eine offensichtliche Gefahrenquelle darstellt (z.B. Verwechslungsgefahr, Stolpergefahr), müssen Sie diese sichern oder beseitigen, sonst können Sie wegen Mitverschuldens (§ 254 BGB) mithaften.


4. Haftet der Fahrer bei einem Fehler immer persönlich?

Ja, wenn er fahrlässig oder vorsätzlich einen Schaden verursacht, haftet er nach § 823 BGB mit seinem Privatvermögen. In der Praxis wird der Schaden aber meist über den Arbeitgeber (Spediteur) und dessen Betriebshaftpflicht- oder Kfz-Haftpflichtversicherung abgewickelt. Der Geschädigte kann aber auch den Fahrer direkt in Anspruch nehmen.


5. Was hätte Frau S. anders machen können, um eine Mitschuld zu vermeiden?

Das muss das Berufungsgericht noch klären. Denkbar wäre gewesen, den funktionslosen Stutzen im Domschacht dauerhaft und unmissverständlich zu kennzeichnen (z.B. mit einem Schild „Außer Betrieb!“ oder einer festen Kappe/Versiegelung), statt sich nur auf einen mündlichen Hinweis zu verlassen, der in der Hektik des Alltags untergehen kann.


6. An wen wende ich mich am besten, wenn mir so etwas passiert?

Zuerst den Schaden dokumentieren und dem Verursacher (Lieferfirma, Fahrer) melden. Informieren Sie auch Ihre eigene Gebäude- und Hausratversicherung. Bei größeren Schäden oder wenn die Haftung bestritten wird, sollten Sie zeitnah einen Fachanwalt für Versicherungsrecht oder Haftungsrecht konsultieren, um Ihre Ansprüche zu prüfen und durchzusetzen.

Fazit: Ein wichtiges Urteil mit Signalwirkung

Der Fall der fehlgeschlagenen Heizöllieferung zeigt eindrücklich, wie komplex Haftungsfragen im Alltag sein können. Das Urteil des BGH (VI ZR 385/22) bringt wichtige Klarheit: Es stärkt den Schutz von Geschädigten durch eine weite Auslegung des Versicherungsschutzes der Kfz-Haftpflichtversicherung auch bei reinen Arbeitsvorgängen. Gleichzeitig grenzt es die Haftung für stillgelegte Anlagenteile nach dem Wasserhaushaltsrecht vernünftig ein, indem es auf die aktuelle Zweckbestimmung abstellt.

Für Betroffene wie Frau S. bedeutet dies einerseits eine bessere Chance, den Schaden vom Versicherer des Verursachers ersetzt zu bekommen. Andererseits mahnt der Fall zur Vorsicht: Auch wenn spezielle Gefährdungshaftungen nicht greifen, können allgemeine Sorgfaltspflichten und Verkehrssicherungspflichten zu einer Mithaftung führen. Die klare Kennzeichnung und Sicherung von potenziellen Gefahrenquellen auf dem eigenen Grundstück bleibt essenziell. Wer in eine ähnliche Situation gerät, sollte die verschiedenen Haftungsaspekte genau prüfen lassen und seine Rechte konsequent verfolgen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

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