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Berufsunfähigkeitsversicherung – Verweisung des Versicherten auf andere Tätigkeit

OLG Hamm – Az.: I-20 U 38/18 – Urteil vom 19.12.2018

Die Berufung der Beklagten gegen das am 21.02.2018 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wegen Schmerzen im rechten Bein, dem Rücken sowie dem rechten Ellenbogen und daraus folgenden Konzentrations- und Koordinationsschwierigkeiten geltend.

Das Landgericht hat der Klage nach Anhörung des Klägers zum von ihm behaupteten Beruf (Servicemitarbeiter bei B) und nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur von ihm behaupteten Krankheit sowie zur von ihm behaupteten Berufsunfähigkeit nach Feststellung eines chronischen Schmerzsyndroms, das die Konzentrationsfähigkeit erheblich einschränke, überwiegend (für die Zeit ab September 2015) stattgegeben.

Bezüglich des weiteren erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts (GA 393-397) verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren – unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens – weiterverfolgt. Das Landgericht habe den bestrittenen Beruf nicht ohne Vernehmung von Zeugen zur Grundlage seiner Entscheidung machen dürfen. Zudem sei den Ausführungen des Sachverständigen zur Berufsunfähigkeit nicht zu folgen, da er selbst keine Diagnostik / Untersuchung durchgeführt habe. Insoweit habe das Landgericht sich auch nicht hinreichend mit den eingeholten widerstreitenden Privatgutachten auseinander gesetzt und den Privatgutachter nicht als Zeugen vernommen.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung vollständig abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Nach Ergänzung der Beweisaufnahme werde sich das erstinstanzliche Urteil bestätigen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und den Zeugen T sowie den Gerichtssachverständigen Priv.-Doz. Dr. H vernommen. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.11.2018 (GA 494 f.) verwiesen. Bezüglich der Aussagen des Zeugen und des Sachverständigen wird auf den Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 (GA 497-500) Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

1.   Dem Kläger stehen die vom Landgericht ausgeurteilten Rentenzahlung für die Zeit bis zur Klageerhebung sowie für die anschließende Zeit ab April 2016 gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag sowie mit § 1 Abs. 1 lit. b, Abs. 3, § 2 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 BUZ96 (SB 16 f.) zu, da der Kläger seit spätestens August 2015 krankheitsbedingt zu mindestens 50 % berufsunfähig ist.

Nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 [in Verbindung mit § 1 Abs. 1] BUZ96 liegt teilweise Berufsunfähigkeit vor, wenn

„die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen [teilweise zu mindestens 50 %] außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.“

Liegt dieser Zustand tatsächlich für sechs Monate vor, gilt dieser Zustand nach § 2 Abs. 3 BUZ96 von Beginn an als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit.

a)  Der Kläger ist seit spätestens August 2015 zu mindestens 50 % krankheitsbedingt außerstande, seinen Beruf auszuüben.

Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen steht für den Senat ohne vernünftigen Zweifel fest, dass bei dem Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom, also eine bedingungsgemäßen Krankheit bestand und noch besteht, die auf mehrere Ursachen zurückzuführen ist (vgl. zuletzt Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 1 f., GA 497 f.).

Diese Krankheit und die durch sie erzwungene (Schmerz-)Therapie führten und führen nach den überzeugenden Angaben des Gerichtssachverständigen, insbesondere im Senatstermin, beim Kläger zu einer ganz erheblich verminderten Belastungsfähigkeit des Körpers, einer generell eingeschränkten Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit und zu Müdigkeit.

Entsprechend den schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Gerichtssachverständigen lag und liegt deshalb eine die Grenze von 50 % deutlich überschreitende Berufsunfähigkeit vor. Aus Sicht des Senats gilt dies insbesondere auch deshalb, weil der Beruf des Klägers ohne seine prägenden, im besonderen Maße Konzentration erfordernden Tätigkeiten nicht auszuüben ist.

Der Gerichtssachverständige hat dabei zutreffend den im Senatstermin vom Kläger geschilderten zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf des Klägers und die sich mit der Erkrankung ergebenden, vom Kläger im Senatstermin geschilderten Einschränkungen seiner Tätigkeit bewertet. Die Einschränkungen betrafen und betreffen danach sämtliche, insbesondere aber die Konzentration erfordernden Tätigkeitsbereiche des vom Kläger zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Berufs.

aa)   Die detaillierten und bereits für sich mehr als plausiblen Schilderungen des Klägers zu dessen zuletzt in gesunden Tagen konkret ausgeübten Beruf hat der Zeuge, als damals eng mit dem Kläger zusammenarbeitende Kfz-Meister, aus der täglichen Zusammenarbeit ohne jeden Zweifel im Detail bestätigt.

Der Senat ist von der Richtigkeit der Angaben des Klägers in diesem Punkt überzeugt. Der Zeuge ist glaubwürdig, seine Aussage glaubhaft. Er hat differenziert ausgesagt. Der Senat ist ohne jeden Zweifel überzeugt, dass der Zeuge nicht etwa Gefälligkeitsangaben gemacht hat.

Aufgrund der Angaben des Zeugen und des Klägers steht für den Senat fest, dass der Kläger in gesunden Tagen jeden Tag mindestens acht Stunden arbeitete und bei einer 40,5 Stundenwoche regelmäßig erhebliche Überstunden aufbaute. Abgesehen von einer kurzen Mittagspause und bei Besorgungsfahrten arbeitete der Kläger ausschließlich im Stehen oder lief durch die Werkstatt. Als Servicemitarbeiter war er für alles zuständig von Kundenbetreuung (insbesondere Reparaturannahme, Erstdiagnoseerstellung, Rückfragen und Einholung von Reparaturfreigaben sowie Mitarbeit im Verkaufsbereich), Werkstattorganisation, Terminvergabe, Garantieabwicklung, Versichererkorrespondenz bis zu kleinen Reparaturarbeiten und Materialbesorgungen. Diese Tätigkeiten als Vorgesetzter für die Werkstattmitarbeiter erforderten ein hohes Maß an Organisations- und Konzentrationsfähigkeit.

bb)  Diese Tätigkeiten konnte der Kläger spätestens seit August 2015 bei prognostischer Betrachtung krankheitsbedingt dauernd nicht mehr zu mindestens 50 % ausüben und übte sie auch nicht mehr zu mindestens 50 % aus, und zwar selbst wenn man von Überstunden absieht.

(1)  Der Kläger hat nachvollziehbar und glaubhaft geschildert, dass er nach anfänglich nur leichten Schmerzen mit zunehmender Zeit unter starken Schmerzen, insbesondere in der rechten unteren Körperhälfte, litt. Diese schränkten seine Leistungsfähigkeit physisch und psychisch in sämtlichen Tätigkeitsbereichen im Zusammenspiel mit den Nebenwirkungen der erforderlichen Schmerzmedikation seit Mitte / Ende 2014 derart ein, dass er seine Arbeit gar nicht mehr habe bewältigen können.

(a)  Der Gerichtssachverständige, ausgewiesener Fachmann sowie Sachverständiger und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, hat im Senatstermin ausgeführt, dass diese Darstellung aus medizinischer Sicht ohne Einschränkung schlüssig ist und für ihn keinerlei Zweifeln unterliegt (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 1 f., GA 497 f.). Auch der Zeuge hat bestätigt, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers mit der Zeit mehr und mehr nachließ (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 1, GA 497). Eine angestellte – also nicht frei bestimmbare – Tätigkeit mit festen Arbeitsabläufen war dem Kläger laut Gerichtssachverständigem deshalb nicht mehr zumutbar (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 2, GA 498). Dies war aufgrund des Behandlungsverlaufs sicher seit Anfang 2015 der Fall (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 4, GA 500).

Dem gefundenen Ergebnis steht nicht entgegen, dass sich die konkrete Erkrankung entsprechend den Ausführungen des Gerichtssachverständigen nicht gleichsam technisch, durch bestimmte Mess- oder ähnliche Untersuchungsmethoden vollständig objektivieren lässt. Da Schmerzen und deren Ausmaß nicht objektivierbar sind, ist auch nicht zu erwarten, dass die vom Patienten geäußerten Beschwerden und Leistungseinschränkungen mittels einer Befundung klar erweisbar sind (Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 2, 3, GA 498, 499). Im Gegenteil sind technische Befunde, hier z. B. in orthopädischer Sicht, allein deshalb nicht aussagekräftig. Gleichwohl sind auch solche Krankheiten versichert (eine Ausschlussklausel ist weder vorgetragen noch ersichtlich), wenn sie – wie hier – gemessen an § 286 ZPO ohne vernünftigen Zweifel festzustellen sind. Auch der Privatsachverständige der Beklagten hat deshalb insoweit keine Messungen vorgenommen. Einzig die Privatsachverständige der Beklagten hat in ihrer neuropsychologischen Zusatzbegutachtung vom 29.09.2015 (insbes. Seite 12 ff., Anl. B5) Tests zum Schmerzempfinden, zur Beschwerdevalidierung und zur Plausibilitätsprüfung durchgeführt. Diese hat der Gerichtssachverständige in seine Begutachtung nach entsprechender ärztlicher Auswertung übernommen (Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 2, GA 498; Protokoll vom 10.01.2018 Seite 6, GA 373).

Entscheidend für die Feststellung der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit sind deshalb die überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen zu den im Regelfall zu erwartenden Folgen eines Schmerzsyndroms und dessen Therapie, wie sie beim Kläger vorlagen und vorliegen. Zudem ist entscheidend der Umstand, dass der Kläger seine Situation im Senatstermin derart glaubhaft und nachvollziehbar geschildert hat, dass weder der Sachverständige unter Berücksichtigung seiner Berufungserfahrung und der vorliegenden umfangreichen Arztunterlagen / -berichte (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 3, GA 499) noch dem folgend der Senat irgendwelche Zweifel daran hat.

Der Senat stimmt mit dem Sachverständigen nach eigener Prüfung darin überein, dass der Kläger ausweislich der vorliegenden umfangreichen Arztunterlagen / -berichte, auf die Bezug genommen wird, gegenüber sämtlichen der diversen Behandler aus unterschiedlichen Fachrichtungen konstant dieselben Beschwerden geschildert hat. Die Behandler haben bis auf Nuancen auch stets die gleichen Befunde erhoben. Anamnese und erhobene Befunde passen sehr gut zusammen (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 1, GA 497).

(b)  Den Feststellungen steht auch nicht das Gutachten des Privatsachverständigen der Beklagten vom 18.09.2015 (Anl. B4) entgegen.

Denn dieses setzt sich unzureichend mit dem beklagten Zustand des Klägers auseinander. Es überprüft völlig unzureichend, ob der Kläger an dem hier vom Gerichtssachverständigen festgestellten chronischen Schmerzsyndrom leidet. Stattdessen setzt es sich im Kern nur mit der Frage auseinander, ob der Kläger aufgrund einer anderen Erkrankung überhaupt objektivierbar an Schmerzen leidet. Damit beschäftigt es sich letztlich nur mit einer möglichen Ursache der hier festgestellten Krankheit; dabei ist die Ursache letztlich nicht einmal entscheidend, wenn die Krankheit als solche mit hinreichender Gewissheit feststeht. Bezüglich dieser anderen Krankheit / dieser einen Ursachen ist das Privatgutachten zudem ungenügend, weil es sich – anders als das Gerichtsgutachten – einseitig nur mit dem typischen klinischen Bild einer Herpes-Zoster-Erkrankung / Neuralgie, nicht aber mit dessen atypischen klinischen Bildern auseinander setzt (siehe insbesondere Ergänzungsgutachten vom 25.07.2017 Seite 5, GA 309). Nicht tauglich ist das Privatgutachten auch, weil es – als weitere Ursache – den Verdacht einer Somatisierungsstörung aufstellt, ihm aber nicht nachgeht. Zudem nimmt es keine Gesamtbetrachtung dieser beiden Ursachen mit den dem Privatgutachten als objektivierbar zugrunde gelegten Lendenwirbelsäulenbeschwerden vor.

Eine ebensolche Gesamtbetrachtung nimmt hingegen zutreffenderweise der Gerichtssachverständige vor. Er betrachtet überzeugend verschiedene Ursachen (insbesondere Herpes-Zoster-Erkrankung / Neuralgie in allgemein anerkannter atypischer klinischer Form; Somatisierungsstörung, Lendenwirbelsäulenbeschwerden) für ein Schmerzsyndrom. Er bewertet als Hintergründe die langjährigen, zunehmenden Beschwerden des Klägers und die im Rahmen der langjährigen, bei einer Vielzahl von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtung (Neurologen, Orthopäden, Internisten, Dermatologen, Urologen, Schmerztherapeuten / Anästhesisten) erhobenen objektiven Befunde (vgl. Gutachten vom 08.03.2017 Seite 12 ff., GA 259 ff.; Ergänzungsgutachten vom 25.07.2017 Seite 2 ff., GA 306 ff.; Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 2 f., GA 498 f.).

Eine Anhörung des Privatgutachters der Beklagten als (sachverständigem) Zeugen war vor diesem Hintergrund nicht erforderlich. Die von ihm objektiv erhobenen Befunde stehen nicht in Streit, nur dessen Wertungen. Der Beklagten war zudem mit der Terminsverfügung (GA 481) anheimgestellt worden, den Privatsachverständigen als Beistand zum Termin zu stellen. Hiervon hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht. Auch nach Zustellung des Berichterstattervermerks hat die Beklagte keine weitere Stellungnahme des Privatsachverständigen zur Akte gereicht, die sich mit der Problematik auseinander setzt. Hierzu hätte im Übrigen bereits nach Eingang des Gutachtens sowie des Ergänzungsgutachtens des Gerichtssachverständigen, spätestens nach Erstattung des mündlichen Gutachtens in erster Instanz Anlass bestanden, da dort bereits offensichtlich war, dass sich der Privatsachverständige unzureichend mit der Sache auseinander gesetzt hatte.

(c)   Zudem hat der Gerichtssachverständige überzeugend mit hinreichender Gewissheit eine Aggravation des Klägers ausgeschlossen.

Eine solche haben auch die Privatsachverständigen der Beklagten nicht festgestellt. Insbesondere die neuropsychologische Zusatzbegutachtung (Anl. B5) spricht, wie auch der Gerichtssachverständige aufgezeigt hat (vgl. Ergänzungsgutachten vom 25.07.2017 Seite 8, GA 312; Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 2, GA 498), gegen eine Aggravation.

Vor allem konnte der Gerichtssachverständige, insbesondere auch aufgrund seines persönlichen Eindrucks im Senatstermin, eine Aggravation überzeugend ausschließen. Im Fall einer Aggravation hätten sich ganz andere Begutachtungsabläufe mit anderen Feststellungen ergeben (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 2, GA 498). Hierzu gehört insbesondere der Umstand, dass der Kläger sich in Begutachtungssituationen oder auch im Senatstermin akut gerade nicht als erheblich vom Schmerz geplagt darstellte, sondern versuchte, aufs Beste mitzuarbeiten. So lässt sich auch erklären, warum das Entkleiden in der Begutachtungssituation beim Privatsachverständigen der Beklagten als mühelos empfunden worden ist, da die Scherzen üblicherweise intermittierend auftreten (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 3, GA 499). Dazu gehört beispielsweise auch, dass der Kläger ausweislich des vom Privatgutachter erhobenen Medikamentenspiegels einen vernünftigen Umgang mit den ihm verschriebenen Medikamenten bei einer Abwägung von Wirkungen und Nebenwirkungen betreibt (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 3, GA 499). Dabei ergibt sich aus dem Medikamentenspiegel (Privatgutachten vom 18.09.2015 Seite 41, Anl. B4) immerhin deutlich, dass der Kläger wesentliche Teile der verschriebenen Medikation eingenommen und er sich damit einer massiven medikamentösen Therapie unterzogen hat (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 2, GA 498).

(d)  Zweifel an diesen Feststellungen ergeben sich auch nicht daraus, dass der Gerichtssachverständige den Kläger nicht persönlich untersucht hat.

Zwar halten sowohl der Senat im Hinblick auf die einschlägige Rechtsprechung als auch der Sachverständige aus ärztlicher Sicht grundsätzlich eine persönliche Untersuchung im Rahmen einer Begutachtung für erforderlich.

Im vorliegenden Einzelfall ist sie jedoch nach den Ausführungen des Sachverständigen ausnahmsweise entbehrlich gewesen, da die Privatsachverständigen der Beklagten bereits ausreichende objektive Befunde erhoben hatten. Diese hat der Gerichtssachverständige seiner Beurteilung zugrunde gelegt, weil an diesen (anders als an deren Bewertung) keinerlei Zweifel bestehen. Zudem mussten keine neurologische Einschränkungen überprüft werden, da solche – als nicht vorhanden – zur Feststellung der Berufsunfähigkeit nicht zugrunde gelegt worden sind (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 3, GA 499).

Dem schließt sich der Senat an, insbesondere auch weil der zu beurteilende Zeitraum bereits mehrere Jahre zurückliegt, während die Gutachten der Privatsachverständigen der Beklagten innerhalb dieses Zeitraums erstellt worden sind, und der Sachverständige sich im Senatstermin zudem über einen mehrstündigen Zeitraum einen persönlichen Eindruck vom Kläger verschaffen konnte (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 2, GA 498). Weiter verkennt die Beklagte, dass auch ihr Privatsachverständiger das neuropsychologische Zusatzgutachten ihrer Privatsachverständigen genutzt und ausgewertet hat, ohne selbst ein neuropsychologisches Gutachten zu erstellen. Es ist nicht ersichtlich, warum der Gerichtssachverständige nicht ebenso verfahren können sollte.

Eine mehrtägige stationäre Begutachtung ist vorliegend nicht – ausnahmsweise – erforderlich. Der Gerichtssachverständige hat insoweit überzeugend ausgeführt, dass eine solche in diesem Bereich nicht durchgeführt werde. Außerdem sei nicht ersichtlich, dass dabei Anhaltspunkte ersichtlich werden könnten, die Zweifel an dem Bestehen des Schmerzsyndroms und dem von Kläger geschilderten Ausmaß begründen könnten. Aufgrund der langjährigen Erfahrung des Gerichtssachverständigen und aufgrund der erhobenen Befunde und durchgeführten Behandlungen, wie sie sich aus der Akte ergeben, bestünden keine Zweifel an den Schilderungen des Klägers (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 3, GA 499).

(2)  Dieser krankheitsbedingte Zustand des Klägers, seinen Beruf zu mindestens 50 % nicht mehr ausüben zu können, ist auch bereits jedenfalls im August 2015 für die Dauer von sechs Monaten zu prognostizieren gewesen.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen bestand bei einem Patient mit einem – wie hier – schon seit Monaten bestehenden, behandlungsbedürftigen, chronischen Schmerzsyndrom mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Möglichkeit einer Spontanheilung.

(3)  Unabhängig davon gilt: Selbst wenn diese Prognose nicht zutreffend gewesen sein sollte, bestünde hier gemäß § 2 Abs. 3 BUZ96 Berufsunfähigkeit. Denn der Kläger war bei einer ex-post-Betrachtung aus den genannten Gründen seit spätestens August 2015 für mindestens sechs Monate berufsunfähig.

Nach § 2 Abs. 3 BUZ96 wird Berufsunfähigkeit unwiderleglich vermutet, wenn der Versicherte mindestens sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit außerstande gewesen ist, seinen Beruf oder eine Vergleichstätigkeit auszuüben. In diesem Fall gilt jedoch teilweise nur die Fortdauer des Zustands als Berufsunfähigkeit; der Versicherungsfall tritt demnach erst nach den sechs Monate ein (BGH Urt. v. 21.3.1990 – IV ZR 39/89, VersR 1990, 729 = juris Rn. 17; vgl. auch BGH Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 206/91, VersR 1993, 562 = juris Rn. 32; BGH Urt. v. 27.9.1989 – IVa ZR 132/88, VersR 1989, 1182 = juris Rn. 20). Je nach Vertragsformulierung kann – wie hier – aber der Versicherungsfall auch schon rückwirkend eintreten („so gilt dieser Zustand von Beginn an als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit“ – siehe auch OLG Karlsruhe Urt. v. 31.3.2016 – 12 U 5/15, r+s 2016, 526).

cc)  Der Kläger kann auch keine seiner Ausbildung und Erfahrung sowie bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit ausüben.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, der Kläger habe nicht zur Unmöglichkeit der Verweisung vorgetragen, und verweist den Kläger auf die Tätigkeiten als Kfz-Mechaniker oder IT-System-Elektroniker.

(1)  Denn zum einen hat die Beklagte ihrer sekundären Aufzeigelast – wie im Senatstermin ausdrücklich erörtert – nicht genügt.

Lässt der Vertrag eine abstrakte Verweisung zu, muss zwar der Versicherungsnehmer vortragen und beweisen, dass er nicht auf eine andere Tätigkeit, die er noch nicht ausübt, verwiesen werden darf. Dabei trifft den Versicherer indessen eine Aufzeigelast. Dieser Aufzeigelast genügt der Versicherer nicht, wenn er lediglich – wie hier – generalisierend ein Berufsbild beschreibt, die Darstellung beruflicher Profile von Arbeitsvermittlern oder Berufsberatern zitiert oder verallgemeinernd andere Tätigkeiten nennt, die der Versicherungsnehmer seines Erachtens ausüben kann. Vielmehr muss er – wie hier nicht erfolgt – die physischen und psychischen Anforderungen des Verweisungsberufs darstellen, die Qualifikationsanforderungen (Ausbildungsabschlüsse) darstellen, die üblichen Arbeitszeiten und (ggf.) die Arbeitsplatzverhältnisse schildern sowie die zu erwartende Vergütung nennen (Rixecker  in: Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 172 Rn. 48 m. w. N.; vgl. Senat Urt. v. 4.5.2018 – 20 U 178/16, BeckRS 2018, 13437 = juris Rn. 82 m. w. N. mit Anm. Günther, FD-VersR 2018, 407012; Neuhaus, BUV, 3. Aufl. 2014, H Rn. 224 f.).

(2)  Zudem hat der Gerichtssachverständige ausgeführt, dass die von der Beklagten benannten Verweisungsberufe wie der hier streitgegenständliche Beruf zu fremdbestimmt sind, als dass der Kläger in Phasen ohne Schmerzen und ohne Medikation eine brauchbare Arbeitsleistung erbringen könnte (vgl. Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 4, GA 500). Dem schließt sich der Senat aus den bereits ausgeführten Gründen an.

b)  Der nach § 2 Abs. 1, Abs. 3 BUZ96 erforderliche ärztlicher Nachweis liegt unstreitig mit der Bekundung des Dr. N vom 07.05.2015 (SB  55 ff.) vor.

c)  Der Rentenanspruch entsteht nach § 1 Abs. 3 BUZ96 mit Ablauf des Monats, in dem Berufsunfähigkeit eingetreten ist, spätestens also ab September 2015.

2.  Aus den genannten Gründen steht dem Kläger zudem seit spätestens September 2015 ein Anspruch auf Beitragsbefreiung gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag sowie mit § 1 Abs. 1 lit. a, Abs. 3, § 2 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 BUZ96 (SB 16 f.) zu. Soweit der Kläger Beiträge gleichwohl bereits erbracht hat, kann er die geleisteten Beträge gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückverlangen.

3.  Schließlich hat der Kläger Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen gemäß § 291 Satz 1 Hs. 1, Satz 2, § 288 Abs. 1 BGB. Das Landgericht hat diese zutreffend ab dem Tag nach der Zustellung (§ 187 Abs. 1 BGB analog) zugesprochen.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, es liege kein Verzug vor, weil es am Verschulden fehle, nachdem sie ein Gutachten eingeholt hat. Denn auf Verzug / Verschulden kommt es bei Rechtshängigkeitszinsen nach § 291 Satz 1 Hs. 1 a. E. BGB ausdrücklich nicht an.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 1 und Satz 2, § 711 Satz 1, Satz 2, § 709 Satz 2 ZPO.

IV.

Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Rechtssache weist weder grundsätzliche Bedeutung auf noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

 

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