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Unfallversicherung – Invalidität in Sinne der Versicherungsbedingungen

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 11 U 44/17 – Urteil vom 21.02.2020

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10.03.2017 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) – unter Zurückweisung der Berufung des Klägers – teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen fallen dem Kläger zur Last.

III. Das Berufungsurteil und – soweit sie aufrechterhalten wird – die angefochtene Entscheidung sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung im Umfange von 120 % des aufgrund des Urteils gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten. Als Sicherheit genügt die schriftliche unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche und selbstschuldnerische Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstitutes oder Kreditversicherers.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 63.000,00 festgesetzt, wovon € 8.100,00 auf die Berufung der Beklagten und € 54.900,00 auf die Berufung des Klägers entfallen.

Gründe

I.

Der am … .03.1964 geborene Kläger, von Beruf Versicherungsmakler und Alleinerbe der ursprünglichen Klägerin, seiner zwischen dem … .07.2018 und … .08.2018 verstorbenen Ehefrau C… G…, verlangt von der beklagten Assekuranz, die im Jahre 2011 zu einem Versicherer-Konsortium unter Federführung der x… – Vermittlungsservice mbH gehörte, das Risikoträger im Rahmen einer privaten Unfallversicherung ist, die die Erblasserin laut Policennachtrag vom 11.04.2008 (Kopie in Anl. K1/GA I 17 ff.) unter Einbeziehung der Unfall-Versicherungsbedingungen x… – 2008 (Kopie in Anl. K1/GA I 20 ff.), künftig zitiert als x…-AUB, unter anderem zu Gunsten des Anspruchstellers als mitversicherter Person abgeschlossen hatte, wegen eines Unfalles, den er am Sonntag, dem … .07.2011, vormittags auf einem Hundeausbildungsplatz in E… erlitt, die Zahlung von Invaliditätsleistung. Während einer Schutzhundeausbildung zog seine Deutsche Dogge, die seinerzeit ein Gewicht von etwa 80 kg hatte, plötzlich in eine andere als die vom Kläger erwartete Richtung; bei dem Versuch, den Hund mit der linken Hand an der Leine festzuhalten, stürzte der Anspruchsteller auf den Boden mit ausgestrecktem linken Arm bei einer Verdrehung, so dass er seitlich-rückwärts mit dem Thorax auf dem Boden aufschlug, wobei der Kopf plötzlich nach vorn gebogen wurde. Die Prozessparteien streiten darüber, ob dieses Ereignis zu einer dauerhaften Beeinträchtigung seiner körperlichen Leistungsfähigkeit, insbesondere im Bereich des linken Schultergelenks und der Halswirbelsäule, geführt hat. Zur näherer Darstellung des Sachverhalts sowie der erstinstanzlichen Prozessgeschichte wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend auf den Tatbestand der hier angefochtenen Entscheidung verwiesen (LGU 2 ff.).

Beim Landgericht Frankfurt (Oder), das als Eingangsinstanz erkannt hat, ist die Klage – nach Einholung schriftlicher Gutachten des Sachverständigen Dr. med. J… O… (GA I 209 ff. und II 267 ff.) – in der Hauptsache (lediglich) im Umfang von € 8.100,00 erfolgreich gewesen. Zur Begründung hat die Zivilkammer im Kern ausgeführt: Der Zahlungsanspruch folge aus der privaten Unfallversicherung i.V.m. §§ 178 ff. VVG und § 421 BGB. Als einer der Risikoträger, die ihre quotenmäßige Beteiligung in dem Vertrag nicht offen gelegt hätten, gehöre die Beklagte zu einer Tilgungsgemeinschaft und könne auf die Gesamtleistung in Anspruch genommen werden. Im Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass unfallbedingt die Funktionsfähigkeit des linken Armes aufgrund eines Schadens im Bereich des linken Schultergelenkes zu 1/10 und die Wirbelsäule zu 10 % bei einem gemäß § 8 x…-AUB zu berücksichtigenden degenerativen Vorschaden von jeweils 50 % dauerhaft beeinträchtigt seien. Der Kläger habe am … .07. 2011 einen Unfall im Rechtssinne erlitten; die dabei eingetretenen Gesundheitsschädigungen seien im ärztlichen Erstbericht vom seinerzeit behandelnden Arzt DM R… N… dokumentiert (Kopie Anl. BLD 6/GA I 77 f.). Dass der gerichtliche Sachverständige den Anspruchsteller nicht selbst körperlich untersucht und die Krankengeschichte erhoben, sondern dies seiner Mitarbeiterin Dr. med. I… O… übertragen, dafür die volle Verantwortung übernommen und die Auswertung aller vorliegenden Daten persönlich durchgeführt habe, stehe im Einklang mit § 407a Abs. 2 Satz 2 ZPO und sei im Streitfall unproblematisch. Laut Gutachten existierten beim Kläger betreffend das linke Schultergelenk aktuell zumindest ein persistierendes Kapselmuster und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung im Sinne eines sog. schmerzhaften Bogens (painful arc); seine subjektiven Schmerzangaben seien glaubhaft und als Chronifizierung eines Schmerzsyndroms zu werten. Das plötzliche Ziehen eines großen Hundes an der Leine komme für den Sachverständigen als Ursache einer Schädigung des Ansatzes der Supraspinatussehne in Betracht. Im Bereich der Halswirbelsäule habe dem Gutachten nach – von einer traumatischen Genese ausgehend – die Exazerbation eines bestehenden, bisher aber klinisch nicht in Erscheinung getretenen Vorschadens stattgefunden. Weil die Ausführungen des Sachverständigen letztlich nachvollziehbar seien und an seiner Fachkunde kein Zweifel bestehe, bedürfe es keiner weiteren Begutachtung. Wegen der weiteren Details einschließlich der Berechnung der Invaliditätsleistung durch das Landgericht wird auf die Ausführungen in den Gründen des angegriffenen Urteils Bezug genommen (LGU 5 ff. [9]).

Dieses ist – jeweils zu Händen der erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten gemäß deren Empfangsbekenntnis – der Beklagten am 16.03.2017 (GA II 329) und der ursprünglichen Klägerin am 14.03. 2017 (GA II 328) zugestellt worden. Die Beklagte hat am 07.04.2017 (GA II 330) mit Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel – nach am 12.05.2017 beantragter (GA II 345) und bis zum 16.06.2017 bewilligter (GA II 348) Verlängerung der Begründungsfrist – mit einem am 09.06.2017 bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorab per Telekopie eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz begründet (GA II 354 ff.). Die ursprüngliche Klägerin hat am 13.04.2017 (GA II 335) mit Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel – nach in der Berufungsschrift beantragter (GA II 335, 336) und bis zum 14.06.2017 bewilligter (GA II 340) Verlängerung der Begründungsfrist – mit einem am 13.06. 2017 bei dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorab per Telekopie eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz begründet (GA II 375 ff.).

Die Beklagte ficht das landgerichtliche Urteil – unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung ihres bisherigen Vortrages – in vollem Umfange ihrer Beschwer an und verteidigt es gegen die Berufungsangriffe des Klägers. Dazu trägt sie insbesondere Folgendes vor, wobei im Übrigen und wegen der Einzelheiten auf ihre anwaltlichen Schriftsätze zweiter Instanz verwiesen wird:

Die Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. med. J… O… leide an erheblichen Mängeln und sei für die richterliche Überzeugungsbildung ungeeignet. Da die Vorinstanz kein neues Gutachten eingeholt habe, sei sie prozessual verpflichtet gewesen, entweder den Sachverständigen zu einer schriftlichen Stellungnahme aufzufordern oder ihn antragsgemäß zur mündlichen Anhörung zu laden. Die Ergebnisse der bisherigen Begutachtung hätten bereits aus formalen Gründen nicht verwertet werden dürfen, weil sich der gerichtliche Sachverständige in einem von § 407a Abs. 2 ZPO nicht gedeckten Umfange der Unterstützung Dritter bedient und keinerlei persönlichen Eindruck vom Anspruchsteller verschafft habe. Letzteres sei im Streitfall unentbehrlich gewesen, da im Zeitpunkt der Untersuchung, die im Übrigen schon rund sieben Monate vor der Ausfertigung des Gutachtens stattgefunden habe, ein objektiver Nachweis für unfallbedingte, traumatische Schäden weder im Bereich der linken Schulter noch an der Halswirbelsäule vorhanden gewesen sei; eine bloße Empfehlung, die sich allein auf als glaubhaft eingestufte Schmerzangaben des Probanden stütze, ohne diesen je gesehen zu haben, ermangele einer hinreichenden Grundlage. Im Bereich der Halswirbelsäule lasse sich bereits gar kein unfallbedingter Erstschaden feststellen. Eine ödematöse Veränderung am Ansatz der Supraspinatussehne habe sich vollständig zurückgebildet; zudem bestehe – nicht zuletzt unter Berücksichtigung der unfallunabhängige Vorschäden – keine deutlich überwiegende und auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die Unfallbedingtheit der bestrittenen Beschwerden und könne bei einem altersentsprechenden Bewegungsradius von 160° keine Invalidität von 1/10 Armwert bejaht werden. Im Übrigen dürften Invaliditätsgrade keineswegs schlicht addiert werden, wenn es Überschneidungen gebe, weil etwa – wie es der Kläger laut Gutachten des Sachverständigen Dr. med. J… O… geschildert habe – Nackenschmerzen in die Schultern ausstrahlten.

Die Beklagte beantragt,

a) unter teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Klage insgesamt abzuweisen;

b) die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

a) unter teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung, die Beklagte zu verurteilen, ihm – dem Kläger – über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus zu zahlen weitere

(1) € 54.900,00 nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit;

(2) € 1.042,68 außergerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit;

b) die Berufung der Beklagten zurückzuweisen;

Er verteidigt – seine bisherigen Darlegungen ebenfalls wiederholend, vertiefend und ergänzend – das erstinstanzliche Urteil, soweit es ihm günstig ist, und greift es im Übrigen selbst in vollem Umfange seiner Beschwer mit der Berufung an. Dazu trägt er insbesondere Folgendes vor, wobei im Übrigen und wegen der Einzelheiten auf seine anwaltlichen Schriftsätze zweiter Instanz verwiesen wird:

Das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. med. J… O… sei nicht verwertbar, weil dieser zu dessen Erstellung Gehilfen nicht nur für unterstützende Dienste eingesetzt habe. Zudem sei prozessordnungswidrig keine mündliche Erläuterung des schriftlichen Gutachtens angeordnet worden, was bei Unklarheiten und Zweifeln von Amts wegen zu geschehen habe. Das Gutachten leide an erheblichen Mängeln, speziell im Hinblick auf den angenommenen und vom Versicherer voll zu beweisenden Grad der Vorinvalidität; unverzichtbar sei in diesem Zusammenhang stets ein alterstypischer Vergleich, wobei nicht auf den generellen Verschleißschaden eines Durchschnittsmenschen, der anhand der jeweiligen Lebensdekade statistisch erfasst werde, abgestellt werden dürfe. Zudem fehle es an einer sorgfältigen und kritischen Würdigung durch das Landgericht; bloße Leerformeln seien dabei zu vermeiden. Hätte die Vorinstanz die Frage der Vorinvalidität rechtlich zutreffend beurteilt und die gebotenen Tatsachenfeststellungen ordnungsgemäß getroffen, so wäre der Klage vollumfänglich stattzugeben gewesen. Laut der Bescheinigung des Facharztes für Orthopädie Dr. med. M… A… (Kopie in Anl. K3/ GA I 33, 37 ff.) habe er, der Anspruchsteller, unfallbedingt zwei verschiedene Verletzungen erlitten, und zwar einen Schaden am linken Schultergelenk und einen an der Halswirbelsäule; es gehe dabei um selbstständige Verletzungen und Funktionseinbußen, keineswegs um die bloße Ausstrahlung von Nackenschmerzen in die Schultern, bei der die Invaliditätswerte nicht zu addieren wären.

Der Senat hat laut Abschn. A des Beschlusses vom 17.11.2017 (GA II 457 ff./1. Zählung) Hinweise zur Sach- und Rechtslage erteilt. Zwecks weiterer Sachaufklärung wurden von ihm gemäß Abschn. B dieses Beschluss i.d.F. vom 19.01.2018 (GA II 441 ff./2. Zählung) ein Ergänzungsgutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. med. J… O… vom 30.04.2018 (GA II 461 ff./2. Zählung) sowie gemäß Beschluss vom 24.08.2018 (GA III 513 ff.) ein orthopädisch-unfallchirurgisches Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. med. D… G… vom 25.07.2019 (GA III 583 ff.) eingeholt. Mit Zustimmung der Parteien hat der Senat durch Beschluss vom 29.11.2019 (GA III 640) angeordnet, dass ohne mündliche Verhandlung entschieden werden soll. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der bisherigen Prozessgeschichte wird ergänzend auf die Anwaltsschriftsätze beider Seiten nebst Anlagen, auf sämtliche Terminsprotokolle und auf den übrigen Akteninhalt verwiesen.

II.

A. Die (selbstständigen) Berufungen beider Parteien sind an sich statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden sie sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517 ff. ZPO). Zu Unrecht meint die Beklagte, die klägerische Rechtsmittelbegründung vom 13.06.2017 (GA II 393 ff.) erfülle nicht vollumfänglich die (formalen) Inhaltsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO, da sie nur beanstande, dass hinsichtlich der Vorinvalidität kein sogenannter alterstypischer Vergleich (mit der Leistungsfähigkeit einer unversehrten Person des gleichen Alters und Geschlechts) vorgenommen worden sei (GA II 420/1. Zählung). Gerügt wird darin vielmehr ferner, dass die Begutachtung durch den erstinstanzlichen Sachverständigen generell prozessual unverwertbar und inhaltlich mangelhaft sei, was zur Einholung eines weiteren Gutachtens hätte führen müssen, mit dem die geltend gemachte Invalidität in voller Höhe nachzuweisen gewesen wäre (GA II 393, 394 ff.). Mit einer Sachaufklärungsrüge dieser Art kann eine Berufung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO hinreichend begründet werden. Denn eine zulässige Begründung muss aus inhaltlicher Sicht lediglich auf den zur rechtlichen Beurteilung stehenden Einzelfall zugeschnitten sein, zweifelsfrei klarstellen, in welchen Streitpunkten die Entscheidung der Vorinstanz angegriffen wird, und – falls wie hier nicht allein neue Tatsachen und Beweise vorgebracht werden – erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen der jeweilige Rechtsmittelführer selbst die entscheidungstragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils als unzutreffend erachtet (so insb. BGH, Beschl. v. 13.09.2012 – III ZB 24/12; Rdn. 8 und 11, juris = BeckRS 2012, 20913; ebenso Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 520 Rdn. 35 ff.; jeweils m.w.N.). Keine Rolle spielt hingegen in diesem Zusammenhang, ob die darin enthaltenen Ausführungen schlüssig sind oder vertretbar erscheinen und ob sie den Kern der Sache treffen (vgl. BGH aaO Rdn. 11; Zöller/Heßler aaO Rdn. 34 m.w.N.). Maßgeblich ist, dass dem angefochtenen Urteil die Grundlage entzogen wäre, wenn keine ordnungsgemäße Beweisaufnahme stattgefunden hätte. Ob dies wirklich zutrifft, ist erst im Rahmen der Begründetheit des eingelegten Rechtsmittels zu prüfen.

B. In der Sache selbst hat lediglich die Berufung der Beklagten Erfolg; das klägerische Rechtsmittel ist unbegründet. Die nach § 529 ZPO vom Senat als Berufungsgericht zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere – für die Beklagte günstige(re) – Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Als Alleinerbe seiner verstorbenen Ehefrau, der ursprünglichen Klägerin, ist der Anspruchsteller zwar mit dem Eintritt des Erbfalles nach § 1922 Abs. 1 BGB im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in alle bisherigen Rechtspositionen der Erblasserin eingerückt, wozu nicht allein (potenzielle) Forderungen aus dem in Rede stehenden Versicherungsverhältnis gehören, sondern auch das durch die Klageerhebung begründete Prozessrechtsverhältnis (arg. § 239 Abs. 1 i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO; vgl. OLG Brandenburg a.d.H., Urt. v. 11.12. 2018 – 11 U 72/16, juris Rdn. 14 = BeckRS 2018, 34884 Rdn. 12; ferner Jauernig/Stürner, BGB, 17. Aufl., § 1922 Rdn. 8, m.w.N.; Große-Boymann in Burandt/Rojahn, Erbrecht, 3. Aufl., BGB § 1922 Rdn. 87). Ohne Rechtsverstoß durfte die Zivilkammer gemäß § 19 III Satz 3 VdVA-AUB i.V.m. § 421 BGB im Streitfall zudem die Passivlegitimation der Beklagten bejahen (LGU 5; vgl. dazu bereits die Ausführungen des Senats im Abschn. A III des Beschlusses vom 17.11.2017 [GA II 457, 459/1. Zählung]), was diese mit ihrer Berufung nicht beanstandet. Ein Anspruch auf Invaliditätsleistung aus § 7 I und II VdVA-AUB i.V.m. § 178 Abs. 1 VVG steht dem Kläger aber nicht zu, da im Ergebnis der (fortgeführten) Beweisaufnahme in zweiter Instanz nicht erwiesen ist, dass der Unfall, den er am … .07.2011 während der Schutzhundeausbildung seiner deutschen Dogge auf dem Hundeausbildungsplatz in E… erlitten hat, zu einer dauernden Beeinträchtigung seiner körperlichen Leistungsfähigkeit führte. Im Einzelnen gilt Folgendes.

1. Eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Eingangsinstanz, wie sie sich für das Berufungsgericht regelmäßig aus § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ergibt (vgl. hierzu BeckOK-ZPO/Wulf, 35. Ed., § 529 Rdn. 6; Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 529 Rdn. 1), besteht im Streitfall nicht, da konkrete Anhaltspunkte Zweifel an deren Richtigkeit und Vollständigkeit begründeten und eine erneute Feststellung geboten. Die Zivilkammer hat ihre Beweisaufnahme abgeschlossen, ohne – wie es gemäß § 397 i.V.m. § 402 ZPO und Art. 103 Abs. 1 GG nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs der Parteien zwingend geboten gewesen wäre (vgl. jüngst BGH, Beschl. v. 07.05. 2019 – VI ZR 257/17, LS und Rdn. 8, juris = BeckRS 2019, 13131; ferner Zöller/Greger aaO, § 411 Rdn. 4 m.w.N.) – zumindest auf den (äußersten) Hilfsantrag der Beklagten vom 12.10.2016 (GA II 306, 307) den Sachverständigen Dr. med. J… O… zu seiner persönlichen Anhörung zum Termin der mündlichen Verhandlung zu laden. Außerdem ergibt sich speziell aus seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.04.2018 (GA II 461 ff./2. Zählung), dass er sich bei der Gutachtenerstattung in einem Maße der Mitwirkung Dritter bedient hat, das in § 407a Abs. 2 Satz 2 ZPO keine Stütze mehr findet; es war weder gewährleistet, dass die Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie, die für ihn die Anamnese erhoben und die körperliche Untersuchung des Klägers durchgeführt hat, das Beweisthema oder die übertragenen Aufgaben kannte, noch vermochte der Gutachter plausibel zu erklären, wie er subjektive Angaben des Probanden zu bestehenden Schmerzen, die er in besonderer Weise für ergebnisrelevant hielt, als glaubhaft beurteilen konnte, ohne die zu begutachtende Person jemals selbst getroffen zu haben. Dass es sich bei der sogenannten Neutral-Null-Methode, die hier bei der Befunderhebung und der Bewertung der Unfallfolgen zur Anwendung gekommen ist, an sich um ein allgemein anerkanntes und standardisiertes messtechnisches Verfahren handelt, das bereits im ersten Jahr der orthopädisch-unfallchirurgischen Facharztausbildung gelehrt wird, ändert in diesem Zusammenhang nichts, weil deren Beherrschung hier keineswegs infrage steht.

2. Bei der Invalidität im Sinne des § 7 I Nr. 1 VdVA-AUB, deren Eintritt nach den getroffenen Vereinbarungen den Leistungsfall begründet, handelt es sich um eine Unfallfolge, was regelmäßig – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen – bedingungsgemäß voraussetzt, dass die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitten hat (§ 1 III UAbs. 1 VdVA-AUB). Nach dem Sachverständigengutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. med. D… G… vom 25.07.2019 (GA III 583 ff.), das der Senat eingeholt hat und dem der Kläger nicht entgegengetreten ist, lässt sich im Bereich der Halswirbelsäule bereits keine unfallbedingte Gesundheitsschädigung feststellen; durch das Unfallereignis herbeigeführte strukturelle Veränderungen – insbesondere eine traumatische Genese der Impression des siebenten Wirbelkörpers, bei der MR-tomographisch am 07.10.2011 (etwa drei Monate nach dem Ereignis) noch ein Knochenmarksödem (bone bruise) zur Darstellung gekommen wäre – ließen sich nicht nachweisen. Die Manifestation von Beschwerden bei einer vorbestehenden degenerativen Veränderung an den Bandscheiben und Facettengelenken sowie Wirbelkörpern hat laut Gutachten lediglich eine passagere Beschwerdesymptomatik für zwölf Wochen bewirkt, weshalb es insoweit jedenfalls am Kriterium der Dauerhaftigkeit fehlt. Bei der gutachterlichen Untersuchung am 16.05.2019 konnten Funktionseinschränkungen der Halswirbelsäule diagnostiziert werden, als deren Ursache mithilfe von Röntgenaufnahmen allein unfallunabhängige degenerative Veränderungen mit mehrsegmentalen Bandscheibenschäden objektiviert wurden. Im Bereich des Schultergelenks kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Unfallhergang nicht geeignet gewesen sei, eine biomechanische Überbelastung der Supraspinatussehne in der Rotatorenmanschette zu verursachen, insbesondere das dort am 07.10.2011 MR-tomographisch diagnostizierte Ödem mit Reizzustand. Anhand der MR-tomographischen Verlaufskontrolle der linken Schulter mit Kontrastmittel am 02.07.2013 seien strukturelle Verletzungen, speziell die Kontinuitätsdurchtrennung der Supraspinatussehne und eine Verletzung der Gelenklippe auszuschließen. Röntgenaufnahmen der linken Schulter in zwei Ebenen vom 16.05.2019 zeigten eine unfallunabhängige ACG-Arthrose (Arthrose im Schultereckgelenk).

3. Der Senat tritt den plausiblen Einschätzungen des Sachverständigen Dr. med. D… G…, der den Kläger am 16.05.2019 persönlich untersucht und die ihm vorliegenden medizinischen Befunde sorgfältig ausgewertet hat, bei. Unfallbedingte strukturelle Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule vermochte auch der Sachverständige Dr. med. J… O… nicht zu konstatieren; er hat bei seiner Einschätzung des Invaliditätsgrads offenbar vielmehr (fiktiv) eine traumatische Genese vorausgesetzt. Auch die Exazerbation eines dort bestehenden Vorschadens hält er lediglich für möglich und kann sie nicht mit Sicherheit ausschließen. Dies genügt jedoch keineswegs, um das erforderliche Beweismaß zu erreichen. Erst recht ergibt sich daraus nichts für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Der Facharzt für Orthopädie Dr. M… A… vermutet in seiner ärztlichen Bescheinigung für den Kläger zur Vorlage beim privaten Unfallversicherer (Kopie in Anl. K3/GA I 33, 37 ff.) lediglich, dass die Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule traumatisch bedingt sind, ohne hierfür eine überzeugende und nachvollziehbare Begründung zu geben, insbesondere andere mögliche Ursachen wie Vorschäden und die fehlende bildgebende Darstellung eines Knochenmarksödems zu diskutieren. Im Bereich des linken Schultergelenks des Anspruchstellers ließen sich schmerzhafte Veränderungen durch den Sachverständigen Dr. med. J… O… nicht objektivieren. Plausible Einschätzungen der Glaubhaftigkeit von subjektiven Schmerzangaben des Klägers waren ihm nicht möglich, da er diesen weder selbst untersucht noch persönlich getroffen hat. Ebenso wenig überzeugt deshalb, dass es unfallbedingt zur Chronifizierung eines Schmerzsyndroms gekommen sein soll. Unter Berücksichtigung dessen, dass degenerative Veränderungen an der Rotatorenmanschette und dem Schultereckgelenk bereits im Jahre 2003 operativ behandelt wurden, sowie der MR-tomographischen Verlaufskontrolle mit Kontrastmittel am 02.07.2013 und eigener Röntgenaufnahmen vom 16.05.2019 hat der Sachverständige Dr. med. D… G… – für den Senat überzeugend – ein unfallunabhängiges Impingement-Syndrom des linken Schultergelenks bei ACG-Arthrose diagnostiziert, mit dem sich die Bewegungseinschränkungen des Anspruchstellers erklären lassen. Der Orthopäde Dr. M… A…, der seine ärztliche Bescheinigung offenbar schon im Januar 2012 erstellt hat und deshalb die späteren Befunde nicht kennen konnte, diagnostiziert einerseits „eine aufgequollene Supraspinatussehne, offensichtlich als Reizzustand drei Monate posttraumatisch ohne weitere Veränderungen“ (GA I 41), ohne dafür eine Erläuterung zu geben, und andererseits ein sehr hartnäckiges Impingementsyndrom (GA I 42), wofür gerade auch degenerative Veränderungen in Betracht kommen (vgl. Roche Lexikon Medizin, 5. Aufl., Stichwort „Impingementsyndrom“). Auf die Frage, ob bereits bestehende Krankheiten oder Gebrechen bei der durch das Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen im Sinne des § 8 VdVA-AUB mitgewirkt haben, kommt es im Streitfall ebenso wenig an wie auf den Umstand, dass die Bejahung einer Arthrose nach verbreiteter Auffassung einen das altersübliche Maß übersteigenden Gelenkverschleiß voraussetzt (vgl. Wikipedia, Die freie Enzyklopädie, Stichwort „Arthrose“, abrufbar im Internet unter der Adresse https://de.wikipedia.org/wiki/Arthrose).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Demgemäß fallen die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen dem Kläger als der unterliegenden Partei zur Last.

D. Der Ausspruch betreffend die vorläufige Vollstreckbarkeit des Berufungsurteiles und der angefochtenen Entscheidung, soweit sie aufrechterhalten wird, ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO sowie § 711 Satz 1 und 2 i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO. Art und Umfang der Sicherheitsleistung hat der Senat gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung der in § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO und § 239 Abs. 2 BGB enthaltenen Rechtsgedanken bestimmt. Zu Sicherungszwecken gegebene Zahlungsversprechen von Kreditversicherern sind – speziell nach Auffassung des Gesetzgebers selbst (vgl. Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf der BReg für ein Bauhandwerkersicherungsgesetz, BT-Drucks. 12/4526, S. 9, 11) – denen der Kreditinstitute gleichwertig (arg. § 648a Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. = § 650f Abs. 2 Satz 1 BGB n.F.; § 31 Abs. 3 Nr. 1 EEG 2017; § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ElektroG; § 14 Abs. 1 Satz 3 WBVG; § 17 Abs. 2 VOB/B).

E. Die Revision wird vom Senat – in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG – nicht zugelassen. Denn die vorliegende Rechtssache hat weder grundsätzliche – über den Streitfall hinausgehende – Bedeutung (für eine unbestimmte Vielzahl zu erwartender Streitigkeiten, in denen sich die gleichen Fragen als klärungsbedürftig erweisen) noch erfordert die Fortbildung des Rechtes oder die Sicherung einer einheitlichen Judikatur eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht. Das Berufungsurteil des erkennenden Senats beruht im Kern auf der Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall und auf der Würdigung von dessen tatsächlichen Umständen. Divergenzen zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder zu Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte, die höchstrichterlich bisher noch ungeklärte Fragen mit Relevanz für den Ausgang des hiesigen Streitfalles betreffen, sind nicht ersichtlich.

F. Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes für die zweite Instanz stützt sich auf § 3 ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 sowie § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GKG. Als für die Streitwertbestimmung maßgeblich erweist sich – entsprechend dem sogenannten Angreiferinteresseprinzip (vgl. dazu MüKoZPO/Wöstmann, 5. Aufl., § 3 Rdn. 4, 5 und 10; ferner OLG Brandenburg a.d.H., Beschl. v. 15. 10.2019 – 11 W 24/19, Rdn. 3, juris = BeckRS 2019, 28478; OLG Dresden, Beschl. v. 18.12.2019 – 4 W 896/19, Rdn. 3, juris = BeckRS 2019, 34226; jeweils m.w.N.) – das mit den Berufungsanträgen der Parteien vom 08.06.2017 (GA II 363) und 13.06.2017 (GA II 393 f.) offenbarte und nach ihrem fortbestehenden Rechtsschutzziel in der Hauptsache zu bemessende wirtschaftliche Interesse beider Seiten an ihrer weiteren Rechtsverteidigung respektive Rechtsverfolgung in zweiter Instanz (vgl. BeckOK-KostR/Schindler, 27. Ed., GKG § 47 Rdn. 1; BDZ/Dörndorfer, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Aufl., GKG § 47 Rdn. 2 f.; NK-GK/Schneider, 2. Aufl., GKG § 47 Rdn. 1 ff.). Bei den miteingeklagten vorgerichtlichen Anwaltskosten des Klägers handelt es sich – ebenso wie bei den geltend gemachten Zinsen – um eine bloße Nebenforderung, die hier nach § 43 Abs. 1 GKG streitwertneutral bleibt (vgl. dazu insb. BGH, Beschl. v. 25.09.2007 – VI ZB 22/07, Rdn. 4 ff., juris = BeckRS 2007, 17108; ferner BDZ/Dörndorfer aaO, § 43 Rdn. 2; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 4 Rdn. 13, m.w.N.).

 

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