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Berufsunfähigkeitsversicherung: Begriff der Berufsunfähigkeit

OLG Köln, Az.: 20 U 169/16, Beschluss vom 06.03.2017

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 1. September 2016 – 9 O 262/15 – ohne mündliche Verhandlung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen 3 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Gründe

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung des Klägers offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, dass die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und dass eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Die Berufungsbegründung zeigt entscheidungserhebliche Fehler des angefochtenen Urteils nicht auf.

Der Kläger macht geltend, das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass seine Berufsunfähigkeit streitig sei. Die Feststellung seiner Berufsunfähigkeit im Schreiben der Beklagten vom 18. Februar 2015 sei als Anerkenntnis nach § 173 VVG auch für andere Verträge der Parteien als den mit der Nr. 4.5 636 326.35 zu werten. Das gelte insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass die von der Beklagten unter dem 2. Februar 2015 erklärte Anfechtung (richtig: der von der Beklagten erklärte Rücktritt) gerade nicht die Tatbestandsvoraussetzungen oder die Konsequenzen seiner Berufsunfähigkeit betroffen habe, sondern ausschließlich die angebliche vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht über gefahrerhebliche Umstände. Wenn sich die Beklagte im Verfahren auf das Fehlen seiner Berufsunfähigkeit berufe, handele sie daher rechtsmissbräuchlich. Der Rechtsstreit sei auf der Grundlage fortzusetzen, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit seitens der Beklagten objektiv und unbestritten unwiderruflich festgestellt worden sei.

Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Grundsätzlich gilt und wird vom Kläger auch nicht in Zweifel gezogen, dass Leistungsansprüche aus der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeits-zusatzversicherung auf Seiten des Klägers Berufsunfähigkeit voraussetzen. Für die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs trägt nach allgemeinen Regeln der Kläger die Darlegungs- und Beweislast. Einer Darlegung und Beweisführung würde es daher nur dann nicht bedürfen, wenn unstreitig oder als unstreitig anzunehmen wäre, dass in der Person des Klägers ab Beginn des Zeitraums, für den er Leistungen beansprucht, die tatsächlichen Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit gegeben (gewesen) wären. Das ist aber nicht der Fall.

Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung die Berufsunfähigkeit des Klägers ausdrücklich streitig gestellt und darauf hingewiesen, dass schlüssiger Sachvortrag hierzu fehle, denn weder zur konkret letzten Tätigkeit finde sich an den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, VersR 1992, 1386) gemessen genügender Vortrag, noch zur medizinischen oder zeitlichen Komponente der behaupteten Berufsunfähigkeit. Im Schriftsatz vom 28. Juni 2016 hat die Beklagte ihr Bestreiten wiederholt: Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers bleibe bestritten; weiterhin sei weder zur beruflichen noch zur medizinischen Komponente schlüssiger Sachvortrag erfolgt. Vom Landgericht wurde der Kläger gemäß Terminsprotokoll vom 1. Juli 2016 darauf hingewiesen, dass die Schlüssigkeit von Klagen auf Leistungen aus Berufsunfähigkeitsversicherungen die detaillierte Darlegung der zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit erfordere; zu beschreiben seien in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht die verschiedenen Tätigkeitsaspekte mit ihren Anforderungen an das körperliche und geistige Leistungsvermögen des Versicherungsnehmers; es empfehle sich die Darstellung einer „Musterwoche“ – vorzugsweise auch in Gestalt einer Zeittafel („Stundenplan“). Erforderlich sei daneben die detaillierte Darlegung der Auswirkungen der zur Berufsunfähigkeit führenden Erkrankung auf die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit. Diesen Anforderungen genüge das Vorbringen des Klägers bislang nicht.

In seinem ihm antragsgemäß nachgelassenen Schriftsatz vom 26. Juli 2016 hat der Kläger seinen Vortrag zu der von ihm zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit und zu den Auswirkungen der behaupteten Krankheit auf die Fähigkeit, diese auszuüben, nicht ergänzt, sondern begründet, warum er aus Rechtsgründen die Auffassung des Gerichts nicht teile.

Vor diesem Hintergrund ist die Ansicht des Klägers, seine – auch im Berufungsverfahren ausdrücklich bestrittene – Berufsunfähigkeit sei unstreitig, offensichtlich nicht zutreffend.

Die Berufsunfähigkeit des Klägers ist auch nicht als unstreitig zu behandeln. Eine vorgerichtliche Erklärung der Beklagten, mit der sie bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers im Sinne der hier streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung des Vertrages mit der Nr. 4.5 793 203.27 anerkannt hätte und an der sie sich in diesem Rechtsstreit festhalten lassen müsste, liegt nicht vor. Die Sätze in ihrem Schreiben vom 18. Februar 2015:

„Da Sie berufsunfähig sind, zahlen wir für Sie zur Versicherung Nr. 4.5 636 326.35 ab dem 1.2.2014 die Beiträge.

Ihr Anspruch entsteht mit Ablauf des Monats, in dem Sie berufsunfähig wurden.“

beziehen sich nicht auf den Vertrag mit der Nr. 4.5 7xx 2xx.x7. Zu diesem Vertrag nimmt die Beklagte erst an späterer Stelle des Schreibens, in dem sie der Reihe nach verschiedene Verträge der Parteien anspricht, Stellung.

Eine – quasi vor die Klammer gezogene, auch andere im Schreiben angesprochene Versicherungen betreffende – allgemeine Aussage zur Berufsunfähigkeit des Klägers ließe sich diesen Sätzen von vornherein allenfalls dann entnehmen, wenn der Begriff der Berufsunfähigkeit einen vom konkreten Vertrag unabhängigen feststehenden Inhalt hätte. Das ist aber nicht der Fall.

Der Begriff der Berufsunfähigkeit stellt eine Mischung aus juristischen und medizinischen Komponenten dar. Im Einzelfall sind für die genaue Definition die konkreten Vertragsbedingungen und ihr Wortlaut heranzuziehen (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl., Kap. A Rn. 79 f.; s. auch BGH Urteil v. 7.12.2016 – IV ZR 434/15, VersR 2017, 85 Rn. 14 = BeckRS 2016, 20536). Berufsunfähigkeit im Sinne des Vertrages Nr. 4.5 636 326.35 muss also nicht auch Berufsunfähigkeit im Sinne des Vertrages Nr. 4.5 793 203.27 sein. Dass dem gleichwohl so wäre, trägt der Kläger nicht vor.

Selbst wenn dem so wäre, würde die Bestätigung von Berufsunfähigkeit des Klägers im Schreiben vom 18. Februar 2015 die Beklagte nicht binden.

Eine Bindung unmittelbar aus einem Anerkenntnis gemäß § 173 VVG kann die Beklagte hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Vertrages schon deswegen nicht treffen, weil sie ein Leistungsanerkenntnis im Sinne dieser Norm nicht abgegeben hat. Im Gegenteil hat sie im Schreiben vom 18. Februar 2015 die geforderte Leistung ausdrücklich verweigert.

Aus dieser Leistungsablehnung folgt auch nicht mittelbar eine Bindung der Beklagten, weil sie sich bei der Leistungsablehnung nicht auf fehlende Berufsunfähigkeit, sondern auf die von ihr angenommene vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht des Klägers gestützt hat. Grundsätzlich bedarf eine Leistungsablehnung einer Begründung nicht (OLG Hamm, Urt. v. 10.11.2010 – 20 U 64/10 – I-20 U 64/10, NJW-RR 2011, 970 = Versicherungsrecht 2011, 384). Eine Bindung könnte allenfalls entstehen, wenn der Versicherer anlässlich der Leistungsablehnung auf die Geltendmachung bestimmter Ablehnungsgründe – etwa fehlende Berufsunfähigkeit – verzichtet hätte (OLG Hamm, a.a.O.). Einen solchen Verzicht hat die Beklagte im Schreiben vom 18. Februar 2015 in Bezug auf den hier streitgegenständlichen Vertrag nicht ausdrücklich erklärt und es lassen sich dem Schreiben auch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Beklagte mit ihrem Leistungsanerkenntnis betreffend einen anderen Vertrag mit dem ausdrücklichen Bemerken: „Da Sie berufsunfähig sind“ auf die Berufung auf fehlende Berufsunfähigkeit bei einem Streit über die Leistungspflicht aus dem Vertrag Nr. 4.5 793 293.27 hätte verzichten wollen. Grundsätzlich sind an die Annahme eines Verzichts strenge Anforderungen zu stellen.

Schon da es kein Anzeichen gibt, dass die Beklagte mit dem Schreiben vom 18. Februar 2015 zum Ausdruck hätte erbringen wollen, sich bei einem Streit nicht auf fehlende Berufsunfähigkeit berufen zu wollen, kann ihr auch nicht entgegengehalten werden, sie hätte einen Vertrauenstatbestand (§ 242 BGB) geschaffen, der es ihr verbieten würde, sich im Rechtsstreit entsprechend zu verteidigen. Aber selbst wenn man das Prozessverhalten der Beklagten im Widerspruch zu Ihrem Schreiben vom 18. Februar 2015 sehen wollte, würde gelten, dass die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zulässt. Eine Partei darf ihre Rechtsansichten ändern. Missbräuchlich ist widersprüchliches Verhalten nur, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand entstanden ist oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Es muss objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens vorliegen, weil das frühere Verhalten mit dem späteren unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig sind (Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Auflage, § 242 Rn. 55 m.w.Nachw.). Weder sieht der Senat besondere Umstände, die das Bestreiten der Berufsunfähigkeit des Klägers durch die Beklagte als treuwidrig erscheinen lassen könnten, noch vermag er eine vorrangige Schutzwürdigkeit des Klägers zu erkennen. Eine solche würde voraussetzen, dass dem Kläger durch das vorgerichtliche Verhalten der Beklagten die Rechtsverfolgung im gerichtlichen Verfahren zumindest erschwert worden wäre. Allein dass der Kläger vor der Klageerwiderung möglicherweise nachvollziehbar davon ausgegangen ist, die Beklagte werde seine Berufsunfähigkeit nicht bestreiten, reicht hierfür nicht aus.

Rein prozessual hat sich die Beklagte ohnehin nicht widersprüchlich verhalten. Sie hat von Beginn an konsequent die Berufsunfähigkeit des Klägers bestritten. Einen prozessualen Grundsatz, der einer Partei verbietet, sich mit ihrem Prozessvortrag in Widerspruch zu vorprozessualen Erklärungen zu bringen, gibt es nicht. Selbst im Rahmen des Prozesses ist widersprüchlicher Vortrag (außerhalb ein und desselben Schriftsatzes) grundsätzlich erlaubt. Sogar ein Geständnis ist nur unter besonderen Voraussetzungen (§ 288 ZPO) bindend.

Da der Kläger auch in der Berufungsbegründung keinen Vortrag zu den tatsächlichen Voraussetzungen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit hält, kann seine Berufung nach Einschätzung des Senats keinen Erfolg haben.

Auf die dem Rechtsmittelführer bei förmlicher Entscheidung nach § 522 ZPO verloren gehende Möglichkeit kostensparender Rücknahme der Berufung (vgl. Nr. 1222 KV zum GKG) wird vorsorglich hingewiesen.

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