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Wohngebäudeversicherung – Küchenbrand – Elektroherd nicht ausgeschaltet

Oberlandesgericht Bremen – Az.: 3 U 37/21 – Urteil vom 12.05.2022

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 24.11.2021 (6 O 358/21) aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Leistungen aus der Wohngebäudeversicherung nach einem Brandschaden in ihrem – selbstbewohnten – Wohnhaus.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung (auch bei Feuer), der die Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2010) – Grundsicherung Standard zugrunde liegen. § 19 Ziff.1 Absatz 3 lautet (Bl.9 d.A.):

„Führt der Versicherungsnehmer den Schaden grob fahrlässig herbei, so ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.“

Am 1.2.2020 kam es zu einem Brand in der Küche des Wohnhauses der Klägerin. Ursächlich für diesen Brand war, dass die Klägerin – kurz bevor sie das Haus verließ – den Elektroherd nicht ausschaltete, sondern versehentlich den Drehknopf einer anderen Herdplatte betätigte und diese dadurch auf die höchste Stufe stellte.

Den verursachten Schaden hat die Beklagte zu 75% reguliert. Hinsichtlich der restlichen 8.962,48 € hat sie den Ausgleich im Hinblick auf eine ihrer Ansicht nach vorliegende grobe Fahrlässigkeit der Klägerin verweigert.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf die angegriffene Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat der auf den Restbetrag gerichteten Klage stattgegeben und ausgeführt, die Klägerin habe den Brand zwar fahrlässig, aber nicht grob fahrlässig verursacht. Es sei fahrlässig gewesen, dass sich die Klägerin nach dem Betätigen des Reglers nicht noch einmal versicherte, den Herd auch tatsächlich ausgeschaltet zu haben. Andererseits liege hier kein „typischer so genannter Herdplattenfall“ vor, in dem jemand nach Einleitung des Koch- oder Bratvorgangs das Koch- oder Bratgut bewusst oder unbewusst auf dem eingeschalteten Herd zurücklässt. Mit dem (vermeintlichen) Ausschalten der vorderen Herdplatte sei der – die strengen Sorgfaltsanforderungen auslösende – Kochvorgang für die Klägerin aus ihrer Sicht abgeschlossen gewesen. Unter diesen Umständen verletze das Verhalten der Klägerin die gebotene Sorgfaltspflicht nicht in ungewöhnlich hohem Maße und schlechthin unentschuldbarer Weise.

Mit der Berufung verweist die Beklagte auf die Bedeutung des Begriffs „grobe Fahrlässigkeit“. Es reiche aus, dass der Versicherungsnehmer ganz naheliegende Überlegungen nicht anstelle und nicht beachte, was im konkreten Fall jedermann einleuchten müsse. Es werde ein Verhalten vorausgesetzt, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet war, den Eintritt des Versicherungsfalls und die Vergrößerung des Schadens herbeizuführen. Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber dem versicherten Interesse müsse nicht in dem Verhalten zum Ausdruck kommen. Sie verweist darauf, dass sie die grobe Fahrlässigkeit nur mit 25% bewertet habe.

Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils, die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet, beim Ausstellen des Herdes unaufmerksam bzw. unkonzentriert gewesen zu sein und meint, es sei nicht erforderlich gewesen, zu überprüfen, ob der richtige Regler am Herd ausgeschaltet worden sei.

II.

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig.

Die Berufung ist auch begründet.

Wohngebäudeversicherung – Küchenbrand - Elektroherd nicht ausgeschaltet
(Symbolfoto: Vladimir Mulder/Shutterstock.com)

Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des Landgerichts keinen Anspruch auf weitere Versicherungsleistungen aus dem Wohngebäudeversicherungsvertrag, weil sie den Schaden grob fahrlässig verursacht hat. Aufgrund der Regelung in § 19 Ziff.1 Absatz 3 der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2010) – Grundsicherung Standard, die der Vorschrift des § 81 Abs.2 VVG entspricht, war die Beklagte deshalb berechtigt, die Versicherungsleistung zu kürzen.

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10 – beck-online)

Objektiv grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (st. Rspr. z.B. BGH Urteil vom 26.5.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn. 19 – beck-online).

Angesichts des unstreitigen Geschehens, die Klägerin schaltete eine Herdplatte auf höchster Stufe an und verließ das Haus für ca. 20 Minuten, liegt ein objektiver Sorgfaltsverstoß unzweifelhaft vor.

Subjektiv ist für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit ein besonders hohes Maß an Vorwerfbarkeit erforderlich, es muss sich um eine auch subjektiv unentschuldbare Pflichtwidrigkeit handeln, die das in § 276 Abs.2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGH, Urt. v. 10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 10 – beck-online; BeckOK VVG/Klimke, 14. Ed. 15.2.2022, VVG § 81 Rn. 38). Auf die dazu offensichtlich in der Literatur vereinzelt geführte Diskussion, ob nach der Aufgabe des „Alles oder Nichts-Prinzips“ auf die subjektive Vorwerfbarkeit verzichtet werden sollte bzw. ob die Anforderungen an die subjektive Vorwerfbarkeit abgesenkt werden sollten (dazu Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 81 Rn. 48, zur Diskussion BeckOK VVG/Klimke, 14. Ed. 15.2.2022, VVG § 81 Rn. 38.1/2) kommt es nach Ansicht des Senats nicht an, weil der Klägerin auch subjektiv ein besonderes Maß an Pflichtwidrigkeit und damit grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist.

Grundsätzlich ist auch subjektiv das Anschalten einer Herdplatte auf höchster Stufe bei gleichzeitigem Verlassen des Hauses für ca. 20 Minuten eine erhebliche Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt. Allerdings glaubte die Klägerin subjektiv, sämtliche Herdplatten ausgeschaltet zu haben. Allein auf diesen Eindruck durfte sie sich allerdings nicht verlassen. Offensichtlich hat sie die Drehknöpfe ohne Sichtkontakt verstellt, denn sonst hätte sie nicht den falschen Schalter betätigt. Angesichts der besonderen Gefährlichkeit eines in Betrieb befindlichen Elektroherdes oblag der Klägerin die Pflicht, sich durch einen Blickkontakt zu vergewissern, dass der Herd auch tatsächlich – wie von ihr beabsichtigt – ausgeschaltet war. Dies gilt insbesondere deswegen, weil sie beabsichtigte, unmittelbar nach der Betätigung des Herdes das Haus zu verlassen. Eine solche Vergewisserung war auch einfach, schnell und unproblematisch möglich, entweder durch einen Blick auf die Drehknöpfe (bei modernen Geräten auf das Display) oder auf den farblichen Zustand der Ceranfelder. Hätte die Klägerin eine solche Nachschau vorgenommen, hätte sie sofort festgestellt, dass ein (weiteres) Kochfeld betätigt worden war.

Auch unter Berücksichtigung der Grundsätze des „Augenblicksversagens“ kann nicht zugunsten der Klägerin von einem geringeren Maß subjektiver Pflichtwidrigkeit ausgegangen werden. Ein solches liegt vor, wenn ein an sich objektiv besonders schwerwiegender Sorgfaltsverstoß auf einer kurzzeitigen bzw. einmaligen und unbewussten Unaufmerksamkeit beruht und zusätzliche Umstände hinzukommen, die das momentane Versagen in einem milderen Licht erscheinen lassen (BGH, Urt. v. 10. 5. 2011 − VI ZR 196/10, NJW-RR 2011, 1055 Rn. 13; BGH, Urteil vom 29. 1. 2003 – IV ZR 173/01 NJW 2003, 1118, 1119; BGH, Urteil vom 8. 7. 1992 – IV ZR 223/91 NJW 1992, 2418 – alle beck-online).

Die Klägerin wollte die benutzte Herdplatte ausschalten und hat dabei versehentlich die dahinter befindliche Platte auf die höchste Stufe angeschaltet, sie hat sich also „vergriffen“. Es sind jedoch keine besonderen Umstände zu erkennen, die dieses „momentane“ Versagen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Eine besondere Eile oder eine Ablenkung durch eine außergewöhnliche (Not-)Situation ist nicht erkennbar.

Auch die Rechtsprechung zu sog. (typischerweise unbewusst ausgeübten) Routinehandlungen ist hier nicht anwendbar. Voraussetzung dafür ist, dass der Handelnde mit einer bestimmten Tätigkeit dauernd beschäftig ist, die ständig Konzentration erfordert, weil ein einmaliger „Ausrutscher“ bei solchen Tätigkeiten jedem und damit auch einem ansonsten sorgfältigen Versicherungsnehmer unterlaufen kann (vgl. BGH, Urteil vom 8. 7. 1992 – IV ZR 223/91 NJW 1992, 2418; BGH, Urteil vom 8. 2. 1989 – IVa ZR 57/88 NJW 1989, 1354, 1355 – beck-online). Weder handelt es sich bei der Bedienung des Herdes um eine routinemäßige Dauertätigkeit, die ständige Konzentration erfordert, noch ist erkennbar, dass die Klägerin durch äußere Umstände abgelenkt war. Im Gegenteil ist das Abstellen des Herdes unmittelbar vor dem Verlassen des Hauses gerade eine besondere Konstellation und keine Routinehandlung.

Angesichts des Maßes des groben Verschuldens der Klägerin, die den Herd eigentlich ausschalten wollte, sich aber dessen nicht vergewisserte, hält der Senat die von der Beklagten vorgenommene Kürzung der Versicherungsleistung um 25% für angemessen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs.1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Zif.10 S.1, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs.2 ZPO).

 

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