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Unfallversicherung – Voraussetzungen eines Unfallereignisses

Oberlandesgericht Jena – Az.: 4 U 536/19 – Urteil vom 22.02.2019

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 23.06.2016, Az. 10 O 1230/14, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Erfurt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt Leistungen aus einer Unfallversicherung.

Zum Sachstand und zum Vorbringen der Parteien wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22.275,75 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.07.2014 zu zahlen;

2. festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, an die Beklagte bereits erfolgte Zahlungen i.H.v. 16.687,25 EUR aus dem Unfallversicherungsvertrag Nr. 041/965798-005… zurückzuzahlen;

3. festzustellen, dass bei dem Ereignis am 01.09.2013 ein dem Unfall gleichgestelltes Ereignis nach § 1 Ziffer IV der Unfallversicherungsbedingungen BVMW-2005 (AUB) vorliegt;

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtlich entstandene Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.590,91 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen; widerklagend hat sie beantragt, den Kläger zu verurteilen, an sie 16.687,25 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.09.2014 zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 23.06.2016 die Klage abgewiesen und auf die Widerklage den Kläger verurteilt, an die Beklagte 16.687,25 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 22.09.2014 zu zahlen.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 28.06.2016 zugestellte Urteil mit einem bei dem Berufungsgericht am 22.07.2016 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Diese hat er – nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 05.09.2016 – mit einem bei dem Berufungsgericht am 05.09.2016 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Mit der Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend ist er insbesondere der Auffassung, das Landgericht habe die langjährige – zu AUB 61 ergangene – Rechtsprechung, die auf den Empfängerhorizont des Versicherungsnehmers abstellt und Schäden an Bandscheiben, insbesondere Bandscheibenvorfälle, als versicherte Schäden auch beim Vorliegen der Unfallfiktion (vgl. § 1 Ziff. IV AUB) bestätigt, vollständig ignoriert (Seite 7 der Berufungsbegründung). Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers wird auf seine Berufungsbegründung vom 05.09.2016 sowie auf seine Schriftsätze vom 08.11.2016 und 03.01.2019 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 23.06.2016, Az. 10 O 1230/14, abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22.275,75 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.07.2014 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn alle vertraglich vereinbarten Leistungen aufgrund des Unfallereignisses vom 01.09.2013 aus dem Versicherungsvertrag Nr. 041/965798-005… zu zahlen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtlich entstandene Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.590,91 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; und die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Wegen ihres Vorbringens wird auf ihre Berufungserwiderung vom 12.10.2016 Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist statthaft (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO).

Die Berufung ist aber unbegründet.

1. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. § 7 Ziff. IV, V und VI der Unfallversicherungs-Bedingungen BVMW – 2005 (im Folgenden: UB 2005) auf Übergangsleistungen, Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld.

Es liegt kein Unfallereignis im Sinne der UB 2005 vor.

a) Es liegt kein Unfall (-Ereignis) gemäß § 1 Ziff. III Satz 1 UB 2005 vor. Gemäß § 1 Ziff. III Satz 1 UB 2005 liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Dies ist hier nicht der Fall. In der stoßartigen Belastung beim Auftreten des Fußes auf den Spaten ist keine Einwirkung von außen zu sehen (vgl. demgegenüber BGH, Urteil vom 12. Dezember 1984 – IVa ZR 88/83 –, Rn. 2 und 6, juris: Herunterspringen von einer etwa 50 cm hohen Bank und stoßartige Belastung beim Aufprall). Solange der Einwirkungsgegenstand nicht in unerwartete Bewegung gerät und solange der Einwirkende nicht in seiner gewollten Einwirkung und damit in seiner Eigenbewegung – etwa durch Straucheln oder Ausgleiten – beeinträchtigt ist, wirkt kein äußeres Ereignis auf seinen Körper ein. Vielmehr wirkt der Betroffene ausschließlich seinerseits auf den Gegenstand ein. Erleidet er bei dieser gezielten, von ihm vollen Umfangs gesteuerten Kraftanstrengung eine innere Verletzung, so liegt kein Unfall im Sinne der AUB vor (BGH, Urteil vom 23. November 1988 – IVa ZR 38/88 –, Rn. 8, juris). So liegt der Fall auch hier. Der Spaten blieb ausschließlich Einwirkungsobjekt des Klägers. Der Spaten geriet nicht in unerwartete Bewegung. Beim Auftreten auf den Spaten ist der Kläger weder gestrauchelt noch ausgeglitten.

b) Es liegt auch kein Unfall gemäß § 1 Ziff. IV Nr. 1 und 2 UB 2005 vor. Gemäß § 1 Ziff. IV Nr. 1 und 2 UB 2005 gilt auch als Unfall, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden. Dies ist hier nicht der Fall.

aa) Die Voraussetzungen des § 1 Ziff. IV Nr. 1 UB 2005 („durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird“) liegen nicht vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob im Streitfall eine „erhöhte Kraftanstrengung“ ursächlich war. Der Bandscheibenvorfall stellt jedenfalls keine Verrenkung eines Gelenks dar, weil es sich nicht um eine anomale Entfernung von Gelenkflächen voneinander handelt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 31. August 1994 – 20 U 87/94 –, Rn. 26, juris).

bb) Auch die Voraussetzungen des § 1 Ziff. IV Nr. 2 UB 2005 („durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule … Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden“) liegen nicht vor. Es kann auch insoweit dahingestellt bleiben, ob im Streitfall eine „erhöhte Kraftanstrengung“ ursächlich war. Denn jedenfalls wurden nicht Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen. Der Sachverständige Dr. B… hat in seiner Stellungnahme vom 11.11.2015 festgestellt, „dass es sich bei Bandscheibengewebe nicht um Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln handelt“.

Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie der versicherungsrechtlichen Literatur, wonach Bandscheibenschäden allein deshalb nicht unter § 1 Ziff. IV Nr. 2 UB 2005 fallen, da sie histologisch nicht zu den in § 1 Ziff. IV Nr. 2 UB 2005 aufgeführten Geweben zählen (Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 13. Oktober 1999 – 5 U 412/99 -, Rn. 19, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 18. Dezember 1998 – 10 U 1477/97 –, Rn. 27, juris; OLG Hamm, Urteile vom 26. November 1997 – 20 U 177/97 –, Rn. 6, juris; vom 31. August 1994 – 20 U 87/94 –, Rn. 26, juris; OLG Köln, Urteil vom 27. Juli 1995 – 5 U 33/95 –, juris [Kurztext]; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. Mai 1994 – 12 U 33/94 –, juris [Kurztext]; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, AUB 2010 Ziff. 1 Rn. 12 [S. 2826]; offen gelassen von OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Dezember 2010 – 7 U 102/10 –, Rn. 15, juris). Auch aus der vom Kläger mit der Berufungsbegründung in Bezug genommenen Kommentierung in Grimm (Unfallversicherung, 5. Auflage, Seite 142) folgt nichts anderes; auch dort wird die Auffassung vertreten, dass ein Bandscheibenvorfall nicht unter den Versicherungsschutz fällt, da die Bandscheibe anatomisch nicht zu den Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln gehört.

Entgegen der Auffassung des Klägers kann nicht auf die Rechtsprechung und Literatur zu § 2 Abs. 2 Buchst. a AUB 61 zurückgegriffen werden. Nach der Rechtsprechung des BGH bestand bei Bandscheibenvorfällen Versicherungsschutz, wenn diese mit einer traumatisch bedingten Zerreißung an der Wirbelsäule in Gestalt des Bandscheibenvorfalls, nämlich als Riss der Bandscheibe oder ihres Bestandteils Faserring einhergingen (BGH, Urteil vom 23. November 1988 – IVa ZR 38/88 –, VersR 1989, 73-74, Rn. 17, juris; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 26. Auflage 1988, AUB 61 § 2 Rn. 3 [S. 2281]). Der Versicherungsschutz gemäß § 2 Abs. 2 Buchst. a AUB 61, auf den sich diese Rechtsprechung bezieht, war aber nicht – wie in der Fassung, die im Streitfall maßgeblich ist – auf bestimmte Gewebe beschränkt (§ 2 Abs. 2 Buchst. a AUB 61 lautete: Unter den Versicherungsschutz fallen auch: durch Kraftanstrengung des Versicherten hervorgerufene Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen an Gliedmaßen und Wirbelsäule).

2. Auch mit dem geänderten Antrag zu 2 hat der Kläger keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. § 7 Ziff. I UB 2005 auf Invaliditätsleistung. Aus den o.g. Gründen fehlt es bereits an einem Unfallereignis i.S.d. UB 2005.

3. Das Landgericht hat auch zu Recht auf die Widerklage der Beklagten den Kläger zur Rückzahlung von 16.687,25 EUR verurteilt. Der Kläger hat die Versicherungsleistungen ohne Rechtsgrund erlangt aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Revisionsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.

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