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Unfallversicherung – Rotatorenmanschettenruptur – erhöhte Kraftanstrengung

OLG Koblenz – Az.: 10 U 327/17 – Urteil vom 30.05.2018

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 22. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des jeweiligen Urteils gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Der am 22. Juli 1941 geborene Kläger begehrt Rentenzahlungen aus einer bei der Beklagten unterhaltenen privaten Unfallversicherung (Anlage B1 in Anlage II), für die eine Invaliditätsgrundsumme von 127.822,97 € sowie die Geltung der AUB 1995 (Anlage 1 in Anlage I) vereinbart sind, wegen eines Ereignisses vom 30. Dezember 2014.

An diesem Tag verspürte der Kläger beim Anheben einer Einkaufstasche einen schmerzhaften Stich im linken Oberarm. Er begab sich daraufhin notfallmäßig in medizinische Behandlung in das …[A], wo am 15. Januar 2015 eine Magnetresonanztomographie durchgeführt wurde und deutliche Zeichen einer Supraspinatussehnenreizung und eine Teilruptur der Supraspinatussehne sowie Teilläsion der Infraspinatussehne und Impingement der linken Schulter diagnostiziert wurde (vgl. Arztberichte in Anlage 2 in Anlage I).

Der Kläger meldete mit Schreiben vom 11. Januar 2015 (Anlage B 2 in Anlage II) bei der Beklagten Ansprüche an und legte dieser am 14. Januar 2015 einen Unfallbericht vor, in dem er ausführte, beim Anheben einer gefüllten Einkaufstüte zum Weitertransport und Weitergabe an seine Ehefrau einen Stich im linken Oberarm erhalten zu haben, wodurch ihm die Tasche aus der Hand gefallen sei (Anlage 3 in Anlage I).

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 26. Januar 2015 (Anlage B 3 in Anlage II) Leistungen ab, da kein Unfallereignis vorliege, ebenso mit weiteren Schreiben vom 9. Februar 2015 (Anlage 5 in Anlage I) und vom 10. März 2015 (Anlage B 4 in Anlage II).

Der Kläger legte der Beklagten noch ein unfallchirurgisches Attest des Prof. Dr. med. …B] vom 23. März 2015 (Anlage 4 in Anlage I) vor, in dem dieser ausführte, dass sich der Kläger eine Verletzung der Rotatorenmanschette zugezogen habe und sich im MRT eine RM-Manschetten-Ruptur mit degenerativen Vorschäden gezeigt habe.

Die Beklagte verblieb mit ihren Schreiben vom 14. April 2015 (Anlage B 5 in Anlage II), vom 6. Mai 2015 (Anlage B 5 in Anlage II), vom 27. Juli 2015 (Anlage B 7 in Anlage II), vom 17. August 2015 (Anlage B 9 in Anlage II), vom 24. November 2015 (Anlage B 12 in Anlage II) und vom 31. März 2016 (Anlage 8 in Anlage I) bei ihrer Leistungsablehnung.

Der Kläger begehrt nunmehr von der Beklagten die Zahlung rückständiger Unfallrente für die Zeit vom 16. Januar 2015 bis zum 16. Juni 2016 in Höhe von insgesamt 7.532,70 € sowie ab dem 1. Juli 2016 die Zahlung einer monatlichen Unfallrente in Höhe von 443,10 €.

Er hat vorgetragen, beim Anheben der gefüllten und mindestens 10 kg schweren Einkaufstasche habe er sofort einen einschießenden Schmerz in der Schulter verspürt. Da das Anheben der Tasche eine Kraftanstrengung darstelle, liege ein bedingungsgemäßer Unfall gemäß § 1 III. und IV. AUB 1995 vor. Die Schwerkraft habe von außen auf ihn eingewirkt und er habe diese mit seinem linken Arm überwinden müssen, weshalb die von ihm aufgewendete Kraftanstrengung ein auf den Körper wirkendes Ereignis darstelle. Diese Kraftanstrengung habe in der schädigenden Sekunde außerhalb des Einflussbereiches seines Körpers gelegen.

Für die Höhe der Invaliditätsentschädigung sei die Beeinträchtigung eines Armes im Schultergelenk maßgeblich, welche nach § 7 Abs. 2 AUB 1995 zunächst mit 70 % zugrundezulegen sei. Unter Berücksichtigung einer eingetretenen Invalidität in Höhe von 4/10 errechne sich eine Invaliditätsentschädigung in Höhe von 35.790,43 €. Die Jahresrente betrage 5.317,20 €.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

a) ihm eine monatliche Rente in Höhe von 443,10 €, zahlbar zum 1. eines Vierteljahres im Voraus, ab 1. Juli 2016 zu zahlen;

b) einen Betrag in Höhe von 7.532,70 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.329,30 € seit 16. Januar 2015, aus 1.329,27 € seit 1. April 2015, aus 1.329,27 € seit 1. Juli 2015, aus 1.329,27 € seit 1. Oktober 2015, aus 1.329,27 € seit 1. Januar 2016, aus 1.329,27 € seit 1. Mai 2016 zu zahlen;

die Beklagte zu verurteilen, an ihn die nicht anrechenbare Geschäftsgebühr in Höhe von 691,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, es liege auch nach der Schilderung des Klägers kein bedingungsgemäßes Unfallereignis vor. Ohnehin bestehe kein kausaler Zusammenhang zwischen dem beschriebenen Ereignis und der erlittenen Rotarorenmanschettenruptur, da diese nicht durch das Anheben oder Tragen einer Einkaufstasche hervorgerufen werden könne. Die Verletzung der Rotatorenmanschette sei nicht unfallbedingt, sondern allein degenerativen Ursprungs.

Das Landgericht hat nach Anhörung des Klägers (Bl. 53-55 GA) die Klage insgesamt abgewiesen, weil kein Unfallereignis im Sinne des § 1 III. AUB 95 oder des § 1 IV. AUB 95 vorliege. Nach der Schilderung des Klägers habe er die Tasche abrupt hochgehoben, dabei habe er einen Stich in der Schulter verspürt und er habe die Tasche nicht mehr halten können. Eine im Rahmen einer gewollten Bewegung erlittene Verletzung ohne von außen erfolgte Störung oder Behinderung des Ablaufs oder Abschlusses der Bewegung – wie vorliegend – stelle aber kein Unfallereignis dar. Allein die Kraftanstrengung, die zum Anheben einer Tasche aufgewandt werde, stelle keine von außen wirksam werdende Einwirkung auf den Körper und damit keinen Unfall dar. Auch die Voraussetzungen des § 1 IV. AUB 95 lägen nicht vor, da hiernach durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden müssten und die Verletzung des Klägers im Schulterbereich liege und nicht dem Arm zuzuordnen sei.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

Er macht geltend, durch die Kraftanstrengung des Klägers im linken Arm habe er den Auswirkungen der Schwerkraft entgegenhalten müssen, die erst dann dazu geführt habe, dass die Supraspinatussehne gerissen sei. Im Hinblick auf das Gewicht der Einkaufstüte habe bei deren Anheben eine erhöhte Kraftanstrengung vorgelegen. Da die Supraspinatussehne auch in den Arm hineinreiche, sei sie auch dem Arm zuzurechnen, somit nach § 1 IV. AUB 95 versichert.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts,

1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine monatliche Rente in Höhe von 443,10 €, zahlbar zum 1. eines Vierteljahres im Voraus, ab 1. Juli 2016 sowie einen Betrag in Höhe von 7.532,70 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.329,30 € seit 16. Januar 2015 aus 1.329,27 € seit 1. April 2015, aus 1.329,27 € seit 1. Juli 2015, aus 1.329,27 € seit 1. Oktober 2015, aus 1.329,27 € seit 1. Januar 2016, aus 1.329,27 € seit 1. April 2016 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die nicht anrechenbare Geschäftsgebühr in Höhe von 691,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags.

Der Senat hat Beweis erhoben nach Maßgabe der Beweisbeschlüsse vom 25. Oktober 2017 (Bl. 116-118 GA), vom 14. November 2017 (Bl. 128-129 GA) und vom 30. Januar 2018 (Bl. 162-164 GA) durch Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. med. …[C] vom 19. Dezember 2017 (Bl. 136-150 GA) nebst Ergänzungsgutachten vom 12. März 2018 (Bl. 172-181 GA).

Mit Einverständnis der Parteien hat der Senat mit Beschluss vom 11. April 2018 (Bl. 193-194 GA) eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet und als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können und der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, den 9. Mai 2018 bestimmt.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil sowie die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Versicherungsleistungen aufgrund des Ereignisses vom 30. Dezember 2014 zu, da das behauptete Unfallereignis nicht kausal für seine Gesundheitsbeeinträchtigung gewesen ist.

Nach § 1 I. AUB 95 bietet der Versicherer Versicherungsschutz bei Unfällen, die dem Versicherten während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen. Gemäß § 1 III. AUB 95 liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Nach § 1 IV. AUB 95 gilt als Unfall auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule (1) ein Gelenk verrenkt wird oder (2) Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.

Das von dem Kläger geschilderte Ereignis – Anheben einer etwa 10 kg schweren Einkaufstasche mit Schwung – erfüllt nicht den Unfallbegriff des § 1 III. AUB 95. Denn eine Eigenbewegung des Körpers kommt hierfür, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, nur ausnahmsweise in Frage, wenn der Bewegungsablauf nicht programmgemäß verläuft, etwa der Ablauf oder Abschluss von außen gestört oder behindert wird (vgl. Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 178 VVG, Rdnr. 4). Hingegen ist die im Rahmen einer gewollten Bewegung erlittene Verletzung noch kein Unfallereignis. Auch die Tätigkeit mit oder an einem Gegenstand ist keine Einwirkung im Sinne des Unfallbegriffs, solange der Gegenstand ausschließlich Objekt von Bemühungen bleibt und keine Eigendynamik entwickelt, weshalb das Anheben eines schweren Gegenstandes und die dabei eingetretene Verletzung kein versichertes Unfallereignis darstellen (vgl. Prölss/Martin, aaO, Rdnr. 6 mit Rechtsprechungsnachweisen). Nach der Schilderung des Klägers hat die schwere Einkaufstasche keine Eigendynamik entwickelt, vielmehr verspürte er den Riss in der Schulter schon bei deren Anheben und ließ diese erst daraufhin fallen.

Das von dem Kläger beschriebene Ereignis fällt auch nicht unter die Unfallfiktion des § 1 IV. AUB 95.

Zwar hat der Kläger glaubhaft eine erhöhte Kraftanstrengung im Sinne dieser Klausel beschrieben, indem er bei seiner Anhörung dargelegt hat, eine mit Flaschen und Würstchengläsern gefüllte und somit etwa 10 kg schwere Tasche angehoben zu haben. Dies hat er untermauert mit der Vorlage des Kassenbons seines Einkaufs (Anlage 9 in Anlage I), aus dem sich die von ihm geschilderten schweren Gegenstände ohne weiteres ersehen lassen.

Nach Auffassung des Senats ist für den Begriff der „erhöhten Kraftanstrengung“ auf die individuellen körperlichen Verhältnisse des Versicherten abzustellen.

Der Senat schließt sich bei der Beurteilung des Begriffes der erhöhten Kraftanstrengung der Auffassung an, die auf einen subjektiven Maßstab abstellt, wonach entscheidend ist, ob im Einzelfall für den konkreten Versicherten unter Berücksichtigung seiner individuellen körperlichen Verhältnisse eine erhöhte Kraftanstrengung vorliegt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.02.2011 – I-20 U 151/10 – MDR 2011, 661 f.; LG Frankfurt, Urteil vom 11.03.2010 -2-23 S 3/09 – m. Anm. Jacob, juris PR-VersR 10/2010 Anm. 4; LG Essen, Urteil vom 20.05.2015 – 18 O 277/14 -, juris; zur Gegenauffassung unter Zugrundelegen eines objektiven Maßstabes unter Bezugnahme auf die Vergleichsgruppe sämtlicher Versicherungsnehmer: OLG Frankfurt, Urteil vom 14.06.2013 – 7 U 98/12 – ZfSch 2014, 404; offen gelassen bei OLG Nürnberg, Urteil vom 30.03.2000 – 8 U 3372/99 -, MDR 2000, 702 f.). Denn schon der Begriff der Anstrengung ist eindeutig subjektiv gefärbt. Nur wenn der Bewegungsablauf für den Versicherten selbst einen vermehrten Kraftaufwand bedeutet, kann letztlich auch von einer Kraftanstrengung gesprochen werden. Da der Versicherungsschutz dem einzelnen Versicherten gewährt wird, wäre es auch nicht sachgerecht, auf die körperlichen Verhältnisse anderer Versicherungsnehmer oder eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen. Eine durchschnittliche körperliche Konstitution aller Mitglieder der Versichertengemeinschaft wird sich schon praktisch kaum feststellen lassen (Naumann/Brinkmann, ZfSch 2012, 69). Deshalb ist maßgeblich, ob ein erhöhter Einsatz von Muskelkraft stattgefunden hat, der über denjenigen hinausgeht, der für den jeweiligen Versicherten mit normalen körperlichen Tätigkeiten und Bewegungen im Alltag verbunden ist (OLG Frankfurt a.a.O.; LG Frankfurt a.a.O.; Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 29. Aufl 2015, AUB 2010 Ziffer 1 Rdnr. 8; Naumann/Brinkmann a.a.O.).

Für das Vorliegen einer erhöhten Kraftanstrengung nach den individuellen Verhältnissen des Versicherten kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Tätigkeit oder der Vorgang, die oder der zum Schadensereignis geführt hat, zum Lebens- und Berufsalltag des Versicherten gehört und deshalb von ihm häufiger oder gar regelmäßig ausgeübt wird. Der Annahme der erhöhten Kraftanstrengung im Sinne der Klausel steht deshalb nicht entgegen, dass das Schadensereignis anlässlich eines Vorgangs oder einer Tätigkeit eingetreten ist, die der Versicherte – wenngleich unter nach seinen Verhältnissen gesteigertem Kraftaufwand – regelmäßig ausübt. Der gegenteiligen Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm (MDR 2011, 662 f.) kann sich der Senat nicht anschließen. Denn nach dem erweiterten Unfallbegriff in Ziffer 1.4.1 der AUB 2008 wird zwar eine „erhöhte“, aber keine „außergewöhnliche“ Kraftanstrengung gefordert. Zudem soll die in Rede stehende Klausel den Unfallversicherungsschutz auf Fallgruppen erweitern, in denen es zwar an einem von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis fehlt – deshalb ein Unfall im engeren Sinne nicht vorliegt -, die Eigenbewegung aber wegen der auf die verletzte Gewebestruktur wirkenden Kräfte mit einem vergleichbaren Verletzungsrisiko verbunden ist. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer muss nicht damit rechnen, dass dieser erweiterte Versicherungsschutz gerade deshalb faktisch leerläuft, weil er solche körperlich belastenden Tätigkeiten häufig oder gar regelmäßig ausübt und deshalb auch dem damit verbundenen Verletzungsrisiko in besonderem Maße ausgesetzt ist. Denn sonst wären verschiedene Berufsgruppen, deren Arbeitstag von körperlich anstrengenden Tätigkeiten geprägt ist, per se von dem zugesagten Versicherungsschutz wieder in weitem Umfang ausgenommen, ohne dass dies für den Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss erkennbar wäre.

Die von dem Kläger bei dem Anheben der Einkaufstasche aufgewendete erhöhte Kraftanstrengung hat auch zu einer Gesundheitsverletzung an „Gliedmaßen oder Wirbelsäule“ geführt.

Unfallversicherung – Rotatorenmanschettenruptur - erhöhte Kraftanstrengung
(Symbolfoto: Von ESB Professional/Shutterstock.com)

In Literatur und Rechtsprechung wird in diesem Zusammenhang kontrovers diskutiert, ob die Supraspinatussehne zu den Gliedmaßen im Sinne des § 1 IV. AUB 95, nämlich zum Arm, gehört (so offenbar OLG München, Beschluss vom 25. September 2014 – 25 U 2208/14 -, zitiert nach juris; OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 4 U 23/14, zitiert nach juris; ausdrücklich OLG Saarbrücken, Urteil vom 22. Dezember 2010 – 5 U 638/09 – 127 -, zitiert nach juris) oder zum Schulterbereich (so OLG Dresden, Beschluss vom 8. Oktober 2007 – 4 U 1046/07 -, zitiert nach juris, Rdnr. 5 mit Rechtsprechungs- und Literaturnachweisen). Nach Auffassung des Senats ist diese Frage jedoch nicht generell in dem einen oder anderen Sinne zu entscheiden, sondern auf den jeweiligen Sitz der konkreten Verletzung abzustellen. Dies entspricht der grundsätzlichen Wertung im Rahmen der Unfallversicherung und wurde vom Bundesgerichtshof auch im Rahmen der Bewertung der Unfallfolgen nach der Gliedertaxe in ständiger Rechtsprechung als maßgeblich angesehen.

Zum Sitz der Verletzung bei dem Kläger hat der Senat ein fachorthopädisches Sachverständigengutachten des Prof. Dr. med. … [C] eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 19. Dezember 2017 ausgeführt, dass die Muskeln der sogenannten Rotatorenmanschette im Wesentlichen am Oberarmkopf ansetzen, so der Musculus teres minor (kleiner Rundmuskel), der Musculus supraspinatus (Obergrätenmuskel), der Musculus infraspinatus (Untergrätenmuskel) und der Musculus subscapularis (Unterschulterblattmuskel). Der Musculus supraspinatus befinde sich mit seinem sehnigen Anteil nicht nur im Bereich des Schultergelenkes, sondern mit seinem Ansatz auch am Oberarmkopf. In seinem Ergänzungsgutachten hat der Sachverständige sodann klargestellt, dass aus fachorthopädischer Sicht der Sitz der bei dem Kläger festgestellten Verletzung der Supraspinatussehne links den Oberarmkopf, mithin den Arm, betreffe.

Der Senat schließt sich den detaillierten, gut nachvollziehbaren und von Fachkunde geprägten Ausführungen des Sachverständigen an; auch die Parteien haben insoweit keine Einwände hiergegen erhoben.

Indes fehlt es an der Kausalität des Anhebens der Einkaufstasche für die bei dem Kläger festgestellte Verletzung der Supraspinatussehne und der Infraspinatussehne. Der Sachverständige Prof. Dr. med. …[C] hat hierzu sowohl in seinem Hauptgutachten als auch nochmals in seinem Ergänzungsgutachten ausgeführt, dass die in der Kernspinaufnahme vom 15. Januar 2015 festgestellte Schädigung der Rotarorenmanschette im Bereich der linken Schulter schon lange Zeit bestehe, d. h. mehrere Monate bis sogar Jahre zurückliegend. Zum einen stelle der geschilderte Vorgang – ein plötzliches, willentlich gesteuertes ruckartiges Anheben einer Einkaufstüte – keinen geeigneten Unfallmechanismus für die festgestellte Verletzung dar. Zum anderen zeige die Kernspinaufnahme eine ausgeprägte Retraktion der Sehnen im Retraktionsgrad Patte III respektive IV sowie eine deutliche degenerative Verfettung der Supra- und Infraspinatussehnenmuskulatur entsprechend einem Verfettungsgrad nach Goutallier III. Anhand des Retraktions- und Verfettungsgrades lasse sich auf das Alter des Sehnenrisses rückschließen. Der bei dem Kläger festgestellte Zustand erlaube daher die Aussage, dass bei dem Kläger eine schon lange Monate zurückliegende Rotatorenmanschettenruptur gegeben sei. Dem Ereignis vom 30. Dezember 2014 komme deshalb keine ursächliche Bedeutung für die Sehnenruptur zu, auch nicht im Sinne einer Mitverursachung, allenfalls habe es eine Zerrung der linken Schulter bewirkt.

Auch gegen diese Ausführungen des Sachverständigen haben die Parteien keine Einwände erhoben. Der Senat sieht aufgrund der gut nachvollziehbaren und überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen das Anheben der schweren Einkaufstasche am 30. Dezember 2014 nicht als ursächlich für die bei dem Kläger festgestellte Rotatorenmanschettenruptur an. Der Kläger gibt an, dass er auch heute noch permanent Schmerzmittel einnehmen müsse und an ganz erheblichen Funktionseinschränkungen leide. Dies mag durchaus zutreffen, indes lässt sich daraus die für einen Anspruch auf Versicherungsleistungen notwendige Kausalität des behaupteten Ereignisses vom 30. Dezember 2014 für den Gesundheitsschaden des Klägers nicht herleiten.

Die Klage ist mithin in vollem Umfang – auch hinsichtlich der Nebenforderungen – unbegründet.

Die Berufung ist daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Auf die in Rechtsprechung und Literatur kontrovers vertretenen Auffassungen, ob für den Begriff der „erhöhten Kraftanstrengung“ im Sinne der Unfallfiktion der AUB auf einen subjektiven oder objektiven Maßstab abzustellen ist und ob die Supraspinatussehne dem Arm oder dem Schulterbereich zuzuordnen ist oder der Sitz der konkreten Verletzung maßgeblich ist, kommt es vorliegend nicht streitentscheidend an. Denn jedenfalls fehlt die Kausalität des behaupteten Unfallereignisses für die festgestellte Gesundheitsverletzung des Klägers.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 26.142,90 € festgesetzt (7.532,70 € rückständige Unfallrente sowie 443,10 € laufende Unfallrente x 42 Monate = 18.610,20 €).

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