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Unfallversicherung – Invaliditätsgrad – Bemessung Schultereckgelenkssprengung

OLG Koblenz – Az.: 10 U 441/12 – Urteil vom 10.05.2017

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 23.03.2012, soweit nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 01.04.2015 noch rechtshängig, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens.

3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung durch den Gegner durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des jeweiligen Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten noch darum, ob dem Kläger für einen am 08.10.2005 erlittenen Unfall eine über den bereits vom Landgericht Bad Kreuznach ausgeurteilten Betrag von 11.050,00 € hinausgehende Invaliditätsleistung aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Unfallversicherungsvertrag zusteht.

Nachdem der Kläger am 08.10.2005 auf seinem landwirtschaftlichen Hof gestürzt und an einer Silowand mit der linken Schulter aufgeschlagen war, stellte er sich am 20.10.2005 im Krankenhaus …[Z] vor, wo eine Schulterprellung links mit Zerrung des AC-Gelenks diagnostiziert wurde, vgl. Bericht Dr. …[A], Bl. 69 GA.

Am 05.12.2005 suchte der Kläger seinen Hausarzt Dr. …[B] auf, der eine Schultereckgelenkssprengung mit positivem Klaviertastensyndrom, Schweregrad Tossy II und deutlichem Druckschmerz feststellte, vgl. Bl. 39 GA.

Bei einer erneuten Untersuchung im Krankenhaus …[Z] wurden als Befunde Druckschmerz Schultereckgelenk, geringe Bewegungseinschränkung der Schulter, minimale Instabilität im Sinne einer persistierenden Lockerung I und Zustand nach Schulterprellung links festgehalten, vgl. Bericht vom 16.12.2005, Bl. 40 GA.

Am 26.07.2006 attestierte Dr. …[A] im Krankenhaus …[Z] Schmerzen im Bereich des linken Schultergelenks mit Hochstand der lateralen Clavikula mit AC-Gelenksprengung, Druckschmerz im subacromialen Bereich und Innenrotationsschmerz in 90 Grad Abduktion, vgl. Bl. 41 GA.

Mit Schreiben vom 13.10.2006 bescheinigte der Hausarzt Dr. …[B] dem Kläger, am gleichen Tag den Eintritt einer unfallbedingten Invalidität festgestellt zu haben, die in der Gebrauchsminderung der linken Schulter vorliege. Mit diesem Schreiben meldete der Kläger bei der Beklagten eine Invaliditätsentschädigung wegen des Unfalls vom 08.10.2005 an.

Die Berufsgenossenschaft … erkannte aufgrund eines ersten Rentengutachtens Dr. …[C] vom 16.02.2007 (vgl. Bl. 42-47 GA) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers in Höhe von 10 % an.

Der Kläger hat vorgetragen, bei dem Unfall am 08.10.2005 habe er eine Schultereckgelenkssprengung im Schweregrad Tossy II und eine Verletzung des Sternoclavikulargelenks, die mit einer Arthrose fehlverheilt sei, erlitten. Eine Funktionsbeeinträchtigung des linken Schultergelenks durch Schmerzen und verminderte Belastbarkeit seien dauerhaft bei ihm verblieben. Er habe daher Anspruch auf eine bedingungsgemäße Invaliditätsentschädigung in Höhe von 45.000,00 € zzgl. eines vereinbarten Treuebonus von 10%. Die Verletzung des Sternoklavikulargelenks sei insb. durch das Gutachten des Prof. Dr. …[D], Gerichtsgutachter im Rahmen des Verfahrens S 3 U 129/09 vor dem Sozialgericht Mainz wegen desselben Unfallereignisses, vom 09.04.2011, Bl. 414 ff. GA, nachgewiesen worden.

Unter Einbeziehung einer – inzwischen rechtskräftig abgewiesenen – Forderung wegen einer weiteren Invaliditätsleistung aufgrund eines Unfalls vom 25./28.11.2005 hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 56.298,00 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6.05.2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Verletzung, die der Kläger anlässlich des Unfalls vom 08.10.2005 erlitten habe, sei vollständig ausgeheilt. Dies habe ihr Gutachter Dr. …[E] nach Untersuchung des Klägers am 14.05.2007, vgl. Bl. 54 ff. GA, festgestellt. Die Folge des -unstreitigen – früheren Unfalls, nämlich eines Sturzes des Klägers am 24.08.1999 auf seine linke Hand mit der Folge einer Teildurchtrennung der Trizepssehne, sei weiter zu berücksichtigen.

Desweiteren hat die Beklagte einen Widerklageantrag, dessen Abweisung der Kläger beantragt hat, gestellt, dem zwischenzeitlich rechtskräftig stattgegeben wurde.

Unfallversicherung – Invaliditätsgrad - Bemessung Schultereckgelenkssprengung
(Symbolfoto: Von Yok_onepiece/Shutterstock.com)

Soweit der Unfall vom 08.10.2005 streitgegenständlich war, hat das Landgericht nach Einholung zweier Sachverständigengutachten und jeweils deren mündlicher Erörterung, vgl. Gutachten Dr. …[F] vom 10.10.2009, Bl. 181 ff. GA, Protokoll der Erörterung vom 14.04.2016, vgl. Bl. 236 ff. GA, sowie Gutachten Prof. Dr. …[G] vom 10.02.2011, Bl. 308 ff. GA, und 22.11.2011, Bl. 477 ff. GA (sowie Dr. …[H], als radiologischer Zusatzgutachter, vom 23.02.2011, Bl. 301 ff. GA) und Protokoll der mündlichen Erörterung vom 10.02.2012, Bl. 545 ff. GA, mit der angefochtenen Entscheidung dem Kläger eine Invaliditätsleistung in Höhe von 11.050,00 € zugesprochen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die vom Kläger unfallbedingt erlittene Schultereckgelenkssprengung habe zu einer dauerhaften Beeinträchtigung der Beweglichkeit und Belastbarkeit der Schulter geführt. Eine Arthrose sei nicht kausal für die Steife. Eine Verletzung des Sternoklavikulargelenkes dagegen habe der Kläger nach Auswertung aller eingeholten Sachverständigengutachten und Befundberichte nicht beweisen können. Weitere Beweisaufnahme hierzu sei nicht mehr erforderlich. Unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Bewegungseinschränkung der Schulter des Klägers und der Vorschädigung sei ein Invaliditätsgrad von 1/10 Armwert nach der Gliedertaxe gegeben. Daraus ergebe sich vorliegend ein Betrag von 10.500,00 €, der um den vereinbarten Treuebonus von 1.050,00 € zu erhöhen sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, vgl. § 540 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt.

Er trägt vor, die Invaliditätsentschädigung habe vorliegend gerade nicht anhand der Gliedertaxe bestimmt werden dürfen. Auch die Vorschädigung des linken Armes habe nicht zu seinem Nachteil Berücksichtigung finden dürfen. Das Sternoklavikulargelenk sei beim Unfall verletzt worden; dieser Behauptung müsse auch mit einer MRT-Untersuchung nachgegangen werden. Außerdem habe die Beklagte sich ihrer Leistungspflicht unberechtigt verschlossen und etwa gebotene weitere Untersuchungen des Klägers nicht veranlasst und so die durch Zeitablauf eingetretene Beweiserschwernis des Klägers zu verantworten, was zu einer Beweislastumkehr führen müsse.

Desweiteren hat sich der Kläger mit der Berufung gegen die Abweisung einer weiteren Invaliditätsleistung wegen des Unfalls vom 25./28.11.2005 und seine Verurteilung gemäß dem Widerklageantrag gewendet. Mit Urteil vom 22.02.2013 hat der Senat die Berufung des Klägers insgesamt zurückgewiesen. Die Revisionszulassungsbeschwerde des Klägers hat der Bundesgerichtshof – soweit sie den Unfall vom 25./28.11.2005 und die Widerklage betraf – kostenpflichtig zurückgewiesen, soweit sie den Unfall vom 08.10.2005 betraf, dagegen zugelassen und das Urteil des Senats am 01.04.2015 teilweise aufgehoben.

Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, das Berufungsgericht habe die Invaliditätsentschädigung vorliegend nicht nach der Gliedertaxe bemessen dürfen. Auch wenn die Schulter anatomisch allein die Funktion habe, den Arm zu halten und zu führen, erfasse der Wortlaut der Gliedertaxe in der Version, wie sie dem Vertrag der Parteien zugrunde liege, nicht auch die Schulter. Diese sei im Gesamttext der abgestuften Gliedertaxe vielmehr nicht erwähnt und dem verständigen, durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht erkennbar, dass die Gliedertaxe die Schulter miterfassen könne. Die Vorschädigung am Arm des Klägers, die Teildurchtrennung der Trizepssehne, dürfe deshalb auch nicht automatisch zu einer Minderung der Invaliditätsleistung wegen einer Schulterverletzung führen. Schließlich sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sehr wohl einer möglichen Verletzung des Sternoklavikulargelenks nachzugehen. Die rechtzeitige Meldung der Invalidität des Klägers bei der Beklagten habe mit der vorgelegten ärztlichen Feststellung der Gebrauchsminderung der Schulter auch das zum Schultergürtel gehörende Sternoklavikulargelenk erfasst.

Daraufhin hat der Senat ein weiteres Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. …[J] gemäß Beweisbeschluss vom 24.07.2015 eingeholt. Auf das Gutachten vom 29.03.2016, Bl. 817 ff. GA, in dessen Rahmen auch eine MRT-Untersuchung des Sternoklavikulargelenks des Klägers durchgeführt wurde, die ergänzende Stellungnahme vom 27.06.2016, Bl. 890 ff. GA, und die mündliche Erörterung am 05.10.2016, vgl. Bl. 917 ff. GA, sowie auf die weitere Gutachtenergänzung vom 28.02.2017, Bl. 1006 ff. GA wird verwiesen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 37.940,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst allen Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Landgericht hat dem Kläger zu Recht wegen der durch den Unfall vom 08.10.2005 dauerhaft verbleibenden Körperschäden eine Invaliditätsleistung in Höhe von 11.050,00 € gemäß dem zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherungsvertrag zuerkannt. Ein Anspruch auf eine darüber hinausgehende Invaliditätsentschädigung besteht nicht.

1.

Auch zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger durch den streitgegenständlichen Unfall eine Schultereckgelenkssprengung Schweregrad Tossy II erlitten hat und sich eine dauerhafte Gebrauchs- und Belastbarkeitsminderung der Schulter kausal dadurch binnen Jahresfrist entwickelt hat.

a)

Der Sachverständige Dr. …[J] hat – in Übereinstimmung mit dem erstinstanzlich tätigen Gutachter Prof. Dr. …[G] – zunächst festgestellt, dass der vom Kläger geschilderte Unfallhergang geeignet ist, eine Verletzung des Schultergelenks im Sinne einer AC-Gelenkluxation auszulösen; es handele sich dabei um eine häufige Verletzungsform bei entsprechenden Unfällen. Aus den für ihn nachvollziehbaren und typischen Untersuchungsbefunden vom Krankenhaus …[Z] und dem Hausarzt aus der Zeit vom 20.10.2005 bis 26.07.2006 folgert der Sachverständige, dem die damaligen Röntgenbefunde nicht mehr vorlagen, dass eine unfallbedingte Verletzung des Akromioklavikulargelenkes sehr wahrscheinlich sei. Anlässlich der persönlichen Untersuchung des Klägers hat der Sachverständige festgestellt, dass bei ihm eine leichte Instabilität im Akromioklavikulargelenk besteht. Diese bedinge für den Kläger eine mäßig vermehrte Mobilität des äußeren Schlüsselbeinrandes, Klaviertastenphänomen. Am Akromiomrand fand sich bei der Untersuchung über der Supra- und Infraspinatussehne links ein lokaler Druckschmerz. Bei der Funktionsprüfung ergab sich ein painful arc, ein schmerzhafter Bogen, bei der Abduktion, also beim Abspreizen des linken Armes im Schultergelenk ab 75°. Ebenso gab der Kläger dabei eine Sensibilitätsstörung in der linken Hand an. Bei den Rotationsbewegungen bleibt die Einschränkung enggradig, funktionell praktisch unbedeutend, vgl. Ergänzungsgutachten S. 3/4. Wegen dieser Einschränkungen und Schmerzen, die sich nicht bei Tätigkeiten im üblichen Bewegungsrahmen, wohl aber bei Tätigkeiten oberhalb der Horizontalen auswirken, hält der Sachverständige eine Einschätzung von 7% Invalidität als Grundlage der Entschädigungsleistung für noch angemessen (,,großzügig“ vgl. Bl. 925 GA), aber auch ausreichend. Er hat dazu ausgeführt, sich diesem letztlich festgestellten Invaliditätswert aufgrund von Fachliteratur genähert zu haben, die auf einer vom Bundesgerichtshof in diesem Fall für unanwendbar erklärten Bewertung nach der Gliedertaxe ausgehe. Zur Begründung hat er nachvollziehbar ausgeführt, dass er die Frage der Invalidität ausgehend vom beim Kläger festgestellter Einschränkungen zu bewerten habe, die hier aus der anatomischen Funktion der Schulter begründet die Beweglichkeit und Belastbarkeit des linken Armes betreffen.

Der Senat ist sich bewusst, dass die Gliedertaxe aufgrund des Urteils des Bundesgerichtshofs im Revisionsverfahren hier keine Anwendung finden darf. Der Invaliditätsgrad muss vielmehr nach den Regeln der Invaliditätsbestimmung für andere Körperteile nach Ziffer 2.1.2.2.2. AUB, also danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist, bestimmt werden. Wenn die der vorliegenden Schulterverletzung vergleichbare Einschränkung eines Armes und ihre Bewertung gemäß der Gliedertaxe vom Sachverständigen nur als Vergleichswert herangezogen werden, hat der Senat hiergegen keine Bedenken. Denn die Bewertung der Beeinträchtigung der Schulter des Klägers ohne Heranziehung der Gliedertaxe darf nicht zu einem Widerspruch zu den sonstigen Bewertungen von Einschränkungen der Versicherten führen. Ein Kontrollvergleich mit den Werten nach der Gliedertaxe bleibt – auch zur Vermeidung von Nachteilen für den Versicherten – möglich, vgl. OLG Karlsruhe, Urteil v. 30.12.2016 – 12 U 97/16, RN 42. Der Sachverständige hat vorliegend konkret untersucht, welche Teile des Schultergürtels des Klägers von unfallbedingten Folgen betroffen sind, und wie und wobei, also bei welchen Bewegungen, sich dies auswirkt. Er hat die üblichen Tests der Beweglichkeit der Schulterregion (Elevation, Abduktion, Adduktion) durchgeführt (vgl. Darlegungen zur Untersuchung der Schultergelenke/ Schultergelenksbeweglichkeit, Bl.26/ 27 Gutachten) und diese Ergebnisse in den üblichen Bewegungsrahmen eines Versicherten eingeordnet, vgl. Seite 4 der ergänzenden Stellungnahme. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die verbliebenen Beeinträchtigungen im Bewegungsablauf nur oberhalb der „Horizontalen“ auftreten, eher geringfügig sind und teilweise mit Schmerzhaftigkeit und Sensibilitätsstörungen einhergehen. Er hält daher die bereits – allerdings unter Anwendung der Gliedertaxe – vom Landgericht zugebilligte Invaliditätsentschädigung unter Berücksichtigung der tatsächlich vorliegenden Beeinträchtigungen nach einem Kontrollabgleich mit der Bewertungen nach der Gliedertaxe, somit einen Invaliditätsgrad von 7 % für angemessen. Diesen überzeugenden Ausführungen schließt der Senat sich vollumfänglich an.

b)

Entsprechend den Vorgaben des Bundesgerichtshofs hat der Senat erneut geprüft, ob die Vorschädigung des linken Arms des Klägers vorliegend entsprechend Ziffer 2.1.2.2.3 AUB mindernd anzurechnen sind. Hierzu hat der Sachverständige klar ausgeführt, dass die Verletzungen des linken Armes im August 1999 mit den zum Unfall vom 08.10.2005 festgestellten Folgen in keiner Weise Verbindungen oder Überschneidungen aufweisen. Eine Minderung der o.g. Invaliditätsleistung ist somit deshalb nicht vorzunehmen.

c)

Dem Einwand des Klägers, es sei nunmehr zu prüfen, wie sich die festgestellten Bewegungseinschränkungen auf sein Leben, insbesondere seinen Beruf als Landwirt auswirkten, ist nicht zu folgen. Gemäß Ziffer 2.1.1.1. der AUB 2000, die dem Versicherungsvertrag der Parteien zugrunde liegen, leistet die Versicherung eine Invaliditätsentschädigung, wenn die versicherte Person auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Vergleichspunkt hierzu ist die Leistungsfähigkeit eines durchschnittlichen, gesunden Versicherten im gleichen Alter. Auf typische berufsbedingte Einschränkungen kommt es nicht an, vgl. Langheid/Rixecker-Rixecker, VVG- Kommentar, 5. Aufl., § 180 RN 2. Der Sachverständige muss also nicht gesondert prüfen, wie sich die festgestellten Einschränkungen auf den Berufsalltag des Klägers als Landwirt auswirken.

2.

Zur Überzeugung des Senats hat der Kläger bei dem Unfallereignis vom 08.10.2005 keine Verletzung des Sternoklavikulargelenks mit inzwischen eingetretener arthrotischer Fehlheilung erlitten. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Ergebnis der zuletzt durchgeführten Beweisaufnahme durch die gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen Dr. …[J].

a)

Dr. …[J] führt aus, dass nach seinen durchgeführten Untersuchungen eine unfallbedingte höhergradige Verletzung des Sternoklavikulargelenks mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei.

Das von ihm am 11.01.2016 in Auftrag gegebene MRT des Sternoklavikulargelenks, (Bericht des …[K], Bl. 855 GA), weise einen seitengleichen Befund mit mäßigen arthrotischen Veränderungen und einem begleitenden Erguss auf. Über degenerative Veränderungen im Bereich der Sternoklavikulargelenke zum Unfallzeitpunkt könne er mangels bildgebender Diagnostik aus damaliger Zeit keine Angaben mehr machen. In Übereinstimmung mit dem radiologischen Gutachter Dr. …[H] führt der Sachverständige aus, der am 08.10.2005 stattgehabte Unfall habe aufgrund der Kapselverbindungen der Klavikula zum Schultergelenk, zum Brustbein und zur vorderen Thoraxwand bei einem Trauma des Schultereckgelenks zu einer Irritation auch des Sternoklavikulaturgelenks geführt. Aufgrund der Verletzung des Schultereckgelenks Tossy II und der festgestellten Beschwerdesymptomatik und dem auffälligen Befund im Gutachten …[F] etwa 4 Jahre nach dem Unfall und dem aktuellen MRT-Befund sei eine höhergradige Verletzung des Sternoklavikulargelenks damals auszuschließen.

Anlässlich der Erörterung des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung am 05.10.2016 hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass auch das ihm vorgelegte 2. Rentengutachten von Dr. …[L] vom 29.09.2008 keinen Anlass gebe, von seiner Beurteilung abzuweichen.

Dr. …[L] habe zwar festgestellt, dass der Kläger ihm Schmerzen, als würde ihm das Schlüsselbein aus dem Brustbein gerissen, geschildert habe. Diese Schmerzen könnten auf einer Verletzung des Sternoklavikulargelenks beruhen; somit sei etwa 3 Jahre nach dem streitgegenständlichen Unfall erstmals das Sternoklavikulargelenk in der Untersuchungshistorie beteiligt, vgl. Ergänzungsgutachten vom 28.02.2017, Seite 6 unten. Die übrigen Untersuchungsergebnisse des Dr. …[L] passten jedoch nicht zu diesem Schmerzbefund. Insb. seien die Schulterrotatorentests durch den Kläger bei der damaligen Untersuchung kraftvoll und ohne Angabe von Schmerzen durchgeführt worden, was eben nicht auf eine vorhandene höhergradige Arthrose beider Gelenke, des Schultereck- und des Sternoklavikulargelenks, schließen lasse. Gleiches gelte für die problemlos durchgeführten Schulter- und Nackengriffe, die ebenfalls, wenn auch in geringerem Umfang, beide Gelenke miterfassten.

Die röntgenologisch beschriebene kolbige Verdickung des medialen Klavikulaendes als Arthrose zu interpretieren, lehnt der Sachverständige ab. Dafür sei die Beschreibung vom Wortlaut her nicht genau genug, man wisse nicht einmal, ob sie sich auf beide Gelenke beziehe; jedenfalls sage sie nichts über den Gelenkspalt aus, auf dessen Beurteilung es jedoch maßgeblich ankomme. Die kolbige Verdickung allein sei nicht spezifisch. Soweit sich eine Hypersklerosierung aus den Röntgenbildern vom 10.02.2011 ergäbe, die dem Gutachten Dr. …[D] zugrunde lagen, teilt der Sachverständige die Einschätzung des erstinstanzlich tätigen Radiologen Dr. …[H], dass dieses Röntgenbild wegen eines Summationseffekts bei der Aufnahme des Röntgenbildes nicht aussagekräftig sei. Im Übrigen belege allein eine Hypersklerosierung noch keine Arthrose, es müssten weitere Kriterien wie eine Gelenkspaltverschmälerung, Randausziehungen oder kleine zystische Veränderungen hinter dem Sklerosesaum dazu kommen. Letztlich seien auch die heute angegebenen Beschwerden des Klägers, nachts schmerzbedingt nicht mehr auf der linken Seite schlafen zu können, kein spezifisches Symptom einer Verletzung des Sternoklavikulargelenks, sondern am ehesten mit einem in der Regel unfallunabhängigen Impingement-Syndrom zu erklären, gleiches gelte für Beschwerden bei Überkopf-Arbeiten. Die Gefühlsstörungen in der linken Hand könnten nicht auf eine Verletzung des Sternoklavikulargelenks zurückgeführt werden, weil entsprechende Nervenbahnen im betroffenen Bereich nicht verliefen.

b)

Der Einwand des Klägers, dem Sachverständigen sei das Gutachten viel zu kurzfristig im Termin übergeben worden, als dass er sich inhaltlich damit habe auseinandersetzen und fundiert dazu erklären können, ist nicht zu folgen. Zwar hat der Bundesgerichtshof (vgl. BGH, VersR 2008, 1676) entschieden, dass eine Beweisaufnahme nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, wenn einem Gerichtsgutachter erst im Termin ein Privatgutachten zur Stellungnahme übergeben wird, das eine inhaltlich andere Auffassung vertritt als dieser, doch war die Situation vorliegend nicht vergleichbar. Dem Sachverständigen Dr. …[J] war die Annahme einer Verletzung und Fehlverheilung des Sternoklavikulargelenks aus dem Gutachten Dr. …[D], das bereits in erster Instanz in den Prozess eingeführt worden und im Beweisbeschluss vom 26.07.2015 explizit erwähnt war, bereits genau bekannt und Thema seines Gutachtenauftrages. Das ihm im Termin vorgelegte zweite Rentengutachten betraf nur einen Teilaspekt, nämlich eine Schmerzbeschreibung des Klägers, der bekannten Beweisfrage. Ferner umfasste es lediglich inhaltlich 5 Seiten, davon 3 mit textlichen Feststellungen, die im Rahmen der mündlichen Verhandlung mit allen Prozessbeteiligten Satz für Satz durchgesprochen wurde; der Sachverständige hat dabei seine Stellungnahme dazu klar bekundet und auch durchaus eingeräumt, wenn er eine Frage oder einen Teilaspekt offen lassen musste oder durch Rückschluss erklären wollte.

c)

Gemäß Beweisbeschluss vom 07.12.2016 hat der Senat die Beweisaufnahme wegen des mit nachgelassenem Schriftsatz vom 02.11.2016 vorgelegten fachchirurgischen Gutachten Dres. …[M]/…[N] vom 26.04.2005 nochmals ergänzt. Darin hatte Dr. …[M] auf Seite 9 seine Untersuchungsbefunde vom April 2005, also etwa 6 Monate vor dem hier streitgegenständlichen Unfall, zum Schultergürtel des Klägers festgehalten. Der Gerichtssachverständige Dr. …[J] hat unter Berücksichtigung dieser Angaben ausgeführt, dass das Gutachten Dr. …[M] belegt, dass im April 2005 nach körperlicher Untersuchung des Klägers klinisch davon auszugehen war, dass ein unauffälliger Befund der Sternoklavikulargelenke beidseits vorlag. Weiter sei davon auszugehen, dass durch Beschreibung der vom Kläger geklagten Schmerzen im 2. Rentengutachten vom 29.09.2008 (,,als wenn das Schlüsselbein aus dem Brustbein gerissen würde“) eine Beschwerdesymptomatik dokumentiert sei, die eine Beteiligung des Sternoklavikulargelenks möglich erscheinen lasse. Ferner sei festzuhalten, dass bei einem Unfall, wie am 08.10.2005 vom Kläger erlitten, theoretisch auch das Sternoklavikulargelenk verletzt werden könne.

Es fehle vorliegend aber an jeglichen Anhaltspunkten, einen entsprechenden Erstkörperschaden anzunehmen, vgl. Bl. 1010 GA. Insbesondere die zeitnah zum Unfall erhobenen Befunde von Dr. …[A] vom 20.10.2005 und 16.12.2005 und von Dr. …[B] vom 05.12.2005 sowie das 1. Rentengutachten Dr. …[C] vom 16.02.2007 enthielten keine Hinweise auf eine Pathologie des Sternoklavikulargelenks. Wäre beim Unfall eine solche Verletzung eingetreten, wäre eine Erwähnung einer solchen Verletzung aber zu erwarten gewesen. Ferner bleibe es dabei, dass die im 2. Rentengutachten erhobenen Untersuchungsbefunde (kraftvolle Durchführung der Schulterrotatorentests, problemfreie Durchführung von Schulter- und Nackengriff) nicht zu den vom Kläger geklagten Schmerzen passten. Schließlich ergäben sich auch aus dem im Januar 2016 vom Gutachter erhobenen MRT-Befund keine Hinweise auf eine arthrotisch fehlverheilte Verletzung des Sternoklavikulargelenks; es finde sich insbesondere kein Hinweis auf Seitenasymmetrie, die bei einer stattgehabten Verletzung aber zu erwarten gewesen wäre. Diesen ausführlichen, detaillierten und überzeugend nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen schließt sich der Senat vollumfänglich an.

Somit sind alle Untersuchungen, aus denen sich Rückschlüsse für die hier vorzunehmende Erstfeststellung der Invalidität, wie sie sich binnen 15 Monaten, gerechnet ab dem Unfalltag, entwickelt hatte, ableiten lassen, durchgeführt und nachgeholt worden (MRT der Sternoklavikulargelenke) bzw. ausgewertet worden (vorliegende Arzt- und Befundberichte und Gutachten).

d)

In Anbetracht dieses Beweisergebnisses geht auch das Argument des Klägers fehl, nach den in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten Grundsätzen zur Kausalität in der privaten Unfallversicherung sei vorliegend eine Verletzung des Sternoklavikulargelenks des Klägers als bewiesen anzusehen, weil auch nach Ansicht des Gerichtssachverständigen ein Unfallereignis wie das vom 08.10.2005 das Sternoklavikulargelenk erfassen könne.

Zwar genügt es in der privaten Unfallversicherung für einen adäquat-kausalen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeeinträchtigung, dass das Unfallereignis an der eingetretenen Funktionsbeeinträchtigung mitgewirkt hat, wenn diese Mitwirkung nicht gänzlich außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt; vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2016, IV ZR 521/14. Vorliegend besteht jedoch nur die theoretische Möglichkeit, dass ein Unfallablauf wie beim Sturz des Klägers am 08.10.2005 vor die Silowand auch das Sternoklavikulargelenk links beim Kläger hätte verletzen können. Anhaltspunkte hierfür finden sich nicht. Auch eine (fehlverheilte) Verletzung des linken Sternoklavikulargelenks ist vorliegend gerade nicht bewiesen.

e)

Auch das Argument des Klägers, er sei durch die rechtswidrige Ablehnung einer Invaliditätsleistung der Beklagten und den dadurch bedingten langen Zeitablauf in Beweisnot geraten, deshalb müsse jetzt eine Beweislastumkehr zu seinen Gunsten angenommen werden, greift nicht.

Der Sachverständige Dr. …[J] hat zwar ausgeführt, dass eine zum Unfallzeitpunkt zeitnahe Ultraschalluntersuchung, die ggf. durch ein Kernspintomogramm oder ein Computertomogramm ergänzt worden wäre, Aufschluss darüber gegeben hätte, ob das Sternoklavikulargelenk tatsächlich beim Unfall des Klägers verletzt worden ist, vgl. Protokoll der Erörterung des Gutachtens vom 05.10.2016, Seite 7/8. Zeitnah zum Unfall, also nach umgangssprachlichem Verständnis des Wortes „zeitnah“, Wochen, höchstens einige Monate nach dem Unfall, wusste die Beklagte noch nicht von dem Versicherungsfall. Der Kläger meldete diesen unter Vorlage der Bescheinigung des Dr. …[B] von 13.10.2006, somit über ein Jahr nach dem Unfalltag. Die erste Dokumentation einer kolbigen Verdickung am Sternoklavikulargelenk erfolgte etwa 3 Jahre nach dem Unfall und ließ – gemäß den Ausführungen des Dr. …[J] – in der Gesamtschau das Vorliegen einer Verletzung des Sternoklavikulargelenks gerade nicht naheliegend erscheinen. Bei dieser Sachlage ist eine Beweiserleichterung oder eine Umkehr der Beweislast zugunsten des Klägers gerade nicht angezeigt. Bei der vom Kläger angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (VersR 2007, 777, dort RN 15/16 ff.) hatte der Versicherer, bei dem die dortige Klägerin eine Berufsunfähigkeitsversicherung hatte, mit der Klägerin eine Zusatzvereinbarung nach Meldung des Versicherungsfalls abgeschlossen, ohne der Klägerin die damit verbundene Verschlechterung ihrer Rechtsposition zu erläutern. Eine vergleichbare Sachlage besteht hier ersichtlich nicht.

Somit verbleibt es für die Invaliditätsleistung, die der Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom 08.10.2005 beanspruchen kann, bei einem Betrag in Höhe von 11.050,00 €, was einer bedingungsgemäßen Invalidität von 7% – außerhalb der Gliedertaxe, nach Ziffer 2.1.2.2.2. AUB bestimmt – zzgl. Treuebonus entspricht.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, bestehen nicht.

Der Streitwert wird auf 61.248,00 € festgesetzt; dabei entfallen auf die Mehrforderung des Klägers eingangs der Berufungsinstanz 44.748,00 € und auf die Abwehr der zugesprochenen Widerklageforderung 16.500,00 €.

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