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Unfallversicherung – Invaliditätsentschädigung bei Schulterverletzung

OLG Frankfurt – Az.: 7 U 240/11 – Urteil vom 02.10.2012

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 10.11.2011 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn ihrer Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils vollstreckten Betrags leistet.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt mit der Klage restliche Invaliditätsentschädigung in Höhe von 39.880,88 € aus der bei der Beklagten bestehenden Unfallversicherung wegen eines Unfalls vom …12.2004. Die zunächst weitergehende Klageforderung, die der Kläger aus vermeintlich vereinbarten Bedingungen herleitete, hat er zurückgenommen.

Der Unfall geschah beim Skifahren. Der Kläger stand am Skihang, als ihm ein anderer Skifahrer vorne über die Skier fuhr. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, wich der Kläger nach hinten aus, stürzte auf die linke Seite und verletzte sich an der Schulter.

Zwischen den Parteien ist streitig, in welcher Höhe der Invaliditätsgrad zu bemessen ist. Die Beklagte hat nach einem Invaliditätsgrad von 1/5 Armwert abgerechnet und 21.474,32 € an den Kläger bezahlt. Der Kläger beansprucht Abrechnung nach einem Invaliditätsgrad von 3/7 Armwert (vgl. Bl. 44), somit Zahlung weiterer 39.880,88 €.

Das Landgericht hat nach Einholung des schriftlichen Gutachtens (Bl. 89) des orthopädisch-unfallchirurgischen Sachverständigen A, der sein Gutachten schriftlich ergänzt (Bl. 161) und mündlich erläutert (Bl. 194) und den Invaliditätsgrad mit 1/10 Armwert bemessen hat, die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der weiterhin eine Abrechnung nach einem Invaliditätsgrad von 3/7 Armwert beansprucht. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, dass entgegen der Ansicht des Landgerichts bei der Bewertung einer Funktionsminderung des Schultergelenks ausschließlich auf die Funktionseinbußen des Schultergelenks abgestellt werden dürfe, während verbliebene, nicht beeinträchtigte Funktionen der rumpfferneren Teile des Arms dabei nicht zu berücksichtigen seien. Das folge aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den Urteilen vom 24.5.2006, Az. IV ZR 203/03 (VersR 06, 1117) und vom 12.12.2007, Az. 178/06 (VersR 08, 483) zur Auslegung der Gliedertaxe bezüglich des Ausdrucks „Arm im Schultergelenk“ und gelte auch für teilweise Funktionseinbußen (OLG Karlsruhe NJW-RR 06,249). Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei unter „Schultergelenk“ auch nur das Kugelgelenk zwischen Schulterblatt und Oberarmknochen zu verstehen, nicht die Gesamtheit des Schultergürtels einschließlich Schlüsselbein und Schulterblatt (so OLG Koblenz VersR 10,659). Auch der Sachverständige habe bestätigt, dass unter dem Schultergelenk an sich das Kugelgelenk zu verstehen sei. Da die Auslegung des Begriffs Schultergelenk unklar sei, müsse nach § 305c BGB die dem Versicherungsnehmer günstigste Auslegung zugrunde gelegt werden. Das sei hier die Auslegung, nach der es nur auf das Kugelgelenk ankomme.

Unfallversicherung - Invaliditätsentschädigung bei Schulterverletzung
Symbolfoto: Von Peerayot/Shutterstock.com

Da der Sachverständige bei seiner Bewertung der Restfunktion insgesamt den Schultergürtel betrachtet habe, seien die darauf gegründeten Feststellungen des Landgerichts unzutreffend. Die Einschränkungen im Kugelgelenk könnten auch unabhängig von dem Zusammenspiel mit den anderen Gelenken im Schultergürtel gemessen werden. Das habe der Sachverständige aber nicht getan, weil er dies als medizinisch unsinnig angesehen habe. Ob die Messung einer Bewegungseinschränkung medizinisch sinnvoll sei, sei aber unerheblich, wenn die Bedingungen so auszulegen seien, dass es nur auf das Kugelgelenk ankomme. Daher müsse ein weiteres Gutachten eingeholt werden. Dieses solle nicht durch den bisherigen Sachverständigen erstattet werden, weil er die erforderlichen Feststellungen als unsinnig bezeichnet habe und deshalb möglicherweise nicht unvoreingenommen sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 10.11.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 39.880,88 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.6.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und bezieht sich im übrigen auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie hält die Ansicht des Klägers, dass es auch bei teilweiser Funktionsunfähigkeit des Schultergelenks nicht auf die Restfunktion körperfernerer Teile des Arms ankomme, für zutreffend.

Der Sachverständige habe aber bei der Bewertung der Invalidität keine Restfunktionen körperfernerer Teile des Arms berücksichtigt.

Die Beklagte teilt nicht die Ansicht des Klägers, dass unter Schultergelenk nur das Kugelgelenk zu verstehen sei, weil es sich um eine Funktionseinheit handle. Der Sachverständige habe aber auch einleuchtend dargelegt, dass die von ihm berücksichtigten Einschränkungen im Wesentlichen denjenigen entsprächen, die sich aus einer isolierten Betrachtung des Kugelgelenks ergeben würden, weil die anderen Gelenke des Schultergürtels nicht beeinträchtigt seien.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis mit Recht abgewiesen.

Die unfallbedingte Schulterverletzung hat zu einem Invaliditätsgrad von 1/5 Armwert geführt. Nach diesem Invaliditätsgrad hat die Beklagte bereits reguliert, so dass ein weiterer Anspruch nicht besteht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, ist bei einem Funktionsverlust des Schultergelenks nicht zu berücksichtigen, dass körperfernere Teile des Arms noch vorhanden sind und gebraucht werden können, weil die Gliedertaxe, die auf eine Störung „im“ Schultergelenk abstellt, die Auslegung zulässt, dass es auch nur auf diesen örtlichen Bereich ankommt. Deshalb ist bei einer vollständigen Versteifung im Schultergelenk der volle Armwert anzusetzen (BGH VersR 2008, 483). Dementsprechend darf auch bei Teileinschränkungen der Funktion des Schultergelenks der Invaliditätsgrad nur anhand dieser Einschränkung ohne Rücksicht auf die verbliebene Funktionsfähigkeit körperfernerer Teile des Arms und der Hand bemessen werden.

Dies haben der Sachverständige und ihm folgend auch das Landgericht bei der Bemessung des Invaliditätsgrades nicht ausreichend berücksichtigt.

Der Sachverständige hat den Invaliditätsgrad in Anlehnung an die Bewertungsvorschläge bei Rompe/Erlenkämper, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane, 3. Aufl. 1998 (Bl. 165) bemessen. Danach werden für eine Versteifung im Schultergelenk 4/10 bis ½ Armwert vorgeschlagen.

Dieser Bewertungsempfehlung liegt die rechtlich unzutreffende Vorstellung zugrunde, dass ein im Schultergelenk versteifter Arm zu einem geringeren Invaliditätsgrad als ein vollständig verlorener Arm führt. Denn andernfalls könnte der bei Rompe/Erlenkämper vorgeschlagene Armwert bei einer vollständigen Versteifung nicht hinter dem vollen Armwert zurückbleiben. Von dieser unzutreffenden Annahme sind notwendigerweise auch die Bewertungsvorschläge beeinflusst, die den Abstufungen für Teilbeeinträchtigungen der Beweglichkeit des Arms im Schultergelenk zugeordnet sind, weil die Abstufungen nach dem Maß des Bewegungsverlusts zu dem für die vollständige Versteifung empfohlenen Ausgangswert ins Verhältnis gesetzt sind. Ist der Ausgangswert zu niedrig, ist notwendigerweise auch der für Teileinbußen in der Bewertungsempfehlung vorgeschlagene Wert zu niedrig. Der Sachverständige hat eine verbliebene Teilbeweglichkeit des Arms bei Vor- und Seithebung bis 120° festgestellt und entsprechend der Empfehlung die Invalidität mit 1/10 bemessen. Das ist, weil der Ausgangswert, von dem dieser Wert abgeleitet ist, zu niedrig angesetzt ist, notwendigerweise auch ein zu geringer Wert.

Wenn richtigerweise für die volle Versteifung des Arms im Schultergelenk der volle Armwert und somit das Doppelte des in der Bewertungsempfehlung vorgeschlagenen halben Armwerts anzusetzen ist, müssen die für die abgestuften Beeinträchtigungen empfohlenen Werte im selben Verhältnis erhöht, also verdoppelt werden. Das ergibt den von der Beklagten der Regulierung zugrunde gelegten Invaliditätsgrad von 1/5 Armwert. Diese Schlussfolgerung kann der Senat auch ohne ergänzende Befragung des Sachverständigen ziehen, weil sie der in den Bewertungsempfehlungen zum Ausdruck gelangenden Abstufung der verschiedenen Grade der Bewegungsbeeinträchtigung entspricht und es sich daher nur um eine rechnerische Anpassung der empfohlenen und vom Sachverständigen in dieser Abstufung auch für richtig gehaltenen Werte handelt.

Andere Fehler des Gutachtens liegen nicht vor.

An die Feststellung des Ausmaßes der verbliebenen Beweglichkeit, die der Sachverständige eingehend und in Auseinandersetzung mit den vom Kläger vorgelegten Gutachten des B begründet hat, ist der Senat gemäß § 529 ZPO gebunden; gegen diese Feststellungen wendet sich der Kläger jetzt auch nicht mehr, nachdem in 1. Instanz das Ausmaß der Restbeweglichkeit noch streitig war.

Die Messungen der Restbeweglichkeit hat der Sachverständige auch bezüglich des richtigen Gelenks vorgenommen. Dabei kann offenbleiben, ob wegen der Auslegung der Gliedertaxe auch bei der Feststellung der verbliebenen Beweglichkeit des Arms die Beweglichkeitsmessung auf das Kugelgelenk, also auf die Beweglichkeit „im Schultergelenk“ zu beschränken ist. Für die übliche Vorgehensweise, die der Sachverständige als sinnvoll angesehen hat, bei der die Beweglichkeit des Schultergürtels einheitlich betrachtet und der durch den Arm und die Körperachsen gebildete Winkel gemessen wird, dürfte sprechen, dass dadurch am besten die Gebrauchsfähigkeit des Arms beschrieben werden kann. Für die Funktion ist dagegen von untergeordneter Bedeutung, in welchem Umfang die Beweglichkeit nur im Schultergelenk, also zwischen den beiden Knochen Schulterblatt und Oberarmknochen eingeschränkt ist. Darauf kommt es jedoch nicht an, weil der Sachverständige Einschränkungen in den anderen Gelenken des Schultergürtels nicht festgestellt hat (Bl. 196, 98). Daher beruhen die festgestellten Einschränkungen nur auf der Verletzung des eigentlichen Schultergelenks. Jedenfalls deshalb war die Vorgehensweise, die Beeinträchtigung anhand der üblichen Beweglichkeitsmuster, also Abduktion, Rotation und Elevation, die sich auf das Verhältnis der Körperachsen zum Arm beziehen, auch hier zweckmäßig und geeignet, die durch die Verletzung des Kugelgelenks verursachte Funktionsbeeinträchtigung festzustellen.

Da die Berufung erfolglos bleibt, hat der Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

 

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