Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 30/19 – Urteil vom 20.05.2020
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 26.02.2019 – Az. 14 O 9/16 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.747,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 3.373,84 seit dem 01.12.2015 und aus weiteren 3.373,84 € seit dem 01.01.2016 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte ab dem 01.12.2015 monatlich 3.373,84 bis längstens 01.12.2023 zu zahlen hat und insbesondere die Leistungen nicht aufgrund des Aberkennungsschreibens vom 22.09.2015 einstellen darf.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger von den Beiträgen zu dem Versicherungsvertrag, Versicherungsschein Nummer … ab dem 01.12.2015 bis längstens 01.12.2023 freizustellen und etwaige von ihr selbst im Wege der Verrechnung einbehaltene Beträge an ihn auszukehren hat.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.858,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.01.2016 zu zahlen.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor in derselben Höhe Sicherheit leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 123.376,63 festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen die zum 01.12.2015 erfolgte Einstellung von Leistungen aus einer beim beklagten Versicherer unterhaltenen Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nach der Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens.
Er unterhält bei der Beklagten seit Dezember 2000 eine Risikolebensversicherung nebst Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Versicherungsschein Nummer …, Anlage K1, Anlagenband Kläger). Dem Vertrag liegen die Bedingungen der Beklagten für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu Grunde (Bl. 560 d.A; im Folgenden: BBUZ), außerdem die besonderen Vereinbarungen gemäß der Anlage 1 zum Versicherungsschein und die Besonderen Bedingungen „Dynamik-Plan“ (Bl. 565 d.A., im Folgenden: BB Dynamik). Nach § 1 BBUZ schuldet die Beklagte für den Fall einer mindestens 50-prozentigen Berufsunfähigkeit die volle Befreiung von der Beitragszahlungspflicht sowie die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente längstens bis zum 01.12.2023. Gemäß § 1 Abs. 4 BBUZ erlischt der Anspruch auf Beitragsbefreiung und Rente, wenn der Grad der Berufsunfähigkeit unter 50 % sinkt. In § 19 BBUZ wird der Vertrag deutschem Recht unterstellt.
In der Anlage 1 zum Versicherungsschein sind verschiedene Abweichungen von den Allgemeinen Bedingungen geregelt. Zur Definition der Berufsunfähigkeit heißt es:
„Abweichend von § 2 Absatz 1 und 3 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung – Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen? – liegt vollständige Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind,
– voraussichtlich dauernd außerstande ist, seinen Beruf auszuüben oder
– sechs Monate ununterbrochen außerstande gewesen ist, seinen Beruf auszuüben und dieser Zustand fortdauert.
Berufsunfähigkeit liegt jedoch dann nicht vor, wenn der Versicherte eine konkrete Tätigkeit ausübt und ein Einkommen erzielt, welches seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.“
Die Beklagte ist gehalten, sich „nach Prüfung der uns eingereichten sowie der von uns beigezogenen Unterlagen“ zur Leistungspflicht zu erklären. Gemäß dem – § 7 Abs. 1 BBUZ abändernden – letzten Absatz der Anlage 1 zum Versicherungsschein in Verbindung mit § 7 Abs. 3 BBUZ ist sie berechtigt, nach Anerkennung oder Feststellung ihrer Leistungspflicht das Fortbestehen und den Grad der Berufsunfähigkeit nachzuprüfen und ihre Leistungen im Fall der Verminderung unter 50 % nach entsprechender Mitteilung einzustellen.
Der Kläger ist promovierter Wirtschaftsingenieur. Er arbeitete zunächst in Deutschland als Berater und Projektmanager, danach im asiatischen Ausland. Seit November 2007 war er als Program Manager für die Weltbank in China tätig (Tätigkeitsbeschreibung S. 2-3 des Ersturteils, Bl. 426 f. d.A.). Am 12.05.2008 erlebte er dort ein Erdbeben, in dessen Folge er psychisch erkrankte. Er machte Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend. Die Beklagte unterbreitete ihm mit Schreiben vom 24.09.2008 (Anlage K13) ein Angebot zum Abschluss einer außervertraglichen Vereinbarung. In dem Schreiben hieß es:
„[…] Am 15.07.2008 teilten Sie uns telefonisch mit, dass Sie aufgrund von starken psychischen Problemen seit einem Erdbeben vom 12.05.2008 Ihre berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben können.
Eine abschließende Prüfung, ob eine mindestens 50-prozentige Berufsunfähigkeit über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten in Ihrer ursprünglichen Tätigkeit als Program Manager bei der International Finance Corporation vorliegt, kann aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht erfolgen. Eine kosten- und zeitintensive neutrale Begutachtung in Deutschland wäre notwendig.
Um Ihrer persönlichen Situation Rechnung zu tragen und zum jetzigen Zeitpunkt weitere Prüfungen zu vermeiden, erklären wir uns bereit, ohne die Anspruchsvoraussetzungen abschließend geprüft zu haben, Ihnen die vereinbarte Rente für die Monate Juni 2008 bis einschließlich Mai 2009 zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren werden wir auch die Beitragszahlung für diesen Zeitraum übernehmen.
Da die bedingungsgemäßen Anspruchsvoraussetzungen nicht abschließend geprüft sind, erfolgt diese Zahlung als Kulanzleistung, auf die kein Rechtsanspruch besteht.
Wir haben daher in der Anlage eine Außervertragliche Vereinbarung in zweifacher Ausfertigung beigelegt.
[…]
Bitte beachten Sie, dass das Bestehen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit derzeit weder abschließend geprüft noch festgestellt wurde.
Sofern sich Ihr Gesundheitszustand nicht verbessert, können Sie jederzeit einen neuen Leistungsantrag stellen. Wir werden dann unsere Leistungsprüfung wieder aufnehmen und eine entsprechende fachärztliche Begutachtung veranlassen. […]“
Die dem Schreiben beigelegte und vom Kläger angenommene „Außervertragliche Vereinbarung“ lautete auszugsweise wie folgt:
„Die Versicherung erklärt sich aus Kulanzgründen und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bereit, aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu Vertrag Nr. … für die Monate Juni 2008 bis einschließlich Mai 2009 eine monatliche Rente in Höhe von 3.228,24 EUR zu erbringen.
Ferner ist die Versicherung aus Kulanzgründen bereit, für die Monate Juni 2008 bis einschließlich Mai 2008 auf eine Beitragszahlung zu dem Vertrag Nr. … zu verzichten.
[…]
Die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit gemäß den zugrunde liegenden Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ist mit dieser Leistung nicht verbunden. Der Nachweis des Vorliegens von bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit wurde bislang von Herrn Dr. M. G. gerade nicht erbracht. Herr Dr. M. G. ist darüber informiert, dass der Nachweis des Vorliegens bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit bereits zum geltend gemachten Zeitpunkt nach Ablauf dieser Vereinbarung möglicherweise erschwert sein könnte.
[…]
Sollten über den 31.05.2009 hinaus Leistungen beansprucht werden, so wird die Versicherung ihre Leistungsprüfung vollumfänglich fortsetzen […]“
Im Zusammenhang mit einem anderen Versicherungsverhältnis erfolgte eine Begutachtung durch den Psychologen B. W.. In dessen „Psychological Evaluation Report“ vom 12.10.2008 (Anlage K15) war ausgeführt, der Kläger habe nach dem Erdbeben eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Depression entwickelt, infolge deren er arbeitsunfähig sei; eine Besserung sei bei angemessener Therapie in vier bis acht Monaten und dann schrittweiser Wiedereingliederung möglich.
Nach Ablauf der von der Beklagten auf der Grundlage der „außervertraglichen Vereinbarung“ erbrachten Zahlungen übernahm der Kläger im Auftrag der GTZ eine Führungsposition für ein Projekt in Bangladesch bis Dezember 2010. Von Januar bis Mai 2011 war er Managing Director bei einem Investor Center in Frankfurt/Oder. Im Oktober 2011 wechselte er wieder nach Asien und arbeitete für die Handelskammer in Laos. Er erhielt vom Staat Laos ein geringes Gehalt, das aufgrund einer Zuschussvereinbarung mit dem „Zentrum für internationale Migration“ aufgestockt wurde („Employment Contract“ i.V.m. der „Zuschussvereinbarung“ des CIM, Bl. 501, 506 ff. d.A.). Zur Beschreibung seiner vor allem repräsentierenden und beratenden Tätigkeit in Laos wird auf Seite 4 des Ersturteils Bezug genommen (Bl. 428 d.A.).
Unter dem 22.05.2012 machte der Kläger erneut versicherungsvertragliche Ansprüche geltend. Er füllte einen Fragebogen der Beklagten aus, in dem er als „letzte[n]/jetzige[n] Arbeitgeber“ die laotische Handelskammer eintrug (Anlage B1, Bl. 40 d.A.). Die Frage nach den Erkrankungen, wegen deren er „diesen Antrag“ stelle und seit wann sie bestünden, beantwortete er mit:
„PTSD, Depressionen seit 12.5.2008
Seither zusätzlich Hörstürze, Schwerhörigkeit, Ohrgeräusche und Schmerzen in beiden Knien, PTSD Rückfall im April 2012 nach Erdbeben in Phuket“
Als Datum, seitdem er die „berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben“ könne, benannte der Kläger den Tag seiner Krankschreibung (27.04.2012). Zur „unmittelbar vor Eintritt der jetzigen Erkrankung“ ausgeübten beruflichen Tätigkeit gab er an: „Berater des Präsidiums der laotischen Handelskammer“.
Im Rahmen ihrer Leistungsprüfung beauftragte die Beklagte den Psychiater Dr. F.. Dieser konstatierte mit Gutachten vom 26.11.2012, Bezug nehmend auf die früheren Feststellungen des Psychologen B. W., der Kläger sei im Jahr 2008 „zu Recht für berufsunfähig eingeschätzt“ worden (Seite 51 des Gutachtens). Außer einer posttraumatischen Belastungsstörung diagnostizierte Dr. F. verschiedene weitere psychische und persönlichkeitsbezogene Störungen. Der Kläger sei zu allen Tätigkeiten, die den Umgang mit Menschen unter Wettbewerbsbedingungen oder Stress erforderten, unfähig. Eine Besserung könne bei hinreichend langer Therapie sowie wahrscheinlich einer beruflichen Umorientierung „mit aller Vorsicht“ erwartet werden (Seite 65 f. des Gutachtens Anlage K4).
Die Beklagte anerkannte daraufhin mit Schreiben vom 11.12.2012 ihre Leistungspflicht und zahlte rückwirkend ab dem 01.05.2012 eine Rente von monatlich 3.373,84 € unter Einstellung der Prämienabbuchung (Anlage K3).
Mit Schreiben vom 06.02.2015 (Anlage K6) leitete die Beklagte ein Nachprüfungsverfahren ein. Wieder beauftragte sie Dr. F. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens. Dieser erachtete den Kläger im Gutachten vom 14.08.2015 wieder für fähig, „den Beruf als Berater“ auszuüben (Seite 38 des Gutachtens Anlage K7). Die nach den Angaben des Klägers alltagswirksamen Funktions- und Fähigkeitsstörungen könnten durch den psychischen Befund und das Ergebnis der Testung nicht gestützt werden; ob persönlichkeitsbedingt prädisponierte psychogene Störungen unter Belastung wieder entstehen würden, wisse man nicht; jedenfalls sei „die seinerzeit Berufsunfähigkeit herbeiführende posttraumatische Belastungsstörung […] gegenwärtig nicht mehr nachweisbar“ (Seite 33 des Gutachtens Anlage K7).
Mit Schreiben vom 22.09.2015 (Anlage K9) kündigte die Beklagte an, die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung einzustellen. Zur Begründung war ausgeführt:
„Mit Schreiben vom 11.12.2012 hatten wir die vertraglich vereinbarten Leistungen anerkannt.
Sie gaben seinerzeit an, seit April 2012 arbeitsunfähig erkrankt zu sein. […]
Sie waren seit dem 01.10.2011 als Berater des Präsidiums der laotischen Handelskammer tätig.
Zu einer abschließenden Entscheidung über Ihren Leistungsantrag hatten wir ein nervenärztliches Gutachten mit psychologischem Zusatzgutachten bei Herrn Dr. F. in Auftrag gegeben. […]
Der Gutachter stellte bei Ihnen folgende Diagnosen:
– Posttraumatische Belastungsstörung
– Störung mit Depression und Angst gemischt
– Mischstruktur mit narzisstischen, schizoiden und krankhaften Anteilen
– Zwangsstörung
Herr Dr. Dr. F. führte aus, […] dass bei Ihnen eine Berufsunfähigkeit vorliegt.
[…]
Um die Fortdauer einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit zu prüfen, haben wir erneut ein nervenärztliches Gutachten mit psychologischem Zusatzgutachten bei Herrn Dr. F. in Auftrag gegeben. […]
Herr Dr. F. kommt zu dem Ergebnis, dass sich die seinerzeit erhobenen Befunde bis heute im Ganzen verändert haben. Seitens der kognitiven und mnestischen Funktionen fanden sich auf der Ebene des klinischen Befundes keinerlei Einbußen […]
In Anbetracht der uns vorliegenden ärztlichen Unterlagen und der daraus folgenden Besserung Ihres Gesundheitszustandes ergibt sich, dass Sie wieder in der Lage sind, Ihre Tätigkeit als Berater über halbschichtig auszuüben.
[…]
Wir werden daher unsere Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zum 01.12.2015 einstellen […]“
Der Kläger erachtete das zweite Gutachten des Dr. F. als unzureichend und ließ die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 10.11.2015 (Anlage K10) auffordern, bis zum 01.12.2015 zu erklären, ob ein zweites Gutachten in Auftrag gegeben werde. Die Beklagte lehnte das ab (Anlage K11).
Der Kläger hat sein Begehren zur Aufrechterhaltung der Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung über den 01.12.2015 hinaus damit begründet, dass die Nachprüfungsentscheidung vom 29.09.2015 schon formal unwirksam sei. Nach seiner Ansicht hätte die (Nach-)Prüfung an seinen – von ihm als weitaus anspruchsvoller beschriebenen – Beruf bei der Weltbank anknüpfen müssen, nicht an die Tätigkeit für die Handelskammer in Laos. Der Kläger hat behauptet, er sei seit dem Erdbeben in China durchgängig erkrankt gewesen (Bl. 7 f. d.A.), die zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalls im Jahr 2008 und dem Leistungsanerkenntnis der Beklagten 2012 erfolgten Berufswechsel seien jeweils leidensbedingt erfolgt (Bl. 232 d.A.). Unabhängig davon hat der Kläger eine formelle Unwirksamkeit der Nachprüfungsentscheidung auch daraus abgeleitet, dass Dr. F. im Jahr 2015 eine für die Berufsfähigkeit relevante Verbesserung des Gesundheitszustands nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt habe. Er hat eine solche Verbesserung auch der Sache nach bestritten.
Die Beklagte hat ihre Einstellungsentscheidung verteidigt.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines fachpsychiatrischen Sachverständigengutachtens. Mit dem am 26.02.2019 verkündeten Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Klage abgewiesen (Bl. 425 d.A.). Die Beklagte habe bei der Nachprüfung das richtige Berufsbild zugrunde gelegt. Auch die materiellen Voraussetzungen der Leistungseinstellung hätten vorgelegen, weil die Berufsunfähigkeit nach der Einschätzung der Sachverständigen Dr. B. weggefallen sei.
Der Kläger hat Berufung eingelegt.
Er trägt vor, das Erdbeben im Jahr 2008 sei der seine Berufsunfähigkeit auslösende Wendepunkt gewesen. Alle danach begonnenen und wieder abgebrochenen Tätigkeiten seien krankheitsbedingt gescheiterte Versuche gewesen, ins Berufsleben zurückzufinden. Entweder habe er sich „durchgemogelt“ und seine Unfähigkeit verschleiert oder sei kurzfristig entlassen worden (Bl. 498 d.A.). Auch mit einem zuletzt versuchsweise erfolgten Berufseinstieg als Berater der mongolischen Industrie- und Handelskammer zwischen Oktober 2018 und April 2019 sei er aufgrund seiner psychischen Probleme gescheitert (Bl. 485 d.A.).
Der Kläger trägt – insoweit unwidersprochen – vor, die Arbeit bei der Weltbank sei insbesondere im Hinblick auf die tägliche Belastung mit der Tätigkeit in Laos nicht vergleichbar. Er meint, spätestens die vom Landgericht angeordnete Beweisaufnahme hätte am Anforderungsprofil der Arbeit für die Weltbank ausgerichtet werden müssen.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.815,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.407,77 € seit dem 01.12.2015 und im Übrigen aus weiteren 3.407,77 € seit dem 01.01.2016 zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte ab dem 01.12.2015 monatlich zuzüglich der vertraglich vorgesehenen Steigerungsraten 3.407,77 € bis längstens 01.12.2023 zu zahlen hat und insbesondere die Leistungen nicht aufgrund des Aberkennungsschreibens vom 22.09.2015 einzustellen hat;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn von den Beiträgen zu dem Versicherungsvertrag … ab 01.12.2015 bis längstens 01.12.2023 freizustellen und eventuell von ihr selbst im Wege der Verrechnung einbehaltene Beträge an ihn auszukehren hat;
4. außerdem die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtlich Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.858,38 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hebt hervor, dass der Kläger selbst bei der zweiten Geltendmachung versicherungsvertraglicher Ansprüche im Jahr 2012 als Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit den 27.04.2012 angab, dass er als ausgeübten Beruf die Tätigkeit für die Handelskammer Laos bezeichnete und bei der Mitteilung der Beschwerden einen „Rückfall“ nach einem Erdbeben in Phuket 2012 erwähnte. Dass die zwischen 2008 und 2012 erfolgten Berufswechsel leidensbedingt gewesen seien, stellt die Beklagte in Abrede.
Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrags wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Gutachten der Sachverständigen Dr. B. vom 21.11.2016 (Bl 94 d.A.) nebst testpsychologischen Zusatzgutachten der Psychologin R.-W. vom 16.11.2016 (Bl. 138 d.A.), das Ergänzungsgutachten vom 05.10.2017 (Bl. 244 d.A.), mündlich erläutert im Termin vor dem Landgericht am 08.01.2019, Bl. 414 d.A.), die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 17.05.2016 (Bl. 67 d.A.) und vom 08.01.2019 (Bl. 414 d.A.), und des Senats vom 04.03.2020 sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 26.02.2019.
II.
Die Berufung des Klägers hat weit überwiegend Erfolg. Das Landgericht hat die Klage im Wesentlichen zu Unrecht abgewiesen. Lediglich auf eine Dynamisierung der Rentenleistungen hat der Kläger nach dem Versicherungsvertrag keinen Anspruch. Es bleibt bei der bei Beginn des Rentenbezugs (01.05.2012) erreichten Rentenhöhe von monatlich 3.373,84 €.
Die Beklagte ist über den 01.12.2015 hinaus verpflichtet, dem Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu gewähren. Die Leistungseinstellung scheitert schon unter dem Gesichtspunkt einer formal unzureichenden Einstellungsmitteilung.
1.
Die rechtliche Beurteilung des Streitfalls richtet sich insgesamt nach dem Versicherungsvertragsgesetz in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung. Es handelt sich um einen Altvertrag im Sinne des Art. 1 Abs. 1 EGVVG. Der Kläger macht geltend, er sei seit dem Erdbebenereignis im Mai 2008 durchgängig in einer seine Berufsunfähigkeit begründenden Weise erkrankt gewesen und behauptet mithin einen vor dem 31.12.2008 eingetreten Versicherungsfall (Art. 1 Abs. 2 EGVVG). Auf der Grundlage seines Vorbringens gilt damit altes Versicherungsvertragsrecht (vgl. Senat, Urteil vom 20.03.2013 – 5 U 379/11 – zfs 2013, 646). Davon ist auch das Landgericht ausgegangen. In der Berufung wird hiergegen nichts vorgebracht. Das Versicherungsvertragsrecht in der Fassung bis zum 31.12.2007 gilt auch für das im vorliegenden Rechtsstreit zu beurteilende Nachprüfungsverfahren. Die Vorschrift des § 174 VVG n.F. zählt nicht zu den in Art. 4 Abs. 2 EGVVG aufgelisteten neuen Regelungen des Rechts der Berufsunfähigkeitsversicherung, die auch für Altverträge anwendbar sind (Senat, Urteil vom 25.02.2015 – 5 U 31/14 – VersR 2016, 1297; Dörner in: MünchKommVVG, 2. Auflage 2017, § 174 Rdn. 4).
2.
Das Landgericht hat die Klage weitestgehend zu Unrecht abgewiesen.
Der Anspruch des Klägers auf Beitragsbefreiung und Rente ist nicht erloschen (§ 1 Abs. 4 BBUZ). Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende Annahme, der Grad der im Jahr 2012 anerkannten Berufsunfähigkeit habe sich zwischen jenem Zeitpunkt und dem Versicherungsvierteljahr vor dem 01.12.2015 auf unter 50 % vermindert und die Beklagte habe solches dem Kläger ordnungsgemäß mitgeteilt, trifft nicht zu (§ 7 Abs. 3 BBUZ).
Hat der Versicherer seine Leistungspflicht wegen Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers erst einmal anerkannt, so kann er deren späteren Wegfall nur im Wege des Nachprüfungsverfahrens nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BBUZ i.V.m der Anlage 1 zum Versicherungsschein geltend machen. Unerlässlicher Bestandteil dieses Verfahrens ist es, dass dem Versicherungsnehmer das Ende der Leistungspflicht förmlich mitgeteilt wird (§ 7 Abs. 3 Satz 2 BBUZ). Erst die zugegangene Mitteilung kann – nach einer Schutzfrist (§ 7 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BBUZ) – die Leistungspflicht entfallen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 13.03.2019 – IV ZR 124/18 – VersR 2019, 1134). Unterbleibt die Einstellungsmitteilung oder ist sie rechtsunwirksam, so besteht die anerkannte Leistungspflicht auch dann fort, wenn sich die maßgeblichen Umstände derart geändert haben, dass sie den Versicherer zur Leistungseinstellung berechtigt hätten (BGH, Urteil vom 17.02.1993 – IV ZR 162/91 – VersR 1993, 559; Senat, Urteil vom 07.04.2017 – 5 U 32/14 – VersR 2018, 923, m.w.N.).
Das Schreiben der Beklagten vom 22.09.2015 wird den formalen Anforderungen an eine wirksame Einstellungsmitteilung nicht gerecht.
a.
Wirksam ist eine Einstellungsmitteilung nur dann, wenn darin nachvollziehbar begründet wird, warum die vormals anerkannte Leistungspflicht wieder enden soll. Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass der Versicherer den Zustand, der seinem Anerkenntnis zugrunde lag, mit dem für das Abänderungsverlangen maßgeblichen Zustand vergleicht und aufzeigt, aufgrund welcher Veränderungen er eine Einstellung der Leistungen für gerechtfertigt hält. Stützt der Versicherer die Leistungseinstellung auf eine zwischenzeitliche Verbesserung des Gesundheitszustands des Versicherten, so muss er die gebotene Vergleichsbetrachtung an den geänderten gesundheitlichen Verhältnissen ausrichten. Darüber hinaus hat er die aus den medizinischen Erkenntnissen gezogenen berufsbezogenen Schlussfolgerungen vergleichend darzulegen (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Kap. 14, Rdn. 114; BGH, Urt. v. 28.04.1999 – IV ZR 123/98 – VersR 1999, 958; Senat Urt. v. 07.04.2017 – 5 U 32/14 – VersR 2018, 924).
Die Anforderungen an die Begründung der Einstellungsentscheidung sind hoch. Denn es ist der Versicherungsnehmer, der sich mit einer Klage gegen die durch eine Mitteilung ausgelösten Rechtsfolgen zur Wehr setzen muss. Dazu benötigt er nachvollziehbare Informationen, anhand deren er sein Prozessrisiko sachgerecht abschätzen kann (vgl. BGH, Urt. v. 03.11.1999 – IV ZR 155/98 – VersR 2000, 171; BGH, Urt. v. 02.11.2005 – IV ZR 15/05 – VersR 2006, 102).
b.
Im Streitfall ist die Einstellungsmitteilung schon deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte im Nachprüfungsverfahren die bis Mai 2008 ausgeübte Managertätigkeit des Klägers bei der Weltbank hätte in den Blick nehmen müssen, nicht den Beruf als Berater der Handelskammer Laos, dessen Anforderungs- und Tätigkeitsprofil ein anderes gewesen ist.
(1)
Nach den hier maßgeblichen Vertragsbedingungen ist der Begriff der Berufsunfähigkeit bei der Nachprüfung im selben Sinne zu verstehen wie bei der Erstprüfung. Für beide Konstellationen ist an die letzte Berufsausübung des Versicherten anzuknüpfen, so wie sie in gesunden Tagen vor der Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit ausgestaltet war (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 30.11.2015 – 8 U 697/14 – juris).
Die Parteien streiten darüber, wann die „gesunden Tage“ des Klägers endeten. Der Kläger trägt vor, dies sei nach dem Erdbeben im Jahr 2008 gewesen, als er noch für die Weltbank arbeitete, und er sei seither durchgängig krank geblieben (so der Kläger schon in der Klageschrift). Demgegenüber behauptet die Beklagte, der Kläger sei zwischenzeitlich wieder genesen, bevor im Jahr 2012 während seiner Tätigkeit für die Handelskammer Laos neuerliche krankheitsbedingten Leistungseinschränkungen zu Tage getreten seien. Unter den besonderen Umständen des Streitfalls kann offenbleiben, ob der Kläger zwischen dem Ablauf der „Kulanzleistungen“ Ende Mai 2009 und dem ersten formalen Leistungsanerkenntnis im Jahr 2012 tatsächlich wieder gesund und leistungsfähig wurde, oder aber ob er in jener Zeit lediglich erfolglos versuchte, ins Berufsleben zurückzufinden, und „leidensbedingt“ wechselnde Tätigkeiten aufnahm. Denn ungeachtet der zwischenzeitlichen Entwicklung hätte die Beklagte ihre Nachprüfungsentscheidung auf den bis Mai 2008 ausgeübten Beruf beziehen müssen.
(2)
Bei der Nachprüfung untersucht der Versicherer, ob eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nachträglich wieder weggefallen ist. (Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Kap. 14, Rdn. 19). Der Wendepunkt wird prinzipiell durch das Erstanerkenntnis markiert. Inhaltlich „zementiert“ es den ihm zugrunde liegenden Gesamtzustand des Versicherten, sowohl bezogen auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als auch auf den bis dahin bekannten Gesundheitszustand. Hat der Versicherer keine näheren Informationen eingeholt, sondern die Angaben einem ausgefüllten Fragebogen des Versicherten entnommen, so gelten auch diese als „festgeschrieben“ (Neuhaus Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Kap. 12, Rdn. 8).
Im Streitfall arbeitete der Kläger zum Zeitpunkt seines zweiten Leistungsantrags im Jahr 2012 unstreitig bei der Handelskammer Laos. Gleichwohl muss die Beklagte sich unter den hier vorliegenden besonderen Umständen aus Rechtsgründen so behandeln lassen, als läge ihrem auf diesen Antrag hin erfolgten Anerkenntnis der Beruf des Program Manager bei der Weltbank zu Grunde.
(a)
Der Kläger hatte Leistungen aus der streitgegenständlichen Versicherung erstmals im Jahr 2008 verlangt und seine Berufsunfähigkeit mit psychischen Folgewirkungen des Erdbebens vom 12.05.2008 begründet. Damals richtete die Beklagte ihre Leistungsprüfung zutreffend am Beruf eines „Program Manager bei der International Finance Corporation“ aus. Anstatt sie zu Ende zu führen und die in § 5 Abs. 1 BBUZ vorgesehene abschließende Entscheidung über ihrer Leistungspflicht zu treffen, unterbreitete die Beklagte im September 2008 das Angebot zum Abschluss einer „außervertraglichen Vereinbarung“.
(b)
Für die Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung gelten besondere Anforderungen, denen hier nicht Rechnung getragen wurde.
Zwar ist den Parteien einer Berufsunfähigkeitsversicherung nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit eine einvernehmliche Regelung der Leistungspflicht nicht allgemein verwehrt. Allerdings ist der Versicherer nach Treu und Glauben in besonderer Weise gehalten, seine überlegene Sach- und Rechtskenntnis nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers auszunutzen, da die Versicherung für diesen häufig von existenzieller Bedeutung ist und er, anders als der Versicherer, die komplizierten Vertragsbedingungen zu Anerkenntnis und Nachprüfungsverfahren kaum durchschauen wird. Der Versicherer handelt objektiv treuwidrig, wenn er bei naheliegender Berufsunfähigkeit die ernsthafte Prüfung seiner Leistungspflicht durch das Angebot befristeter Kulanzleistungen hinausschiebt und so das nach Sachlage gebotene Anerkenntnis unterläuft. Ein solches Vorgehen kann den Versicherungsnehmer benachteiligen, da sich der Versicherer damit einerseits eine beweisrechtliche Rechtsposition verschafft, als hätte er die Leistung abgelehnt, andererseits aber den Versicherungsnehmer von dem Nachweis der Berufsunfähigkeit während des Kulanzzeitraums abhält, was für diesen infolge der Verschlechterung von Beweismitteln bis zur Geltendmachung von Folgeansprüchen erhebliche Nachteile mit sich bringen kann (Senat, Urteil vom 30.11.2011 – 5 U 123/09 – juris). Entsprechende Vereinbarungen sind daher nur in engen Grenzen möglich. Sie setzen eine – aus verständiger Sicht – noch unklare Sach- und Rechtslage voraus. Vor ihrem Abschluss erfordern sie klare, unmissverständliche und konkrete Hinweise des Versicherers darauf, wie sich die vertragliche Rechtsposition des Versicherungsnehmers darstellt und in welcher Weise diese durch den Abschluss der Vereinbarung verändert oder eingeschränkt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 15.02.2017 – IV ZR 280/15 – VersR 2017, 868; Senat, Urteil vom 18.11.2015 – 5 U 84/13 – zfs 2017, 459, m.w.N.). Der Versicherungsnehmer muss umfassend und transparent über die Sach- und Rechtslage aufgeklärt werden einschließlich der mit der Vereinbarung verbundenen Nachteile insbesondere in Folge der Verschiebung des Zeitpunktes der Erstprüfung mit ihren beweisrechtlichen Konsequenzen sowie den damit möglicherweise eintretenden Verlust des dreimonatigen Nachleistungsanspruchs (BGH, Beschluss vom 15.02.2017 – IV ZR 280/15 – VersR 2017, 868; KG, Urteil vom 30.06.2017 – 6 U 33/15 – juris: Aufklärung auch über in Betracht kommende Alternativen).
(c)
Gemessen daran war die vorliegende Vereinbarung unwirksam.
Der knappe und pauschale Hinweis in der von der Beklagten vorformulierten Vereinbarung, wonach der Kläger „darüber informiert“ sei, dass der Nachweis des Vorliegens bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit „bereits zum geltend gemachten Zeitpunkt nach Ablauf dieser Vereinbarung möglicherweise erschwert sein könnte“, genügte den oben dargelegten strengen Aufklärungsanforderungen nicht. Hinzu kommt, dass das Angebot der Beklagten dem Kläger den Blick für die ihm durchaus günstige Vertragssituation verstellte. Eine außervertragliche Leistungsvereinbarung kann das Verfahren – auch im Interesse des Versicherungsnehmers an schnell einsetzenden Zahlungen – beschleunigen und vereinfachen, indem darauf verzichtet wird, eine umfassende Grundlage für eine ärztliche Prognoseentscheidung zu schaffen. Das kann hier nicht im Vordergrund gestanden haben. Im Vertrag des Klägers wird der Eintritt von Berufsunfähigkeit unwiderleglich vermutet, wenn der Versicherte sechs Monate ununterbrochen zur Ausübung seines zuletzt ausgeübten Berufs außerstande gewesen ist und dieser Zustand fortdauert, und sei es nur einen Tag lang (vgl. Rixecker in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Auflage 2015, § 46, Rdn. 3; Dörner in: MünchKommVVG, 2. Auflage 2017, § 172 Rdn. 123). Dieser Zeitraum wäre im November 2008, mithin nur zwei Monate nach dem Kulanzangebot der Beklagten, abgelaufen gewesen. Die möglicherweise aufwändige und schwierige ärztliche Prognose eines Dauerzustands hätte danach nicht mehr angestellt werden müssen.
(d)
Die Rechtsfolgen einer unzulässigen außervertraglichen Vereinbarung sind differenziert zu beurteilen. Steht fest, dass der Versicherer eigentlich hätte anerkennen müssen, wird das Anerkenntnis fingiert. War hingegen die Berufsunfähigkeit noch ungeklärt, so muss weiter nach den Regeln der Erstprüfung aufgeklärt werden, wobei dem Versicherungsnehmer gewisse Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugutekommen können (vgl. im Einzelnen Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Kap. 11, Rdn. 7-10). Unabhängig davon gilt für alle denkbaren Konstellationen, dass der Versicherer aus der unzulässigen Vereinbarung keinen Vorteil ziehen darf. So ist anerkannt, dass er sich bei einer später wieder aufgenommenen Leistungsprüfung nicht darauf berufen kann, nunmehr sei auf die Gesundheitsverhältnisse des Versicherungsnehmers im Zeitpunkt des neuen Antrags abzustellen (Senat, Urteil vom 30.11.2011 – 5 U 123/09 – juris; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Kap. 11, Rdn. 9). Für die Frage, ob die spätere Leistungsprüfung am ursprünglichen oder an einem zwischenzeitlich aufgenommenen, anderen Beruf auszurichten ist, kann nichts Anderes gelten.
(e)
Für den Streitfall bedeutet das:
Die Beklagte muss sich nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als hätte es zwischen dem Abschluss der Kulanzvereinbarung und dem letztlich erfolgten Anerkenntnis keine Berufswechsel gegeben. Weitere Konsequenz ist, dass sie im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens im Jahr 2015 hätte klären, entscheiden und begründen müssen, dass und warum der Kläger gerade diesen Beruf wieder ausüben könne.
c.
Die Nachprüfungsentscheidung der Beklagten vom 22.09.2015 stand mit diesen Anforderungen nicht in Einklang. Sie attestierte, der Kläger sei nun wieder in der Lage, seine 2012 ausgeübte Tätigkeit als Berater des Präsidiums der laotischen Handelskammer wieder aufzunehmen. War aber die Einstellungsmitteilung schon an einem falschen Beurteilungsmaßstab ausgerichtet, so ging ihre Begründung gleichsam ins Leere. Dem Kläger als versicherungsvertragsrechtlichem Laien waren die komplizierten rechtlichen Zusammenhänge zu Leistungsprüfung, Anerkenntnis, Nachprüfung und zu den Rechtsfolgen unzulässiger Kulanzvereinbarungen naturgemäß nicht geläufig, so dass er den Fehler nicht leicht erkennen konnte. Da das Anforderungsniveau der Managertätigkeit bei der Weltbank aus seiner Sicht – insoweit unwidersprochen – signifikant höher war als dasjenige der beratenden und repräsentierenden Tätigkeit für die Handelskammer Laos, bestand zudem die Gefahr, dass er zu einer unzutreffenden Beurteilung der Erfolgschancen einer Klage gelangen konnte. Ein relevanter Wegfall von Leistungsbeeinträchtigungen wäre im „einfacheren“ Beruf nämlich eher anzunehmen.
Angesichts des mit dem falschen Beurteilungsmaßstab verbundenen Plausibilitätsdefizit erfüllte die Einstellungsmitteilung ihren Zweck, nachvollziehbare Informationen zur Abschätzung des Prozessrisikos zu liefern, nicht. Das begründet ihre formale Unwirksamkeit (in diesem Sinne OLG Nürnberg, Urteil vom 30.11.2015 – 8 U 697/14 – juris: der Versicherer hatte die Nachprüfung rechtsfehlerhaft an einer bei Eintritt des Versicherungsfalls nur vorübergehend ausgeübten Teilzeittätigkeit ausgerichtet).
d.
Die Argumentation der Beklagten, mit der sie die Formwirksamkeit der an den im Jahr 2012 als geübten Beruf anknüpfenden Einstellungsentscheidung verteidigt, überzeugt nicht.
(1)
Aus den Urteilen des Senats vom 25.02.2015 (5 U 31/14) und vom 07.04.2017(5 U 32/14) kann die Beklagte entgegen ihrer Einschätzung zu ihren Gunsten nichts herleiten. Zwar trifft es zu, dass auch der Senat die formelle Wirksamkeit einer Einstellungsmitteilung nicht davon abhängig macht, dass sie sachlich gerechtfertigt ist, sondern nur eine für den Versicherungsnehmer nachvollziehbare Begründung enthält. Im vorliegenden Fall geht es aber gerade um die Frage, ob zu einer in diesem Sinne nachvollziehbaren Begründung das Anknüpfen an den richtigen Beruf gehört. In Übereinstimmung mit dem oben zitierten Urteil des OLG Nürnberg vom 30.11.2015 (8 U 697/14, nachgehend BGH, Beschluss vom 21.12.2016 – IV ZR 553/15 – Zurückweisung der NZB) bejaht der Senat diese Frage.
(2)
Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger müsse sich daran festhalten lassen, dass er selbst in seinem zweiten Leistungsantrag vom 22.05.2012 den Beruf als Berater für die Handelskammer Laos angegeben und dass er in Bezug auf die posttraumatische Belastungsstörung von einem „Rückfall im April 2012“ gesprochen hatte.
Der Senat sieht das anders.
Er verkennt nicht, dass von den Vertragspartnern im Nachprüfungsverfahren – wie auch sonst bei der Berufsunfähigkeitsversicherung – ein lauteres und vertrauensvolles Zusammenwirken zu erwarten ist und dass insbesondere Form- und Verfahrensregeln eine sachgerechte Entscheidung nicht verhindern, sondern ihr zur Durchsetzung verhelfen sollen (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Kapitel 14, Rdn. 113). Dem wird die hier vertretene Auffassung aber gerecht. Anders als die Beklagte meint, war es nicht der Kläger, der sie gewissermaßen „auf die falsche Fährte“ gebracht hätte. Das Gegenteil ist richtig. Die Angabe im „Fragebogen zur Berufsunfähigkeit“, die Handelskammer Laos sei seine Arbeitgeberin, beruhte darauf, dass die Beklagte ausdrücklich die des „letzten/jetzigen Arbeitgebers“ erbat. Auch der Hinweis der Beklagten auf die Erwähnung eines „Rückfalls“ in die posttraumatische Belastungsstörung durch ein Erdbeben in Phuket 2012 greift zu kurz. Dies schon deshalb, weil der Kläger im selben Zusammenhang als Zeitpunkt des Beginns der Erkrankung „PTSD, Depressionen“ nicht den April 2012 nannte, sondern den 12.05.2008. Unabhängig davon wusste die Beklagte schon infolge des ersten Leistungsantrags aus dem Jahr 2008, was es mit dem vom Kläger im Fragebogen angegebenen Datum 12.05.2008 auf sich hatte. Dem von ihr nach dem zweiten Leistungsantrag eingeholten Gutachten des Dr. F. vom 26.11.2012 (Anlage K4) konnte sie entnehmen, dass der Kläger sich nach diesem Datum krankheitsbedingt als beruflich gescheitert betrachtete. So schilderte er dem Gutachter das Erdbeben 2008 als „einschneidendes Ereignis“, nach dem sich sein Leben „völlig geändert“ habe, alles „schief gegangen“ und er in jedem angegangenen Job gescheitert sei; er sei auch in Bangladesh Ende 2010 arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen und habe auch bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Frankfurt/Oder (seit Januar 2011) nichts zustande gebracht siehe Beschwerdenschilderung Seiten 3-19, 26 des Gutachtens Anlage K4). Dr. F. stellte fest, der Kläger sei vom Psychologen Dr. B. W. bereits 2008 zutreffend als berufsunfähig eingeschätzt worden (Seiten 47,49 des Gutachtens Anlage K4). Es lasse sich „noch heute die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung“ bestätigen, die psychiatrischen Symptome seien Ausdruck eines seelischen Strukturproblems und inzwischen deutlich chronifiziert (Seite 52 des Gutachtens Anlage K4).
Dass die Beklagte die Vergleichsbetrachtung ihrer Einstellungsentscheidung trotz all dieser Informationen auf eine erst 2012 als Berater der Handelskammer Laos eingetretene Berufsunfähigkeit bezog, ist Folge ihrer eigenen Fehleinschätzung, deren Grundlage – ohne vorwerfbares Zutun des Klägers – mit der unzulässigen außervertraglichen Vereinbarung im Jahr 2008 gelegt worden war.
(3)
Soweit die Beklagte darauf aufmerksam macht, dass die nach 2008 erfolgten Berufswechsel einer gewissen psychischen Energie bedurft hätten und daher nicht leidensbedingt gewesen sein könnten, kommt es hierauf, wie oben dargelegt, nicht an. Der Beruf bei der Weltbank ist für die Nachprüfungsentscheidung nicht deshalb maßgeblich geblieben, weil rückblickend sicher festgestellt werden könnte, dass es sich dabei um die letzte in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit handelte, sondern weil die Beklagte sich nach Treu und Glauben behandeln lassen muss, als hätte sie ihr erstes Anerkenntnis auf die tatsächlichen Umstände zum Zeitpunkt des ersten Leistungsantrags bezogen. Hätte sie es schon damals erklärt, wäre es ihre Sache gewesen, im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gegebenenfalls die Möglichkeit einer – nach dem Vertrag nur möglichen – konkreten Verweisung aufzuzeigen. Dass sie diesen Weg nicht beschritt und eine Klärung etwaiger leidensbedingter Berufswechsel unterblieb, kann sich nicht zum Nachteil des Klägers auswirken.
3.
Der Anspruch des Klägers auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen folgt aus den §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. OLG Hamm, VersR 2018, 285).
4.
Die Berufung ist zu einem geringen Teil unbegründet, nämlich insoweit, als der Kläger eine Erhöhung der Rentenbeträge über die ab Mai 2012 monatlich gezahlten 3.373,84 € hinaus verlangt. Ein Anspruch auf Dynamisierung der Renten besteht nach dem Vertrag nämlich nicht.
Die in den Versicherungsvertrag einbezogene Klausel des § 5 Abs. 4 BB Dynamik sieht vor, dass keine Erhöhungen erfolgen, „solange wegen Berufsunfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit Ihre Beitragszahlungspflicht ganz oder teilweise entfällt“. Der in den BB Dynamik verwendete Begriff der „Erhöhungen“ bezieht sich sowohl auf Erhöhungen der Beiträge als auch auf Erhöhungen der Versicherungsleistungen. Dies folgt schon aus der Überschrift der BB Dynamik sowie aus der Überschrift und dem ersten Absatz des § 2 BB Dynamik, wo jeweils zusammengefasst von den Erhöhungen der Beiträge und der Versicherungsleistungen die Rede ist. § 5 Abs. 4 BB Dynamik kann nur so verstanden werden, dass die Dynamisierung im Leistungsfall endet. Die Klausel knüpft an die tatbestandliche Voraussetzung des Entfallens der Beitragszahlungspflicht die Rechtsfolge, dass in dieser Zeit keine Erhöhungen erfolgen. Der Wegfall der Beitragszahlungspflicht wiederum ist gemäß § 1 Abs. 1 a) BBUZ ein Teil der in der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geschuldeten Versicherungsleistungen, die ihrerseits den Versicherungsfall – hier nach § 1 Abs. 1 BBUZ eine mindestens 50-prozentige Berufsunfähigkeit – voraussetzen. Der durchschnittliche verständige Versicherungsnehmer interpretiert diese Regelungen nach Formulierung und Sinnzusammenhang dahin, dass nur so lange dynamisiert wird, bis der Versicherungsfall eintritt und der Rentenbezug einsetzt. Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klausel bestehen nicht (vgl. Senat, Urteil vom 25.11.2009 – 5 U 116/09 – VersR 2010, 519).
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt – der erstinstanzlichen Wertfestsetzung im Urteil vom 26.02.2019 entsprechend – 123.376,63 €.