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Unfallversicherung – Feststellungsklage nach Ablauf der Erstbemessungsfrist für Invalidität

Das Oberlandesgericht Frankfurt wies die Berufung eines Klägers zurück, der nach einem Unfall Invaliditätsleistungen von seiner Unfallversicherung einforderte. Die Berufung scheiterte, da der Kläger die Fristen für die Geltendmachung und ärztliche Feststellung der Invalidität nicht einhielt. Zudem wurde ein Anspruch auf psychische Folgen, die durch den Unfall bedingt waren, abgelehnt, da keine hirnorganische Schädigung vorlag und die Fristen für die Geltendmachung nicht eingehalten wurden.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 7 U 88/21  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung zurückgewiesen: Das OLG Frankfurt bestätigte das Urteil der Vorinstanz und wies die Berufung des Klägers zurück.
  2. Nicht-Einhaltung der Fristen: Der Kläger versäumte die festgelegten Fristen für die ärztliche Feststellung und Geltendmachung der Invalidität.
  3. Invaliditätsleistungen: Es ging um Ansprüche aus einer Unfallversicherung für Invaliditätsleistungen nach einem Unfall.
  4. Ablehnung psychischer Folgen: Ansprüche aufgrund psychischer Beeinträchtigungen wurden abgelehnt, da keine unfallbedingte hirnorganische Schädigung vorlag.
  5. Fehlende Feststellung innerhalb der Frist: Die psychischen Folgen des Unfalls wurden nicht fristgerecht ärztlich festgestellt und geltend gemacht.
  6. Vertragliche Fristen entscheidend: Die Einhaltung der vertraglichen Fristen war für den Anspruch auf Invaliditätsleistungen ausschlaggebend.
  7. Schleimbeutelentzündung nicht als Unfallfolge anerkannt: Die von dem Kläger erlittene Schleimbeutelentzündung wurde nicht als direkte Unfallfolge anerkannt.
  8. Keine Neubemessung der Invalidität: Eine Neubemessung der Invalidität war ohne vorherige positive Regulierungsentscheidung und Erstbemessung nicht möglich.

Verstrickungen der Unfallversicherung: Ungenutzte Fristen und ihre Konsequenzen

Die Unfallversicherung stellt einen wichtigen Pfeiler des privaten Versicherungsschutzes dar und hat die Aufgabe, finanzielle Nachteile, die durch einen Unfall entstehen können, abzumildern. Doch was passiert, wenn man als Betroffener versäumt, innerhalb festgelegter Fristen seine Invaliditätsansprüche geltend zu machen?

Dieses Thema bringt viele subtile Feinheiten und Fallstricke des Versicherungsrechts ans Tageslicht. Es verdeutlicht, warum es so entscheidend ist, auf die Erstbemessungsfrist zu achten, und wie Gerichte mit Fällen umgehen, in denen diese Frist überschritten wird.

Diesen und weiteren Fragen widmet sich der vorliegende Artikel, der Ihnen einen tieferen Einblick in ein besonders spannendes Thema des Versicherungsrechts ermöglicht. Begleiten Sie uns auf einer faszinierenden Reise durch die Welt der Feststellungsklage und lernen Sie mehr über die Konsequenzen von versäumten Fristen in der Unfallversicherung. Tauchen Sie ein in das Fachgebiet und werden Sie Zeuge eines spannenden Urteils, das das Potential hat, Ihre Sichtweise auf die Materie nachhaltig zu prägen.

Der Streit um Invaliditätsleistungen in der Unfallversicherung

In einem bemerkenswerten Fall, der kürzlich vom Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt entschieden wurde, ging es um einen Kläger, der nach einem Unfall Invaliditätsleistungen von seiner Unfallversicherung forderte. Der Kläger stieß seinen rechten Ellenbogen an einen Heizkörper, was eine großflächige Infektion des betroffenen Arms und psychische Dauerfolgen zur Folge hatte. Diese umfassten eine posttraumatische Belastungsstörung und eine mittelgradige Depression. Er verlangte von der Versicherung die Anerkennung seiner Invalidität und die entsprechende Leistung.

Komplexe Fristen und Bedingungen der Unfallversicherung

Die Kernproblematik des Falles lag in den detaillierten Regelungen der Unfallversicherung. Laut den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) muss Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eintreten und innerhalb von 15 Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht werden. Der Kläger hatte zwar einen ärztlichen Bericht vorgelegt, jedoch wies die Versicherung darauf hin, dass dieser zur Feststellung der Invalidität nicht ausreiche. Ferner wurde der Anspruch auf Leistungen für psychische Folgen abgelehnt, da laut der Versicherungsbedingungen krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind.

Die Rolle des Landgerichts und die darauffolgende Berufung

Das Landgericht Frankfurt hatte in erster Instanz die Klage hinsichtlich der Feststellungsanträge als unzulässig und den Hilfsleistungsantrag teilweise als unbegründet abgewiesen. Der Kläger legte gegen dieses Urteil Berufung ein, wobei er argumentierte, dass die Feststellungsanträge nicht als unzulässig hätten abgewiesen werden dürfen. Seiner Meinung nach lagen die Voraussetzungen für den vertraglichen Neubemessungsanspruch bei Klageerhebung vor, was das OLG jedoch anders sah.

Entscheidung des OLG Frankfurt: Berufung zurückgewiesen

Das OLG Frankfurt bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Berufung des Klägers zurück. Es begründete seine Entscheidung damit, dass keine Rechtsverletzung vorlag und die zugrunde gelegten Tatsachen keine andere Entscheidung rechtfertigten. Insbesondere wurde festgestellt, dass der Kläger die festgelegten Fristen für die Geltendmachung seiner Ansprüche nicht eingehalten hatte. Zudem wurde der Ausschluss der Versicherungsleistung für psychische Folgen bestätigt, da keine hirnorganische Schädigung als Unfallfolge vorlag.

In diesem umfangreichen Urteil zeigt sich die Bedeutung der genauen Kenntnis und Einhaltung von Versicherungsbedingungen und -fristen. Für Versicherungsnehmer ist es daher essentiell, sich über die spezifischen Regelungen und Anforderungen ihrer Policen im Klaren zu sein, um im Schadensfall nicht unerwartet Leistungen zu verlieren. Dieser Fall verdeutlicht auch die Komplexität rechtlicher Auseinandersetzungen im Versicherungsrecht und die Notwendigkeit einer fachkundigen juristischen Unterstützung.

Mit dem vorliegenden Urteil wird erneut die Wichtigkeit klarer vertraglicher Regelungen und der präzisen Kommunikation zwischen Versicherungsnehmern und -gebern unterstrichen. Es unterstreicht auch die Notwendigkeit für Versicherungsnehmer, sich über ihre Rechte und Pflichten im Klaren zu sein und diese bei der Geltendmachung von Ansprüchen zu berücksichtigen.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Was ist eine Feststellungsklage und in welchen Fällen wird sie im Versicherungsrecht angewendet?

Eine Feststellungsklage ist eine Klageart des deutschen Rechts, die dazu dient, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses feststellen zu lassen, beispielsweise eines Vertrags. Sie kann in verschiedenen Rechtsbereichen angewendet werden, einschließlich des Versicherungsrechts.

Im Versicherungsrecht kann eine Feststellungsklage beispielsweise dann angewendet werden, wenn der Grund und die Höhe des Versicherungsanspruchs strittig sind. In diesem Fall kann sich der Versicherungsnehmer mit einer Feststellungsklage an das Gericht wenden, um die Einstandspflicht des Versicherers feststellen zu lassen. Ein weiteres Beispiel ist der Fall, in dem der Fortbestand einer Unfallversicherung strittig ist. Hier kann eine Feststellungsklage dazu dienen, den Fortbestand der Unfallversicherung gerichtlich feststellen zu lassen.

Es ist jedoch zu beachten, dass eine Feststellungsklage nur zulässig ist, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat. Dieses Interesse kann sich aus wirtschaftlichen oder ideellen Gründen ergeben. Zudem ist die Feststellungsklage subsidiär, das heißt, sie ist nur zulässig, wenn das Klageziel nicht mithilfe einer Leistungs- oder Gestaltungsklage erreicht werden kann.

In einigen Fällen kann eine Feststellungsklage auch dann zulässig sein, wenn eine Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist. In solchen Fällen kann der Kläger in vollem Umfang die Feststellung der Ersatzpflicht begehren.

Welche Rolle spielt die Erstbemessungsfrist in der Unfallversicherung und welche Auswirkungen hat das Überschreiten dieser Frist?

Die Erstbemessungsfrist in der Unfallversicherung ist ein wichtiger Zeitraum, der die Grundlage für die Bewertung der Invalidität nach einem Unfall bildet. Diese Frist beginnt mit dem Unfall und dauert in der Regel 18 Monate. Innerhalb dieser Frist muss die Invalidität eingetreten und von einem Arzt schriftlich festgestellt worden sein.

Die Erstbemessungsfrist spielt eine entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Leistungen, die der Versicherungsnehmer erhält. Wenn die Frist überschritten wird, kann dies Auswirkungen auf die Höhe der Leistungen haben. Es ist wichtig zu beachten, dass die Fristen strikt eingehalten werden müssen, um Anspruch auf die vollen Leistungen zu haben.

Wenn die Erstbemessungsfrist überschritten wird, kann dies dazu führen, dass der Versicherungsnehmer weniger Leistungen erhält oder seine Ansprüche ganz verliert. In einigen Fällen kann der Versicherer die Leistungen auch zurückfordern, wenn er der Ansicht ist, dass die Invalidität zu hoch bewertet wurde.

Es ist daher entscheidend, dass der Versicherungsnehmer seine Ansprüche innerhalb der Erstbemessungsfrist geltend macht und alle notwendigen medizinischen Unterlagen vorlegt. Nur so kann sichergestellt werden, dass er die vollen Leistungen erhält, auf die er Anspruch hat.


Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 7 U 88/21 – Urteil vom 13.07.2022

Die Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin der 23. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.05.2021, Az. 2-23 O 237/19, wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das angefochtene Urteil und das Berufungsurteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 115% des aufgrund des Urteils insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung, dass diese ihm gegenüber zur Erbringung der bedingungsgemäßen Invaliditätsleistung aus einer privaten Unfallversicherung verpflichtet sei, hilfsweise Zahlung derselben sowie die Feststellung der weiteren Einstandspflicht.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung mit einer Invaliditätsgrundsumme von 25.000 € bei vereinbarter 1000% Progression und einer Höchstsumme von 250.000 €. Die Voraussetzungen für die Invaliditätsleistung sind in Ziff. 2.1.1 der zugrundeliegenden AUB 2008 der Beklagten geregelt; danach muss die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sein und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und bei der Beklagten geltend gemacht werden. Gemäß Ziff. 5.2.6 AUB 2008 sind „krankhafte Störungen in Folge psychischer Reaktionen, auch wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“ vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

Das Unfallereignis, ein behaupteter Anstoß des rechten Ellenbogens an einen Heizkörper am XX.XX.2018, die Unfallbedingtheit einer nachfolgenden großflächigen Infektion des betroffenen Armes und die daraus resultierenden Dauerfolgen im Arm waren in erster Instanz streitig. Wegen der Einzelheiten wird diesbezüglich auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Der Kläger nahm die auf den Unfall vom XX.XX.2018 bezogene Schadenmeldung am 17.07.2018 telefonisch vor. Die Beklagte wies mit Schreiben vom gleichen Tag auf die vertraglichen Invaliditäts-, Feststellungs- und Geltendmachungsfristen hin. Der Kläger habe keine Ansprüche mehr, wenn diese Fristen verstrichen seien. Zugleich übersandte sie ein Schadenanzeigeformular. Der Kläger sandte die ausgefüllte Unfall-Schadenanzeige mit Datum 18.08.2018 unterschrieben zurück. Mit weiterem Schreiben vom 26.07.2018, dessen Zugang der Kläger bestritten hat, erneuerte die Beklagte den Hinweis auf die vertraglichen Fristen. Per E-Mail vom 08.05.2019 übersandte der Kläger einen Therapiebericht. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 16.05.2019 darauf hin, dass dieser Bericht zur Feststellung einer unfallbedingten Invalidität nicht ausreichend sei, und übersandte dem Kläger ein Formular zur Feststellung einer eventuellen Invalidität mit der Bitte, dieses fachärztlich ausgefüllt zurückzusenden. In dem von der Beklagten formularmäßig vorgegebenen „Ärztlichen Erstbericht“ vom 07.06.2019, der der Beklagten am 13.06.2019 ausgefüllt wieder zuging, versah der behandelnde Hausarzt die Frage nach Dauerfolgen mit einem Fragezeichen. Handschriftlich ist auf dem Formular vermerkt: „Die Beschwerden sind überlagert durch eine posttraumm. Belastungsstörung und mittelgr. Depression. Insbesondere das Schmerzempfinden kann nur eingeschränkt beurteilt werden“.

Mit Schreiben vom 01.07.2019 lehnte die Beklagte ihre Leistungspflicht ab, da die Schleimbeutelentzündung nicht als Unfallfolge, sondern als Erkrankung anzusehen sei. Mit Anwaltsschriftsatz vom 12.08.2019 ließ der Kläger die Beklagte zur erneuten Prüfung der Einstandspflicht auffordern, da der Anstoß an den Heizkörper Ursache der Entzündung gewesen sei. Der Kläger hat die Klageschrift am 10.12.2019 anhängig gemacht. Hinsichtlich der darin geltend gemachten psychischen Beschwerden wird dem Kläger in einem im Lauf des Rechtsstreits vorgelegten fachärztlichen Attest vom 21.02.2020 eine chronifizierte depressive Störung mittelgradiger Stärke (F. 32.1) bescheinigt.

Der Kläger hat vorgetragen, bei ihm sei durch den Unfall zusätzlich zu der Armverletzung eine dauerhafte krankhafte Veränderung der Psyche in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung bzw. rezidivierenden depressiven Störung eingetreten. Der Ausschluss für psychische Beeinträchtigungen greife nicht, weil der Unfall zu organischen Veränderungen geführt habe, welche die psychische Erkrankung zur Folge gehabt hätten. Die psychische Dauerfolge sei auch fristgerecht aufgetreten und festgestellt, da im am 08.05.2019 übersandten Therapiebericht Schlafprobleme geschildert würden. Er schätze seinen Invaliditätsgrad auf 50%.

Die Beklagte hat vorgetragen, eine Leistung wegen psychischer Folgen sei ausgeschlossen, da keine unfallbedingt hirnorganische Schädigung vorliege. Die Störung sei weder binnen Jahresfrist eingetreten noch zureichend festgestellt.

Wegen des weiteren Parteivorbringens erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Mit dem angefochtenen Urteil vom 14.05.2021, das dem Kläger am 21.05.2021 zugestellt worden ist, hat das Landgericht die Beklagte wegen der festgestellten Dauerfolgen am Arm verurteilt, an den Kläger 12.500,- € nebst Zinsen und Kosten zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage hinsichtlich der Feststellungsanträge als unzulässig und hinsichtlich des Hilfsleistungsantrags als teilweise unbegründet abgewiesen. Zur Begründung des Prozessurteils hat es ausgeführt, dass der Kläger kein Interesse an der begehrten Feststellung habe, weil er die Beklagte auf Leistung hätte in Anspruch nehmen können. Die Klage sei nicht innerhalb der Erstbemessungsfrist anhängig geworden. Der Leistungsantrag sei teilweise unbegründet, denn hinsichtlich der behaupteten Depression greife Ziff. 5.2.6 AUB. Soweit sich der Kläger darauf berufe, dass das Unfallereignis zu organischen Veränderungen geführt habe und diese eine krankhafte Veränderung der Psyche zur Folge gehabt hätten, ändere dies nichts. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit durch das Anstoßen des Ellenbogens an der Heizung eine hirnorganische Veränderung verursacht sein könnte. Eine psychische Beeinträchtigung aufgrund sonstiger Gesundheitsbeeinträchtigungen genüge nicht. Die psychischen Folgen seien auch nicht fristgerecht festgestellt und geltend gemacht worden (wird ausgeführt).

Hiergegen richtet sich die am 14.06.2021 eingelegte und mittels eines am 14.07.2021 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatzes begründete Berufung des Klägers. Der Kläger trägt zur Begründung vor, das Landgericht habe die Feststellungsanträge nicht als unzulässig abweisen dürfen und nimmt zur Begründung u.a. Bezug auf eine Entscheidung des Senats (OLG Frankfurt, Urt. v. 03.12.1997 – 7 U 18/98, BeckRS 1997, 15809).

Der Ausschluss nach Ziff. 5.2.6 AUB 2008 erfasse nur Gesundheitsschäden, bei denen es – anders als bei dem Kläger, der an die Heizung gestoßen sei – an jedwedem körperlichen Trauma fehle oder die auf einer unfallbedingten Fehlverarbeitung beruhten. Eine Fehlverarbeitung liege jedoch nicht vor, da die psychischen Beschwerden in Anbetracht der Schwere der erlittenen körperlichen Beeinträchtigungen medizinisch nachvollziehbar seien (Bezugnahme auf OLG Oldenburg, Urteil vom 17. 11. 2010 – 5 U 108/09, r+s 2011, 262). Die rechtzeitige Feststellung ergebe sich zudem aus dem „ärztlichen Erstbericht“. Ferner seien die erforderlichen Belehrungen nach § 186 VVG unzureichend (wird ausgeführt).

Der Kläger beantragt,

1. auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 14.05.2021 abgeändert.

a) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom XX.XX.2018 Versicherungsschutz aus dem Unfallversicherungsvertrag mit der Versicherungsscheinnummer … zu gewähren und die geschuldeten Invaliditätsleistungen zu erbringen.

b) Die Beklagte wird verurteilt, an die X AG zur dortigen Leistungsnummer … 1.590,91 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.07.2019 zu bezahlen.

Hilfsweise:

2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 14.05.2021 abgeändert.

a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von insgesamt 37.500 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.07.2019 zu zahlen.

b) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aufgrund des Unfallereignisses vom XX.XX.2018 über den mit vorstehendem Antrag zu 2 a) geltend gemachten Betrag hinaus eine weitere Invaliditätsleistung nach Maßgabe des festgestellten Invaliditätsgrades zu bezahlen.

c) Die Beklagte wird verurteilt, an die X AG zur dortigen Leistungsnummer … 1.590,91 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.07.19 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Es liegt kein Berufungsgrund im Sinne von § 513 ZPO vor, da die Entscheidung des Landgerichts weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht noch die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung in der Sache rechtfertigen.

Das Landgericht hat den auf Feststellung der Pflicht zur Erbringung der Invaliditätsleistung gerichteten Hauptantrag zu Recht als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung wird zunächst Bezug auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass die Zulässigkeit des Hauptantrages vorliegend nicht bereits mit der Begründung bejaht werden kann, dass zu erwarten sei, dass die Beklagte schon auf die Feststellungsklage hin leisten werde, weil die Beklagte ausdrücklich die Zulässigkeit der Feststellungsklage in Abrede stellt und die Ansprüche der Höhe nach bestreitet (vgl. BGH, Urt. v. 13.4.2022 – IV ZR 60/20, r+s 2022, 328 Rn. 16; Jacob, Unfallversicherung, 3. Aufl. 2022, Ziff. 2 Rn. 176d).

Die Zulässigkeit folgt auch nicht daraus, dass es einem Versicherungsnehmer nicht zumutbar wäre, auf eigene Kosten ein vorgerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen, um den Invaliditätsgrad zuverlässig zu bestimmen (a.A. OLG Koblenz, Urt. v. 25.04.2018 – 10 U 33/16, BeckRS 2018, 40281 Rn. 28). Dem Kosteninteresse des Versicherungsnehmers kann beim Anfall von Gutachterkosten zur Vorbereitung einer Klage bereits durch die Regelungen des Schadensersatzrechts bzw. durch die Möglichkeit einer Kostenfestsetzung Rechnung getragen werden (vgl. hierzu Jacob, Unfallversicherung, 3. Aufl. 2022, Ziff. 9 Rn. 68). Eine falsche Bezifferung ist Teil des Prozessrisikos des Versicherungsnehmers (vgl. Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl. 2014, Rn. 30). Ein Rechtsanspruch auf Durchführung der Bemessung des Invaliditätsgrades ist in den AUB nicht vorgesehen. Ein eigenes Sachverständigenverfahren sehen die Bedingungen nicht vor (vgl. zu diesem Aspekt BGH Urteil vom 13.4.2022 – IV ZR 60/20, NJW-RR 2022, 682 Rn. 17).

Die erhobene Feststellungsklage ist auch nicht aus anderen Gründen zulässig. Zwar hat der Senat früher vertreten, dass sich der Versicherungsnehmer bei Erhebung der Klage noch nicht auf einen bestimmten Invaliditätsgrad festzulegen braucht, wenn ihm – wie vorliegend in Ziff. 9.4 AUB 2008 – das Recht eingeräumt war, den Grad seiner Invalidität bis zu drei Jahren nach Eintritt des Unfalls, d.h. bis zum XX.XX.2021 nach dem bis zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Dauerzustand ärztlich bemessen zu lassen (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 03.12.1997 – 7 U 18/98, BeckRS 1997, 15809 Rn. 13). Dies kann jedoch nur gelten, wenn die Voraussetzungen für den vertraglichen Neubemessungsanspruch bei Klageerhebung auch vorliegen. Das setzt nach der zwischenzeitlichen Klärung der Rechtslage durch den Bundesgerichtshof aber eine positive Regulierungsentscheidung des Versicherers voraus (vgl. Jacob, Unfallversicherung, 3. Aufl. 2022, Ziff. 9 Rn. 70 m.w.N.). Eine Neubemessung der Invalidität kommt erst nach vorangegangener Erstbemessung in Betracht. Die Dreijahresfrist ist auf die Erstbemessung nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.2015 – IV ZR 124/15 VersR 2016, 183, 184; Beschl. v 16.01.2008 – IV ZR 271/06, VersR 2008, 527).

Da die Beklagte den Anspruch nicht dem Grunde nach anerkannt, sondern abgelehnt hat, fehlt es vorliegend an einer Erstbemessung und der Neubemessungsanspruch ist ausgeschlossen. Im Streit um die Erstbemessung kommt eine Feststellungsklage bei Streit zu Grund und Höhe des Anspruchs nur dann in Betracht, wenn die Klage innerhalb der vereinbarten Invaliditätseintrittsfrist erhoben worden wäre, da diese für die Erstbemessung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.2015 – IV ZR 124/15 VersR 2016, 18). Diese bis zum 09.05.2019 laufende Jahresfrist nach Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 war bei Klageerhebung im Dezember 2019 bereits verstrichen.

Weitere Gründe, die gegen die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Leistungsklage sprächen, sind nicht ersichtlich, zumal es dem Kläger vorliegend möglich war, einen bezifferten Leistungsantrag zu formulieren, sodass der Regelfall der Unzulässigkeit des Feststellungsantrags vorliegt (vgl. Kloth/Piontek, r+s 2022, 181, 197).

Das Landgericht hat auch den hilfsweise neben dem Hilfsleistungsantrag erhobenen Feststellungsantrag zutreffend als unzulässig abgewiesen. Da der Kläger seinen Leistungsantrag mit einem bestimmten Invaliditätsgrad begründet, besteht für eine solche weitergehende Feststellung kein Raum mehr (vgl. OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 3.4.2019 – 7 U 81/18, BeckRS 2019, 12812; Jacob, Unfallversicherung, 3. Aufl. 2022, Ziff. 2.1 Rn. 176e).

Die hilfsweise erhobene Leistungsklage ist zwar zulässig, aber unbegründet, soweit sie über den in erster Instanz zugesprochenen Betrag hinaus auf Zahlung weiterer 25.000 € gerichtet ist. Eine höhere Invaliditätsleistung als die zuerkannten 12.500 € aufgrund der psychischen Beschwerden steht dem Kläger nicht zu, da insoweit der Leistungsausschluss nach Ziff. 5.2.6 AUB 2008 greift.

Der Kläger behauptet nicht, dass der Anstoß an den Heizkörper selbst oder die daraus resultierenden Entzündungsreaktionen i.S. einer traumatischen Kopfverletzung oder entzündlichen Hirnschädigung unmittelbar zu einer Veränderung von Hirnstrukturen oder des zentralen Nervensystems geführt hätten, welche die psychischen Beschwerden erklären könnten, sondern beruft sich auf eine posttraumatische Belastungsstörung bzw. Depression infolge der Funktionseinschränkungen am Arm. Die mit einer posttraumatischen Belastungsstörung einhergehende Verkleinerung des Hippocampus ist ihrerseits Folge der psychischen Reaktion und hat nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats außer Betracht zu bleiben (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 18.12.2015 – 7 U 195/13, BeckRS 2016, 16679, Rn. 33; NZB zurückgewiesen). Eine (hormonelle) Schreckreaktion mit plötzlicher übermäßiger Ausschüttung von Cortisol ist nicht dargetan (vgl. dazu OLG Dresden, Hinweisbeschl. v. 9. 10. 2019 – 4 U 1627/19, r+s 2020, 591 Rn. 12), vielmehr beschreibt der Kläger einen progredienten depressiven Prozess.

Darauf, ob die psychische Reaktion auf das körperliche Geschehen medizinisch nachvollziehbar ist, kommt es, anders als der Kläger meint, nicht an. Vom Ausschlusstatbestand nach Ziff. 5.2.6 AUB 2008 werden nicht nur „Fehlverarbeitungen“ erfasst. Wie der Senat bereits zu der inhaltsgleichen Vorgängerklausel § 2 Abs. 4 AUB 88 entschieden hat, besteht schon dann kein Versicherungsschutz, wenn die Störung des Körpers nur mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden kann, also rein psychisch-reaktiver Natur ist, was bei einer posttraumatischen Belastungsstörung der Fall ist (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 18.12.2015 – 7 U 195/13, BeckRS 2016, 16679, Rn. 35, 38; ebenso OLG Hamm, Urteil vom 12. Juni 2017 – I-6 U 139/15 -, juris Rn. 52). Mit dem Ausschluss von krankhaften Störungen infolge von psychischen Reaktionen knüpft die bedingungsgemäße Entschädigung von Unfallschäden an objektiv erfassbare Vorgänge an. Dies trägt dem berechtigten Interesse des Versicherers Rechnung, eine zuverlässige Tarifkalkulation vornehmen zu können und zeitnah und mit vertretbarem Kostenaufwand eine Entscheidung über die Entschädigung treffen zu können – was letztlich auch im Interesse des Versicherungsnehmers an einer zügigen Regulierung und günstigen Prämien liegt. Die Einbeziehung von psychogenen Schäden in den Versicherungsschutz, die auch stark von den persönlichen Dispositionen eines Versicherungsnehmers abhängen und bei denen Auslöser praktisch jedwedes Geschehen in der Außenwelt sein kann, würde eine reibungslose, kostengünstige Vertragsabwicklung nicht mehr gewährleisten. Um einigermaßen verlässliche Feststellungen treffen zu können, ob eine krankhafte psychische Reaktion des Versicherungsnehmers vorliegt und ob diese dann auch auf dem Unfall beruht, wären vielmehr regelmäßig langwierige, ggf. stationäre Untersuchungen erforderlich (vgl. aaO. Rn. 36, 37 unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 29.9.2004 – IV ZR 233/03; BGH, Urteil vom 23.6.2004 – IV ZR 130/03 und BGH, Beschluss vom 15.7.2009 – IV ZR 229/06).

Hinzu kommt, dass es mit dem Wortlaut der Klausel kaum vereinbar wäre, auf das Kriterium der „medizinischen Nachvollziehbarkeit“ abzustellen, da dieses im Kern auf eine Ursachenbetrachtung abzielt, die eine Prüfung verlangt, ob der Unfall mehr oder weniger zwangsläufig bzw. regelmäßig und unvermeidbar psychische Beschwerden der aufgetretenen Art hervorrufen konnte. In Ziff. 5.2.6 AUB 2008 sind jedoch psychische Reaktionen auch dann ausgeschlossen, „wenn diese durch einen Unfall verursacht wurden“.

Einer Beweisaufnahme zur Genese der streitgegenständlichen psychischen Beeinträchtigungen bedarf es vorliegend nicht, da nach dem eigenen Vortrag des Klägers lediglich psychogene Veränderungen stattgefunden haben. Leitsymptome oder körpereigene Prozesse, die auf eine körperliche Ursache hindeuten, hat er nicht geschildert. Zwar ist insoweit die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig für einen rein psychischen Prozess, jedoch wäre es Sache des Klägers, bei Vorliegen klassischer psychogen erzeugter Krankheitsbilder Leitsymptome und Diagnosen anzugeben, aus denen sich eine organische Schädigung ergibt. Andernfalls ist die Klage aufgrund des eindeutig eingreifenden Ausschlusstatbestands unschlüssig (vgl. Jacob, Unfallversicherung, 3. Aufl. 2022, S. 312). Die vorliegend lediglich pauschal aufgestellte Behauptung, dass eine „organische Schädigung“ vorliege, genügt nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, § 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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