OLG Celle – Az.: 8 U 111/16 – Urteil vom 06.10.2016
Auf die Berufung des Klägers wird das am 31. Mai 2016 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.579,83 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. September 2015 zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von seinen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 9.579,83 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Berufung des Klägers ist begründet.
Das angefochtene Urteil beruht auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, 1. Alt., § 546 ZPO); die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1, 2. Alt. ZPO).
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte wegen des Unfallschadens seines bei der Beklagten vollkasko-versicherten Pkw gemäß §§ 1 Satz 1, 88 VVG i. V. m. A.2.1.1, A.2.6.1 a), e) AKB 2013 ein Anspruch auf eine weitere Entschädigungszahlung in Höhe von 9.579,83 € zu ( = Wiederbeschaffungswert von 60.000 € brutto abzgl. Restwert von 10.320 € abzgl. 300 € Selbstbeteiligung abzgl. der bereits von der Beklagten geleisteten Zahlung von 39.800,17 €).
a) Die Leistungspflicht der Beklagten dem Grunde nach ist nicht im Streit.
b) Der Kläger kann wegen des Totalschadens eine Schadensregulierung auf der Grundlage eines Wiederbeschaffungswerts von 60.000 € verlangen (A.2.6.1 a), e) AKB 2013).
Unstreitig beläuft sich der Wiederbeschaffungswert auf 60.000 € brutto. Der Kläger hat – wie die Beklagte nach Vorlage einer entsprechenden Bestätigung des Verkäufers nicht mehr bestritten hat – für die Wiederbeschaffung Kosten aufgewendet, die den Brutto-Wiederbeschaffungswert übersteigen (64.500 € netto).
Hat der Versicherungsnehmer bei einem Totalschaden für die Ersatzbeschaffung des Fahrzeugs tatsächlich mindestens Kosten in Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts aufgewendet, kann er gemäß A.2.6.1 a), e) AKB 2013 deren Erstattung bis zur Höhe des Brutto-Wiederbeschaffungswerts verlangen, ohne dass es darauf ankommt, ob und ggf. in welcher Höhe der aufgewendete Betrag Umsatzsteuern enthält. Die Klausel A.2.6.5 AKB 2013 steht dem nicht entgegen. Diese Regelung betrifft aus der Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers lediglich die fiktive Abrechnung.
Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat zu einer nahezu gleichlautenden Klausel (§ 13 AKB 2005) Folgendes ausgeführt (Urteil vom 28. Januar 2009 – 5 U 278/08 Rn. 29 ff.):
„Im Versicherungsrecht ergibt die Auslegung von § 13 AKB nach den oben dargelegten Grundsätzen in diesem Fall mit ausreichender Klarheit, dass der Versicherungsnehmer – ebenso wie im Schadensrecht – den tatsächlich aufgewendeten Betrag bis zur Höhe des Bruttowiederbeschaffungswertes unabhängig davon erhält, ob im Kaufpreis eine Regelumsatzsteuer, eine Differenzsteuer oder keine Umsatzsteuer enthalten ist. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, der nicht über juristischen Kenntnisse zu § 249 Abs. 2 S. 2 BGB verfügt, bezieht nämlich die Regelung in § 13 Abs. 6 AKB auf den Fall der fiktiven Abrechnung, also den Sachverhalt, in dem die Ersatzbeschaffung oder Reparatur – nach einem Sachverständigengutachten, welches eine Umsatzsteuer ausweist – tatsächlich nicht erfolgt. Er kommt nicht auf den Gedanken, dass § 13 Abs. 6 AKB den von der Klägerin herangezogenen Fall überhaupt erfasst, weil beim Privatkauf keine Umsatzsteuer anfällt und eine Differenzierung danach, ob sie anfällt oder nicht, für ihn fernliegend erscheint. Fernliegende Auslegungsvarianten können jedoch regelmäßig nur in Betracht gezogen werden, wenn ausreichende Anhaltspunkte für eine solche Beurteilung der Bestimmungen vorliegen (BGH, Urt. v. 29.05.2008 – III ZR 330/07 – NJW 2008, 2495; BGH, Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 154/04 – NJW 2006, 1056). Solche Anhaltspunkte gibt es nicht. Vielmehr hält sich der durchschnittliche Versicherungsnehmer aus seiner Sicht im Rahmen des Wiederbeschaffungswertes nach § 13 Abs. 1 S. 2 AKB, und wird an keiner Stelle auf eine bestimmte Art der Wiederbeschaffung durch Erwerb einer Ersatzsache vom Händler oder von Privat festgelegt. Auch erkennt der durchschnittliche Versicherungsnehmer nach der Interessenlage der Beteiligten und dem Sinnzusammenhang der Regelungen des § 13 AKB nicht, dass eine Differenzierung bei der Berechnung der Versicherungsleistung – beim nicht vorsteuerabzugsberechtigten Anspruchsinhaber – danach angezeigt wäre, ob bei einer konkreten Ersatzbeschaffung Umsatzsteuer anfällt oder nicht. Wegen dieses eindeutigen Auslegungsergebnisses ist weder für die Anwendung der Unklarheitenregelung nach § 305c Abs. 2 BGB noch für die Annahme eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB Raum.“
Der Senat folgt diesen überzeugenden Ausführungen (so auch Stomper in Halm/ Kreuter/Schwab, AKB, 2. Aufl., A.2.5.4 Rn. 17 f.; Meinecke in Stiefel/Maier, AKB, 18. Aufl., A.2.9 Rdnrn. 4, 5 u. 6). Dass dieses Auslegungsergebnis zutreffend ist, zeigt sich insbesondere in dem Fall, wenn der Versicherungsnehmer ein Ersatzfahrzeug genau zu einem Kaufpreis in Höhe des ermittelten Wiederbeschaffungswertes erwirbt. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird davon ausgehen, dass ihm der aufgewendete Kaufpreis vollständig erstattet wird. Er wird nicht auf den Gedanken kommen, dass ihm seine Kosten dann nicht vollständig erstattet werden, wenn er den Pkw von Privat erworben hat und das Wertgutachten den ermittelten Wiederbeschaffungswert inklusive Umsatzsteuer ausweist. Auch die Berücksichtigung der Interessen des Versicherers führt den Versicherungsnehmer zu keinem anderen Verständnis der maßgeblichen Bestimmungen. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ist nicht ersichtlich, dass es in diesem Fall im Interesse des Versicherers liegen könnte, dass das Ersatzfahrzeug (umsatzsteuerpflichtig) von einem Kfz-Händler erworben wird.
Schließlich spricht auch der Zweck der Kaskoversicherung für diese Auslegung, die im Ergebnis zu einem Gleichlauf mit der schadensrechtlichen Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB führt (s. hierzu: BGH, Urteil vom 1. März 2005 – VI ZR 91/04 –, BGHZ 162, 270 ff.). Mit dem Abschluss einer Fahrzeugkaskoversicherung erstrebt der Versicherungsnehmer in der Regel nicht nur den Schutz vor wirtschaftlich nachteiligen Folgen hinsichtlich des eigenen Fahrzeugschadens bei selbst verschuldeten Unfällen, sondern auch die Befreiung vom Risiko der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen den Unfallgegner bei unklarer Haftungslage (BGH, Urteil vom 11. November 2015 – IV ZR 426/14 –, Rn. 15). Die Praxis zeigt, dass Versicherungsnehmer es in derartigen Fällen vielfach vorziehen, ihren Fahrzeugschaden beim eigenen Kaskoversicherer zu regulieren und diesem die Prüfung eines Regresses beim Unfallgegner zu überlassen (BGH, aaO). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann der Klausel A.2.6.5 AKB, die auch nach ihrem Wortlaut ersichtlich an § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB angelehnt ist, nicht entnehmen, dass der Umfang seines Anspruchs gegen den Versicherer insoweit generell hinter dem zurückbleiben soll, was im Schadensfall von einem haftpflichtigen Unfallgegner verlangt werden kann.
c) Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass die Ersatzbeschaffung erst ca. zwei Jahre nach dem Versicherungsfall erfolgt ist. Eine zeitliche Begrenzung sehen die AKB der Beklagten insoweit nicht vor.
2. Die Freistellung von seinen außergerichtlichen Anwaltskosten kann der Kläger unter dem Gesichtspunkt des Verzugs verlangen. Die Beklagte war durch ihre Ablehnung weiterer Leistungen in Verzug geraten (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB).
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst. Ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 ZPO besteht nicht. Der Senat stimmt hinsichtlich der hier maßgeblichen Rechtsfrage mit der o. g. Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Saarbrücken sowie maßgeblicher Kommentarliteratur überein. Abweichende obergerichtliche Rechtsprechung ist nicht ersichtlich.