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Rückwirkende Herabsetzung des Krankentagegeldes zulässig?

LG Köln – Az.: 23 O 88/19 – Urteil vom 12.02.2020

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.570,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.05.2019 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Berechtigung der Beklagten zur Herabsetzung des versicherten Krankentagegeldes. Der als selbständiger Versicherungsmakler tätige Kläger (geb. am 02.07.1951) unterhält bei der Beklagten eine Krankentagegeldversicherung, die jedenfalls seit dem Jahr 2010 in den Tarifen SG 3 57 und SG 7 67 geführt wird. Danach war im Falle der bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit ein kalendertägliches Krankentagegeld in Höhe von 57,00 EUR ab dem 15. Tag sowie von weiteren 67,00 EUR ab dem 43. Tag vereinbart. Dem Vertrag lagen als allgemeine Versicherungsbedingungen zunächst die MB/KT 2009 sowie die Tarifbedingungen der Beklagten (Anlage K2, Bl. 6 ff. d.A.) zugrunde. Die spätere Einbeziehung der AVB mit Stand 01.01.2017 (Anlage BLD 1, Bl. 37 ff. d.A.) steht zwischen den Parteien im Einzelnen in Streit.

Nachdem die zunächst vereinbarte Klausel zur Herabsetzung des Krankentagegeldes in § 4 Abs. 4 MB/KT durch Urteil des Bundesgerichtshofes vom 06.07.2016 (Az.: IV ZR 44/15) für unwirksam erklärt wurde, nahm die Beklagte eine Bedingungsanpassung gemäß §§ 203 Abs. 4, 164 VVG vor, worüber sie ihre Versicherungsnehmer mit „im Sommer 2017“ datierenden Anschreiben nebst weiterer Unterlagen (vgl. Anlage BLD 18, Bl. 113 ff. d.A.) unterrichtete. Zu welchem Zeitpunkt der Kläger die Mitteilung der Bedingungsanpassung erhielt, ist streitig.

Im Rahmen der Leistungsprüfung während eines Arbeitsunfähigkeitszeitraums des Klägers teilte die Beklagte diesem mit Schreiben vom 12.10.2017 (Anlage BLD11, Bl. 70 d.A.) mit, nach Überprüfung des durchschnittlichen Nettoeinkommens für das Kalenderjahr 2016 gemäß Gewinnermittlung (vgl. Anlagen BLD7, Bl. 60 ff. und BLD10, Bl. 67 f. d.A.) sei angesichts des dort ausgewiesenen betrieblichen Gewinns i.H.v. 5.388,18 EUR maximal ein versicherbares kalendertägliches Krankentagegeld in Höhe von 38,83 EUR abgedeckt. Sie stellte daraufhin den Tarif SG 3 mit Wirkung zum 01.12.2017 auf einen Tagessatz von 39,00 EUR um und beendete den Tarif SG 7. Die Beklagte leistete für die Zeiträume vom 01.12.2017 bis 13.02.2018 (75 Tage), 19.06.2018 bis 09.09.2018 (83 Tage) sowie 05.11.2018 bis 27.01.2019 (84 Tage) wegen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit des Klägers Krankentagegeld in der herabgesetzten Höhe von kalendertäglich 39,00 EUR. Gegenstand der Klage ist weiteres Krankentagegeld für den genannten Zeitraum in Höhe der Differenz von 85,00 EUR täglich zu dem ursprünglich vereinbarten Tagessatz.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte sei nicht zur Herabsetzung des Tagessatzes berechtigt gewesen. Weiterhin maßgeblich seien die AVB mit Stand vom 01.01.2009, so dass die Unwirksamkeit der dortigen Bedingung in § 4 Abs. 4 AVB der Herabsetzung des Krankentagegeldes entgegenstehe. Der Kläger bestreitet insoweit, unter dem 15.06.2017 über die neuen Versicherungsbedingungen informiert worden zu sein. Er ist der Ansicht, die neue Bedingung werde jedenfalls nicht mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses einbezogen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 20.655,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet die Versicherungsfähigkeit des Klägers und behauptet, dieser gehe keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Sie behauptet ferner, sie habe dem Kläger die aktualisierten AVB mit Stand 01.01.2017 nebst Mitteilung der Anpassungsgründe am 15.06.2017 übersandt. Mangels Postrücklauf sei von dem Zugang beim Kläger auszugehen, so dass die neue Bestimmung ab Anfang August 2017 Vertragsbestandteil geworden sei. Die Beklagte ist der Ansicht, der spätestens im Laufe des Rechtsstreits erfolgte Zugang der neuen AVB nebst Änderungsgründen bei dem Kläger – der als solcher unstreitig ist – führe zur rückwirkenden Einbeziehung der geänderten Bedingungen.

Die Klage ist am 27.05.2019 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist ganz überwiegend begründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung weiteren Krankentagegeldes in Höhe von 20.570,00 EUR. Dies entspricht einem kalendertäglichen Betrag von weiteren 85,00 EUR für die Zeiträume 01.12.2017 bis 13.02.2018, 19.06.2018 bis 09.09.2018 sowie 05.11.2018 bis 27.01.2019. Die Bezugszeiträume umfassen abweichend von der Berechnung des Klägers lediglich 242 Kalendertage, so dass die (geringfügig) weitergehende Klage unbegründet ist. Soweit die beiden vereinbarten Tarife gestaffelte Wartezeiten vorsehen, sind diese für die Berechnung der Klageforderung ohne Belang, da beide Wartezeiten während der streitgegenständlichen Zeiträume bereits verstrichen waren.

1.

Das Vorliegen bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit (§ 1 Abs. 2 MB/KT) in diesen Zeiträumen steht zwischen den Parteien außer Streit. Es fehlt auch nicht an der Versicherungsfähigkeit des Klägers. Nach § 15 Nr. 1 der Tarifbedingungen ist der Kläger berechtigt, das Versicherungsverhältnis abweichend von § 15 Nr. 1 lit. c) MB/KT so lange fortzusetzen, wie Einkommen aus einer beruflichen Tätigkeit bezogen wird. Soweit die Beklagte geltend macht, der Gewinn des Klägers im Jahr 2016 beruhe ausschließlich auf Bestandspflegeprovisionen, ohne dass insoweit Tätigkeiten entfaltet worden seien, ist dies der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG nicht zu entnehmen. Der Kläger hat ferner vorgetragen, er sei im Jahr 2016 weiterhin berufstätig gewesen, soweit seine Erkrankungen dies zugelassen hätten. Dem ist die Beklagte nicht erheblich entgegengetreten.

2.

In den streitgegenständlichen Zeiträumen fehlte es für die von der Beklagten vorgenommene Herabsetzung des Tagessatzes an einer vertraglichen Grundlage. Dass die Herabsetzung in der ursprünglich vereinbarten Regelung gemäß § 4 Abs. 4 AVB a.F. wegen deren höchstrichterlich erkannter Unwirksamkeit (BGH, Urteil vom 06.07.2016 – IV ZR 44/15, BGHZ 211, 51; NJW 2017, 388; VersR 2016, 1177; juris) keine Grundlage findet, steht zwischen den Parteien außer Streit. Die Beklagte kann die Herabsetzung indes auch nicht auf die nachfolgende Bedingungsanpassung stützen. Die angepasste Klausel gemäß § 4 Ziff. 4 AVB mit Stand 01.01.2017, deren inhaltliche Wirksamkeit im Sinne der § 164 Abs. 1 VVG, §§ 305 ff. BGB zwischen den Parteien außer Streit steht, war in den der Klage zugrundeliegenden Arbeitsunfähigkeitszeiträumen nicht Vertragsbestandteil; eine rückwirkende Einbeziehung kommt nicht in Betracht.

a)

Die neue Bestimmung des § 4 Abs. 4 AVB ist erst im Laufe des Rechtsstreits wirksam (§§ 203 Abs. 4, 164 Abs. 2 VVG) in den Vertrag einbezogen worden und wurde gemäß § 164 Abs. 2 VVG zwei Wochen nach Zugang der Übersendung des Mitteilungsschreibens an den Prozessbevollmächtigten des Klägers (Anlage BLD 18 zum Schriftsatz vom 02.10.2019, Bl. 113 ff. d.A.) Vertragsbestandteil.

Für ihre Behauptung, dem Kläger sei die Mitteilung über die Bedingungsanpassung bereits im Juni 2017 – mithin vor den in Rede stehenden Zeiträumen der Arbeitsunfähigkeit – zugegangen, ist die Beklagte beweisfällig geblieben. Der Zugang bei dem Kläger wird nicht durch den Umstand fehlenden Postrücklaufes belegt und ist auch nicht anderweitig ersichtlich. Soweit die Beklagte sich auf ein ihr wohl versehentlich zugeleitetes internes Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 13.11.2018 (Anlage BLD 19, Bl. 149 f. d.A.) bezieht, in welchem die Beweislast der Beklagten für die wirksame Bedingungsanpassung erörtert wird, belegt dies weder dass noch wann dem Kläger die erforderliche Mitteilung zugegangen sein soll. Soweit die Beklagte im Hinblick auf die Anzahl – nach ihrem Vortrag mehr als 50.000 – der erforderlichen Benachrichtigungsschreiben von einem Versand mit Zugangsnachweis (vgl. hierzu MüKo-VVG/Boetius, 2. Aufl. 2017, § 203 Rn. 1152) aus Gründen der Wirtschaftlichkeit abgesehen haben sollte, liegt diese Abwägung in ihrer Risikosphäre. Soweit die Beklagte dem Kläger bzw. seinen Prozessbevollmächtigten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen mit Stand 01.01.2017 im Rahmen der vorprozessualen Korrespondenz – insoweit unstreitig – mehrfach übersandte, bewirkte auch dies keine wirksame Bedingungsanpassung. Denn die Beklagte hat nicht geltend gemacht, dem Kläger vorprozessual auch die konstitutiv erforderliche Mitteilung der für maßgeblichen Gründe für die Anpassung (§ 164 Abs. 2 VVG) übersandt zu haben. Dies ist auch nicht anderweitig ersichtlich.

b)

Die wirksame Einbeziehung führt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu einer auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses rückwirkenden Klauselersetzung. § 164 Abs. 2 VVG ist dahingehend auszulegen, dass eine unwirksame AVB-Bestimmung lediglich mit ex-nunc-Wirkung ersetzt wird. Der Wortlaut („wird (…) Vertragsbestandteil“) steht dieser Auslegung nicht entgegen. Soweit die Beklagte sich zumindest implizit auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 12.10.2005 – IV ZR 162/03; BGHZ 164, 297, zitiert nach juris) bezieht, betraf diese § 172 Abs. 2 VVG a.F. als Vorgängerregelung des § 164 Abs. 2 VVG. Der BGH (a.a.O. Rz. 32) hat insoweit ausgeführt, die Ergänzung einer unwirksamen Klausel sowohl durch dispositives Recht als auch gemäß § 172 Abs. 2 VVG wirke auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück. Soweit der BGH (a.a.O.) zur Begründung weiter ausführt, dem Gesetzgeber könne nicht unterstellt werden, dass er die mit § 172 Abs. 2 VVG beabsichtigte Schließung von anfänglichen Vertragslücken entgegen § 6 Abs. 2 AGBG a.F. nur teilweise für die Zeit nach Zugang der Änderungsmitteilung ermöglichen wolle, ist diese Erwägung auf das geltende Recht nicht übertragbar. Denn der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Nachfolgevorschrift des § 164 Abs. 2 VVG einen eindeutig abweichenden Willen verfolgt. Die – der Entscheidung des BGH auch zeitlich nachfolgende – Gesetzesbegründung (BT-Drucks 16/3945 vom 20.12.2006, S. 100 f.) zu § 164 Abs. 2 VVG lautet:

„Die Vorschrift regelt den Zeitpunkt, zu dem eine Regelung nach Absatz 1 verbindlich wird. Die Formulierung „wird […] Vertragsbestandteil“ lehnt sich an den Wortlaut des § 305 Abs. 2 BGB an und soll deutlich machen, dass eine gerichtliche Inhaltskontrolle noch nicht erfolgt ist. Die Frist von zwei Wochen entspricht der bisherigen Regelung des § 172 Abs. 3 Satz 2 VVG. Die Anpassung wirkt jeweils nur für die Zukunft (ex nunc). Die Vertragsparteien können aber einen anderen Zeitpunkt für das Wirksamwerden, z. B. rückwirkend zum Vertragsschluss, vereinbaren, sofern dieser für den Versicherungsnehmer nicht nachteilig ist (§ 171 VVG-E).“

Angesichts des insoweit eindeutigen gesetzgeberischen Willens vermag auch die gegenteilige Auffassung nicht zu überzeugen, derzufolge weiterhin von einer rückwirkenden Klauselersetzung auszugehen sei (MüKo-VVG/Wandt, 2. Aufl. 2017, § 164 Rn. 81; Schneider in Prölls/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 164 Rn. 22). Eine ex-tunc-Wirkung ist auch nicht aufgrund des Umstands geboten, dass die ersetzende Regelung gemäß § 164 Abs. 1 VVG für eine sachgerechte Fortführung des Vertrags erforderlich sein und auch die Belange des Versicherungsnehmers angemessen berücksichtigen müsse. Die Klauselersetzung mit Wirkung ex nunc ist auch nicht unbillig. Soweit die Beklagte darauf verweist, der Krankentagegeldversicherung sei immanent, dass maximal das Nettoeinkommen versichert werden könne, beansprucht dieses Prinzip keine absolute Geltung. So lassen sowohl die unwirksame alte als auch die neue Bestimmung in § 4 Abs. 4 AVB insbesondere im Falle von selbständig tätigen Versicherungsnehmern die Möglichkeit zu, in Übergangsphasen bis zur wirksamen Herabsetzung ein das tatsächliche Nettoeinkommen übersteigendes Krankentagegeld zu beziehen. Es erscheint auch nicht sachgerecht, dass der Versicherer, der als Verwender das Risiko einer Unwirksamkeit der Klausel trägt und der von einer Bedingungsanpassung mit Zugangsnachweis absieht, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt die zunächst unwirksame Herabsetzung des Krankentagegeldes für einen bereits vollständig abgeschlossenen Versicherungsfall herbeiführen können sollte.

c)

Das kalendertägliche Krankentagegeld des Klägers beläuft sich für die streitgegenständlichen Zeiträume mithin auf 124,00 EUR. Damit kann dahinstehen, ob das von der Beklagten regulierte Krankentagegeld angesichts der aktenkundigen Hinweise auf in das Jahr 2016 fallende, nach § 4 Abs. 4 Unterabs. 4 AVB außer Betracht zu lassende Arbeitsunfähigkeitszeiten von 255 Tagen (Anlagen BLD 5, Bl. 56 d.A.; BLD 7, Bl. 61 d.A.) mit 39,00 EUR zutreffend ermittelt ist.

3.

Die Zinsforderung ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB begründet.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergehen gem. §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 S. 2 ZPO.

Streitwert: 20.655,00 EUR

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