LG Frankfurt – Az.: 2/23 O 71/16 – Urteil vom 17.11.2016
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 516,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. aus 916,09 € vom 09.02.2016 bis 02.05.2016 und aus 516,40 € seit dem 03.05.2016 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die vertragliche Begrenzung der Leistungen der Beklagten in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung, Teil II (TB/KK) zu § 4 (1) MB/KK, lit. a) Satz 1 auf die Höchstsätze der jeweils gültigen amtlichen ärztlichen Gebührenordnungen nicht besagt, dass die Beklagte ihre Leistungen bei ärztlich verordneten Heilmitteln, die nicht durch Ärzte oder unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden, auf die Höchstsätze der GOÄ begrenzen darf.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand ein Krankenversicherungsvertrag auf der Grundlage der MB/KK, ergänzt durch „Tarifbedingungen (TB/KK)“. Darin heißt es in Teil II (TB/KK) zu § 4 (1) MB/KK, lit. a):
Gebühren und Kosten sind im tariflichen Umfang bis zu den Höchstsätzen der jeweils gültigen amtlichen ärztlichen Gebührenordnungen […] erstattungsfähig. Keine Leistungspflicht besteht für die Teile einer Liquidation, die diese Höchstsätze überschreiten […].
Die Klägerin nahm auf ärztliche Verordnung medizinisch notwendige Leistungen des Physiotherapeuten …in Anspruch. Dieser rechnete mit Rechnungen vom 22.12.2014, 17.09.2015 (2x) und 29.09.2015 Leistungen über insgesamt 1.508 € ab. Wegen der Einzelheiten wird auf die Rechnungen verwiesen (Anl. K 1; daraus Bl. 9 ff., 16 d.A.). Die Beklagte erstattete auf die Rechnungen insgesamt nur 909,60 €. Die Differenz ergibt sich daraus, dass die Beklagte die Erstattung nur im Rahmen der GOÄ vornahm, nach ihrem Verständnis „kulanzweise“ darüber hinaus im Rahmen der beihilfefähigen Höchstsätze, soweit diese höher lagen.
Darüber hinaus zahlte die Beklagte auf eine Rechnung der …(im Folgenden:…) vom 08.10.2015 über 635,38 € nur 317,69 €.
Die Beklagte hatte bereits mit Schreiben vom 20.08.2015 (nicht vorgelegt) Leistungen verweigert. Die Klägerin schaltete ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten ein, die mit Schreiben vom 25.01.2016 Zahlung des offen stehenden Betrages von 916,09 € verlangten unter Fristsetzung von zwei Wochen „ab Schriftsatzdatum“, also bis 8. Februar 2016. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben verwiesen (Anl. K 5 = Bl. 21 ff. d.A.).
Die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin berechneten dieser vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 571,44 €, die bis auf einen Selbstbehalt von 150 € durch den Rechtsschutzversicherer der Klägerin übernommen wurden. Dieser ermächtigte die Klägerin zur Geltendmachung übergegangener Forderungen zur Zahlung an sie selbst.
Mit Leistungsabrechnung vom 2. Mai 2016 erstattete die Beklagte weitere 317,69 € auf die Rechnung der … sowie weitere 82 € auf die Rechnungen des Physiotherapeuten.
Die Klägerin meint, die Kürzung der Leistungen gegenüber den Rechnungen finde keine Grundlage in den Versicherungsbedingungen. Mit der Klage beansprucht sie die offen stehenden Leistungen zuzüglich Ersatzes der vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.087,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, in Höhe eines Betrages von 919,09 € seit dem 20.08.2015, im Übrigen seit dem 14.04.2016 zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte die bedingungsgemäße Kostenerstattung für ärztlich verordnete Heilmittel, die nicht durch Ärzte oder unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden, nicht auf die Höchstsätze der GOÄ begrenzen darf.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Berechtigung zur Kürzung der Rechnungen ergebe sich aus Teil II (TB/KK) zu § 4 (1) MB/KK, lit. a). Die dortige Formulierung erstrecke sich auf alle Kosten, unabhängig davon, wer die Behandlungsmaßnahmen durchführe. Auf den Anwendungsbereich der GOÄ komme es nicht an. Es gebe auch keinen Grund, warum Physiotherapeuten höher abrechnen können sollten als Ärzte.
Die Beklagte behauptet außerdem, die Behandlungssätze seien nicht ortsüblich. Sie macht geltend, sie seien „unangemessen“ überhöht. Sie meint, die Üblichkeit und die Angemessenheit seien durch die Klägerin darzulegen. Jedenfalls bildeten die beihilfefähigen Höchstsätze die Obergrenze erstattbarer Kosten.
Die Beklagte meint, der Feststellungsantrag sei unzulässig, da ihm das Feststellungsinteresse fehle. Die Feststellung einer künftigen Eintrittspflicht komme im Recht der Krankenversicherung von vornherein nicht in Betracht. Außerdem sei der Antrag zu weit gefasst.
Mit der am 14. April 2016 zugestellten Klage hat die Klägerin ursprünglich auch die später gezahlten Beträge von 317,69 € und 82 € geltend gemacht. Nach deren Zahlung haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Klägerin hat den Klageantrag auf den jetzigen Umfang reduziert.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat überwiegend Erfolg.
Die Zahlungsklage ist gemäß § 192 Abs. 1 VVG begründet in Höhe von 516,40 €. Dieser Betrag entspricht den offen stehenden Leistungen und errechnet sich aus 1.508 € – 909,60 € + 635,38 € – 317,69 € – 317,69 € – 82 €. Die Beklagte ist gemäß den Versicherungsbedingungen zur Erstattung dieser Leistungen verpflichtet.
Die Leistungspflicht der Beklagten ist hinsichtlich der physiotherapeutischen Leistungen nicht auf die Sätze der GOÄ beschränkt. Es kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beklagte eine Regelung dieses Inhalts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hätte treffen können (vgl. für den dortigen Fall verneinend LG Coburg NJW-RR 2015, 658). Vorliegend hat sie eine solche Regelung jedenfalls nicht getroffen. Die Klausel in Teil II (TB/KK) zu § 4 (1) MB/KK, lit. a) kann nicht so verstanden werden, dass die Sätze der GOÄ auch dann Anwendung finden sollen, wenn sie auf das Verhältnis zu dem jeweiligen Leistungserbringer gerade keine Anwendung finden. Gemäß § 1 Abs. 1 GOÄ regelt die GOÄ die Vergütungen für die beruflichen Leistungen (nur) der Ärzte, sie findet auf Physiotherapeuten keine Anwendung. Der Verweis auf die „jeweils gültigen … Gebührenordnungen“ impliziert, dass auch der Verweis nur innerhalb des jeweiligen Anwendungsbereichs gelten soll (so im Ergebnis auch LG Köln v. 17.06.2009 – 23 O 380/08, Juris).
Die Meinung der Beklagten, Physiotherapeuten dürften nicht höher abrechnen als Ärzte, ist haltlos. Die GOÄ gilt gerade nicht für Physiotherapeuten, folglich sind sie auch nicht an deren Sätze gebunden.
Unerheblich ist, ob die Behandlungssätze des Physiotherapeuten ortsüblich sind. Die Leistungspflicht der Beklagten beschränkt sich nicht auf die Erstattung ortsüblicher Kosten. Gemäß § 192 Abs. 2 VVG, entsprechend § 5 Teil I (MB/KK) Abs. 2 Satz 2, entfällt die Leistungspflicht der Beklagten erst bei Aufwendungen, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen. Dazu trägt die Beklagte nichts vor, der Vortrag, die Kosten seien „unangemessen“ überhöht, ist gänzlich substanzlos.
Auch eine Begrenzung der Leistungspflicht auf beihilfefähige Höchstsätze ist den Vertragsbedingungen nicht zu entnehmen.
Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1 BGB. Verzug trat allerdings gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB erst mit Ablauf der in dem Schreiben vom 25.01.2016 gesetzten Frist ein. Soweit die Klägerin davon auszugehen scheint, dass bereits mit dem Schreiben der Beklagten vom 20.08.2015 gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB Verzug eintrat, kann das Gericht dies nicht überprüfen, da das entsprechende Schreiben nicht vorgelegt worden ist.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB. Wie eben ausgeführt, trat Verzug erst nach Bestellung ihrer Anwälte ein.
Der Feststellungsantrag ist, soweit die Feststellung getroffen wurde, gemäß § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Bei der Frage der Auslegung eines Vertrags handelt es sich um ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO (vgl. Zöller-Greger § 256 Rn. 4). Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Auslegung des Vertrages ab, wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich. Der Antrag ist auch im Wesentlichen begründet, wie sich ebenfalls aus den obigen Ausführungen ergibt. Der Urteilstenor bedurfte allerdings gegenüber der ungenauen Antragstellung der Präzisierung, ohne dass sich daraus ein inhaltliche Abweichung von dem Antrag ergibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91a Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat die Beklagte, die sich durch die nachträgliche Erfüllung in die Rolle der Unterlegenen begeben hat, die Kosten zu tragen (vgl. BGH NJW-RR 2012, 688 Rn. 12). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.