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Erwerbsunfähigkeitsversicherung – Erwerbsunfähigkeit bei flexibler Tätigkeit von zuhause aus

Analyse eines komplexen Versicherungsfalles: Erwerbsunfähigkeit, medizinische Voraussetzungen und rechtliche Hürden

Der Fall, der vor dem Oberlandesgericht Saarbrücken verhandelt wurde, dreht sich um die komplexe Thematik der privaten Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Im Mittelpunkt steht ein Versicherter, der an einer ernsthaften Erkrankung, der Pfortaderthrombose mit kavernöser Transformation der Pfortader, leidet. Diese Erkrankung führt zu inneren Blutungen und unvorhersehbaren Stuhlabgängen. Der Kläger, der Vater des Versicherten, hat Leistungen aus der Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung beantragt, die jedoch von der Versicherungsgesellschaft abgelehnt wurden. Das Hauptproblem in diesem Fall ist die Interpretation der Bedingungen für den Versicherungsschutz und die Frage, ob der Versicherte wirklich „dauerhaft und vollständig außerstande ist, irgendeine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben“.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 U 1/20  >>>

Die Bedeutung der medizinischen Diagnose

Erwerbsunfähigkeitsversicherung - Erwerbsunfähigkeit bei flexibler Tätigkeit von zuhause aus
Komplexität und Herausforderungen in Erwerbsunfähigkeitsversicherungsfällen: Medizinische, juristische und zeitliche Aspekte spielen eine entscheidende Rolle. Genauigkeit in den Versicherungsbedingungen und fundierte Diagnosen sind unerlässlich. (Symbolfoto: LStockStudio /Shutterstock.com)

Die Versicherungsgesellschaft hat die Leistungspflicht abgelehnt, da sie der Ansicht ist, dass der Versicherte trotz seiner Erkrankung in der Lage wäre, einer regelmäßigen Arbeitstätigkeit mit flexibler Zeitgestaltung nachzugehen. Dabei stützt sich die Versicherung auf ärztliche Unterlagen und Gutachten. Der Kläger argumentiert jedoch, dass die Erkrankung seines Sohnes so gravierend ist, dass ihm keine Form der Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann.

Beweisführung und Sachverständigengutachten

Das Landgericht Saarbrücken hat verschiedene Sachverständigengutachten eingeholt, um die Erwerbsunfähigkeit des Versicherten zu bewerten. Die Gutachten kamen jedoch zu dem Schluss, dass der Versicherte trotz seiner Erkrankung einer Tätigkeit nachgehen könnte. Der Kläger kritisiert diese Einschätzung und fordert die Einholung eines Obergutachtens.

Zeitliche Aspekte und Versicherungsbedingungen

Ein weiterer strittiger Punkt ist der Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit. Die Versicherung argumentiert, dass der Versicherungsfall entweder schon vor Versicherungsbeginn oder aber erst nach Versicherungsablauf eingetreten sei. Der Kläger hält dagegen, dass die Diagnose erst während der Versicherungszeit gestellt wurde und somit die Bedingungen für die Leistungspflicht erfüllt sind.

Berufung und endgültige Entscheidung

Trotz der Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht Saarbrücken das Urteil des Landgerichts bestätigt. Die Klage wurde abgewiesen, da der Kläger den Eintritt bedingungsgemäßer Erwerbsunfähigkeit nicht beweisen konnte. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last, und die Revision wurde nicht zugelassen.

Dieser Fall zeigt die Komplexität und die vielen Fallstricke, die bei der Beantragung von Leistungen aus einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung auftreten können. Es verdeutlicht auch, wie wichtig eine genaue Kenntnis der Versicherungsbedingungen und eine fundierte medizinische Diagnose sind.

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Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 1/20 – Urteil vom 02.09.2020

Leitsatz

1. Zur Auslegung der Bedingungen einer privaten Erwerbsunfähigkeitsversicherung, die Versicherungsschutz für den Fall bietet, dass der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, dauerhaft und vollständig außerstande ist, irgendeine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben.

2. Diese Voraussetzungen sind nicht nachgewiesen, wenn es dem Versicherten aufgrund seiner Erkrankung – Pfortaderthrombose mit kavernöser Transformation der Pfortader, die zu erheblichen Komplikationen in Gestalt von inneren Blutungen und nicht planbaren, z.T. auch mit Schmerzen verbundenen Stuhlabgängen führt – zwar nicht zugemutet werden könnte, eine außerhäusliche berufliche Tätigkeit von gewisser Regelmäßigkeit wahrzunehmen, jedoch die Möglichkeit, zu Hause einer regelmäßigen Arbeitstätigkeit mit flexibler Zeitgestaltung nachzugehen, auch unter diesen Umständen nicht ausgeschlossen erscheint.

I. Die Berufung des Klägers gegen das am 3. Dezember 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 290/15 – wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 87.060,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

Der Kläger schloss bei der Beklagten mit Wirkung ab 1. November 1999 eine Risikolebensversicherung mit eingeschlossener Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Versicherungsschein-Nr. XXXXXXX), versicherte Person ist sein am 30. Juni 1988 geborener Sohn D. S. (im Folgenden: „Versicherter“). Der Ablauf der Versicherung und der Beitragszahlung erfolgte am 1. November 2013, der Ablauf der Leistungsdauer für während der Versicherungszeit eingetretene Versicherungsfälle ist der 20. November 2048. Dem Vertrag liegen u.a. die Bedingungen der Beklagten für die Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung Kinder (im Folgenden: AVB, BI. 68 ff. GA), zugrunde. Die versicherte Rente belief sich im November 2003 auf monatlich 1.238,65 Euro, die monatlich zu zahlende Netto-Prämie auf 8,07 Euro. Der Versicherte leidet an einer Pfortaderthrombose mit kavernöser Transformation der Pfortader. Wegen dieser Erkrankung wurde er bereits in der Zeit vom 3. Juli 1994 bis Juni 1999 von dem Hausarzt Dr. M. L. behandelt. Im März 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit des Versicherten. Die Beklagte lehnte ihre Leistungspflicht nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen mit Schreiben vom 11. Februar 2011 ab. Auch nach einer Mitteilung des Klägers, wonach sein Sohn an einer Darmerkrankung leide, die nicht nur zum Abbruch der Ausbildung, sondern auch zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geführt habe, sowie Übermittlung weiterer ärztlicher Unterlagen, darunter ein Schreiben des Hausarztes vom 1. August 2012, der „mindestens leichte Arbeit“ für „vollschichtig möglich“ erachtete und ein Bescheid des Hessischen Amts für Versorgung und Soziales vom 22. Oktober 2012, aus dem sich ergab, dass der GdB der versicherten Person weiterhin 50 Prozent betrage, hielt die Beklagte an ihrer Ablehnung fest (Schreiben vom 28. Dezember 2012 und vom 4. November 2015).

Zur Begründung seiner auf Zahlung monatlicher Renten und Erstattung von Versicherungsbeiträgen für die Zeit von März 2010 bis Dezember 2015 in bezifferter Höhe von zuletzt 87.060,60 Euro zzgl. Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichteten Klage hat der Kläger behauptet, der Versicherte sei wegen der bei ihm vorhandenen Pfortaderthrombose mit kavernöser Transformation der Pfortader seit März 2010 erwerbsunfähig im Sinne des § 2 AVB; frühestens mit einer zu dieser Zeit gestellten Diagnose sei die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit möglich gewesen. Bereits seit der Kindheit bestehe eine Schmerzsymptomatik, die von Fachärzten bestätigt worden sei und die sich offensichtlich mit Blick auf das Erkrankungsbild und die bestehenden Funktionseinschränkungen bereits bei Studium der Befunde und Diagnosen von selbst erkläre. Seit frühester Kindheit leide der Versicherte an seinem schweren Behinderungsbild; aufgrund dessen habe er keine Ausbildung oder eine berufliche Karriere beginnen bzw. durchführen können. Wegen der außergewöhnlichen Blutungsneigung bei den Toilettengängen sei eine berufliche Eingliederung ausgeschlossen gewesen. Später hat der Kläger weitergehend behauptet, die seit März 2010 bestehende bedingungsgemäße Erwerbsunfähigkeit beruhe auch auf einer psychischen Funktionseinschränkung in Gestalt einer Anpassungsstörung. Die Beklagte hat das Ausmaß der körperlichen Erkrankung des Versicherten, die zuletzt auch psychisch begründeten Folgen und eine daraus resultierende Erwerbsunfähigkeit in Abrede gestellt. Jedenfalls sei ein etwaiger Versicherungsfall entweder schon vor Versicherungsbeginn am 1. November 1999 oder aber erst nach Versicherungsablauf am 1. November 2013 eingetreten, nachdem u.a. aus dem Schreiben des Hausarztes vom 15. August 2012 folge, dass der Versicherte schon seit 1994 in dessen dauernden ambulanten Behandlung gestanden habe und seit 1993 eine intermittierende rektale Macroblutung diagnostiziert worden sei; dass sich im weiteren Verlauf bei den Beschwerden bzw. dem Leistungsvermögen eine wesentliche Änderung ergeben habe, sei nicht ersichtlich.

Das Landgericht Saarbrücken hat Beweis erhoben durch Einholung eines fachinternistisch-gastroenterologischen Sachverständigengutachtens, eines radiologischen Sachverständigengutachtens und eines fachpsychiatrischen Sachverständigengutachtens nebst testpsychologischen Zusatzgutachtens. Mit dem zur Berufung angefallenen Urteil, auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Klage abgewiesen, weil der Kläger den Eintritt bedingungsgemäßer Erwerbsunfähigkeit bei der versicherten Person und damit eines Versicherungsfalles in versicherter Zeit nicht bewiesen habe.

Mit seiner dagegen eingelegten Berufung verfolgt der Kläger unter Bezugnahme auf sein früheres Vorbringen sein erstinstanzliches Begehren weiter. Er meint, das Landgericht sei aufgrund fehlerhafter Würdigung der Beweise zu einer falschen Erkenntnis gelangt. Die Einschätzung aus dem fachinternistisch-gastroenterologischen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G., wonach die festgestellten Symptome das Nachgehen irgendeiner Tätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht ausschlössen, berücksichtige nicht ausreichend die bei der versicherten Person seit dem frühen Kindesalter bestehende Schmerzsymptomatik und stehe überdies zu der schon erstinstanzlich vorgelegten Stellungnahme der Fachärztin für Allgemein- und Sozialmedizin G. W.-W. in Widerspruch. Mit Blick hierauf und weil dieses frühere Gutachten entgegen der Einschätzung des Landgerichts auch dasselbe Beweisthema betreffe, sei die Einholung eines Obergutachtens veranlasst. Anders als das Landgericht gemeint habe, sei die Erwerbsunfähigkeit der versicherten Person auch während der Versicherungszeit eingetreten und keineswegs vorvertraglicher Natur, nachdem die Diagnose „kavernöse Transformation der Pfortader“ erstmals im Mai 2001 ärztlich habe gestellt werden können. Auf einen Hinweis des Senats, wonach es dem Versicherten, der nach eigenen Angaben des Klägers auch Hausarbeit verrichte, möglich und zumutbar sein dürfte, zu Hause einer Erwerbstätigkeit mit flexibler Arbeitszeitgestaltung nachzugehen (Bl. 406 GA), hat der Kläger ergänzend die Auffassung vertreten, dass auch eine solche Tätigkeit dem Versicherten aus medizinischer Sicht nicht zumutbar sei, weil dieser wegen seiner Durchfallproblematik an konzentrierter und zielgerichteter Arbeit gehindert sei und ausweislich des vom Landgericht eingeholten testpsychologischen Zusatzgutachtens (dort Seite 16, Bl. 267 GA) an einer Konzentrationsschwäche leide (Bl. 410 GA).

Der Kläger beantragt – wörtlich (Bl. 353 GA):

1. das am 3. Dezember 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken (14 O 290/15) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 87.060,60 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 14.959,44 Euro seit 4. Februar.2011 sowie aus 72.101,16 Euro seit 04. November 2015 an Herrn D. S., geboren am XX.XX. 1988 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger die nicht anrechenbare Geschäftsgebühr in Höhe von 951,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt (Bl. 370 GA), die Berufung zurückzuweisen,

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Aufrechterhaltung ihres früheren Rechtsstandpunktes.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 5. November 2019 (Bl. 315 f. GA) sowie des Senats vom 8. Juli 2020 (Bl. 405 ff. GA) verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage auf Leistungen aus der Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung, die bei sachgerechter Auslegung (§§ 133, 157 BGB) des Antrages richtigerweise zugunsten des Versicherten als dem materiell berechtigten Anspruchsinhaber erhoben wurde, zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat nämlich nicht bewiesen, dass der Versicherte, sein am XX.XX. 1988 geborener Sohn, den vertraglich vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen entsprechend während der Laufzeit der Versicherung bedingungsgemäß erwerbsunfähig geworden ist.

1.

Auf das streitgegenständliche Versicherungsverhältnis sind gemäß Artikel 1 Abs. 1 und 2 EGVVG grundsätzlich die Bestimmungen des am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen (neuen) Versicherungsvertragsgesetzes – VVG anzuwenden, weil der behauptete Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 2008 eingetreten sein soll. Hiervon ausgenommen sind allerdings die für Berufsunfähigkeitsversicherungs- und ähnliche Verträge geltenden §§ 172, 174 bis 177 VVG; diese Vorschriften sind gemäß Artikel 4 Abs. 3 EGVVG auf sog. Altverträge wie den vorliegenden nicht anzuwenden; insoweit verbleibt es bei der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage, d.h. dem früheren Bedingungsrecht in seiner Ausgestaltung durch die Rechtsprechung (vgl. Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 46 Rn. 3).

2.

Die Voraussetzungen unter denen die Beklagte aus der streitgegenständlichen Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung eintrittspflichtig ist, hat das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegeben. Gemäß § 1 Abs. 1 der dem Vertrag zugrunde liegenden „Bedingungen für die Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung“ (im Folgenden: AVB) erbringt die Beklagte die vereinbarten Leistungen in Gestalt der Beitragsbefreiung für Haupt- und Zusatzversicherung sowie einer monatlichen Erwerbsunfähigkeits-Rente für den Fall, dass die versicherte Person nach Abschluss des Vertrages während der Versicherungsdauer der Zusatzversicherung erwerbsunfähig wird. Gemäß § 2 Abs. 1 Buchstabe a) AVB liegt Erwerbsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, dauerhaft und vollständig außerstande ist, irgendeine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben; „dauerhaft“ bedeutet dabei den medizinischen Nachweis, dass keine Aussicht auf Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit besteht. Ist die versicherte Person während der Dauer der Zusatzversicherung 6 Monaten ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, vollständig außerstande gewesen, irgendeine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben, so gilt dieser Zustand bei Fortdauer von Anfang an als Erwerbsunfähigkeit (§ 2 Abs. 1 Buchstabe b) AVB).

a)

Im Gegensatz zur „klassischen“ Berufsunfähigkeitsversicherung (§§ 172 ff. VVG) ist bei einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung wie der hier vorliegenden nicht der konkrete, zuletzt ausgeübte Beruf versichert, sondern die Fähigkeit, überhaupt noch irgendeiner bezahlten Tätigkeit regelmäßig nachzugehen (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 4. Aufl., Kap. 22 Rn. 32; Lücke, in: Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. § 177 Rn. 1; Ernst, in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung 1. Aufl., § 177 VVG Rn. 16). Solche Verträge sind rechtlich zulässig (Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 46 Rn. 63 m.w.N.; vgl. jetzt auch § 177 VVG n.F.); ihr Abschluss ist insbesondere dann sachgerecht, wenn der Versicherte – wie es auch hier der Fall war – noch keine Ausbildung abgeschlossen hat, mithin keine Berufsausübung existiert, die die bisherige Lebensstellung geprägt haben könnte (vgl. Senat, Urteil vom 21. Juni 2006 – 5 U 720/05-105, VersR 2007, 235; OLG Celle, VersR 2009, 914 jew. zu einer sog. „Erwerbsunfähigkeitsklausel“). Durch das Abstellen auf den hergebrachten Begriff der „Erwerbsunfähigkeit“, der freilich im geltenden Sozialrecht keine Entsprechung mehr findet, weshalb Parallelen insoweit nicht unbesehen gezogen werden dürfen (vgl. Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 46 Rn. 64), wird für den Versicherten erkennbar, dass Leistungen nicht schon bei Vorliegen von Berufsunfähigkeit in einem konkreten ausgeübten Beruf gewährt werden, sondern nur dann, wenn er auf dem Arbeitsmarkt überhaupt keiner oder nur einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen kann (OLG Celle, VersR 2009, 914; Lücke, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 177 Rn. 1; Dörner, in: MünchKomm-VVG 2. Aufl., § 177 Rn. 4; Ernst, in: Ernst/Rogler, a.a.O., § 177 VVG Rn. 16). In diesem Sinne ist auch die hier verwendete Risikobeschreibung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherten (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 2020 – IV ZR 110/19, VersR 2020, 541) auszulegen, soweit dort insbesondere gefordert wird, der Versicherte müsse „dauerhaft und vollständig zu irgendeiner Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit außerstande“ sein. Die Bedingungen der Beklagten stellen überdies ausdrücklich klar, dass es für die Frage, ob die versicherte Person irgendeine Erwerbstätigkeit auszuüben in der Lage ist, ausschließlich auf ihre gesundheitlichen Verhältnisse ankommt und dass die jeweilige Arbeitsmarktlage, die bisherige Lebensstellung und die Einkommensverhältnisse der versicherten Person nicht zu berücksichtigen sind (§ 2 Abs. 1, letzter Satz AVB).

b)

Wer – wie hier der Kläger für seinen Sohn – eine solche Versicherung abschließt, muss es also hinnehmen, dass der Maßstab der Zumutbarkeit einer Erwerbstätigkeit gerade nicht der bisherige Beruf, die Ausbildung oder Erfahrung oder die Lebensstellung ist, sondern eine beliebige, mehr als nur geringfügige Einkünfte versprechende Arbeit (Baumann, in: Bruck/Möller, a.a.O., § 172 Rn. 107; Dörner, in: MünchKomm-VVG a.a.O., § 177 Rn. 5; Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 46 Rn. 63). Was darunter konkret zu verstehen ist, kann nach allgemeiner Ansicht, wenn die Bedingungen – wie hier – keine näheren Vorgaben machen, unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs in vorsichtiger Ausrichtung an den sozialrechtlichen Vorgaben des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV bestimmt werden (Dörner, in: MünchKomm-VVG a.a.O. § 177 Rn. 5; Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 46 Rn. 64); danach liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat – heute – 450,- Euro bzw. – zum Zeitpunkt des Eintritts des behaupteten Versicherungsfalles im Jahre 2010 – 400,- Euro nicht übersteigt. Auch das bedeutet jedoch nicht, dass die versicherte Person sich auf jedwede auf dem Arbeitsmarkt vorhandene, d.h. insbesondere auch auf eine sie überfordernde oder unzumutbare Erwerbstätigkeit verweisen lassen müsste; vielmehr muss – worauf der Senat die Parteien in der mündlichen Verhandlung aufmerksam gemacht hat – die Tätigkeit, freilich in dem durch die Bedingungen vorgegebenen Rahmen, dem Versicherten eine Teilnahme am Erwerbsleben auch tatsächlich ermöglichen (Neuhaus, a.a.O., Kapitel 22 Rn. 32; Baumann, in: Bruck/Möller, a.a.O., § 172 Rn. 107; vgl. zum früheren sozialrechtlichen Erwerbsunfähigkeitsbegriff LSG Brandenburg, Urteil vom 19. August 2003 – L 2 RA 130/01, juris und – zu abweichend formulierten Versicherungsbedingungen – OLG Karlsruhe, VersR 2019, 483 [Ls.]). Auf Tätigkeiten, die diesen Anforderungen nicht genügen, muss sich der Versicherte nicht verweisen lassen.

c)

Die Voraussetzungen, unter denen hiernach eine Leistungspflicht der Beklagten besteht, d.h. insbesondere der Eintritt bedingungsgemäßer Erwerbsunfähigkeit in versicherter Zeit, muss nach allgemeinen Grundsätzen der Anspruchsteller beweisen (Senat, Urteil vom 4. April 2001 – 5 U 1/99-1, VersR 2002, 964; Neuhaus, a.a.O., Kap. 22 Rn. 32). Da es um den Ausschluss der allgemeinen Erwerbsfähigkeit des Versicherten und nicht um die Unfähigkeit zur Ausübung eines bestimmten Berufes geht, trifft den Versicherer in diesem Zusammenhang – entgegen der zuletzt geäußerten Ansicht des Klägers – auch keine gesteigerte Aufzeigelast in Bezug auf einzelne in Betracht kommende Tätigkeiten; vielmehr kann der Versicherer den Versicherten grundsätzlich auf jede zumutbare Erwerbstätigkeit verweisen (vgl. Baumann, in: Bruck/Möller, a.a.O., § 172 Rn. 107; Dörner, in: MünchKomm-VVG, a.a.O., § 177 Rn. 11). Für den erforderlichen Nachweis des Eintritts des Versicherungsfalles gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Er erfordert die Überzeugung des Richters von der zu beweisenden Tatsache im Sinne eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2008 – VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126).

3.

Diesen Nachweis hat der Kläger hier nicht geführt. Wie das Landgericht letztlich zu Recht angenommen hat, kann unter Berücksichtigung des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, dass der Versicherte während der Dauer des Vertrages aus ausschließlich in seinen gesundheitlichen Verhältnissen liegenden Gründen erwerbsunfähig im vorgenannten Sinne geworden ist. Die bei ihm nachweislich vorhandenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen rechtfertigen diese Annahme bei Würdigung aller für die Entscheidung maßgeblichen Umstände nicht.

a)

Dabei geht der Senat allerdings davon aus, dass der Versicherte entsprechend dem durch die Beweisaufnahme bestätigten Vorbringen des Klägers an einer körperlichen Erkrankung in Gestalt einer Pfortaderthrombose mit kavernöser Transformation der Pfortader leidet, die zu erheblichen Komplikationen in Gestalt von inneren Blutungen und nicht planbaren, z.T. auch mit Schmerzen verbundenen Stuhlabgängen führt, und dass dies zur Folge hat, dass der Versicherte in seiner allgemeinen Alltagsplanung und in seiner Konzentrations- und Merkfähigkeit eingeschränkt ist:

aa)

Die vom Kläger zur Begründung des Leistungsantrages angegebene körperliche Grunderkrankung des Versicherten ist auf der Grundlage der bestehenden medizinischen Erkenntnisse unzweifelhaft und wird auch von der Beklagten letztendlich nicht in Abrede gestellt. Wie das Landgericht, maßgeblich gestützt auf das fundierte und nachvollziehbar begründete fachinternistisch-gastroenterologische Sachverständigengutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. (Bl. 151 ff. GA), in seinem Urteil ausführt, wurde bei dem Versicherten auf der Grundlage apparativer und laborchemischer Untersuchungen eine Pfortaderthrombose mit kavernöser Transformation und ausgeprägter Varizenbildung im Leberhilus, eine Splenomegalie mit Thrombozytopenie, ausgeprägte rektale Varizen mit Red Spots, eine große axiale ventriculäre Hernie sowie eine Transaminasenerhöhung unklarer Genese diagnostiziert (LGU Seite 6; vgl. auch Bl. 158 GA); die diesbezüglichen Feststellungen sind klar und eindeutig, und sie decken sich auch weitestgehend mit den bereits vom Kläger zur Erläuterung seines Klagevorbringens vorgelegten ärztlichen Befunden und Vorgutachten. Auch die vom Kläger behaupteten Komplikationen in Gestalt von Blutungen und unvorhergesehenen Stuhlabgängen hält der Senat nach dem Ergebnis der Begutachtung für nachvollziehbar und erwiesen. Hierzu folgt aus den Ausführungen des Sachverständigen, dass eine chronische Pfortaderthrombose, wie sie hier vorliegt, zur portalen Hypertension mit zahlreichen Komplikationen führen kann, darunter Ösophagus- oder Rektalvarizenblutungen und dass auch allgemein das Risiko wiederholter gastrointestinaler Blutungen erhöht ist. Für das Vorliegen solcher Komplikationen spricht hier, dass der Sachverständige bei dem Versicherten ausgeprägte rektale Varizen feststellen konnte, die sog. Red Spots aufweisen und die deshalb nach seiner Deutung eine Blutungsneigung in diesem Bereich erklären können (Bl. 159 GA). Dass diese Vorgänge unter Umständen schmerzhaft sein können, erscheint vor diesem Hintergrund ebenfalls nachvollziehbar, wenngleich der Sachverständige einschränkend ausführte, die Klagen des Versicherten über krampfartige abdominelle Beschwerden, die ohne spezifischen Auslöser plötzlich begönnen und sich nach dem Stuhlgang mit einhergehendem Blutabgang besserten, würden in der Literatur vornehmlich bei akut auftretender Pfortaderthrombose und nicht bei chronisch bestehender Okklusion der Vena porta beschrieben. Soweit er deshalb die vom Versicherten beschriebene ausgeprägte Schmerzsymptomatik als für das Erkrankungsbild untypisch und pathophysiologisch nicht hinreichend zu erklären erachtet hat, zumal auch intermittierend eine vollständige Beschwerdefreiheit und auch eine gute Belastbarkeit bestehe, liegt es nahe, solche Empfindungen, entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen, damit zu erklären, dass u.a. ein von dem Versicherten beschriebenes stärkeres Blutungsereignis nach einem bioptischen Eingriff zu einer gewissen Traumatisierung geführt hat. Auch der Senat teilt bei all dem die Einschätzung des Sachverständigen, wonach insbesondere durch die angegebene Unvorhersehbarkeit der Symptomatik die allgemeine Alltagsplanung des Versicherten reduziert sein kein. Es liegt auf der Hand, dass die Notwendigkeit, an den betroffenen Tagen die jederzeitige Möglichkeit ggf. auch wiederholter Toilettengänge vorzusehen, die eigenen Handlungsspielräume des Versicherten und damit auch die Möglichkeiten einer sinnvollen zielorientierten Beschäftigung erheblich beeinträchtigen kann.

bb)

Dagegen sind messbare Beeinträchtigungen aufgrund einer Erkrankung auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet nicht erwiesen. Der Senat hält zwar mit dem Kläger weiterhin dafür, dass die körperliche Grunderkrankung und ihre nachweislichen Komplikationen bei dem Versicherten auch zu Einschränkungen in der Konzentrations- und Merkfähigkeit führen. Der Kläger hat dies unter Hinweis auf das schon mit der Klage vorgelegte Gutachten der Fachärztin für Allgemein- und Sozialmedizin Frau G. W.-W. vom 11. August 2015 (u.a. Bl. 39 ff. GA) vortragen lassen und im Berufungsverfahren unter Hinweis auf die Feststellungen der Sachverständigen R.-W. erneut ausgeführt (Bl. 410 GA). Aus deren testpsychologischen Zusatzgutachten folgt, dass der Versicherte im Rahmen des von ihm zweifach absolvierten Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests (d2-R, 2010) unterdurchschnittliche Leistungen erbrachte, wobei zwischen den beiden Versuchen erhebliche Schwankungen festgestellt wurden (Bl. 266 f. GA). Dass körperliche Beeinträchtigungen, wie sie hier in Rede stehen, sich nicht nur auf das Wohlbefinden im Allgemeinen, sondern je nach Tagesform auch auf die geistigen Funktionen auswirken, erscheint schlicht naheliegend. Schwerwiegende pathologische Ursachen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet, die weitergehende Einschränkungen bedingen, sind insoweit jedoch nicht festzustellen, wie das Landgericht auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens der Sachverständigen Dr. B. unter Berücksichtigung der Befunde aus dem testpsychologischen Zusatzgutachten vollkommen zu Recht ausführt. Unter Bezugnahme auf die Feststellungen der Sachverständigen gelangt es in dem angefochtenen Urteil richtigerweise zu dem Schluss, dass nach dem Ergebnis dieser Begutachtung bei der versicherten Person keinerlei Funktionsbeeinträchtigungen auf diesem Fachgebiet festgestellt werden konnten, vielmehr insgesamt ein psychischer Normalbefund vorliegt. Gegen diese tatsächlichen Feststellungen, an deren Richtigkeit und Vollständigkeit keine Zweifel bestehen (vgl. § 529 Abs. 1 ZPO), erinnert auch die Berufung nichts mehr.

b)

Gleichwohl ist der Versicherte nicht als erwerbsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen der Beklagten anzusehen. Wie das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht feststellt, rechtfertigen die festgestellten Einschränkungen bei sachgerechter Würdigung der Umstände hier nicht die Annahme, dieser sei dauerhaft und vollständig außerstande, irgendeine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben, d.h. beruflich in einer Weise tätig zu sein, die es ihm ermöglicht, mehr als nur geringfügige Einkünfte daraus zu erzielen.

aa)

Das Landgericht hat seine Einschätzung in erster Linie auf die entsprechenden Feststellungen der von ihm beauftragten Sachverständigen gestützt, die eine Unfähigkeit des Versicherten zur Ausübung jedweder Tätigkeit aus ihrer fachlichen Sicht jeweils verneint haben. So hat der Sachverständige Prof. Dr. G. in der abschließenden Bewertung zu seinem Gutachten ausgeführt, die von dem Versicherten angegebene Symptomatik könne zwar die allgemeine Alltagsplanung reduzieren, das Nachgehen irgendeiner Tätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit werde jedoch dadurch nicht ausgeschlossen (Bl. 159 GA). Zusammenfassend vermochte der Sachverständige keine Erwerbsunfähigkeit festzustellen (Bl. 160 GA). Auch die Sachverständige Dr. B. konnte ihrerseits keinerlei psychische Funktionseinschränkung bei dem Versicherten erkennen. Sollte, entsprechend einer zwischenzeitlich geäußerten Verdachtsdiagnose, in versicherter Zeit eine Anpassungsstörung bestanden haben, hätte diese laut ICD 10 für sechs Monate, in besonders schwierigen Ausnahmesituationen für maximal zwei Jahre diagnostiziert werden können, der Aktenlage sei jedoch kein entsprechender Befund zu entnehmen, auf den sich eine solche Feststellung stützen lasse und entsprechende Behandlungen oder Überweisungen, die darauf hindeuten könnten, seien ebenfalls nicht erfolgt sondern ganz im Gegenteil durch den Versicherten verweigert worden (Bl. 247 f. GA). Soweit das Landgericht sich diesen schlüssigen und in jeder Hinsicht nachvollziehbar begründeten Ausführungen der von ihm beauftragten Sachverständigen nach eigener Überprüfung angeschlossen und auf dieser Grundlage den geforderten Nachweis einer bedingungsgemäßen Erwerbsunfähigkeit nicht für geführt erachtet hat, sind diese tatsächlichen Feststellungen im Berufungsverfahren für den Senat bindend, weil sie verfahrensfehlerfrei getroffen wurden und Zweifel an ihrer Richtigkeit oder Vollständigkeit nicht zu besorgen sind (§ 529 Abs. 1 ZPO).

bb)

Die dagegen vom Kläger mit der Berufung erhobenen Einwände rechtfertigen keine abweichende Betrachtung:

(1)

Der Kläger macht zwar im Ansatz zu Recht darauf aufmerksam, dass zur Beurteilung der Frage der bedingungsgemäßen Erwerbsunfähigkeit neben medizinischen Belangen auch Fragen der Zumutbarkeit berücksichtigt werden müssen, weshalb eine schlichte Bezugnahme auf die gutachterlichen Einschätzungen, soweit diese lediglich aus medizinischer Sicht die Wahrnehmung irgendeiner Tätigkeit weiterhin für möglich halten, zu kurz greift. Richtig ist daran, dass es dem Versicherten angesichts seiner nachgewiesenen Beschwerden wohl nicht zuzumuten sein dürfte, eine außerhäusliche berufliche Tätigkeit von gewisser Regelmäßigkeit wahrzunehmen, worauf der Senat die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung aufmerksam gemacht hat. Die vorhandene Erkrankung und ihre Auswirkungen auf das Alltagsleben des Versicherten dürften dem von vornherein entgegenstehen, und zwar selbst unter der Prämisse, dass es sich dabei lediglich um eine mehr als nur geringfügige Beschäftigung und nicht etwa um eine halb- oder gar vollschichtige Tätigkeit handeln müsste: Das nachgewiesene Auftreten von Blutungen im Darm, wobei Blut bisweilen ungeplant ausgeschieden wird und dies die Notwendigkeit einschließt, ggf. wiederholt eine Toilette aufsuchen zu müssen, schließt eine zumutbare regelmäßige Erwerbstätigkeit außerhalb der eigenen vier Wände nach Auffassung des Senats aus. Die Annahme einer bedingungsgemäßen Erwerbsunfähigkeit scheitert aber daran, dass die auch schon von der Beklagten schriftsätzlich erwähnte, vom Senat in seinem Hinweis angesprochene Möglichkeit, zu Hause einer regelmäßigen Arbeitstätigkeit mit flexibler Zeitgestaltung nachzugehen, auch unter diesen Umständen nicht ausgeschlossen erscheint, wie im Übrigen der Kläger selbst in seiner Stellungnahme zu diesem Hinweis eingeräumt hat (Bl. 409 f. GA). Dass eine solche Tätigkeit dem Versicherten nicht möglich oder nicht zumutbar wäre, kann nicht festgestellt werden; dagegen spricht durchgreifend schon die – durch eigene Angaben des Versicherten gestützte – sachverständige Feststellung, dass entsprechende Beschwerden zwar unerwartet auftreten, jedoch stets von vorübergehender Natur sind und dass dazwischen auch längere Zeiträume mit vollständiger Beschwerdefreiheit und guter Belastbarkeit bestehen (Bl. 160 GA), die eine frei planbare Tätigkeit jeglicher Art ohne weiteres möglich erscheinen lassen. Dem entspricht, dass der Versicherte nach Angaben des Klägers trotz seiner Beschwerden jedenfalls leichte Hausarbeit im Umfang von zwei Stunden täglich verrichtet (Bl. 94 GA); denn dies zeigt, dass er zur Wahrnehmung sinnvoller Arbeit innerhalb der eigenen vier Wände durchaus in der Lage ist. Auch seine unterschiedlichen Bemühungen um die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit, u.a. eines „Job auf Mallorca“ im Oktober 2009, und seine Äußerungen gegenüber Ärzten, wonach er eine Berentung anstrebe (fachärztlicher Bericht des Dr. M. Sch. vom 13. September 2011) verdeutlichen vorhandene Fähigkeiten in diesem Bereich, die jedoch offenbar nicht abgerufen werden. Dass der Versicherte während der Dauer der Versicherung unfähig geworden wäre, „irgendeine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben“ oder dass dies über einen Zeitraum von sechs Monaten der Fall gewesen ist (§ 2 Abs. 1 AVB), kann vor diesem Hintergrund nicht festgestellt werden.

(2)

Vergeblich erneuert der Kläger seinen auch schon erstinstanzlich erhobenen Einwand, das für die Einschätzung des Landgerichts vor allem maßgebliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G. stehe im Widerspruch zu früheren Feststellungen der Fachärztin für Allgemein- und Sozialmedizin Frau G. W.-W. aus deren Stellungnahme vom 11. August 2015. Diese Auffassung ist unzutreffend, wie schon das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt hat. Die seinerzeit für das Hessische Finanzgericht erstattete Stellungnahme, die der Kläger u.a. mit der Klageschrift zu den Gerichtsakten gereicht hatte, lag den im erstinstanzlichen Rechtsstreit bestellten Sachverständigen bei der Erstattung ihrer Gutachten jeweils vor; sie wurden von ihnen jeweils ausdrücklich berücksichtigt (u.a. Bl. 153, 241 GA), die dort gestellten Diagnosen (Bl. 45 GA) weisen keine erheblichen Diskrepanzen zu den im Rechtsstreit getroffenen Feststellungen auf, allenfalls konnten einzelne Verdachtsdiagnosen nicht bestätigt werden, was als solches keinen Widerspruch darstellt. Zu Recht nimmt das Landgericht auch an, dass die Einschätzung der Frau G. W.-W. zur „Leistungsfähigkeit“ des Versicherten der Annahme, es fehle am Nachweis bedingungsgemäßer Erwerbsunfähigkeit, nicht entgegensteht, insbesondere auch insoweit keine Diskrepanz zwischen den verschiedenen Gutachten vorliegt, weil die Stellungnahme für das Finanzgericht die nach öffentlichem Recht zu klärende Frage betraf, ob die versicherte Person im Zeitraum von November 2006 bis Juni 2011 aufgrund einer Behinderung außerstande war, sich selbst zu unterhalten. Soweit die Gutachterin darin auch Einschätzungen zur Ausbildungsfähigkeit und zur Erwerbsfähigkeit abgab, entsprach dies nicht dem hier allein maßgeblichen versicherungsvertraglichen Begriff der Erwerbsunfähigkeit (§ 2 Abs. 1 AVB), der außer einem bestimmten Maß an Einschränkungen („irgendeine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit“) auch eine Prognose zu deren Dauerhaftigkeit erfordert. Hierzu verhält sich die gutachterliche Stellungnahme vom 11. August 2015 nicht; dementsprechend erweist sie sich als ungeeignet, die im vorliegenden Rechtsstreit erfolgte Begutachtung, die sich unmittelbar auf das hier maßgebliche Beweisthema bezog, in Frage zu stellen.

(3)

Die vom Kläger mit seiner Berufung erneut reklamierte Einholung eines „Obergutachtens“ kam vor diesem Hintergrund nicht in Betracht, weshalb auch schon das Landgericht zu Recht davon abgesehen hat. Eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung eines weiteren Gutachtens (§ 412 ZPO) besteht für das Gericht nur ausnahmsweise, nämlich im Falle einander widersprechender Sachverständigengutachten, bei besonders schwierigen Fragen, bei groben Mängeln der vorhandenen Gutachten und dann, wenn ein neuer Gutachter über überlegene Forschungsmittel verfügt (BGH, Urteil vom 4. März 1980 – VI ZR 6/79, VersR 1980, 533; Senat, Urteil vom 9. Mai 2018 – 5 U 23/16, VersR 2018, 1314; Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung 33. Aufl., § 412 ZPO Rn. 2). Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Die vom Kläger behaupteten Widersprüche zwischen dem gerichtlichen Gutachten und der Stellungnahme vom 11. August 2015 liegen nicht vor, wie bereits dargelegt wurde. Andere Gründe, die zu der Einholung eines weiteren Gutachtens nötigen könnten, sind nicht dargetan und auch für den Senat nicht ersichtlich. Die vorliegenden Gerichtsgutachten sind aus sich heraus schlüssig und nachvollziehbar, sie beruhen jeweils auf einer sorgfältigen, durch entsprechende Zusatzbegutachtungen gestützten Aufklärung des Sachverhaltes. Gegen die fachliche Eignung der Sachverständigen wurden Bedenken nicht geltend gemacht, solche sind auch nicht erkennbar, und ebenso wenig ist ersichtlich, dass ein anderer Sachverständiger über bessere Erkenntnisse verfügen könnte, um die entscheidende Beweisfrage zu beantworten.

(4)

Soweit der Kläger im Rahmen seiner Stellungnahme zu dem Hinweis des Senats ergänzend darauf hinweist, dass der Versicherte, wie schon erstinstanzlich angeführt, auch an einer Konzentrationsschwäche leide, bewirkt auch dies entgegen seiner Ansicht nicht, dass der Versicherte deshalb zu jedweder beruflichen Tätigkeit außerstande wäre, insbesondere soweit diese in freier zeitlicher Gestaltung im häuslichen Bereich ausgeübt werden kann. Der Senat hält es, wie schon eingangs erwähnt, zwar für nahe liegend, dass die bestehende körperliche Grunderkrankung und ihre plausiblen negativen Auswirkungen auf das Alltagsleben den Versicherten – jedenfalls in den nicht beschwerdefreien Zeiten – an einer konzentrierten und zielgerichteten Arbeit hindert; mehr behauptet auch der Kläger nicht. Darauf, dass hier gewisse Defizite bestehen, deutet auch das vom Kläger zuletzt in Bezug genommene testpsychologische Gutachten der Sachverständigen R.-W. hin, wobei dazu anzumerken ist, dass die Ergebnisse der beiden Testversuche durchaus unterschiedlich ausfielen, die Leistungsgüte nämlich im ersten Versuch unter dem Durchschnitt, im zweiten Versuch hingegen im oberen Durchschnitt der Altersnorm lag und lediglich im Gesamtzusammenhang von einer insgesamt unterdurchschnittlichen Konzentrationsleistung die Rede ist (Bl. 267 GA). Ein solcher Zustand lässt jedoch ebenfalls nicht jedwede denkbare berufliche Tätigkeit von mehr als nur geringfügigem Ausmaß als unzumutbar erscheinen, insbesondere soweit hierzu keine besonderen (körperlichen oder geistigen) Fähigkeiten vorausgesetzt werden; allein darauf kommt es bei dem vorliegenden Versicherungsvertrag, der gerade keinen bestimmten beruflichen „Status“ versichert, an. Dass auch solche Tätigkeiten auf dem Markt vorhanden sind, ist offenkundig (§ 291 ZPO) und wird letztlich auch vom Kläger konzediert (Bl. 410 GA). Nichts Anderes gilt deshalb aber auch für seinen weiteren Hinweis, der Versicherte habe seine Ausbildung nicht abschließen können, und seine Versuche zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit seien jeweils gescheitert. Davon abgesehen, dass die Ursachen eines solchen Scheiterns mannigfaltig sein können, verkennt auch dies, dass es im Rahmen der vorliegenden Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht um die Möglichkeit der Ausübung eines bestimmten Berufes geht, sondern der Leistungsfall erst dann eintritt, wenn jedwede dauerhafte Tätigkeit, mit der sich mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen lassen, ausgeschlossen wäre, d.h. auch solche, die keine abgeschlossene Ausbildung voraussetzen. Da der Kläger diesen Nachweis nicht führen konnte, bestehen die geltend gemachten Leistungsansprüche aus der Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung nicht. Die Beklagte schuldet deshalb aus diesem Vertrag weder (rückständige) monatliche Renten noch Beitragsbefreiung für den geltend gemachten Zeitraum, weshalb die Abweisung der Klage durch das Landgericht zu Recht erfolgte und sich das Rechtsmittel gegen dieses Urteil insgesamt als unbegründet erweist.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4, 9 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG.

 

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