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Direktanspruch gegen Versicherung – Erfüllung der Anforderungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG

BGH – Az.: IV ZR 133/21 – Urteil vom 25.01.2023

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2023 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. Mai 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 300.000 EUR festgesetzt.

Von Rechts wegen

Weiterführende Informationen

Wenn Sie als Dritter einen Schaden erlitten haben, können Sie Ihren Schadensersatzanspruch gegen den Versicherer des Schädigers geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung handelt, die der Erfüllung einer gesetzlichen Versicherungspflicht dient. Der Direktanspruch unterliegt der gleichen Verjährungsfrist wie der Schadensersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer, also maximal zehn Jahre ab Schadensereignis.

Allerdings kann der Direktanspruch unter bestimmten Bedingungen entfallen, wie zum Beispiel wenn der Versicherungsvertrag wirksam gekündigt und die Beendigung des Vertrags der zuständigen Behörde mitgeteilt wurde. Der Anspruch besteht nur im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen des § 117 Abs. 1 bis 4 VVG.

Bitte beachten Sie, dass die reine Unfallmeldung des Versicherungsnehmers in der Regel nicht ausreichend ist, um den Direktanspruch anzumelden, da der Versicherungsnehmer lediglich seine Versicherungspflicht erfüllen will.

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen auf Vorfinanzierung gerichteten Direktanspruch geltend.

Die Klägerin, eine Wohnungseigentümergemeinschaft, beauftragte am 8. Oktober 2010 eine Architektin mit Leistungen betreffend die Teilsanierung und – modernisierung einer Straßenfront, der Giebelseiten ein- 3 schließlich des Häuserversatzes sowie der Laubengänge bei einem Bauvorhaben. Die Architektin erbrachte Planungs- und Bauüberwachungsarbeiten.

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2012 wies das Amtsgericht Hagen einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Architektin mangels Masse ab. Unter dem 4. Januar 2013 ordnete es hierüber einen Eintrag in das Schuldnerverzeichnis an.

Bis zum 16. November 2013 war die Architektin bei der Beklagten berufshaftpflichtversichert. Dem Vertrag lagen „Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Berufshaftpflichtversicherung von Architekten, Bauingenieuren und Beratenden Ingenieuren“ (im Folgenden VB) zugrunde. Auszugsweise lauteten diese in Teil C:

„C. Ausschlüsse und nicht versicherte Risiken

1. Ausschlüsse

1.1 Berufsspezifische Ausschlüsse

Nicht versichert sind Haftpflichtansprüche wegen Schäden

[…]

1.1.2 die der Versicherungsnehmer [ …] durch ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten verursacht hat;

[…]

2017 stellte das Bauaufsichtsamt brandschutztechnische Mängel fest.

Die Parteien streiten darüber, ob die Voraussetzungen eines Direktanspruchs vorliegen und die Architektin bewusst pflichtwidrig gehandelt hat.

Das Landgericht hat der zuletzt auf Zahlung eines Betrags von 300.000 EUR gerichteten Klage dem Grunde nach stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Grundurteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin, mit der diese die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrt.

Gründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts, dessen Entscheidung unter anderem in r+s 2021, 51 1 veröffentlicht ist, ist die Passivlegitimation der Beklagten nicht dargetan. Soweit S. 1 15 VVG für die in Absatz 1 Nr. 1-3 bezeichneten Fälle einen Schuldbeitritt des Versicherers anordne, habe die Klägerin nicht ausreichend zu den Voraussetzungen vorgetragen. Es komme nur S. 1 15 Abs. 1 Nr. 2 VVG wegen des gegen die Architektin beantragten Insolvenzverfahrens in Betracht. Die Voraussetzungen seien aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Hagen vom 13. Dezember 2012 nicht zu bejahen. Sie müssten zum Zeitpunkt der Klageerhebung vorliegen oder zumindest während des Rechtsstreits eintreten. Anspruchsbegründend im Sinne von S. 1 15 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alt. VVG seien nur Abweisungsentscheidungen des Insolvenzgerichts, denen eine – zumindest noch irgendwie geartete – rechtliche Wirkung zukomme. Eine andere Betrachtung überspanne die Zielsetzung des Gesetzgebers, dem geschädigten Dritten einen verhandlungs- und zahlungsbereiten, weitgehend insolvenzsicheren Schuldner an die Hand zu geben.

Im Falle der Abweisungsentscheidung werde das Insolvenzverfahren zwar nicht durchgeführt, der Vorgang entfalte gleichwohl insoweit noch rechtliche Wirkung, als bei der natürlichen Person auf Anordnung des Insolvenzgerichts ein Eintrag im Schuldnerverzeichnis erfolge, S. 26 Abs. 2 InsO, S 882b Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Der Eintrag solle Warnwirkung zugunsten etwaiger Gläubiger entfalten, wobei er regulär nach drei Jahren gelöscht werde, S 882e Abs. 1 ZPO. Daraus lasse sich herleiten, dass der Gesetzgeber eine Notwendigkeit, den Rechtsverkehr vor einem mutmaßlich unzuverlässigen Schuldner zu warnen, nach Ablauf dieses Zeitraums prinzipiell nicht mehr anerkenne. In Anwendung dieser Grundsätze sei – in Ermangelung anderweitigen Vortrags – davon auszugehen, dass die Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse, die zur Veranlassung des Eintrags im Schuldnerverzeichnis geführt habe, zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Dezember 2018 – und auch im Nachgang – keine rechtliche Wirkung mehr entfaltet habe und somit die Anspruchsvoraussetzung nach S. 1 15 Abs. 1 Nr. 2 VVG nicht (mehr) zu begründen geeignet gewesen sei. Darauf, ob eine wissentliche Pflichtverletzung der Architektin auf Grund einer Kardinalpflichtverletzung indiziert sei, komme es nicht mehr an.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung hätte das Berufungsgericht einen Direktanspruch der Klägerin gemäß S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 VVG nicht versagen dürfen. Die Voraussetzungen des S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG müssen nur bei Bestehen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs vorliegen und können zu einem beliebigen Zeitpunkt vor Schluss der mündlichen Verhandlung eintreten.

1 . Zu welchem Zeitpunkt die Anforderungen des § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG erfüllt sein müssen, wird allerdings unterschiedlich beurteilt.

a) Nach der überwiegenden und auch vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht müssen die Voraussetzungen des S. 1 15 Abs. 1 Satz I VVG bei Klageerhebung (so Knöfel in Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum VVG 4. Aufl. S. 1 15 Rn. 15; Schimikowski, jurisPRVersR 9/2021 Anm. 5 unter E.; Armbrüster, r+S. 2010, 441, 454) oder zumindest während des Rechtsstreits (so Prölss/Martin/K[imke, VVG 31. Aufl. S. 1 15 Rn. 14; MünchKomm-VVG/Schneider, 2. Aufl. S. 1 15 Rn. 18; BeckOK-VVG/Steinborn, S. 1 15 Rn. 21 [Stand: 1 . November 2022]; Langheid/Rixecker/Langheid, VVG 7. Aufl. S. 1 15 Rn. 14; Bruck/Möller/ Beckmann, VVG 10. Aufl. S. 1 15 Rn. 34, 36) vorliegen. Teilweise wird entsprechend allgemeiner prozessualer Grundsätze auch auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt (Freymann/Wellner/ Lennartz, jurjsPK-Straßenverkehrsrecht S. 1 15 VVG Rn. 28 ff. [Stand: 16. September 2022]; Looschelders/Pohlmann/Schwartze, VVG 3. Aufl. S. 1 15 Rn. 1 1; wohl auch MAH-VersR/Kummer, 5. Aufl. S. 12 Rn. 312; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht 27. Aufl. S. 1 15 VVG Rn. 16; Thume, VersR 2010, 849, 855). Nicht ausreichend wäre es insoweit jeweils, wenn ein Insolvenzverfahren bereits vor dem Rechtsstreit beendet worden ist (S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 VVG), der Versicherungsnehmer nur zu dieser Zeit unbekannten Aufenthalts war (S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 VVG) oder – nach Auffassung des Berufungsgerichts – eine Abweisung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse im Rechtsstreit keine Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit beziehungsweise Überschuldung des Versicherungsnehmers mehr indizierte (S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 VVG).

b) Nach der Gegenansicht genügt es für einen Direktanspruch, dass die Voraussetzungen des S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG zu einem beliebigen Zeitpunkt vor Schluss der mündlichen Verhandlung eintreten. Trotz ihres späteren Wegfalls bleibe der Anspruch bestehen (vgl. BeckOK-Straßenverkehrsrecht/Kemperdiek, S. 1 15 VVG Rn. 22 [Stand: 15. Oktober 2022]; Dallwig in Staudinger/Halm/Wendt, VVG 2. Aufl. S. 1 15 Rn. 10; Fortmann, r+S. 2021, 513 f.). Wegen der in einem gesetzlichen Schuldbeitritt des Versicherers liegenden Rechtsfolge sei nur maßgeblich, ob die Anforderungen bei Vorliegen des Anspruchs des Dritten gegen den Versicherungsnehmer erfüllt seien (vgl. Fortmann, aaO).

2. Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Für den gesetzlichen Schuldbeitritt des Versicherers müssen die Voraussetzungen des S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG nur bei Bestehen des Schadensersatzanspruchs des Geschädigten gegen den Versicherungsnehmer erfüllt sein. Dies ergibt die Auslegung der Regelung.

a) Dem Wortlaut von S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG lässt sich keine anderslautende Beschränkung entnehmen.

aa) Dies gilt bereits für die Varianten der Nrn. 1 und 3. Auch wenn diese im Präsens formuliert sind, folgt hieraus nicht, dass ihre Voraussetzungen bis zum Rechtsstreit erfüllt sein müssen. Durch ihre Anforderungen an das Versicherungsverhältnis des Versicherungsnehmers (Nr. 1) beziehungsweise diesen selbst (Nr. 3) beziehen sich beide Varianten inhaltlich – entsprechend der Haftung des Versicherers für den Schädiger im Wege des Schuldbeitritts – auf den „Anspruch auf Schadensersatz“ des Dritten. Soweit dieser Anspruch in der Rechtsfolge des S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG auch gegen den Versicherer geltend gemacht werden kann, bedeutet dies, dass seine Voraussetzungen zeitgleich mit denen des Schuldbeitritts verwirklicht sein müssen, der Versicherungsnehmer bei Bestehen des Anspruchs also beispielsweise unbekannten Aufenthalts ist (Nr. 3) (vgl. Fortmann, r+S. 2021, 513). Das Vorliegen der Anforderungen des Schuldbeitritts noch im Rechtsstreit ist hiernach nicht erforderlich und ergibt sich auch nicht aus der Verwendung des Verbs „geltend machen“. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch macht einen Anspruch geltend, wer auf diesen hinweist und ihn durchsetzen will (vgl. Duden, Das Bedeutungswörterbuch 5. Aufl. „geltend“). Dies ist bereits bei einer vorprozessualen Inanspruchnahme der Fall.

bb) Für die Varianten der Nr. 2 von S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG gilt Entsprechendes.

(1) Ohne Erfolg macht die Revisionserwiderung insofern eine zeitliche Beschränkung der Fälle 1 und 3 dahingehend geltend, dass die den Direktanspruch begründenden Voraussetzungen mit Beendigung des Insolvenzbeziehungsweise Insolvenzeröffnungsverfahrens wegfielen. Nach den beiden Varianten besteht ein Direktanspruch, wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet (Fall 1) oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist (Fall 3). Auch wenn zwangsläufige Folge einer Verfahrenseröffnung oder der Bestellung eines vorläufigen Verwalters die Durchführung eines Insolvenzverfahrens beziehungsweise die Tätigkeit eines solchen Verwalters ist, reicht es nach dem Wortlaut aus, wenn es zu einer Verfahrenseröffnung oder Bestellung eines vorläufigen Verwalters gekommen ist. Ein noch an dauerndes Insolvenzverfahren oder Tätigwerden eines vorläufigen Verwalters – zumal im Rechtsstreit und nicht nur bei Bestehen des Schadensersatzanspruchs des Dritten – wird nicht vorausgesetzt.

(2) Dem Wortlaut der – hier allein in Frage kommenden – Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse gemäß Fall 2 lässt sich, wie auch die Revisionserwiderung erkennt, ebenfalls keine zeitliche Begrenzung entnehmen (vgl. Fortmann, r+S. 2021, 513, 514). Soweit das Berufungsgericht das Nichtvorliegen dieses Falls mit einer gesetzgeberischen Wertung aus S 882e Abs. 1 ZPO dahingehend begründet hat, dass die Abweisungsentscheidung des Insolvenzgerichts nach Ablauf von drei Jahren keine Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung mehr indiziere, verlangt keiner der Fälle der Nr. 2 das dauerhafte Bestehen eines Eröffnungsgrundes (SS 16-19 InsO), sondern lediglich die jeweils normierte Verfahrenshandlung des Insolvenzgerichts. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens setzt dabei ihrerseits gemäß S. 16 InsO ebenso nur einmal einen solchen Grund voraus wie die Abweisung eines Eröffnungsantrags mangels Masse gemäß S. 26 InsO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. April 201 1 – IX ZB 254/09, VI-IR 201 1, 306 unter 2 a m.w.N.; vom 13. April 2006 – IX ZB 1 18/04, NZI 2006, 405 Rn. 5 f.).

Für die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nach S. 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, S. 22 InsO muss ein Eröffnungsgrund – im Falle des Eröffnungsantrags eines Gläubigers – gemäß S. 14 Abs. 1 Satz 1 InsO noch nicht einmal gegeben sein, sondern grundsätzlich nur glaubhaft gemacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22, März 2007 – IX ZB 164/06, NJW-RR 2007, 1062 Rn. 8 ff.).

cc) Aus der Verwendung der Nebensatzkonjunktion „wenn“ jeweils zu Beginn der einzelnen Varianten des S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG ergibt sich ebenfalls nicht das Erfordernis eines dauerhaften Vorliegens der Voraussetzungen des Schuldbeitritts bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung. Hätte der Gesetzgeber ein solches regeln wollen, hätte er die Nebensätze der Nr. 1 bis 3 nach der zutreffenden Ansicht der Revision jeweils mit einem „solange“ beginnen lassen müssen (vgl. Fortmann, r+s 2021, 513, 514).

b) Auch aus der Entstehungsgeschichte des S. 1 15 Abs. 1 VVG ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine auflösende Bedingung des Schuldbeitritts des Versicherers. Nachdem ein Entwurf dieser Regelung zunächst noch einen Direktanspruch in allen Pflichtversicherungen vorgesehen hatte (BT-Drucks. 16/3945, 25, 50, 88 f.), wurde dieser im Gesetzgebungsverfahren auf die unter Verbraucherschutzgesichtspunkten wesentlichen zwei Problembereiche (neben den Ansprüchen nach dem Pflichtversicherungsgesetz) zurückgeführt (B T – Drucks. 16/5862, ‚l, 38, 99). Er sollte nunmehr auch für die Fälle vorgesehen werden, dass der Schädiger insolvent oder unbekannten Aufenthalts ist (B T – Drucks. 16/5862, 99), Soweit der Gesetzgeber den Direktanspruch nach S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG mit der Insolvenz des Schädigers begründet hat, lässt sich dem nicht entnehmen, dass er diese als dauerhafte Voraussetzung für den Schuldbeitritt des Versicherers regeln wollte. Differenzierend hat er hierfür vielmehr bereits das punktuelle Vorliegen einer der drei normierten Verfahrenshandlungen des Insolvenzgerichts ausreichen lassen und mit der Regelung das Ziel verfolgt, die Rechtsstellung des Geschädigten dadurch deutlich zu verbessern, dass dieser seine Ersatzansprüche mit dem Erhalt eines zusätzlichen und stets solventen Schuldners leichter realisieren kann (vgl. B T – Drucks. 16/5862, 99; 16/3945, 50, 88). Die Bezeichnung des Versicherers als „stets“ (B T-Drucks. 16/3945, 88) solvent lässt auf die Annahme des Gesetzgebers schließen, dass sich der Schädiger in den geregelten Konstellationen seinerseits nicht als stets solvent erwiesen hat.

Nicht stets solvent ist ein Schädiger beispielsweise schon nach der einmaligen Abweisung eines Eröffnungsantrags mangels Masse (S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 VVG).

c) Nach dem vorgenannten Sinn und Zweck des Direktanspruchs (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 7. Dezember 2021 – VI ZR 1 189/20, VersR 2022, 332 Rn. 14 m.w.N.) müssen die Voraussetzungen des Schuldbeitritts des Versicherers ebenfalls nur bei Bestehen des Anspruchs des Dritten gegen den Versicherungsnehmer erfüllt sein.

aa) Wie das Berufungsgericht noch zutreffend ausgeführt hat, erscheint die Inanspruchnahme eines Schädigers bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen (Nr. 2 Fall 1) oder Abweisung eines Eröffnungsantrags mangels Masse (Nr. 2 Fall 2) wegen des jeweiligen Bestehens eines Eröffnungsgrundes nicht erfolgversprechend. Der Direktanspruch erleichtert dem Geschädigten die Realisierung des Ersatzanspruchs in diesen Varianten ebenso wie bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwafters (Nr. 2 Fali 3) oder einem unbekannten Aufenthalt des Schädigers (Nr. 3).

bb) Nach der zutreffenden Ansicht der Revision erleichtert der Direktanspruch dem Geschädigten die Realisierung des Ersatzanspruchs aber auch dann noch, wenn eine Inanspruchnahme des Schädigers nach Vorliegen der Voraussetzungen des S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG wieder Aussicht auf Erfolg hat. Entfiele der Direktanspruch in einem solchen Fall, diente er nicht mehr dem von der Regelung bezweckten Verbraucherschutz. Trotz der zunächst berechtigten Annahme der Voraussetzungen des S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 VVG könnte sich der Geschädigte nicht auf das Fortbestehen des Direktanspruchs verlassen. Dieses hinge allein von der Entwicklung der Vermögenssituation des Schädigers (Nr. 2) beziehungsweise dessen Verhalten (Nr. 3) ab (vgl. Dallwig in Staudinger/Halm/Wendt, VVG 2. Aufl. S. 1 15 Rn. 10; BeckOKStraßenverkehrsrecht/Kemperdiek, S. 1 15 VVG Rn. 22 [Stand: 15. Oktober 2022]; MünchKomm-VVG/ Schneider, 2. Aufl. S. 1 15 Rn. 18; vgl. auch Fortmann, r+S. 2021, 513 f.; Armbrüster, r+s 2010, 441, 454; a.A. Freymann/Wellner/Lennartz, jurisPKStraßenverkehrsrecht S. 1 15 VVG Rn, 30 [Stand: 16. September 2022]). Das wäre mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht vereinbar, da sich der Geschädigte ansonsten zu keinem Zeitpunkt auf den Erfolg seiner Klage verlassen könnte und die Erleichterung der Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs als erklärtes Ziel dieser gesetzlichen Regelung nicht erreicht würde.

cc) Anders als die Revisionserwiderung meint, haftet der Versicherer dem Geschädigten auf Grundlage dieser Auslegung nicht „auf ewig“ aus S. 1 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VVG. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Insolvenzgericht seine Entscheidung nach Entstehung des Schadensersatzanspruchs des Dritten gegen den Versicherungsnehmer getroffen hat, wie hier allein in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2018 – VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 56 ff. zu einem Schadensersatzanspruch aus SS 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB wegen im Bauwerk bereits verwirklichter Planungs- oder Überwachungsfehler eines Architekten). Die Interessen des Versicherers sind in diesem Fall hinreichend durch die Verjährungsmöglichkeit des Direktanspruchs (vgl. S. 1 1 5 Abs. 2 VVG) geschützt.

dd) Eine teleologische Reduktion des S. 1 1 5 Abs. 1 Satz 1 VVG kommt nicht in Betracht. Es fehlen Anhaltspunkte für eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes (vgl. Senatsbeschluss vom 31, März 2021 IV AR(VZ) 6/20, VersR 2022, 194 Rn. 1 1 m.w.N.). Nach dem Willen des Gesetzgebers entspricht es dem Zweck der Vorschrift, dass ein Direktanspruch im Einklang mit dem Wortlaut besteht, wenn die Voraussetzungen bei Vorliegen des Anspruchs des Geschädigten gegen den Versicherungsnehmer erfüllt sind. Aus diesem Grund kommt entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung weder eine Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen noch ein Gegenbeweis des Versicherers dahin in Betracht, dass der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt der Klageerhebung tatsächlich nicht mehr zahlungsunfähig gewesen sei.

III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (S. 563 Abs. 3 ZPO). Von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent hat das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus SS 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB erfüllt sind und ob der Direktanspruch der Klägerin im Hinblick auf den von der Beklagten mit der Architektin vereinbarten Leistungsausschluss nach Teil C 1 .1.2 VB gemäß S. 1 15 Abs. 1 Satz 2 VVG noch im Rahmen der Leistungspflicht der Beklagten aus dem Versicherungsverhältnis liegt (vgl. Senatsurteile vom 8. Dezember 2010 – IV ZR 21 1/07, VersR 201 1, 203 Rn. 27 m.w.N. noch zu s 158c Abs. 1 VVG a.F.; vom 25. Juni 2008 – IV ZR 313/06, VersR 2008, 1202 Rn. 7, 10 noch zu S. 3 Nr. 1 PflVG a.F.). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (S. 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit dieses die notwendigen Feststellungen nachholen kann.

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