OLG Dresden – Az.: 4 W 1160/18 – Beschluss vom 09.01.2019
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 5.11.2018 wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung von Ansprüchen aus einer bei der Antragsgegnerin gehaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung. Er wurde bei der Explosion eines Feuerwerkskörpers am 29.1.2016 beim Anmarsch mit einer Gruppe weiterer Fußballfans zu einer Begegnung zwischen XYX und dem YYY verletzt. Die Explosion führte zu einem Abriss des Daumens und zweier Finger der rechten Hand. Der Antragsteller ist in zwei Instanzen vor dem AG N… und dem LG N… wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion verurteilt worden. Auf die von ihm betriebene Revision hat das OLG N… mit Beschluss vom 19.1.2018 das Verfahren gem. § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Die Antragsgegnerin ist den Ansprüchen unter Berufung auf § 7 ihrer Allgemeinen Bedingungen (C-Comfort Schutz) entgegengetreten.
Das Landgericht hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen und ausgeführt, es habe an einer von dem Antragsteller begangenen, gem. § 308 Abs. 6 StGB strafbaren Herbeiführung einer vorsätzlichen Sprengstoffexplosion keinen Zweifel, nachdem der im Strafverfahren vernommene PHK R…r die Lautstärke der Explosion mit einem Gewehrschuss verglichen, ein Bekannter des Antragstellers infolgedessen ein „Summen im Ohr“ und einen Schock erlitten habe und die vom Antragsteller aufgezeigte, bloß abstrakte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes keine Zweifel an der vorsätzlichen Verwirklichung einer Straftat begründe. Es sei nicht glaubhaft, dass der Antragsteller eine retrograde Amnesie auch für die Anreise zum Spiel für sich in Anspruch nehme und infolgedessen behaupte, nicht zu wissen, ob er überhaupt „Böller“ zu dem Spiel mitgenommen habe.
Der sofortigen Beschwerde mit der der Antragsteller geltend macht, eine Bindungswirkung der Strafurteile bestehe nicht, es sei zudem denkbar, dass die Schäden auch durch zugelassene Feuerwerkskörper entstanden seien, zumindest hätte hierüber Beweis erhoben werden müssen, auch seien die Zeugenaussagen aus dem Strafverfahren nicht verwertbar, weil es sich hierbei lediglich um Aussagen vom Hörensagen gehandelt habe, hat das Landgericht nicht abgeholfen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat zutreffend entschieden, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO). Ob der Antragsteller für die von ihm behauptete Tätigkeit berufsunfähig ist, kann hierfür dahinstehen, Die Antragsgegnerin kann sich auf die Ausschlussklausel nach § 7 C-Comfort Schutz berufen.
1. Hiernach besteht kein Versicherungsschutz für eine Berufsunfähigkeit, die durch die vorsätzliche Ausführung oder den strafbaren Versuch eines Verbrechens oder Vergehens durch die versicherte Person verursacht worden ist. Eine solche Klausel ist – ebenso wie die Parallelklausel in der Unfallversicherung – rechtlich unbedenklich (Benkel/Hirschberg Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung 2. Aufl. § 3 BUZ Rn 7; BGH, Urteil vom 23. September.1998 – IV ZR 1/98 – juris). Mit der Regelung soll das vom Versicherer übernommene Risiko auf solche Versicherungsfälle begrenzt werden, die aus einer normalen Gefahrensituation heraus entstehen. Die vorsätzliche Begehung erhöht in aller Regel die Gefahrenlage; die Adäquanz des Ursachenzusammenhangs kann daher nur dann verneint werden, wenn der Zusammenhang zwischen der Straftat und dem Unfall ein rein zufälliger ist und der dem Delikt eigentümliche Gefahrenbereich für den Schaden gar nicht ursächlich gewesen sein kann (BGH, aaO; OLG Saarbrücken, Urteil vom 25. Juni 2014 – 5 U 83/13 -, Rn. 37 – 38, juris). Was eine Straftat im Sinne des Risikoausschlusses ist, richtet sich nach dem deutschen (Haupt- und Neben-)Strafrecht. Es fallen darunter Verbrechen und Vergehen im Sinne des § 12 StGB. Auch die Beurteilung, ob sie „vorsätzlich“ begangen wurde, folgt strafrechtlichen Grundsätzen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 22.3.1989 – 5 U 103/87 – juris).
2. Vorliegend geht auch der Senat auf der Grundlage der Feststellungen im Strafverfahren, wie sie aus der beigezogenen Strafakte 208 Js 7813/17 der Staatsanwaltschaft Nürnberg/Fürth ersichtlich sind, davon aus, dass der Antragsteller vorsätzlich eine Sprengstoffexplosion im Sinne des § 308 Abs. 1 StGB herbeigeführt hat Dass das Landgericht sich in dem angefochtenen Beschluss auf § 308 Abs. 6 StGB bezogen hat, der die fahrlässige Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion unter Strafe stellt, dessen Verwirklichung für einen Leistungsausschluss nach § 7 C-Comfort Schutz indes nicht ausreichen würde, stellt ersichtlich einen Schreibfehler dar, weil es zugleich festgestellt hat, dass dem Antragsteller eine vorsätzliche Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion vorzuwerfen, zugleich aber davon ausgegangen ist, dass es für den Ausschlusstatbestand in der Berufsunfähigkeitsversicherung ausreicht, wenn – wie es § 308 Abs. 5 StGB voraussetzt – der Täter die Gefahr fahrlässig verursacht. Dies begegnet keiner rechtlichen Bedenken. Nach den auch für die Auslegung von § 7 C Comfort-Schutz maßgeblichen strafrechtlichen Grundsätzen ist eine Tat auch dann vorsätzlich, wenn der Straftatbestand hinsichtlich der Handlung Vorsatz fordert, in Bezug auf die besondere Folge jedoch Fahrlässigkeit genügen lässt (OLG Saarbrücken aaO. Rn 61 bei juris, vgl. auch Benkel/Hirschberg aaO. § 3 BUZR 14f.).
3. Eine Bindungswirkung der Urteile des AG und des LG N… in dem zugrunde liegenden Strafverfahren hat das Landgericht, anders als die Beschwerde meint, nicht angenommen. Eine solche besteht für das Zivilverfahren auch nicht (BGH, Beschluss vom 16. März 2005 – IV ZR 140/04 – juris). Der Zivilrichter muss sich aber mit den Feststellungen im Strafurteil auseinandersetzen, die für seine eigene Würdigung relevant sind (BGH, Urteil vom 11. März 2015 – IV ZR 400/14 – juris Rn 12). Vorliegend gelangen die Feststellungen sowohl im Urteil des AG Nürnberg vom 24.5.2017 als auch im Urteil des LG N… vom 12.9.2017 nachvollziehbar und eindeutig zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller selbst derjenige war, der „den Böller gezündet“ hat und dass es auszuschließen ist, dass der Antragsteller einen von einem Dritten bereits gezündeten Böller lediglich aufgehoben hat oder ihm von einem Dritten der Böller in die Hand gedrückt worden ist. Abgesehen davon, dass auch der Antragsteller einen solchen Hergang nicht behaupten kann, weil er in Bezug auf das Unfallgeschehen eine retrograde Amnesie für sich in Anspruch nimmt, hat dies auch keiner der im Strafverfahren vernommenen Zeugen so bekundet. Mit dem Landgericht Nürnberg hält daher auch der Senat einen solchen Geschehensablauf zwar für theoretisch denkbar, jedoch für in höchstem Maße unwahrscheinlich und nicht lebensnah. Für die von der Antragsgegnerin nachzuweisenden Voraussetzungen der Ausschlussklausel des § 7 C-Comfort Schutz gilt insoweit das Beweismaß des § 286 ZPO, so dass nicht jede theoretisch denkbare Alternative ausgeschlossen werden muss, sondern ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie endgültig auszuschließen, genügt. Auszugehen ist hiernach davon, dass der Antragsteller selbst den Böller vorsätzlich im Sinne des § 15 StGB gezündet hat.
4. Ob es sich bei dem zur Explosion gebrachten „Böller“ um einen in Deutschland nicht zugelassenen sog. Polen-Böller gehandelt hat, muss im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens nicht vertieft werden. Der objektive Tatbestand des § 308 StGB setzt nicht voraus, dass die Explosion mit einem verbotenen Tatmittel herbeigeführt wurde. Folgerichtig muss sich auch der Vorsatz des Täters darauf nicht beziehen. Dass die Strafgerichte von der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Qualität des – ohnehin nicht mehr vorhandenen – Sprengkörpers abgesehen haben, stellt bei dieser Sachlage kein Hindernis dar, das einer Verwertung der im Strafverfahren erlangten Erkenntnisse entgegenstünde. Auf einen Verbotsirrtum des Inhalts, er habe nicht gewusst, dass das Entzünden dieses Sprengkörpers nicht erlaubt gewesen sei, kann sich der Antragsteller schon wegen seiner behaupteten Amnesie nicht berufen Ob ein Verbotsirrtum für den Vorsatz im Sinne von § 7 C Comfort-Schutz überhaupt relevant ist (vgl. insoweit die Darstellung zum Streitstand in OLG Saarbrücken aaO, juris Rn 49f.), braucht daher hier nicht entschieden zu werden.
5. Mit dem Landgericht, das sich auch insoweit auf die Feststellungen im Strafverfahren gestützt hat, ist ferner davon auszugehen, dass der Antragsteller durch das Herbeiführen der Explosion zumindest fahrlässig eine Gefahr im Sinne des § 308 Abs. 1 StGB verursacht hat. Die von § 308 Abs. 1 StGB vorausgesetzte Gefährdung muss eine konkrete gewesen sein. Sie ist anzunehmen, wenn die Tathandlung über die ihr ohnehin innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat; in dieser Situation muss die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (OLG Saarbrücken, Urteil vom 25. Juni 2014 – 5 U 83/13 -, Rn. 45, juris). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, nachdem sich aus den Zeugenaussagen im Strafverfahren ergeben hat, dass der Sprengkörper aus einer dichten Menschenmenge heraus geworfen wurde und der Zeuge R. hierdurch ein „Summen am Ohr“ erlitten hat.
6. Für das Prozesskostenhilfeverfahren ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, dass das Oberlandesgericht Nürnberg im Revisionsverfahren mit Verfügung vom 11.1.2018 (zu Bl. 135 der beigezogenen EA) die „vorläufige Einschätzung“ geäußert hat, die Feststellungen des Berufungsgerichts zur konkreten Gefährdung i.S.d. § 308 Abs. 1 StGB seien nicht ausreichend und rechtfertigten eine Aufhebung und Zurückverweisung. Im Prozesskostenhilfeverfahren ist – im Unterschied zum Strafverfahren – nämlich in gewissen Grenzen eine Beweisantizipation zulässig, wenn die Gesamtwürdigung aller schon feststehenden Umstände und Indizien eine positive Beweiswürdigung zugunsten des Hilfsbedürftigen als ausgeschlossen erscheinen lässt und wenn eine vernünftig und wirtschaftlich denkende Partei, die die Kosten selbst bezahlen müsste, wegen des absehbaren Misserfolgs der Beweisaufnahme von einer Prozessführung absehen würde. Nur wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, liefe es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem weniger Bemittelten wegen fehlender Erfolgsaussichten seines Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe zu verweigern (Senat Beschluss vom 01. November 2018 – 4 W 868/18 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. Januar 2008 – 1 W 749/07 -, Rn. 3, juris; vgl. auch OLG Naumburg, Beschluss vom 26. November 2012, – 1 W 62/12 -, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. Februar 2008 – 1 W 4/08 -, Rn. 15, juris). Angesichts der unstreitigen und erheblichen Verletzungen, die der Antragsteller an der rechten Hand erlitten hat und die auf eine erhebliche Explosionskraft des Sprengkörpers schließen lassen und angesichts des Umstandes, dass der Böller in einer dicht gedrängten Menschenmenge gezündet wurde, hält es der Senat für ausgeschlossen, dass eine weitere Beweisaufnahme zu diesem Punkt ergäbe, dass gleichwohl eine konkrete Gefährdung Dritter, die der Antragsteller für die Verwirklichung des Ausschlusstatbestandes gem. § 7 C Comfort-Schutz nur fahrlässig herbeigeführt haben müsste, nicht bestanden hat.
7. Unabhängig hiervon spricht die von Zeugen beschriebene Lautstärke der Detonation in Verbindung mit den beim Antragsteller selbst eingetretenen Folgen dafür, dass er sich durch die Explosion auch nach dem Sprengstoffgesetz (SprenG i.d.F. der Bek. v. 10.9.2002 BGBl. I 3518) strafbar gemacht hat. Straftaten nach dem SprengG zählen zu denjenigen, deren vorsätzliche Begehung typischerweise die Anwendung von Risikoausschlussklauseln der in Rede stehenden Art zu begründen geeignet ist, weil die einschlägigen Strafvorschriften erkennbar das Ziel verfolgen, Gefahren einzudämmen, die typischerweise aus dem Umgang unerfahrener Personen mit explosionsgefährlichen Stoffen erwachsen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 25. Juni 2014 – 5 U 83/13 -, Rn. 66, juris). Nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 SprenG macht sich strafbar, wer ohne die erforderliche Erlaubnis und entgegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 SprenG mit explosionsgefährlichen Stoffen umgeht. Dass es sich bei dem zur Explosion gebrachten Sprengkörper um einen erlaubnisfreien Feuerwerkskörper der Klassen F1 oder F2 nach § 3a Nr. 1 a) oder b) SprenG gehandelt haben könnte, ist aufgrund der o.a. Wirkungen der Explosion zumindest im Wege der Beweisantizipation auch ohne Sachverständigengutachten auszuschließen, über eine Erlaubnis verfügt der Antragsteller, der Getränkefahrer und nicht Sprengmeister ist, ersichtlich nicht; dass er die für deren Erwerb erforderliche Fachkunde besessen hätte, erscheint ebenfalls ausgeschlossen. Auszugehen ist ferner davon, dass der Antragsteller selbst den Knallkörper erworben hat und wissentlich hiermit umgegangen ist. Auch hiernach wäre der Versicherungsschutz in der Berufsunfähigkeitsversicherung ausgeschlossen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Verpflichtung des Antragstellers, die Kosten des erfolglosen Beschwerdeverfahrens zu tragen, ergibt sich aus dem Gesetz (KV 1812 der Anlage I GKG). Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).