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Betriebshaftpflichtversicherung – Direktanspruch bei Insolvenz des Versicherungsnehmers

Streit um Betriebshaftpflichtansprüche nach Insolvenz: Ein komplexer Fall von Haftung und Versicherungsschutz

Der Fall, der vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main verhandelt wurde, dreht sich um die komplizierte Frage der Ansprüche aus einer Betriebshaftpflichtversicherung nach der Insolvenz der Versicherungsnehmerin. Der Kläger, der ein Mehrfamilienhaus errichten ließ, machte Ansprüche gegen die Betriebshaftpflichtversicherung der insolventen Baufirma geltend. Diese Baufirma war für den Dachaufbau und die Abdichtung von Loggien und Terrassen des Gebäudes verantwortlich. Der Kläger behauptete, dass aufgrund mangelhafter Arbeit der Baufirma Schäden am Gebäude entstanden seien, für die die Versicherung aufkommen müsse. Das Hauptproblem liegt in der Frage, ob der Kläger direkt Ansprüche gegen die Versicherung geltend machen kann, insbesondere nach der Insolvenz der Versicherungsnehmerin.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 18 U 4/23  >>>

Die Rolle der Insolvenz im Rechtsstreit

Betriebshaftpflichtversicherung – Direktanspruch bei Insolvenz des Versicherungsnehmers
Betriebshaftpflicht und Insolvenz: Ein komplexer Fall von Schadensersatzansprüchen und Versicherungsschutz (Symbolfoto: Natee Meepian /Shutterstock.com)

Der Fall wird komplizierter durch die Insolvenz der Baufirma, die die Arbeiten durchgeführt hat. Die Insolvenzverwalterin der Baufirma gab an, etwaige Deckungsansprüche aus der Betriebshaftpflichtversicherung freizugeben, falls ein Absonderungsrecht des Klägers bestünde. Der Kläger argumentierte, dass diese Freigabe ihm das Recht gibt, direkt Ansprüche gegen die Versicherung geltend zu machen. Die Versicherung widersprach jedoch und behauptete, dass die Voraussetzungen für eine direkte Inanspruchnahme nicht gegeben seien.

Das Urteil des Landgerichts und die Berufung

Das Landgericht Frankfurt am Main wies die Klage des Klägers ab. Es argumentierte, dass der Kläger nicht ausreichend dargelegt habe, dass ihm die behaupteten Schadenersatzansprüche zustünden. Insbesondere fehle ein Anerkenntnis der Schadenersatzforderung durch die Insolvenzverwalterin oder die insolvente Baufirma. Der Kläger legte daraufhin Berufung ein und reduzierte seine Forderung.

Die Argumente in der Berufung

In der Berufung kritisierte der Kläger die fehlerhafte Feststellung des Sachverhalts durch das Landgericht und die unzutreffende Anwendung materiellen Rechts. Er argumentierte, dass die Schadensursache während der Versicherungsdauer gesetzt worden sei und die Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin einem Anerkenntnis gleichzusetzen sei.

Das Urteil des Oberlandesgerichts

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main änderte das Urteil des Landgerichts teilweise ab, wies die Klage jedoch als derzeit unbegründet ab. Es stellte fest, dass die Berufung des Klägers zurückgewiesen wird und die Kosten des Rechtsstreits vom Kläger zu tragen sind. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Der Fall zeigt die Komplexität der Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit Betriebshaftpflichtversicherungen und Insolvenz auftreten können. Insbesondere die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein Dritter direkt Ansprüche gegen eine Versicherung geltend machen kann, bleibt ein rechtlich anspruchsvolles Thema.

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Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 18 U 4/23 – Urteil vom 09.05.2023

In dem Rechtsstreit hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.03.2023 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.07.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, Az. 2-20 O 76/21, teilweise abgeändert:

Die Klage wird als derzeit unbegründet abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für die Berufung auf insgesamt bis zu 125.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Betriebshaftpflichtversicherung nach Insolvenz der Versicherungsnehmerin.

In den Jahren 2016/2017 ließ der Kläger auf dem Grundstück ### ein Mehrfamilienhaus mit acht Wohneinheiten errichten.

Arbeiten daran wurden unter anderem von der ### GmbH, ###, ausgeführt, die mit dem kompletten Dachaufbau sowie mit der Abdichtung der Loggien und Terrassen des Gebäudes beauftragt war.

Die Beklagte war zu diesem Zeitpunkt und bis ins Jahr 2019 der Betriebshaftpflichtversicherer der ### GmbH (im Folgenden: Versicherungsnehmerin) zu Versicherungsschein Nr. ###. Dem Versicherungsvertrag lagen unter anderem die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung, Ausgabe 10.2007 Fassung 08.2012 zugrunde (im Folgenden als AHB bezeichnet) sowie das ###-Wording, Stand 01.01.2014 (im Folgenden ###-Wording) zugrunde.

Wegen der Einzelheiten und des weiteren Inhalts wird auf den Versicherungsschein vom 28.11.2013 nebst Nachtrag vom 17.10.2017 sowie die genannten Vertragsgrundlagen (Anlagenkonvolute BLD1, Anlagenband, sowie BLD 3, Bl. 216 ff d.A.) Bezug genommen.

Über das Vermögen der Versicherungsnehmerin der Beklagten wurde am 10.05.2019 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Wirkung zum 19.04.2019 hoben die Versicherungsnehmerin und die Beklagte den Versicherungsvertrag „aufgrund Einstellung des Geschäftsbetriebes nach Insolvenz“ auf. Auf Anlage BLD 2 (Anlagenband) wird Bezug genommen.

Anfang 2021 meldete der Kläger bei der Beklagten den Eintritt eines Schadensfalls.

Mit Schreiben vom 28.01.2021 ließ der Kläger die Versicherungsnehmerin zur Mängelbeseitigung auffordern (Anlage K7, Bl. 94 f. d.A.).

Am 04.02.2021 fand ein Ortstermin mit dem Sachverständigen ### statt, der seitens des Gebäudeversicherers beauftragt war. Dieser erstattete einen Schadenbericht (Anlage K2, Bl. 8 ff d.A.). Hierin führte er aus, zwischen bituminöser Dampfsperre und Wärmedämmung stehe Wasser, welches auf eine nicht fachgerechte Eindichtung des Attika-Ablaufs zurückzuführen sei. Es sei derzeit davon auszugehen, dass sich das eingedrungene Wasser im gesamten Dachaufbau des Flachdaches verteilt habe. Die handwerklichen Leistungen an der Abdichtung des Attikarohres und an der freigelegten Entwässerungsleitung seien aus technischer Sicht mangelhaft.

Mit Schreiben vom 10.02.2021 machte der Kläger gegenüber der Insolvenzverwalterin der Versicherungsnehmerin Ansprüche im Zusammenhang mit der Beseitigung von Mängeln geltend und kündigte die Geltendmachung weiterer Forderungen an (Anlage K8, Bl. 96 d.A.).

Mit Schreiben vom 16.03.2021 teilte die Insolvenzverwalterin dem Kläger mit, etwaig zu Gunsten der Insolvenzschuldnerin gegenüber der ### Insurance plc bestehende Deckungsansprüche aus Arbeiten an dem Bauvorhaben des Klägers aus der Insolvenzmasse freizugeben, soweit ein Absonderungsrecht des Klägers bestünde. Des Weiteren teilte sie mit, eine aus dem mitgeteilten Schaden errechnete Forderung sei zur Insolvenztabelle angemeldet worden (Anlagen K5, K6, Bl. 92 ff d.A.).

Der Kläger, der erstinstanzlich zunächst eine Forderung in Höhe von 151.863,45 € gegen die Beklagte verfolgt hat, hat behauptet, die Versicherungsnehmerin habe einen Flachdachablauf auf dem Gebäude mangelhaft abgedichtet. Es sei deshalb Regenwasser in den Dachaufbau eingedrungen, bis die Dampfsperre komplett geflutet und nach dem andauernden Regen in den Monaten Oktober bis Dezember 2020 am 23.12.2020 übergelaufen sei. Aufgrund dessen seien in verschiedenen Bereichen Wasser in das Gebäude eingedrungen. Bereits zuvor sei ab Herbst 2018 in unregelmäßigen Abständen Wasser in Wohnungen eingedrungen, wobei es zu einer Wanddurchnässung bis zum Fußboden gekommen sei. Weiter hat der Kläger behauptet, die Deckungsansprüche aus der Betriebshaftpflichtversicherung seien von der Insolvenzverwalterin der Versicherungsnehmerin freigegeben worden. Er hat gemeint, daher Zahlungsansprüche, von denen er behauptet hat, diese beruhten auf vom Versicherungsvertrag umfassten Schäden, direkt gegen die Beklagte geltend machen zu können.

Die Beklagte hat gemeint, die Voraussetzungen für eine direkte Inanspruchnahme der Beklagten seien nicht gegeben. So sei der Haftpflichtanspruch schon nicht fällig. Vorsorglich hat sie erklärt, ein etwaig erfolgtes Anerkenntnis eines Haftpflichtschadens durch die Versicherungsnehmerin oder die Insolvenzverwalterin nicht als bindend anzuerkennen. Sie hat geltend gemacht, etwaige Schäden seien von dem Versicherungsvertrag nicht umfasst, auch nicht in Form einer Nachhaftung. Für Mangelbeseitigungskosten, wie sie hier geltend gemacht würden, bestünde grundsätzlich kein Versicherungsschutz.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 21.07.2022 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe nicht dargelegt, dass ihm die behaupteten Schadenersatzansprüche gegen die Versicherungsnehmerin zustünden und er solche gegenüber der Beklagten geltend mache könne. Der Kläger habe nicht hinreichend dargelegt, dass die Versicherungsnehmerin für den behaupteten Schaden verantwortlich sei. Ob der Schaden während oder nach Beendigung des Versicherungsverhältnisses eingetreten sei, könne dahinstehen, da insoweit die vertraglich vereinbarte Nachhaftungsklausel greifen dürfte. Dies bedürfe indes keiner abschließenden Entscheidung, da eine direkte Inanspruchnahme der Beklagten daran scheitere, dass der Kläger nicht dargelegt habe, dass die Insolvenzverwalterin oder die Versicherungsnehmerin den behaupteten Schaden oder eine Verantwortlichkeit anerkannt hätten. Voraussetzung für einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Versicherer sei jedoch, dass ein solcher Haftpflichtanspruch festgestellt worden und im Übrigen fällig sei. Dies könne etwa durch ein Anerkenntnis der Schadenersatzforderung durch den Insolvenzverwalter erfolgen, insbesondere durch die widerspruchslose Feststellung der Haftpflichtforderung zur Insolvenztabelle. Hier aber habe der Kläger nur vorgetragen, die Insolvenzverwalterin habe die Ansprüche freigegeben und in irgendeiner Form zur Insolvenztabelle angemeldet, eine rechtverbindliche Feststellung der Forderung oder deren Anerkenntnis habe der Kläger dagegen nicht dargetan.

Gegen das ihm am 28.07.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 29.08.2022, Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist am 28.10.2022 begründet. Mit der Berufung verfolgt der Kläger nur noch eine Forderung in Höhe von 124.081,95 €.

Der Kläger rügt mit der Berufung die fehlerhafte Feststellung des zu beurteilenden Sachverhalts sowie die unzutreffende Anwendung materiellen Rechts. Das Landgericht habe den Vortrag des Klägers in wesentlichen Punkten nicht zur Kenntnis genommen. So habe er zur Schadensursache und der Verantwortlichkeit der Versicherungsnehmerin hierfür vorgetragen und dies unter Beweis gestellt. Die Schadensursache sei während der Versicherungsdauer gesetzt worden, weswegen es auf die Frage der Nachhaftung nicht ankäme. Jedenfalls aber wäre der Schaden während der Nachhaftungszeit eingetreten. Er meint, die Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin sei einem Anerkenntnis durch diese gleichzusetzen. Diese sei nach der Freigabeerklärung für einen Rechtsstreit über die Feststellung der Forderung zur Tabelle nicht mehr passiv legitimiert. Er könne im Verhältnis zur Insolvenzverwalterin keine darüberhinausgehende Erklärung erreichen. Die Beklagte habe sich zudem darauf berufen, ein Anerkenntnis der Versicherungsnehmerin oder Insolvenzverwalterin nicht als bindend anzuerkennen; dies eröffne den Weg zur direkten Inanspruchnahme.

Versicherungsschutz bestehe nach Ziffern 7.9 und 7.10 ###-Wording für die mit der Berufung noch geltend gemachten Kosten in einer Gesamthöhe von 124.081,95 €.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.07.2022 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 124.081,95 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Prozentpunkten über den Basiszinssatz gemäß § 247 BGB jährlich seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insbesondere vertritt sie die Auffassung, die Voraussetzungen des § 110 VVG lägen nicht vor, da die Freigabe eines Absonderungsrechts nicht mit dem Anerkenntnis zum Haftpflichtanspruch gleichzusetzen sei. Des Weiteren verweist sie darauf, dass sich sämtliche streitgegenständlichen Rechnungen auf die Neuerstellung bzw. Nacherfüllung des von der Versicherungsnehmerin geschuldeten Werkes bezögen. Soweit der Kläger auf Kosten als Folge einer mangelhaften Teilleistung (Einbau des Dachablaufs) abstelle, seien diese nach Klausel Ziffer 7.8 AHB ebenfalls nicht versichert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die zur Gerichtsakte gereicht worden sind.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die Berufung des Klägers ist lediglich im tenorierten Umfang begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten derzeit keine Leistungen aus der Betriebshaftpflichtversicherung verlangen, da der Freistellungsanspruch nicht fällig ist. Mangels Fälligkeit ist die Klage als jedenfalls derzeit unbegründet zurückzuweisen. Die Frage, ob und inwieweit dem Kläger ein Haftpflichtanspruch gegen die Versicherungsnehmerin zusteht, bedarf im Rahmen des hier geführten Rechtsstreits keiner Entscheidung.

Im Einzelnen:

1. Ein Direktanspruch eines geschädigten Dritten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers besteht im Regelfall aufgrund des im Haftpflichtversicherungsrecht herrschenden Trennungsprinzips nicht. Vielmehr sind die Haftpflichtansprüche zwischen dem Geschädigten und dem schädigenden Versicherungsnehmer sowie die versicherungsvertraglichen Ansprüche im Deckungsverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Haftpflichtversicherer in der Regel in getrennten Prozessen zu behandeln (BGH, Urteil vom 13. Februar 1980 – IV ZR 39/78). Dabei setzt die Fälligkeit des Versicherungsanspruchs die Feststellung des Haftpflichtanspruchs voraus (§ 106 VVG).

2. Ist – wie im vorliegenden Fall – über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet worden, kann der geschädigte Dritte wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen (§ 110 VVG). Die Versicherungsleistung soll in einem solchen Fall allein dem Geschädigten zustehen und nicht allen Gläubigern als Teil der Insolvenzmasse zu Gute kommen (BGH, Urteil vom 07. April 2016 – IX ZR 216/14). Der Geschädigte kann deshalb den Haftpflichtversicherer des Schädigers ohne Pfändung und Überweisung des Deckungsanspruchs unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen (BGH, Urteil vom 10. März 2021 – IV ZR 309/19).

Voraussetzung für die unmittelbare Inanspruchnahme des Versicherers ist aber – wie beim Zahlungsanspruch des Versicherungsnehmers – auch hier, dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten nach § 106 VVG festgestellt worden und der Entschädigungsanspruch fällig geworden ist (BGH, Urteil vom 07. April 2016 – IX ZR 216/14; Langheid in: Langheid/Rixecker, 7. Aufl. 2022, VVG § 110, Rn. 2; Lücke: in Prölss/Martin, 31. Auflage, VVG § 110, Rn 5).

Nach § 106 S. 1 VVG ist der Anspruch des Dritten mit bindender Wirkung für den Versicherer durch rechtskräftiges Urteil, Anerkenntnis oder Vergleich festzustellen. Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer dann vom Anspruch des Dritten freizustellen (§ 106 S. 1 VVG). Da der Geschädigte durch § 110 VVG keine weitergehende Rechtsstellung als der Versicherungsnehmer erlangt, tritt auch insoweit Fälligkeit des Freistellungsanspruchs erst ein, wenn der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gemäß § 106 S. 1 VVG festgestellt worden ist (BGH, Urteil vom 10. März 2021 – IV ZR 309/19).

An einer solchen Feststellung fehlt es im vorliegenden Fall bislang. Weder liegt ein rechtskräftiges Urteil gegen die Versicherungsnehmerin vor, noch wurden ein Vergleich geschlossen oder ein Anerkenntnis abgegeben.

Zwar wird regelmäßig die widerspruchslose Feststellung des Haftpflichtanspruchs zur Tabelle als Anerkenntnis im Sinne des § 106 S. 1 VVG gewertet (vgl. BGH, a.a.O., zur vorhergehenden Rechtsprechung zu § 154 Abs. 1 S. 1 VVG a.F, an der der BGH auch für § 106 S. 1 VVG festhält). Eine derartige Feststellung ist im vorliegenden Fall jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Lediglich dem Schreiben der Insolvenzverwalterin vom 16.03.2021 ist überhaupt zu entnehmen, dass eine Anmeldung zur Tabelle erfolgt sein soll, deren Schicksal aber unbekannt ist. Ob die Beklagte Kenntnis von der Forderungsanmeldung sowie der Freigabe des Deckungsanspruchs hatte, etwa, weil sie durch die Insolvenzverwalterin informiert wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Da jedoch eine bloße Kenntnis der Beklagten von der Forderungsanmeldung sowie der Freigabe des Deckungsanspruchs nicht ausreichend ist, da weder das eine noch das andere eine Fälligkeit im Sinne des § 106 S. 1 VVG begründet, bedarf dies keiner weiteren Aufklärung.

Anders als der Kläger meint, steht die Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin einem Anerkenntnis der Haftpflichtforderung nicht gleich. Mit der Freigabeerklärung trägt die Insolvenzverwalterin lediglich dem Absonderungsrecht des Klägers Rechnung. Dies aber hat keine Aussagekraft in Bezug auf die Haftpflichtforderung; über diese gibt die Insolvenzverwalterin – anders als bei einer Feststellung zur Tabelle – durch die Freigabe des Deckungsanspruchs gerade keine Erklärung ab.

3. Eine Feststellung des Haftpflichtanspruchs inzidenter im Rahmen des hier geführten Deckungsrechtsstreits ist nicht geboten, mithin über die Frage, ob und in welchem Umfang dem Kläger Ansprüche gegen die Versicherungsnehmerin zustehen könnten, nicht zu entscheiden.

Eine solche inzidente Prüfung ist im Lichte des grundsätzlich im Haftpflichtversicherungsrecht geltenden Trennungsprinzips nur ausnahmsweise möglich. So etwa, wenn ohne weitere Beteiligung oder Prüfungsmöglichkeit durch den Versicherer eine Feststellung des Haftpflichtanspruchs stattgefunden hat und streitig ist, ob es sich hierbei um eine den Versicherer im Deckungsverhältnis bindende Feststellung im Sinne des § 106 S. 1 VVG handelt. Es wird in diesen Fällen eine inzidente Prüfung der Haftpflichtfrage durchgeführt, da die bindende Wirkung im Sinne des § 106 S. 1 VVG regelmäßig nur in dem Umfang eintritt, in welchem eine Haftpflichtschuld des Versicherungsnehmers nach materieller Rechtslage tatsächlich besteht (BGH, Urteil vom 10. März 2021 – IV ZR 309/19). Dies hat seine Grundlage in dem Leistungsversprechen des Versicherers, der keine Deckungspflicht übernimmt, ohne dass er zuvor die Möglichkeit hat, die Berechtigung des von dem Geschädigten gegen den Versicherungsnehmer geltend gemachten Anspruch zu prüfen (vgl. Ziffer 5.1 AHB; zudem: BGH a.a.O.).  Ebenso ist eine inzidente Prüfung dann ausnahmsweise möglich, wenn sich Haftpflichtanspruch und Deckungsanspruch durch Abtretung des letzteren an den Haftpflichtgläubiger in einer Hand vereinen (BGH, Urteil vom 02. April 2016 – IV ZR 531/14). Keine der genannten Voraussetzungen aber liegt hier vor.

Ohne Erfolg beruft sich der Kläger schließlich darauf, der Weg der direkten Inanspruchnahme der Beklagten sei durch deren Erklärung eröffnet, ein etwaiges Anerkenntnis des Haftpflichtanspruchs nicht gegen sich gelten zu lassen. Auch dies führt nicht zu einer Inzidenzprüfung des Haftpflichtanspruchs im Rahmen des Deckungsprozesses. Der Kläger verkennt, dass es erst eines solchen Anerkenntnisses bedürfte, bevor eine Prüfung dessen Bindungswirkung überhaupt in Betracht kommt. Die Erklärung der Beklagten lässt die tatbestandlichen Voraussetzungen im Sinne des § 106 S. 1 VVG nicht entfallen.

4. Die Freigabeerklärung der Insolvenzverwalterin führt auch aus anderen Gründen nicht zu einer inzidenten Prüfung des Haftpflichtanspruchs im hier geführten Deckungsprozess.

Materiell-rechtlich erwächst dem Geschädigten im Fall des § 110 VVG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs ein gesetzliches Pfandrecht an dem Deckungsanspruch (BGH, Beschluss vom 25. September 2014 – IX ZB 117/12; Urteil vom 07. April 2016 – IX ZR 216/14). Der geschädigte Dritte kann – wie bereits ausgeführt – den Haftpflichtversicherer des Schädigers hieraus ohne Pfändung und Überweisung des Deckungsanspruchs unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen (BGH, Urteil vom 10. März 2021 – IV ZR 309/19).

Gibt der Insolvenzverwalter, wie hier im Streitfall geschehen, die Versicherungsforderung im Umfang des Absonderungsrechts frei, besteht das gesetzliche Pfandrecht des Geschädigten an dieser Forderung fort (BGH, Beschluss vom 25. September 2014 – IX ZR 117/12). Die Verwertung des Pfandrechts erfolgt nach den für dieses Recht geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Passiv legitimiert ist nun – worauf der Kläger insoweit zu Recht hinweist – wegen der Freigabe nicht mehr der Insolvenzverwalter (BGH, Urteil vom 2. April 2009 – IX ZR 23/08).

Dies führt jedoch, anders als der Kläger meint, nicht dazu, dass eine Verfolgung des Haftpflichtanspruchs gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht mehr möglich ist.

Denn die fehlende Passivlegitimation bezieht sich, wie der Kläger selbst unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichtshofs ausführt, auf das Absonderungsrecht, d. h. auf die abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungs- bzw. Deckungsanspruch. Dass dem Kläger eine Verfolgung seiner Haftpflichtansprüche gegen den Insolvenzverwalter durch die Freigabe des Deckungsanspruchs endgültig verwehrt wäre, ergibt sich aus der angeführten Entscheidung nicht. Im Gegenteil führt der BGH dort aus (Rn 9):

„Der Haftpflichtgläubiger – im Streitfall die Klägerin – ist nach § 52 Satz 2 InsO vielmehr zur anteilsmäßigen Befriedigung aus der Insolvenzmasse nur berechtigt, soweit er … bei der Durchsetzung seines jetzigen Pfandrechts am freigegebenen Anspruch auf Haftpflichtdeckung nach § 1282 BGB mit diesem ausgefallen ist“.

Dies aber setzt gerade voraus, dass der Gläubiger seinen Haftpflichtanspruch zur Tabelle anmelden und in der Folge auch feststellen lassen kann (vgl. zum Recht des absonderungsberechtigten Gläubigers auf Anmeldung zur Tabelle auch Ganter in: MüKoInsO, 4. Aufl., 2019, InsO § 52, Rn 17).

Unabhängig von einer Anmeldung seiner Forderung zur Tabelle kann der Geschädigte nach Freigabe des Deckungsanspruchs das ihm erwachsene Pfandrecht mit einer Klage gegen den Schädiger auf Duldung der Zwangsvollstreckung oder auf Gestattung der Befriedigung aus dem Pfandrecht geltend machen (§ 1282 Abs. 2, § 1277 BGB; BGH, Beschluss vom 25. September 2014 – IX ZR 117/12; Urteil vom 02. April 2009 – IX ZR 23/08). Das Bestehen des Haftpflichtanspruchs aber wird erst in diesem Verfahren, mithin in dem gegen den Schädiger geführten Verfahren, mit Feststellungswirkung gegenüber dem Versicherer geklärt (BGH, Urteil vom 2. April 2009 – IX ZR 23/08; Urteil vom 07. April 2016 – IX ZR 216/14).

In diesem Sinne hat auch der BGH in seinem Urteil vom 09. Januar 1991 (IV ZR 264/89; noch zu § 154 Abs.1 S. 1 VVG a.F.) entschieden:

„Gemäß 154 Abs. 1 Satz 1 VVG hat der Haftpflichtversicherer, wenn abgesonderte Befriedigung gemäß § 157 VVG verlangt wird, die Entschädigung binnen zwei Wochen von dem Zeitpunkt an zu leisten, in welchem der Anspruch des Dritten durch rechtskräftiges Urteil, durch Anerkenntnis oder Vergleich festgestellt worden ist. Solange und soweit es an einer derartigen Feststellung der Forderung des Dritten fehlt, kann der absonderungsberechtigte Dritte nicht Leistung des Versicherers an sich fordern. Er hat keine weiterreichende Rechtsstellung als der Versicherungsnehmer.“

Da der Kläger eine solche Feststellung seiner Forderungen noch nicht erlangt hat, kann er mithin allein aufgrund des Absonderungsrechts noch keine Leistung der Beklagten an sich verlangen. Der Deckungsanspruch ist nicht fällig und daher auch noch nicht durchsetzbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Dem Kläger waren trotz des Teilunterliegens der Beklagten die gesamten Kosten der Berufung aufzuerlegen, da der Teilerfolg der Berufung verhältnismäßig geringfügig war und keine höheren Kosten verursacht hat, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert.

Der Streitwert entspricht dem Wert des mit der Berufung noch verfolgten Zahlungsbegehrens des Klägers.

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