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Berufsunfähigkeitsversicherung – Leistungsanspruch bei mitgebrachter Berufsunfähigkeit

OLG Nürnberg – Az.: 8 U 2330/10 – Beschluss vom 28.06.2011

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 28.10.2010, Az. 3 O 1208/10 (3), durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert.

Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen Ansprüche des Klägers aus der bei der Beklagten bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherung aus dem Vertrag Nr. … vom 01.11.2008 verneint und deshalb die Klage als unbegründet abgewiesen.

Der Senat nimmt zunächst Bezug auf die überzeugenden Gründe des angefochtenen Urteils.

Ergänzend ist im Hinblick auf die Berufungsbegründung vom 20.12.2010, den nachfolgenden Schriftsatz vom 14.03.2011 und die Klageänderung aus dem Schriftsatz vom 14.04.2011 Folgendes auszuführen:

1.

Die mit Schriftsatz vom 14.04.2011 im Wege einer Klageerweiterung erstmals und zusätzlich begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Vertragskündigung der Beklagten vom 01.08.2010 hindert eine Entscheidung des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht ( Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 522 Rn. 37; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 522 Rn. 14).

Eine Änderung des Streitgegenstandes im Berufungsverfahren wird wirkungslos, wenn die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen wird. Somit werden nicht nur Klageänderungen nach den §§ 263, 533 ZPO, sondern auch Änderungen des Streitgegenstandes nach § 264 Nr. 2 ZPO mit Erlass des Zurückweisungsbeschlusses wirkungslos. Über die zusätzlich geltend gemachten Streitgegenstände ist im Berufungsverfahren nicht mehr zu entscheiden, gleichgültig, ob diese nach den §§ 263, 533 ZPO oder nach § 264 Abs. 2 ZPO zu beurteilen sind (vgl. grundlegend und ausführlich mit zahlreichen Nachweisen OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.06.2006, 2 U 759/06, MDR 2007, 171).

Ein Vorrang der §§ 263, 533 ZPO bzw. § 264 Abs. 2 ZPO vor der Verfahrensregelung des § 522 ZPO lässt sich bereits nicht auf den Wortlaut dieser Norm stützen. Danach obliegt es dem Berufungsgericht zwingend, eine Berufung, die keine Aussicht auf Erfolg hat, durch Beschluss zurückzuweisen. Als verfahrensrechtliche Voraussetzungen sind in § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO lediglich die Gelegenheit zur Stellungnahme für die Parteien und in § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO die Einstimmigkeit der Entscheidung genannt. Im Normtext findet sich somit kein Anhaltspunkt dafür, dass die gesetzliche Anordnung einer zwingenden Zurückweisung durch Beschluss dann durchbrochen sein soll, wenn der Verfahrensgegenstand im Berufungsverfahren nach den §§ 263, 533 bzw. § 264 Abs. 2 ZPO erweitert worden ist.

Dem entspricht auch die Systematik des § 522 Abs. 2 ZPO, die keinen Raum für die Wahrung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer Entscheidung über einen nach den §§ 263, 533 bzw. 264 Abs. 2 ZPO geänderten Streitgegenstand lässt. In Abgrenzung zum regelmäßigen Berufungsverfahren sieht § 522 Abs. 2 ZPO vollständig vom Mündlichkeitsgrundsatz ab.

Prozesshandlungen, die nach den §§ 263, 533 bzw. 264 Abs. 2 ZPO zu einer Änderung des Streitgegenstandes führen, bedürfen aber nach § 297 ZPO grundsätzlich auch dann einer Antragstellung in der mündlichen Verhandlung, wenn der Anspruch schriftsätzlich erhoben worden ist.

Einen Dispens von dem Erfordernis einer Antragstellung in einer mündlichen Verhandlung ordnet § 522 ZPO für weitere Prozesserklärungen nicht an. Davon geht auch § 533 Nr. 2 ZPO aus, der für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Klageänderung im Berufungsverfahren darauf abgestellt, ob das Berufungsgericht die dafür tragenden Tatsachen seiner Verhandlung zugrunde zu legen hat.

Bei einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ist jedoch eine mündliche Verhandlung gerade ausgeschlossen. Das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO sieht vielmehr vor, dass unverzüglich und ohne mündliche Verhandlung die Berufung zurückzuweisen ist. Damit ist in diesem Verfahren der Zugang zu solchen Prozesshandlungen versperrt, die vor einer Entscheidung der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bedürfen. Dies betrifft auch Anträge auf Änderung des Streitgegenstandes nach den §§ 263, 533 bzw. 264 Abs. 2 ZPO. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes rechtfertigt auch nicht der mit den §§ 263, 533, 264 Abs. 2 ZPO verfolgte Normzweck. Die Regelungen zur nachträglichen Änderung des Streitgegenstands dienen im Wesentlichen der Prozesswirtschaftlichkeit. Trotz einer Änderung des Antrags oder des Lebenssachverhalts im laufenden Verfahren bzw. nach § 533 ZPO in der Berufungsinstanz soll der gesamte zwischen den Parteien bestehende Streit jedenfalls dann einheitlich erledigt werden, wenn die bisherigen Prozessergebnisse zumindest teilweise auch für die neuen Streitgegenstände nutzbar sind.

Das mit § 522 Abs. 2 ZPO im Rahmen der ZPO-Novelle 2002 eingeführte Zurückweisungsverfahren zielt hingegen auf einen Effizienzgewinn bei den Berufungsgerichten. Dem Berufungsgericht wird mit dem Zurückweisungsbeschluss ein Instrument an die Hand gegeben, das es ihm erlaubt, erfolglose Berufungen ohne den Zeitaufwand einer mündlichen Verhandlung zu erledigen. Dies verbessert auch den Rechtsschutz für die in erster Instanz erfolgreiche Partei, die durch den unverzüglich zu erlassenden Zurückweisungsbeschluss zügig abschließende Gewissheit über den Prozessausgang erhält (vgl. BT-Drs. 14/3750, S. 41).

In dem Gesetzestext der Neuregelungen sowie den Gesetzgebungsmaterialien finden sich keine Anhaltspunkte für die Annahme, der vom Reformgesetzgeber verfolgte Normzweck einer Effizienzsteigerung der Berufungsgerichte sei dem mit den §§ 263, 533 bzw. § 264 Abs. 2 ZPO verfolgten Interesse einer Partei an einer einheitlichen Entscheidung auch nachträglich dem Gericht vorgelegter Streitgegenstände unterzuordnen. Im Gegenteil belegt die mit 533 Nr. 2 ZPO angeordnete Verschärfung der Voraussetzungen, die die Einbeziehung eines neuen Streitgegenstands in das Berufungsverfahren rechtfertigen, ein Vorrang des mit der Neuordnung des Berufungsverfahrens verfolgten Zwecks, das Berufungsverfahren schneller und effizienter zu gestalten.

Schließlich erzwingen auch rechtspraktische Erwägungen einen Vorrang der Berufungszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO vor Antragsänderungen nach den §§ 263, 533 bzw. § 264 Abs. 2 ZPO.

Würde eine Antragsänderung auch dann zu berücksichtigen sein, wenn zugleich die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO hinsichtlich des nicht geänderten Streitgegenstands vorliegen, so hätte es die Partei in der Hand, eine mündliche Verhandlung zu erzwingen und damit das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO auszuschließen. Da eine Antragsänderung, die auf keiner Änderung des Lebenssachverhalts beruht, nach § 264 Nr.2 ZPO ohne weitere Voraussetzungen auch im Berufungsverfahren statthaft ist (BGH NJW 2004, 2152), stünde die Durchführung des Zurückweisungsverfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO faktisch zur Disposition der in erster Instanz unterlegenen Partei. Diese hätte es in der Hand, durch eine auch nur geringfügige Erweiterung des auf den unveränderten Lebenssachverhalt gestützten Klageantrags eine mündliche Verhandlung zu erzwingen, selbst wenn die Berufung gegen den unveränderten Antrag keine Aussicht auf Erfolg hat.

Ein solches Ergebnis wäre nicht nur mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Regelungsziel unvereinbar, der auch gerade diese Möglichkeiten einer „Flucht in die Klageänderung/Widerklage/ Prozessaufrechnung“ zugunsten eines Effizienzgewinns bei den Gerichten reduzieren wollte (vgl. etwa BT-Drs. 14/3750, S. 73). Eine dadurch geöffnete Dispositionsmöglichkeit des Berufungsführers über die Gestaltung des Berufungsverfahrens würde diesem vielmehr auch die verfassungsrechtlich bedenkliche Rechtsmacht einräumen, nach seinem Ermessen durch die Stellung eines auch nur geringfügigen Zusatzantrags mittelbar die Anfechtbarkeit der Berufungsentscheidung zu steuern. Dem Berufungsführer wüchse damit die – gerade im Fall von § 264 Nr. 2 ZPO weitgehend nur seiner Willkür unterworfene – Rechtsmacht zu, das Berufungsverfahren und den Rechtsmittelzug zu steuern. Dies ist nicht nur mit dem Wortlaut des § 522 Abs. 2 ZPO unvereinbar, der keine Zustimmung der Parteien für das Beschlussverfahren fordert, sondern widerspricht auch dem Reformzweck einer Effizienzsteigerung der Berufungsgerichte und ist mit dem Gebot der Bestimmtheit des Rechtsmittelzugs sowie des gesetzlichen Richters unvereinbar.

Änderungen des Streitgegenstands im Berufungsverfahren sind somit dann wirkungslos, wenn die Berufung auf der Grundlage des unveränderten Sachantrags nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird. Dies gilt nicht nur für eine Widerklage (OLG Frankfurt a.M. NJW 2004, 165) und eine nach § 533 ZPO unzulässige Klageänderung (OLG Nürnberg MDR 2003, 770). Vielmehr fordert der mit der Änderung des Berufungsverfahrens verfolgte Normzweck einen Vorrang des Zurückweisungsverfahrens auch dann, wenn eine zulässige Klageänderung nach den §§ 263, 533 ZPO (vgl. OLG Rostock NJW 2003, 3211; OLG Frankfurt NJW 2004, 165; OLG Köln, Beschluss vom 15.06.2005, Az. 2 U 44/05, BeckRS 2005/07952) oder eine nicht als Klageänderung anzusehende Antragsänderung nach § 264 Abs. 2 ZPO vorliegt (siehe dazu OLG Koblenz, OLGR 2004, 17 f., diese Frage letztlich offen lassend).

Diesen überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Nürnberg (MDR 2007, 171) schließt sich der erkennende Senat an.

Mit der Zurückweisung der Berufung des Klägers nach § 522 Abs. 2 ZPO werden daher auch die von ihm geltend gemachten Antragsänderungen unwirksam.

2.

Materiell-rechtlich hat der Kläger schon deshalb keinen Leistungsanspruch gegen die Beklagte aus der fraglichen Berufsunfähigkeitsversicherung vom 01.11.2008, weil die vertraglichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind.

Für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche kommt es allein darauf an, ob die tatsächlichen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen die Beklagte entsprechend den vereinbarten Bedingungen Leistungen zu gewähren hat.

Diese Voraussetzungen ergeben sich ausweislich der Rubrik „Vertragsgrundlagen“ des Versicherungsscheines Nr. … vom 24.10.2008 (vgl. Anlage K 1) im hier interessierenden Umfang aus den „Bedingungen für die b Berufsunfähigkeitszusatzversicherung der H L AG (Stand 01.04.2008)“.

Dort wiederum heißt es in § 2 Absatz (1) („Welche Leistungen erbringen wir?“):

Wird die versicherte Person während der Dauer dieser Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu mindestens 50% berufsunfähig, so entsteht der Anspruch auf folgende Versicherungsleistungen, sofern diese nach dem Versicherungsvertrag versichert sind:

– Beitragsbefreiung …

– Berufsunfähigkeitsrente …

Danach ist entscheidend, ob der Versicherte „während der Dauer“ des Vertragsverhältnisses berufsunfähig geworden ist. Gemäß der in § 3 Absatz (1) der Bedingungen („Was ist Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen?“) bestimmten Definition der vollständigen Berufsunfähigkeit liegt diese vor,

wenn und solange die versicherte Person der infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande sein wird, ihren Beruf auszuüben und auch keine andere Tätigkeit ausübt. …

Auch aus der weiteren vertraglichen Regelung in § 2 Absatz (4) der Bedingungen

Der Anspruch auf Berufsunfähigkeitsleistungen gem. Abs. 1 entsteht grundsätzlich an dem Tag, an dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist. …

ergibt sich zweifelsfrei, dass der Eintritt der Berufsunfähigkeit als Zeitpunkt der Entstehung von Leistungsansprüchen innerhalb der dem Versicherungsverhältnis zugrunde liegenden Vertragslaufzeit liegen muss.

Die Feststellung, der Versicherte sei während der Vertragsdauer berufsunfähig geworden, setzt also voraus, dass er nach Vertragsschluss infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls für voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen die Fähigkeit zu mindestens 50% verloren hat, in seinem bis dahin konkret ausgeübten Beruf tätig zu sein.

War der Versicherte schon vor Vertragsschluss nicht mehr fähig, in seinem konkret ausgeübten Beruf tätig zu sein, kann die Feststellung nicht getroffen werden, er habe die Fähigkeit zur Berufsausübung erst während der Vertragsdauer verloren (BGH NJW-RR 1993, 671).

Da nach den Feststellungen des Landgerichts der Kläger schon vor Beginn des Vertragsverhältnisses nicht mehr in der Lage war, seinem zu jener Zeit konkret ausgeübten Beruf als selbständiger Inhaber eines Glasveredelungsbetriebes nachzugehen, steht fest, dass er die Fähigkeit, in diesem Beruf tätig zu sein, nicht erst während der Vertragsdauer verloren hat. Damit fehlt eine der notwendigen Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Beklagten.

Unstreitig war der Kläger seit 19.02.2008 wegen seiner Darmkrebserkrankung ununterbrochen arbeitsunfähig. Mithin wusste der Kläger im Zeitpunkt seiner Antragstellung für die streitbefangene Berufsunfähigkeitsversicherung am 08.10.2008 (K 4), dass er ununterbrochen seit nahezu 8 Monaten zur Berufsausübung krankheitsbedingt außerstande war und deshalb das Kriterium der vertraglich definierten Berufsunfähigkeit bereits vorlag und im Zeitpunkt des vertraglich vorgesehenen Versicherungsbeginns am 01.11.2008 auch weiterhin vorliegen würde.

Der Einwand der Berufung, es werde „keinesfalls zugestanden, dass der Kläger bereits vorvertraglich berufsunfähig war“, diese „Einschätzung stamme allein von der Beklagten“ und „sei nicht unstreitig“, der „Kläger sei zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht davon ausgegangen, dauerhaft berufsunfähig zu sein“ sondern sei vielmehr davon ausgegangen, „dass er mit einer großen Wahrscheinlichkeit an der Darmkrebserkrankung versterben oder aber eben wieder gesund werde“, ist insoweit unbehelflich.

Entscheidend ist nicht, ob der Kläger selbst sich damals als dauerhaft berufsunfähig eingeschätzt hat. Entscheidend ist vielmehr, ob in tatsächlicher Hinsicht im Zeitpunkt des Beginns des Vertragsverhältnisses (Antrag 08.10.2008, Versicherungsschein vom 24.10.2008 und Versicherungsbeginn 01.11.2008) die konkrete „Berufsunfähigkeit infolge Darmkrebserkrankung“ bereits vorlag.

Die hierfür erforderlichen Tatsachen (Befunde, Diagnosen und ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit ununterbrochen seit 19.02.2008) werden aber auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt, vielmehr von diesem im Rahmen des von der Beklagten in Kopie vorgelegten Formulars „Angaben zum Gesundheitszustand“ als Teil seines Leistungsantrages (vgl. Anlage B 1) ausdrücklich in Schriftform eingeräumt und darüber hinaus nachgewiesen durch das von der Beklagten vorgelegte Pendelformular als Nachweis über Arbeitsunfähigkeit (vgl. Anlage B 1).

Es bestehen deshalb keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen. Die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegende tatsächliche Feststellung der vorvertraglichen Berufsunfähigkeit des Klägers ist damit für das Berufungsgericht bindend (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Da somit die vertragliche Voraussetzung einer Leistungspflicht der Beklagten nicht erfüllt ist, stehen dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf Versicherungsleistungen nicht zu.

3.

Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Berufung, infolge abweichender individualrechtlicher Vereinbarung zwischen den Parteien bestehe gleichwohl eine Leistungspflicht der Beklagten.

a)

Zunächst ist festzuhalten, dass eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Parteien, wonach die Beklagte ungeachtet der vorvertraglich schon bestehenden Berufsunfähigkeit Leistungen aus dem Versicherungsvertrag Nr. … zu erbringen hat, vom Kläger weder substantiiert behauptet noch sonst ersichtlich ist.

Demzufolge käme nur eine stillschweigende (konkludente) Abänderung des sich aus der Verwendung der konkreten Versicherungsbedingungen ansonsten ergebenden Vertragsinhaltes in Betracht.

b)

Das Vorbringen des Klägers zu diesem Punkt lässt sich zusammenfassend darauf reduzieren, die Beklagte hätte durch den – unstreitigen – Verzicht auf eine Gesundheitsprüfung bei Vertragsabschluss im Oktober 2008 mit dem Kläger eine stillschweigende Vertragsabrede des Inhalts getroffen, dass dieser von einer unwiderlegbaren Vermutung der bestehenden vorvertraglichen Berufsfähigkeit geschützt sei. Dies vermag nicht zu überzeugen.

Zuerst ist festzuhalten, dass die von der Beklagten hier verwendeten BUZ-Bedingungen keinerlei Bestimmungen zu einer im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss stehenden Gesundheitsprüfung (sei es durch Fragebogen oder durch ärztliche Untersuchung) enthalten. Die in diesem Regelwerk enthaltenen Mitwirkungspflichten des Versicherten (vgl. § 7) beziehen sich ausschließlich auf den Zeitraum nach Geltendmachung von Leistungsansprüchen. Da somit eine Gesundheitsprüfung bedingungsgemäß nicht Voraussetzung einer vertraglichen Leistungspflicht aus der Berufsunfähigkeitsversicherung war, kann in einem Verzicht auf eine solche kein den Vertragsinhalt konkludent abändernder Umstand gesehen werden.

Auch der in § 13 Absatz (11) (Wie ist das Verhältnis zu Hauptversicherung?) enthaltene Globalverweis

Soweit in diesen Bedingungen nichts anderes bestimmt ist, finden die Versicherungsbedingungen für die Hauptversicherung Anwendung.

ist insoweit unbehelflich. Denn in den „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die t Basisrente“ finden sich unter § 6 (Was bedeutet die vorvertragliche Anzeigepflicht?) Ausführungen zu Gestaltungsrechten der Beklagten (Rücktritt, Kündigung, Anfechtung) für den Fall, dass der Versicherte entgegen seiner Verpflichtung nicht „alle vor Vertragsabschluss in Textform gestellten Fragen wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet“ hat.

Daraus kann gegebenenfalls eine Verknüpfung von „Verzicht auf Fragestellung“ mit „Wegfall der einseitigen Gestaltungsrechte“ abgeleitet werden, nicht aber eine solche von „Frage-Verzicht“ und „Erweiterung vertraglicher Leistungspflichten“.

c)

Ohne Relevanz für den vorliegenden Fall sind auch die vom Kläger angeführten Entscheidungen des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 27.02.1992 (8 U 2577/91, NJW-RR 673) und des Landgerichts Hamburg vom 02.12.1999 (319 O 149/99, VersR 2002, 427). Die entsprechenden Ausführungen des Erstgerichts hierzu in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils sind rechtsfehlerfrei und überzeugen auch den Senat.

Im vorliegenden Fall fehlt es gerade an einem nach außen hin in Erscheinung getretenen Umstand, an den der Kläger bei Vertragsschluss die schutzwürdige Erwartung der Erbringung von BUZ-Leistungen trotz der nach eigener Kenntnis bereits zuvor eingetretenen Berufsunfähigkeit knüpfen konnte. In Abweichung zu den beiden vorgenannten Judikaten hat die Beklagte hier nicht eine Verbindung zwischen bestehendem Arbeitsverhältnis bei tatsächlich ausgeübter Erwerbstätigkeit (bei Vertragsschluss belegt durch Arbeitgeberbescheinigung bzw. Gruppenversicherung für Arbeitnehmer eines Betriebes im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge) und dem Verzicht auf eine Gesundheitsprüfung für Bestandskunden hergestellt, die sie nunmehr im Wege einer konkludenten individualvertraglichen Leistungsabrede gegen sich gelten lassen müsste.

d)

Auch fällt hier ins Gewicht, dass der vom Kläger für sich in Anspruch genommene Vertragsinhalt (Leistungspflicht trotz vorvertraglicher BU) das Grundverständnis eines Versicherungsverhältnisses und die daran anknüpfenden gesetzlichen Regelungen auf den Kopf stellen würde.

Die Berufsunfähigkeit kann einen sogenannten gedehnten Versicherungsfall darstellen. Ein solcher löst die Eintrittspflicht des Versicherers nur dann aus, wenn auch sein Beginn in den Haftungszeitraum des Versicherungsvertrages fällt. Dagegen genügt nicht, daß der Versicherungsfall sich bis in den versicherten Zeitraum hinein fortsetzt. Die Gefahrtragung durch die Beklagte ist auf die Zeit nach Abschluss des Versicherungsvertrages und nach Eingang des Einlösungsbetrages beschränkt. Ist im Versicherungsschein als „Beginn der Versicherung“ ein vor dem Ausstellungsdatum liegender Tag angegeben, so kann dies entweder den Abschluss einer Rückwärtsversicherung bedeuten oder lediglich den prämienbelasteten Zeitraum festlegen. Der Haftungszeitraum ergibt sich in einem solchen Fall aus den weiteren Vereinbarungen der Vertragsschließenden. Es kann davon ausgegangen werden, dass beim Fehlen einer weiteren Erläuterung in der Regel mit dem als Vertragsbeginn bezeichneten Zeitpunkt der Beginn des Versicherungsschutzes gemeint ist (BGH VersR 1984, 630).

Zwar ist bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung eine Rückwärtsversicherung möglich (vgl. BGHZ 111, 44). Dies bezieht sich jedoch nur auf den – hier nicht gegebenen – Fall , in dem der Versicherungsnehmer ein Interesse daran haben kann, bereits für die Zeit zwischen Antragstellung und Annahme Versicherungsschutz zu genießen.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG ist der Versicherer bei der Rückwärtsversicherung von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer bei der „Schließung des Vertrages“ wußte, dass der Versicherungsfall bereits eingetreten ist.

Sinn des § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG ist, dass keine der Vertragsparteien von den für sie günstigen Umständen bei Vertragsschluss wissen darf. Das Vertragsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer ist wesentlich von der Gleichwertigkeit der Leistungen bestimmt, nämlich dass der Prämienzahlung eine ständig gegenwärtige Gefahr gegenübersteht, der Versicherungsfall könne eintreten. § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG will diese Gleichwertigkeit der Leistungen sicherstellen. Sie wäre deutlich gestört, ließe man zu, dass der Versicherungsnehmer auch schon bei Antragstellung Kenntnis vom Versicherungsfall haben dürfe. In diesem Falle verspräche der Versicherer von vornherein eine sichere Geldleistung, die in der Prämie nicht berücksichtigt ist. Ohne ein zum Ausdruck gekommenes oder aus den Umständen zweifelsfrei zu schließendes Einverständnis des Versicherers damit, dass er auch für einen Versicherungsfall einstehen will, den der Versicherungsnehmer schon bei Antragstellung kannte, kann nicht angenommen werden, die Vertragsparteien hätten auch für diesen Fall § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG abbedungen (BGH NJW 1992, 1505).

Dieser das gesetzliche Leitbild einer Versicherung prägende Normzweck des § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG ist deshalb auch dann einschlägig, wenn der Versicherungsfall bereits vor Antragstellung – hier also bis zum 08.10.2008 (K 4) – eingetreten ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt. Versicherungsfall ist der Eintritt der Berufsunfähigkeit, hier eingetreten am 19.02.2008.

Zudem ist hier die BUZ-Versicherung als Zusatzversicherung an die von dem Kläger beantragte „Fondsgebundene Rentenversicherung mit einem in der Zukunft liegenden Rentenbeginn (sogenannte aufgeschobene Rentenversicherung“ (vgl. § 1 (1) Allgemeine Versicherungsbedingungen für die t Basisrente) angelehnt. Sie konnte daher nur mit der Rentenversicherung abgeschlossen werden (§ 13 (1) BUZ-Bedingungen). Daraus ergibt sich zugleich, daß der Versicherungsschutz aus der BUZ-Versicherung nicht ohne den aus der Rentenversicherung entstehen konnte.

Denn in Fällen, in denen die BUZ-Versicherung zusammen mit der Hauptversicherung (hier Rentenversicherung) abgeschlossen wird, muss eine Gesamtbetrachtung des Versicherungsverhältnisses stattfinden (BGH VersR 1984, 630). Diese ergibt, dass der Versicherer das mit der Zusatzversicherung verbundene Risiko erst nach Abschluss des Hauptvertrages tragen will. Das folgt auch aus § 13 Absatz (11) der dem Verhältnis der Parteien zugrunde liegenden BUZ-Bedingungen, wonach für diese Versicherung die AVB der Hauptversicherung – hier der Rentenversicherung – sinngemäß Anwendung finden, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Für eine dem widersprechende Loslösung des BU-Versicherungsschutzes von der vom Kläger zeitgleich und eben mit Wirkung erst ab 01.11.2008 abgeschlossenen Rentenversicherung kann der Verzicht auf Gesundheitsprüfung nicht von Bedeutung sein, weshalb auch insoweit keine Indizwirkung für eine konkludente individualvertragliche Vorverlagerung des Versicherungsschutzes besteht.

Zwar kann in der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung für den Versicherungsschutz gegen Berufsunfähigkeit ein materieller Versicherungsbeginn vereinbart werden, der zeitlich vor der Antragstellung liegt (vgl. OLG Karlsruhe VersR 2006, 350). Das ist hier aber nicht der Fall, da der Kläger in seinem Antrag vom 08.10.2008 (K 4) ausdrücklich den 01.11.2008 als Versicherungsbeginn bezeichnet hat.

Im Ergebnis bleibt es deshalb bei der Vertragslage, dass nur diejenige Berufsunfähigkeit des Klägers versichert ist, die während des Laufs des Versicherungsverhältnisses entsteht. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung kann nicht dahin verstanden werden, dass auch bereits vorhandene Leiden, die nach ihrem Erkennen zur Offenbarung der Berufsunfähigkeit führen, versicherbar sind. Das Risiko einer Berufsunfähigkeit infolge eines bereits vorhandenen, aber nicht erkannten Leidens ist für den Versicherer nicht kalkulierbar und damit nicht versicherbar. Das die Berufsunfähigkeit auslösende Ereignis muss deshalb innerhalb jenes Zeitraums eingetreten sein, für welchen der Versicherer die Gefahr vertraglich übernommen hat (vgl. Benkel/Hirschberg, 2. Aufl. 2011, BUZ 2008 § 1 Rn. 13 m.w.N.).

Dies entspricht auch dem gesetzlichen Leitbild der Berufsunfähigkeitsversicherung. Denn nach § 172 Abs. 1 VVG ist „der Versicherer verpflichtet, für eine nach Beginn der Versicherung eingetretene Berufsunfähigkeit die vereinbarten Leistungen zu erbringen.“ Einen Willen seines Vertragspartners, davon abweichen zu wollen, hat der Kläger nicht nachzuweisen vermocht.

4.

Da es im vorliegenden Fall nicht um vertragliche Anzeigepflichten oder andere Obliegenheiten im Sinne von § 19 VVG geht, vermögen die diesbezüglichen Ausführungen der Berufung keine Erfolgsaussichten des Rechtsmittels zu begründen. Auf die auch insoweit zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil (Seiten 9-10) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

5.

Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

 

 

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