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Berufsunfähigkeitsversicherung – Feststellung einer Berufsunfähigkeit von mehr als 50 %

Berufsunfähigkeit: Die 50-Prozent-Hürde und ihre Auswirkungen

Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist ein zentrales Instrument zur Absicherung des individuellen Lebensstandards im Falle einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. Sie gewährleistet, dass Versicherte im Falle einer Berufsunfähigkeit finanziell abgesichert sind. Doch was genau bedeutet es, wenn von einer „Berufsunfähigkeit von mehr als 50 %“ die Rede ist?

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 O 9/06   >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Berufsunfähigkeitsversicherung: Schutz bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
  • 50-Prozent-Klausel: Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn mehr als 50% der zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht mehr möglich ist.
  • Attest: Muss Aussage enthalten, dass Berufsunfähigkeit voraussichtlich mehr als sechs Monate anhält.
  • ärztliches Gutachten: Zentrales Element für die Feststellung der Berufsunfähigkeit.
  • Private Berufsunfähigkeitsversicherung: Mögliche Tücken bei der Leistung trotz Berufsunfähigkeit von mehr als 50%.
  • Berufsunfähigkeit: Liegt vor, wenn für mindestens 6 Monate mehr als 50% des bisherigen Berufs nicht mehr ausgeübt werden kann.
  • Feststellung der Berufsunfähigkeit: Kernaspekt, was mit der Berufsunfähigkeitsversicherung versichert werden soll.

Die Definition der Berufsunfähigkeit

Eine der zentralen Fragen im Kontext der Berufsunfähigkeitsversicherung ist die genaue Definition von Berufsunfähigkeit. Hierbei spielt insbesondere die 50-Prozent-Klausel eine entscheidende Rolle. Diese Klausel besagt, dass eine Berufsunfähigkeit dann vorliegt, wenn die letzte berufliche Tätigkeit zu mehr als 50 % nicht mehr ausgeübt werden kann. Das bedeutet, dass die betroffene Person aufgrund von Krankheit oder Unfall nicht mehr in der Lage ist, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit in vollem Umfang fortzuführen.

Die Rolle des ärztlichen Gutachtens

Ein zentrales Element bei der Feststellung einer Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % ist das ärztliche Gutachten. Dieses Gutachten ist entscheidend, um festzustellen, ob und in welchem Ausmaß eine Person berufsunfähig ist. Dabei ist es von Bedeutung, dass das Attest die Aussage enthält, dass der Zustand der Berufsunfähigkeit voraussichtlich mehr als sechs Monate andauern wird und dass mehr als 50 Prozent der Tätigkeiten des zuletzt ausgeübten Berufes nicht mehr möglich sind.

Private Berufsunfähigkeitsversicherung und ihre Tücken

Wer eine private Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt, geht in der Regel davon aus, im Falle einer Berufsunfähigkeit finanziell abgesichert zu sein. Doch es gibt Fälle, in denen trotz einer Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % keine Leistung erbracht wird. Dies kann verschiedene Gründe haben, beispielsweise bestimmte Ausschlusskriterien im Versicherungsvertrag oder eine nicht korrekte Feststellung des BU-Beginns.

Relevanz für die Leistung und offene Fragen

Die genaue Definition und Feststellung der Berufsunfähigkeit hat direkte Auswirkungen auf die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung. Es ist daher von größter Bedeutung, sich im Vorfeld genau über die Bedingungen und Voraussetzungen zu informieren und sicherzustellen, dass im Falle einer Berufsunfähigkeit auch die entsprechenden Leistungen erbracht werden. Es bleiben jedoch auch offene Fragen: Wie oft wird die Berufsunfähigkeit geprüft? Wer entscheidet letztendlich über eine Berufsunfähigkeit? Und welche Rolle spielen Gesundheitsgründe oder eine schwerbehinderung bei der Beurteilung?

Die Bedeutung des Urteils

Das vorliegende Urteil beleuchtet die zentralen Aspekte und Herausforderungen im Kontext der Berufsunfähigkeitsversicherung. Es zeigt auf, wie wichtig eine genaue Definition und Feststellung der Berufsunfähigkeit ist und welche Rolle das ärztliche Gutachten dabei spielt. Zudem wird deutlich, dass es trotz einer Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % nicht immer zu einer Leistung durch die Versicherung kommt. Dieses Urteil gibt somit wichtige Impulse für die weitere Diskussion und Auseinandersetzung mit dem Thema Berufsunfähigkeitsversicherung.

➨ Verunsichert durch die 50-Prozent-Klausel in Ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung?

Die Berufsunfähigkeitsversicherung und insbesondere die 50-Prozent-Klausel bergen viele juristische Feinheiten. Ob ärztliches Gutachten, Feststellung des BU-Beginns oder die genaue Definition der Berufsunfähigkeit – es ist entscheidend, sich rechtzeitig und fundiert beraten zu lassen. Bei Unklarheiten oder Unsicherheiten stehen wir von der Kanzlei Kotz Ihnen zur Seite. Erhalten Sie von uns eine erste Einschätzung und lassen Sie sich in nachfolgenden Schritten umfassend beraten. Sichern Sie Ihre Ansprüche und verlassen Sie sich auf Expertenwissen, um im Fall der Fälle bestmöglich abgesichert zu sein.

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Der Grad der Berufsunfähigkeit – kurz erklärt


Der Grad der Berufsunfähigkeit gibt an, inwieweit eine Person aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage ist, ihren Beruf auszuüben. Er wird durch einen von der Versicherungsgesellschaft beauftragten Gutachter festgelegt. Dabei wird bewertet, welche Tätigkeiten noch ausgeübt werden können und welche nicht mehr. Die Berufsunfähigkeit wird in erster Linie nicht durch die Versicherung, sondern im medizinischen Sinne durch den behandelnden Arzt oder einen Gutachter festgestellt. Eine Berufsunfähigkeit wird diagnostiziert, sobald 50 % der beruflichen Aufgaben nicht erledigt werden können. Die Ursache für eine Berufsunfähigkeit wird vom Arzt festgestellt und von dem Leistungsprüfer der Versicherung bestätigt.


§ Relevante Rechtsbereiche für dieses Urteil sind u.a.:

  • Berufsunfähigkeitsversicherung: Dieser Rechtsbereich betrifft die Versicherung, die die finanzielle Absicherung im Falle einer Berufsunfähigkeit gewährleistet. Sie regelt die Bedingungen und Leistungen im Zusammenhang mit Berufsunfähigkeit.
  • Privatversicherungsrecht: Das Privatversicherungsrecht ist relevant, da es die Beziehung zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherten in Bezug auf Berufsunfähigkeitsversicherungen regelt. Es umfasst die Vertragsbedingungen und die Pflichten der Parteien.
  • Sozialversicherungsrecht: Dieser Rechtsbereich könnte im Kontext der Berufsunfähigkeit relevant sein, insbesondere wenn es um staatliche Unterstützung oder soziale Leistungen für Berufsunfähige geht.
  • Ärztliches Gutachten: Das ärztliche Gutachten spielt eine entscheidende Rolle bei der Feststellung der Berufsunfähigkeit. Es muss bestimmten medizinischen und rechtlichen Anforderungen entsprechen und könnte unter das Medizinrecht und Datenschutzrecht fallen.


Das vorliegende Urteil

LG Wiesbaden – Az.: 1 O 9/06 – Urteil vom 06.07.2012

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

I.

Die Parteien streiten um Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Kläger ist Versicherungsnehmer und versicherte Person einer mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten am 8.6.2001 unter der Versicherungsnummer 03 851 670-8 abgeschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Vertragsschluss geht auf einen Antrag des Klägers vom 9.5.2001 zurück, in dem er seine berufliche Tätigkeit mit „Flugzeugabfertiger“ angab. Für den Fall der Berufsunfähigkeit wurde eine monatliche Rente in Höhe von 2.800 DM (1.431,62€) vereinbart. Dem Versicherungsverhältnis liegen die Bestimmungen des Tarifs BUV3-PLUS/2001 der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu Grunde. Nach § 1 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen ist ein Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente gegeben, wenn zumindest 50 % Berufsunfähigkeit besteht. Vollständige Berufsunfähigkeit liegt gemäß § 2 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen vor, wenn entweder bei Stellung des Antrags bei Versicherungsleistung abzusehen ist, dass der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung, Gebrechen oder Schwäche der geistigen oder körperlichen Kräfte, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mehr als sechs Monate außer Stande sein wird, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben oder der Versicherte schon sechs Monate ununterbrochen infolge von Krankheit, Körperverletzung, Gebrechen oder Schwäche der geistigen oder körperlichen Kräfte, die ärztlich nachzuweisen sind, außer Stande gewesen ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Dieser Zustand gilt dann von Beginn an als vollständige Berufsunfähigkeit. Keine Berufsunfähigkeit ist hingegen gegeben, wenn der Versicherte seinen zuletzt ausgeübten Beruf nach zumutbarer Umorganisation oder Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes oder Tätigkeitsbereichs ausüben kann oder er eine seiner Ausbildung und Erfahrung zu seiner bisherigen Lebensstellung entsprechende, andere berufliche Tätigkeit ausübt oder ausüben kann.

Der Kläger, ein gelernter Tischler, war zum Zeitpunkt der des Abschlusses des Versicherungsvertrags als „Teamleiter im Rampservice“ bei …, einer hundertprozentigen Tochter der beschäftigt. Ausweislich der Stellenbeschreibung (BI. 132 ff. d.A.) gehörte es zum Aufgaben- und Tätigkeitsfeld des Klägers, Flugzeuge zu be-und entladen, die Einhaltung von Arbeitsanweisungen, Richtlinien und sonstigen Vorgaben für den Bereich der Flugzeugabfertigung zu überwachen, die Einteilung der zur Abfertigung zugeteilten Mitarbeiter vorzunehmen, bei der Be- bzw. Entladung von Gepäck, Fracht und Post mitzuwirken und Schwerstücke zu verzurren bzw. die Verzurrung und die Sicherheitsnetze zu überprüfen.

Der Kläger arbeitete im Dreischichtensystem mit einer Frühschicht von ca. 6:00 Uhr bis 14:30 Uhr, einer Spätschicht von ca. 15:00 Uhr bis 23:30 Uhr und einer Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 6:30 Uhr. Auch an Wochenenden und Feiertagen erbrachte er Arbeitsleistungen. Mit zwei Kollegen im Bereitschaftsraum wartend wurde er vom Einsatzleiter aufgerufen und informiert, welches Flugzeug zu be- oder entladen war. Er entschied sodann, welches Fahrzeug und welche Gerätschaften zum Einsatz kommen sollten und wies seine Kollegen ein. Beim Entladevorgang begab sich die Gruppe zur Parkposition des betreffenden Flugzeugs und sicherte dieses. Nach Öffnen der Ladeluke nahm ein Arbeitskollege des Klägers die Gepäckstücke einzeln aus dem Flugzeug und gab sie dem Kläger in die Hand, der sie auf einen Gepäckwagen lud. Ein weiterer Kollege fuhr den voll beladenen Gepäckwagen zum Gepäckband und entlud ihn. Beim Beladevorgang fuhr der Kläger ein Förderband an die Ladeluke des Gepäcksraums des Flugzeugs. Es war Aufgabe des Klägers, Gepäckstücke von Gepäckwägen auf das Förderband zu legen. Ein Kollege des Klägers nahm diese Gepäckstücke vom Band und verbrachte sie in den Laderaum. Der andere Kollege holte weiteres Gepäck auf Gepäckwägen herbei. Nach Abschluss der Beladung wurde das Förderband wieder entfernt.

Ent- und Beladevorgang dauerten je Flugzeug etwa 45 bis 60 Minuten. Während dieser Zeit nahm der Kläger etwa 200 Gepäckstücke in die Hand. Während einer Schicht war der Kläger an fünf bis sechs Ent- oder Beladevorgängen beteiligt.

Ab dem 19.2.2002 wurde der Kläger in einen „Servicepool“ abgeordnet (vgl. Anlage B10 Anlagenband). Als Mitarbeiter des Servicepools verrichtete der Kläger Gepäckschleusen- und Gepäckwagendienste im Dreischichtdienst ohne Hebe- und Tragebelastungen und war zur Bewachung der Zollschleusen eingesetzt. Ausweislich des genannten Schreibens wurden Mitarbeiter in den Servicepool aufgenommen, die vorübergehende körperliche Einschränkung hatten. Sie sollten sich bei ihrer neuen Tätigkeit so weit erholen, dass sie nach der Zeit im Servicepool wieder ihrer ursprünglichen Tätigkeit nachgehen konnten. Der Kläger beendete seine Tätigkeit im Servicepool am 13.3.2005. Vom 14.3.2005 bis zum 31.10.2005 arbeitete er befristet im Bereich des Parkflächen-Managements in Form des „Park-Shuttle-Service“. Mit Schreiben vom 23.12.2005 kündigte die Flughafen Hannover Langenhagen GmbH das Arbeitsverhältnis personenbedingt zum 30.6.2006. Das gegen die Kündigung vom Kläger betriebene arbeitsgerichtliche Verfahren endete mit einem Vergleich am 14.7.2006.

Grund und Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers, welche Anlass für die Abordnung in den „Servicepool“, die Weiterbeschäftigung im Parkflächen-Management und die personenbedingte Kündigung waren, sind zwischen den Parteien streitig. Einig sind sich die Parteien dahingehend, dass der Kläger nicht an einer Neurose litt oder leidet.

Es existieren den Kläger betreffende Arztbriefe der Frau Dr. …, Fachärztin für physikalische und rehabilitative Medizin, und des Herrn Dr…, Facharzt für innere Medizin/Rheumatologie und physikalische und rehabilitative Medizin/Sportmedizin. Als Diagnose wurde am 4.5.2004 (BI. 33 d.A.) eine undifferenzierte Oligoarthritis unter Basistherapie mit Methotrexat und ein chronifiziertes Schmerzsyndrom gestellt. Diese Diagnose findet sich in den Arztbriefen vom 16.12.2004 (BI. 32 d.A.), vom 8.3.2005 (BI. 30 d.A.), vom 21.6.2005 (BI. 28 d.A.) und vom 10.9.2005 (BI. 26 d.A.). Ein Arztbrief vom 15.9.2004 weist als Diagnose nur eine undifferenzierte Oligoarthritis aus. In einem Befundschreiben der genannten Ärzte vom 17.3.2005 an das niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie wird ebenfalls eine undifferenzierte Oligoarthritis als Befund genannt. Zudem habe sich am 1.9.2004 eine Schwellung des Daumenmittelgelenkes rechts und des Fingermittelgelenkes II rechts gezeigt. Die grobe Hand- und Fingerkraft sei leicht gemindert gewesen. In einer weiteren fachärztlichen Bescheinigung dieser Ärzte vom 3.7.2006 (BI. 47 d.A.) wird dargelegt, dem Kläger seien nur noch „leichte Arbeiten“ ohne schweres Heben und Tragen zuzumuten.

Der Betriebsarzt der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers, der Facharzt für Arbeitsmedizin …, riet in einer Stellungnahme vom 16.3.2004 aufgrund einer arbeitsmedizinischen Exploration vom 9.3.2004 von einer Rückführung des Klägers in den Tätigkeitsbereich als Teamleiter im Rampservice“ ab, da diese Tätigkeit dauerhaft nicht leidensgerecht gewesen sei (BI. 109 d.A.).

Vom 6.5.2004 bis zum 27.5.2004 befand sich der Kläger in der internistisch-rheumatologischen Klinik … zur Rehabilitation. Ausweislich des Berichts vom 13.5.2004 dieser Einrichtung (Anlage B 11 im Anlagenband) wurde der Kläger aus der Rehabilitation arbeitsfähig für die Tätigkeit als Aufsichtspersonen im Innendienst am Flughafen Hannover entlassen.

Als Angehörige des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Celle erstellte Frau Dipl. med. …, Fachärztin für Anaesthesiologie, am 29.9.2006 ein Gutachten, in dem sie eine Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis mit gestörtem Körpererleben im Sinne einer chronischen Schmerzerkrankungen und eine medikamentös behandelte Augeninnendruckerhöhung beidseits als Gesundheitsstörungen benannte. Zur Entwicklung der Leistungsfähigkeit des Klägers gab sie an, dass vollschichtiges Leistungsvermögen für ständig leichte Tätigkeiten bestehe, wenn keine schwere körperliche Arbeit, keine Zwangshaltungen, keine ständig sitzende Tätigkeit und kein längeres Stehen erforderlich sei, und keine Anforderungen an die grobe Kraft der Finger sowie Anforderungen an die Feinmotorik gestellt würden (BI. 111 d.A.). Ein Gutachten des Herrn Dr. …, ärztliche Dienst der Agentur für Arbeit Celle, vom 19.6.2008 (BI. 436 f. d.A.) bestätigte diese Befunde.

In einem Verfahren vor dem Sozialgericht Hannover wurde ein auf den 20.2.2010 datierendes Gutachten der Frau …, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für psychotherapeutische Medizin, eingeholt. Die Gutachterin diagnostizierte auf ihrem Fachgebiet beim Kläger eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, die nach ICD-10 unter F 43.4 zu verschlüsseln sei (BI. 339 und 349 d.A.). Dabei handelte es sich einerseits „letztendlich“ um eine Verdachtsdiagnose (BI. 347 d.A.), andererseits konnte vom Aspekt her „abschließend“ eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit dysthymer Verstimmtheit festgestellt werden (BI. 349 d.A.). Eine mittlere oder schwere depressive Symptomatik vermochte die Gutachterin nicht zu diagnostizieren. Ihrer Auffassung nach zeigte der Kläger aber ein deutlich repressives Verhalten mit Versorgungsansprüchen. Sie bemerkte auch eine gut ausgeprägte Muskulatur im Bereich der Ober- und Unterschenkel, der Oberarme und auch des Gesäßes (Bi. 348 d.A.), welche sie aufgrund der klägerischen Beschreibung seines Tagesablaufs nach Ausscheiden aus dem Berufsleben für „erstaunlich“ hielt. Tätigkeiten in Zwangshaltungen sowie das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg Gewicht wurden von der Gutachterin als nicht zumutbar erachtet. Empfohlen wurde ein zurückgezogener Arbeitsplatz ohne viel Publikumsverkehr, ohne hohe Anforderungen an sozialer Kompetenz und Einfühlungsvermögen und mit einem klar strukturierten Aufgabenfeld. Eine berufliche Tätigkeit als Flugzeugabfertiger sei nicht zuzumuten, wohl aber eine leidensgerechte Tätigkeit (BI. 352 d.A.).

Der Kläger behauptet, er leide an einer Polyarthritis, bei der es sich um eine chronische, bakterielle Gelenksentzündung handele. Die auftretenden Symptome seien einer rheumatischen Erkrankung vergleichbar. Die Krankheit sei zunächst nur in den Fingern aufgetreten, habe dann aber alle Gelenke des Körpers gefallen. Er könne nicht mehr schmerzfrei sitzen, stehen oder laufen. Es bestehe ein „Weichteilrheuma“ in den Händen und Füßen, der Hüfte, der Schulter, dem Rücken und den Knien

Der Kläger meint, die für die Leistungspflicht der Beklagten relevante Tätigkeit sei diejenige, die er als „Teamleiter im Rampservice“ ausgeübt habe. Die Abordnung in den Servicepool sei eine nur temporäre Maßnahme gewesen, die auf einem Entgegenkommen des Arbeitgebers beruht habe. Arbeitsvertraglich geschuldete sei die Leistung als Flugzeugabfertiger gewesen. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe er ganz überwiegend im Freien unter Witterungseinflüssen gearbeitet.

Weiter ist der Kläger der Ansicht, dass die im sozialgerichtlichen Verfahren von Frau ………..gestellte Diagnose auch für das vorliegende Verfahren Verwendung finden könne. Der Begriff der Erwerbsunfähigkeit, zu dem sich Frau ———–geäußert habe, sei im Vergleich zur Berufsunfähigkeit der umfassendere. Die vorliegend infrage stehende Berufsunfähigkeit sei mit der Teilerwerbsfähigkeit gleichzusetzen, da die Arbeit des Klägers sowohl schwer sei als auch überwiegend in Zwangshaltungen erfolge, weil der Kläger Koffer tragen müsse.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine monatliche Rente von 1.431,62€ beginnend mit dem 1.8.2006 bis zum 1.6.2026 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Kläger sei jedenfalls hinsichtlich der zuletzt ausgeübten Tätigkeiten als Mitarbeiter des Servicepools und des Parkplatzservice nicht zu 50 % berufsunfähig. Dies sei die relevante Tätigkeit, weil würden Leistungen seit dem 1.8.2006 begehrt würden. Die Frage der Berufsunfähigkeit sei auf Grundlage des letzten ausgeübten Berufs im Zeitpunkt der Leistungsbeantragung zu beurteilen. Welche Leistung arbeitsvertraglich geschuldete sei, habe insoweit keine Bedeutung.

Jedenfalls habe es sich bei der Tätigkeit im Parkflächenmanagement um eine dem Kläger zumutbare Umgestaltung seines Arbeitsplatzes gehandelt, bei deren Ausübung auch der soziale Status und die Lebensstellung des Klägers gewahrt worden seien.

Zudem sei aufgrund der Arbeitsplatzbeschreibung davon auszugehen, dass der Kläger die übrigen Kollegen einzuweisen gehabt hätte, und die körperlich schwere Arbeit nicht von ihm, sondern durch die Kollegen durchgeführt worden sei.

Die Beklagte hält das von Frau … erstattete Gutachten im vorliegenden Verfahren für irrelevant. Es sei auf sozialmedizinischer Grundlage erstellt worden. Die sozialmedizinische Beurteilung könnte aber für die privatversicherungsrechtliche Fragestellung nicht entscheidend sein.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines fachärztlich-internistischen Gutachtens des Prof. Dr…., des Dr. … und des Dr. … vom 27.1.2009 (Bl. 206 ff. d.A.), eines fachärztlich-rheumatologischen Gutachtens des Prof. Dr. … und der PD Dr. … vom 8.1.2010 (BI. 259 ff. d.A.), eines chirurgisch-traumatologischen Gutachtens des Dr. …, Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie, vom 1.2.2011 (BI. 398 ff. d.A.) und eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Dr. …, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 26.9.2011 (Bl. 481 ff. d.A.).

Zum Gutachten des Prof. Dr. … und der PD Dr. … hat das Gericht mit Beschluss vom 10.2.2010 eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen gesetzt und auf die Präklusion nach §§ 411 Abs. 4, 296 Abs. 1 und Abs. 4 ZPO hingewiesen. Mit Schriftsatz vom 15.2.2010 (BI. 290 d.A.) hat der Kläger insoweit vorgeschlagen, einen anderen Gutachter zu beauftragen, da das Gutachten die Fragen des Gerichts nicht eindeutig beantwortet habe. Diesen Vorschlag hat er im Schriftsatz vom 16.3.2010 (BI. 325 d.A.) wiederholt und die Bestellung der medizinischen Hochschule Hannover als Gutachter angeregt. Die Ladung einer oder beider Gutachter zu Erörterung ihres Gutachtens hat er innerhalb der gesetzten Frist nicht beantragt.

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Für seine Behauptung, er sei i.S.d. § 1 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen zu mehr als 50 % berufsunfähig, ist der insofern darlegungs- und beweisbelastete Kläger (siehe nur BGH, Urteil vom 29.6.1994 – IV ZR 120/93, NJW-RR 1995, 21, 22) beweisfällig geblieben.

Dass der Kläger nicht an einer rheumatischen Erkrankung leidet, die eine solche Berufsunfähigkeit begründet, hat der Sachverständige Dr. … in seinem schriftlichen Gutachten vom 1.2.2011 und der ergänzenden mündlichen Erörterung im Termin am 6.7.2012 überzeugend dargelegt. Er stellte fest, dass beim Kläger im Vergleich zu einem gleichaltrigen Mann lediglich aufgrund der Befunde am rechten Kniegelenk aus vorausschauend prophylaktischer Sicht das Leistungsvermögen um 10 % eingeschränkt sei, wenn man überdurchschnittlich hohe, isoliert die Kniegelenke belastende Tätigkeiten ausnehmen wolle. Mündlich erklärte er, seinem Gutachten habe die Tätigkeit des Klägers als Flugzeugabfertiger, die insbesondere im Schriftsatz vom 17.4.2008 (BI. 167 f. d. A.) beschrieben wurde, zu Grunde gelegen.

Im Rahmen einer eingehenden klinischen Untersuchungen am 11.10.2010 ließen sich nach Auffassung des Gutachters keine Instabilitäten und auch keine sonstigen krankhaften Befunde, die man etwa im Zusammenhang mit einer rheumatischen Erkrankung oder einer Verschleißerkrankungen finden würde, feststellen. Insbesondere sei kein Gelenkreiben und kein in denen Provokationstests auffälliger Befund zu sichern gewesen. Geklagter endgradiger Bewegungsschmerz sei eher einem mangelnden Trainingszustand als einem krankhaften Befund zuzuordnen gewesen. Auswirkungen einer rheumatischen Erkrankung ließen sich an den Finger- und Daumengelenken beider Hände nicht nachweisen.

In Bezug auf die Diagnose der Frau …, die eine somatoforme Störung festgestellt hatte, legte der Sachverständige dar, dass diese aus seiner Sicht fachfremde Diagnose erklärte, weshalb sich für die vom Kläger angegebenen Körperbeschwerden keinerlei Befunde zitieren ließen, die nach objektiven Kriterien eine krankheitswertige Abweichung vom Normzustand belegten. Soweit sich Frau … zu Tätigkeiten in Zwangshaltungen und Tätigkeiten mit häufigem Knien, Hocken oder Überkopfarbeiten geäußert habe, seien diese aus ihrer Sicht fachübergreifende Schlussfolgerung nicht plausibel. Denn bei interdisziplinärer Betrachtung seien körperliche Krankheitsbefunde am Skelettsystem, die nur mit besonderer Anstrengung überwunden werden könnten, auszuschließen. Diese Einschätzung, die auf dem Gutachter facheigenen Kenntnissen — und damit für Frau … fachfremden Kenntnissen — beruht, teilt die Kammer. Das Gutachten der Frau … ist zudem bereits auf ihrem eigenen Fachgebiet zweifelhaft (siehe unten S. 11). Damit sind auch die von ihr fachgebietsübergreifend gezogenen Schlüsse, die als Ausgangspunkt die der Gutachterin facheigene Diagnose haben, in Zweifel zu ziehen.

Hinsichtlich der zeitlich früher durch die Sachverständigen Prof. Dr. … und der PD Dr. … festgestellten undifferenzierten, HLA-B27 negativen Oligoarthritis führte der Sachverständige Dr. … überzeugend aus, dass das HLA-B27 Antigen in mehr als 40 Prozent der Fälle auch ohne rheumatische Krankheitssymptomen vorkomme. Nach einem grippalen Effekt könnten Gelenksschwellungen an unterschiedlichen Orten auftreten und vorübergehende Reizerscheinungen hervorrufen. Solche Befunde könnten anfänglich irreführend sein und an einer rheumatischen Erkrankung denken lassen. Im „Längsschnitt“ über viele Jahre ließen sich doch vorliegend für eine rheumatische, die Leistungsfähigkeit einschränkende Erkrankung keine objektiven Veränderungen nachweisen.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Sachverständige Dr. … über hinreichende Sachkunde verfügt, um eine solche Aussage treffen zu können. Er wurde auf Anfrage des Gerichts von Prof. Dr. …, Institut für Versicherungsmedizin Frankfurt am Main, als Sachverständiger für das vorliegende Verfahren vorgeschlagen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 27.8.2010 (Bl. 387 d.A.) sein Einverständnis mit der Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen erklärt. In der mündlichen Verhandlung am 6.7.2012 erklärte der Sachverständige zutreffend den Begriff der negativen Oligo-arthritis. Weiter legte er dar, seit seiner Approbation im Jahr 1984 als Arzt tätig zu sein und im Hinblick auf rheumatische Erkrankungen, die im Zusammenhang mit chirurgischen Fragestellungen stehen, sachverständig Auskunft zu geben. Eine solche Frage stellt sich vorliegend, da der Kläger behauptet, an einer Polyarthritis — eine chronische, abakterielle Gelenksentzündung — zu leiden (Klageschrift vom 9.1.2006, BI. 3 d.A.), die seine Berufsunfähigkeit begründe.

Der Kläger leidet auch auf neurologische-psychiatrischen Fachgebiet unter keiner Erkrankung, die seine Berufsfähigkeit beeinträchtigt. Dies hat der Sachverständige Dr. … in seinem schriftlichen Gutachten vom 26.9.2011, das er in der Sitzung am 6.7.2012 erläuterte, überzeugend dargelegt. Dem Gutachten lag als Berufsfeld die ursprüngliche Tätigkeit des Klägers als Flugzeugabfertiger zu Grunde.

Als mögliche Erkrankungen diskutierte der Gutachter eine somatoforme Schmerzstörung, zu verschlüsseln nach ICD-10 unter F 45.5, und eine Konversionsstörung, zu verschlüsseln nach ICD-10 unter F 44.

Die somatoforme Schmerzstörung sei durch vielfältige psychopathologische Symptome charakterisiert. Als relevante Symptomatiken vermochte der Gutachter beim Kläger die seit Jahren bestehenden, durch organische Befunde nicht ausreichend erklärbaren Schmerzen bei einer Diskrepanz zwischen dauerhaft schwersten Schmerzen und schwerster sozialer Beeinträchtigung einerseits und auffallend geringer affektiver Beteiligung andererseits festzustellen. Zudem beobachtete er die Regression als vorherrschenden Abwehrmechanismus des Klägers. Dieser lebe im Haus der Eltern und habe Verantwortung für sich und seine Familie an seine Eltern und seine Ehefrau abgegeben.

Als Hinweis auf eine Konversionsstörung führte der Gutachter die Diskrepanz zwischen den in den Untersuchungen demonstrierten Beeinträchtigungen und dem beobachtbaren Verhalten außerhalb der Untersuchungssituationen an. Der Kläger habe eine dreieinhalbstündige Untersuchung ohne erkennbare schmerzbedingte Beeinträchtigung absolviert. Er sei in der Lage gewesen, zwei Stunden ohne Schmerzäußerung auf einem Stuhl zu sitzen.

Gegen die Annahme beider Erkrankungen, d.h. sowohl der somatoforme Schmerzstörung als auch der Konversionsstörung, spreche aber, dass es keinen Hinweis auf eine psychosoziale Belastungssituation, ein kritisches Lebensereignis oder eine innere Konfliktsituation, die dem Geschehen zugrunde liegen könnten, gebe. Vordergründig fehle ein theatralisches Element in der Selbstdarstellung. Deshalb scheine eine neurotische Störung, die Aspekte einer Konversionsstörung und einer chronisch somatoformen Schmerzstörung aufweist, zwar möglich. Als wesentliches, auch nach der ICD-10-Klassifizierung gefordertes Merkmal sei aber der Nachweis einer emotionalen Konfliktsituation oder psychosozialen Belastungssituation erforderlich, so dass diese Diagnosen nicht ausreichend begründet gestellt werden könnten.

Diese Ausführungen erachtet die Kammer für überzeugend. Die entgegenstehende Diagnose der Frau … in ihrem Gutachten für das Sozialgericht Hannover vom 20.2.2010, die eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, zu verschlüsseln nach ICD-10 unter F 43.4 (BI. 339 und BI. 349 d.A.), feststellte, wird durch sie widerlegt. Bereits die Verschlüsselung nach ICD-10 durch Frau … erweist sich als unzutreffend. Es ist gerichtsbekannt, dass die anhaltende somatoforme Schmerzstörung nach ICD-1 0 F 45.4, nicht nach ICD-1 0 F 43.4 zu verschlüsseln ist. Infolge der fehlerhaften Verschlüsselung findet sich in den Ausführungen der Frau … keine Auseinandersetzung mit den für die Diagnose einer anhaltenden somatoforme Schmerzstörung nach ICD-10 F 45.4 festzustellenden Symptomen. Das vom Gutachter Dr. … untersuchte und von ihm für nicht nachgewiesen erachtete Kriterium einer emotionalen Konfliktsituation oder einer psychosozialen Belastungssituation wird von Frau … nicht diskutiert. Auch erschließt sich nicht, weshalb sich Frau … auf der einen Seite nur in der Lage sah „letztendlich“ eine „Verdachtsdiagnose“ zu stellen (BI. 347 d.A.), andererseits aber vom Aspekt her „abschließend“ eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit dysthymer Verstimmtheit diagnostizierte (BI. 349 d.A.).

Die Parteien haben zudem unstreitig gestellt, dass der Kläger nicht an einer Neurose leidet. Zum Begriff der Neurose legte der Sachverständige dar, dass es sich um einen heute weitgehend nicht mehr verwendeten Terminus handelt. Die Klassifizierung nach ICD-10 fasse die früher als Neurosen bezeichneten Krankheitsbilder in einem Kapitel mit der Überschrift „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ zusammen. Zwischen den von ihm untersuchten Erkrankungen der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung bzw. der Konversionsstörung und dem älteren Begriff der Neurose gäbe es aber weitgehende Überschneidungen.

Die Gutachten des Prof. Dr. …, des Dr. … und des Dr. … vom 27.1.2009 (BI. 206 ff. d.A.), sowie des Prof. Dr. … und der PD Dr. … waren für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht geeignet. Sie beantworteten die Frage der Berufsunfähigkeit des Klägers nicht.

In ihrem schriftlich erstatteten Gutachten vom 27.1.2009 (BI. 206 ff. d.A.) stellten Prof. Dr. …, Dr. … und Dr. … zum Zeitpunkt der Begutachtung eine 40prozentige Erwerbsminderung fest. Sie diagnostizierten eine Verschmälerung der PIP-Gelenke Il-V an beiden Händen, die am ehesten als postinflammatorische Residuen aufzufassen seien, sowie eine arterielle Hypertonie, ein beidseitiges Glaukom, eine Pollenallergie und eine beidseitige, chronische sinusitis maxillaris. Es hätte kein Anhaltspunkt für eine aktive Erkrankung des entzündlich-rheumatischen Formenkreises oder für ein Fibromyalgiesyndrom bestanden. Zudem äußerten die Sachverständigen den Verdacht, es habe eine Somatisierungsstörung vorliegen können. Das individuelle Leiden des Klägers könne zu einem erheblichen Anteil aus einem pathologischen Krankheitsverarbeitungsprozess resultiert haben. Empfohlen wurde deshalb eine zusätzliche psychosomatische/psychotherapeutische Begutachtung.

Prof. Dr. … und der PD Dr. … diagnostizierten eine undifferenzierte, HLA-B27 negative Oligoarthritis, eine arterielle Hypertonie, ein beidseitiges Glaukom, eine Pollenallergie (pollinosis allergica) und eine beidseitige, chronische sinusitis maxillaris. Zudem habe der Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung und eine reaktive Depression bestanden. Festgestellt wurde ein Grad der Behinderung von 20 Prozent. Schwere körperliche Arbeiten seien nicht ausübbar gewesen. Die Arbeit sollte möglichst in temperierten Räumen geleistet werden. Es hätten sich keine Hinweise auf Simulation, jedoch der Verdacht auf Aggravationsmomente ergeben. Die Gutachter empfahlen, ein Gutachten der Fachdisziplinen Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik zu veranlassen, um den additiven Einfluss psychischer Faktoren zu eruieren.

Weder aus der von Prof. Dr. …, Dr. … und Dr. … diagnostizierten 40prozentigen Erwerbsminderung noch aus dem von Prof. Dr…. und PD Dr. … festgestellten Grad der Behinderung von 20 Prozent lässt sich schließen, ob der Kläger zu 50 Prozent berufsunfähig für die Tätigkeit als Flugzeugabfertiger war. Eine Auseinandersetzung mit den Anforderungen des vom Kläger ausgeübten Berufs findet sich in

keinem der beiden Gutachten. Zudem legte der Sachverständige Dr. … überzeugend dar, dass sich für die Diagnose einer undifferenzierten, HLA-B27 negativen Oligoarthritis bei längerfristiger Betrachtung keine objektiven Hinweise finden ließen. Insoweit beruht die Feststellung des Sachverständigen Dr. … auf einer weitergehenden Tatsachenbasis als die des Prof. Dr. Müller und der PD Dr. Blaschke, da im Moment der Begutachtung durch Dr. … die Krankengeschichte des Klägers über einen Zeitraum von weiteren zwei Jahren vorlag. Dies ist für eine längerfristige Beobachtung eines Krankheitsbildes der Natur der Sache nach von Bedeutung.

Der Antrag des Klägers im Schriftsatz vom 13.2.2012 und in der Sitzung am 6.7.2012, das Erscheinen des Gutachters Prof. Dr. … zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens anzuordnen, war verspätet. Innerhalb der mit Beschluss vom 10.2.2010, dem Klägervertreter zugegangen am 15.2.2010 (BI. 279a d.A.), gesetzten Frist zur Stellungnahme von drei Wochen hat der Kläger nur vorgeschlagen, einen anderen Gutachter zu beauftragen. Nach abgelaufener Frist hat er im Schriftsatz vom 16.3.2010 (BI. 325 d.A.) diesen Vorschlag wiederholt. Die Ladung einer oder beider Gutachter hat der Kläger innerhalb der Frist nicht beantragt.

Die Kammer war auch nicht gehalten, das Erscheinen des Gutachters Prof. Dr. … von Amts wegen nach § 411 Abs. 3 ZPO anzuordnen. Zwar steht einer solchen Anordnung nicht entgegen, dass der Antrag des Klägers wegen Verspätung zurückzuweisen war (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 411 Rn. 5). Die Kammer erachtet das Gutachten jedoch für ungenügend. Sie hat deswegen mit Beschluss vom 6.8.2010 nach § 412 Abs. 1 ZPO eine neue Begutachtung angeordnet, nachdem sie den Parteien mit Schreiben vom 24.6.2010 ihrer Auffassung mitgeteilt und rechtliches Gehör gewährt hatte. Diese Einschätzung wurde von den Parteien, insbesondere auch vom Kläger, zum damaligen Zeitpunkt geteilt. So heißt es im klägerischen Schriftsatz vom 29.3.2010 (BI. 357 d.A.): „Es dürfte der Gegenseite wohl verwehrt sein, aus einem Gutachten, was erkennbar die Problematik der Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen nicht berührt, positive Schlüsse zu ziehen. Das Gutachten ist überhaupt nicht verwertbar […].“ und im klägerischen Schriftsatz vom 6.5.2010 (BI. 374 d.A.): „Was in Göttingen abgelaufen ist, ist äußerst bedauerlich.“ Die Kammer sieht auch vor dem Hintergrund des jetzigen klägerischen Vortrags keinen Anlass, von ihrer ursprünglichen Einschätzung abzuweichen. Der Kläger führt im Schriftsatz vom 25.1.2012 (BI. 558 d.A.) aus, die Feststellungen im Gutachten des Prof. Dr. … und der PD Dr. … bänden das Gericht. Nur die Rechtsfolge sei durch die Gutachter „falsch getroffen“. Über die rechtlichen Folgen gutachterlicher Feststellungen zu befinden, ist Aufgabe des Gerichts. Aus dem Gutachten des Prof. Dr. … und der PD Dr. … lässt sich jedoch für die entscheidungserhebliche, mit Hilfe des Gutachters sachverständig zu klärende Frage, ob der Kläger zu mindestens 50% berufsunfähig ist, nichts entnehmen, da das Gutachten sich nicht zu dieser Fragestellung verhält und dementsprechend die Untersuchung der Erkrankung des Klägers nicht in Verbindung zu dieser Frage gebracht wurde.

Die Kammer erachtet auch die von Frau Dr. … und Herrn Dr. … wiederholt gestellte Diagnose einer undifferenzierten Oligoarthritis mit chronifiziertem Schmerzsyndrom in den Arztbriefen vom 4.5.2004, 16.12.2004, 8.3.2005, 21.6.2005 und 10.9.2005 sowie die im Arztbrief vom 15.9.2004 alleinige Diagnose einer undifferenzierten Oligoarthritis nicht für ausreichend, um aus ihnen eine Berufsunfähigkeit des Klägers von mehr als 50 % herzuleiten. Der Gutachter Dr. … legte überzeugend dar, dass diese Diagnosen zu stark auf den subjektiv geprägten Schmerzbeschreibungen des Klägers beruhten, d.h. die objektive Befundlage nicht hinreichend ermittelt und in Rechnung gestellt hätten. Selbiges gilt für die Stellungnahme des Betriebsrats der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers vom 16.3.2004 und der für die Agentur für Arbeit Celle erstellten Gutachten der Frau Dipl. med. … vom 29.9.2006 und für das dieses Gutachten bestätigende Gutachten des Dr. … vom 19.6.2008. Es ist der Kammer zudem nicht ersichtlich, ob Frau Dipl. med. … als Fachärztin für Anaesthesiologie über genügend spezifische Fachkenntnisse verfügte, um die Erkrankung des Klägers unter besonderer Berücksichtigung etwaiger Aggravationsmomente treffend zu beurteilen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert wird endgültig für den Zeitraum bis zum 23.11.2007 auf 115.000€ und für den Zeitraum ab dem 23.11.2007 auf 60.128,04 €festgesetzt.

Begründung:

Im Termin am 23.11.2007 hat der Kläger nur die Zahlung einer monatlichen Rente von 1.431,62 € vom 1.8.2006 bis zum 1.6.2026 beantragt. Die weitergehenden, in der Klageschrift angekündigten Anträge (BI. 2 d.A.), unter deren Berücksichtigung ein Streitwert von 115.000 € anzunehmen ist (siehe den Beschluss der Kammer vom 19.2.2007, BI. 60 d.A.), hat er nicht gestellt.

Der Streitwert für den am 23.11.2007 gestellten Antrag war nach § 9 ZPO zu bestimmen, da § 42 GKG vorliegend nicht greift.

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