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Berufsunfähigkeitsversicherung – Einsicht in eingeholte Gutachten

LG Berlin – Az.: 23 O 143/17 – Urteil vom 01.03.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Einsicht in medizinische Gutachten, die von diesen im Rahmen der Prüfung einer Berufsunfähigkeit eingeholt wurden.

Für die Klägerin bestand als Angestellte einer deutschen Bank eine Mitgliedschaft bei den Beklagten und nach Maßgabe der jeweiligen Versicherungsbedingungen eine Absicherung gegen die Risiken einer Berufsunfähigkeit.

Nachdem die Beklagten einen Antrag der Klägerin auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ablehnten, kam zwischen den Parteien am 31.08.2015 ein gerichtlicher Vergleich zustande, nach dessen Inhalt die Beklagten für die Zeit vom 01.09.2013 bis 31.07.2016 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente zu zahlen hatten und sich die Klägerin zu einer erneuten medizinischen Begutachtung nach Ablauf dieses Zeitraums verpflichtete.

Mit Schreiben vom 23.06.2016 forderten die Beklagten die Klägerin zur Feststellung der Berufsunfähigkeit zu einer erneuten medizinischen Begutachtung auf und beauftragten hierzu das Charité Centrum für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie. Die Klägerin unterzog sich in der Folgezeit der medizinischen Begutachtung. Mit Schreiben vom 29.11.2016 teilten die Beklagten der Klägerin mit, dass sie nach ihren Feststellungen weiterhin berufsunfähig sei und die Berufsunfähigkeitsrente auch über den 31.07.2016 hinaus unverändert gezahlt werde.

Mit Schreiben vom 08.12.2016 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagten zur Übersendung einer Abschrift der von ihnen eingeholten medizinischen Gutachten auf, die der Entscheidung vom 29.11.2016 zugrunde lagen. Die Beklagten lehnten eine Übersendung der medizinischen Gutachten ab.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sie einen Anspruch auf Einsicht in die von den Beklagten eingeholten medizinischen Gutachten habe. Ein solches Recht auf Einsicht in die Gutachten folge insbesondere aus ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Sie habe einen Anspruch auf Auskunft über solche Daten, die der Versicherer über sie in Erfahrung bringe.

Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht Berlin Klage erhoben. Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 02.03.2017 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für nicht eröffnet erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Berlin verwiesen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten zu verurteilen, ihren Prozessbevollmächtigten – Rechtsanwälte XXXX, XXXX 43, 10787 Berlin – Einsicht in die von den Beklagten im Jahr 2016 im Rahmen der Prüfung ihrer Berufsunfähigkeit eingeholten Gutachten der Gutachtenstelle der Klinik Charité Centrum für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin durch Übersendung einer Abschrift in deren Kanzleiräume ohne ihre Kostenbeteiligung zu gewähren.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Einsicht in die medizinischen Gutachten habe. Ein solcher Anspruch könne allenfalls bei einer Ablehnung von Leistungen durch den Versicherer in Betracht kommen. Bei einer Erbringung der beantragten Leistungen sei der Versicherer demgegenüber nicht verpflichtet, dem Versicherungsnehmer Einsicht in die Gutachten zu geben. Ein schützenswertes Interesse der Klägerin an einer Einsicht in die Gutachten bestehe in einem solchen Fall nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Einsicht in die von den Beklagten im Jahre 2016 im Rahmen der Prüfung ihrer Berufsunfähigkeit eingeholten medizinischen Gutachten.

1. Ein solcher Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Einsicht in die eingeholten medizinischen Gutachten ergibt sich nicht aus § 202 Satz 1 VVG.

Nach § 202 Satz 1 VVG ist der Versicherer verpflichtet, auf Verlangen des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person Auskunft über und Einsicht in Gutachten oder Stellungnahmen zu geben, die er bei der Prüfung seiner Leistungspflicht über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung eingeholt hat. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn die Regelung des § 202 Satz 1 VVG betrifft nach ihrem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes lediglich vom Versicherer eingeholte Gutachten in der Krankenversicherung nach §§ 192 ff. VVG und ist auf zur Feststellung einer Berufsunfähigkeit eingeholte Gutachten nicht unmittelbar anwendbar.

2. Die Klägerin hat gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf Einsicht in die eingeholten medizinischen Gutachten aus einer analogen Anwendung von § 202 Satz 1 VVG.

Eine analoge Anwendung der unmittelbar nur für den Bereich der privaten Krankenversicherung geltenden Vorschrift des § 202 Satz 1 VVG auf den Bereich der hier streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherung erfordert neben einer vergleichbaren Interessenlage eine planwidrige Regelungslücke. Eine solche planwidrige Regelungslücke liegt hier allerdings nicht vor. Eine Ausdehnung des allein für das Recht der Krankenversicherung geregelten Auskunfts- und Einsichtsanspruchs des § 202 Satz 1 VVG auf andere Bereiche des Versicherungsrechts, insbesondere auf den Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung, ist nach Überzeugung des Gerichts nicht angezeigt, weil der Gesetzgeber entsprechende Regelungen für die übrigen Bereiche des Versicherungsrechts nicht geschaffen hat und eine derart breit angelegte planwidrige Regelungslücke nicht anzunehmen ist (Langheid/Rixecker/Muschner, 5. Aufl. 2016, VVG § 202 Rn. 3a; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl. 2013, Nr. 7 AUB 2008 Rn. 16; Leverenz, in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2010, Anh. § 189 Rn. 3). Der hiervon abweichenden Auffassung von Armbrüster (VersR 2013, 944, 946) schließt sich das erkennende Gericht nicht an. Denn der Anspruch auf Einsicht in die eingeholten Gutachten in der Krankenversicherung wurde bereits im Jahre 1994 als § 178m a. F. eingeführt und der Gesetzgeber hat von der Möglichkeit der Erstreckung der Regelung auf andere Bereiche des Versicherungsrechts bzw. einer Einführung von parallelen Regelungen in anderen Sparten als der Krankenversicherung keinen Gebrauch gemacht. Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass bei Einführung des § 178m VVG a. F. der Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung im VVG noch nicht geregelt gewesen ist. Denn der Gesetzgeber hätte spätestens bei Einführung der §§ 172 ff. VVG die Möglichkeit der Schaffung einer vergleichbaren Regelung gehabt. Nach Überzeugung des Gerichts stehen demnach der zeitliche Verlauf und die Untätigkeit des Gesetzgebers der Annahme einer Planwidrigkeit der Regelungslücke entgegen, sodass von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen ist.

3. Ein Anspruch der Klägerin auf Einsicht in die eingeholten medizinischen Gutachten ergibt sich auch nicht aus § 3 Abs. 4 Satz 1 VVG. Danach kann der Versicherungsnehmer jederzeit vom Versicherer Abschriften der Erklärungen verlangen, die er mit Bezug auf den Vertrag abgegeben hat. Es muss sich demnach um Erklärungen des Versicherungsnehmers handeln. Eine Abschrift von eingeholten Gutachten kann der Versicherungsnehmer nach dieser Vorschrift nicht verlangen (LG München I, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 26 O 8341/15 –, juris; LG Dresden, Urteil vom 27.11.2013 – 8 S 269/13 –, juris; Prölss/Martin/Rudy, VVG, 30. Aufl. 2018, § 3 Rn. 9).

4. Der Klägerin steht gegen die Beklagten auch aus dem Versicherungsvertrag kein Anspruch auf Einsicht in die medizinischen Gutachten zu. Denn ein auf das Vertragsverhältnis gestützter Anspruch des Versicherungsnehmers auf Einsicht in die vom Versicherer eingeholten Gutachten besteht grundsätzlich nur, wenn Gründe der Waffengleichheit ein Einsichtsrecht des Versicherungsnehmers gebieten. Ein solcher Anspruch kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn der Versicherer einen vom Versicherungsnehmer erhobenen Leistungsanspruch nicht oder nicht im vollen Umfang zu erfüllen bereit ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.02.1993 – IV ZR 228/91 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.04.2005 – 12 W 32/05 –, juris; Armbrüster, VersR 2013, 944, 949). Da die Beklagten den Leistungsanspruch der Klägerin vorliegend vollumfänglich anerkannt haben, besteht demnach kein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag.

5. Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Einsicht in die eingeholten medizinischen Gutachten folgt auch nicht aus § 810 BGB.

Nach § 810 BGB kann derjenige, der ein rechtliches Interesse daran hat, eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde einzusehen, kann von dem Besitzer die Gestattung der Einsicht verlangen, wenn die Urkunde in seinem Interesse errichtet oder in der Urkunde ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist oder wenn die Urkunde Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft enthält, die zwischen ihm und einem anderen oder zwischen einem von beiden und einem gemeinschaftlichen Vermittler gepflogen worden sind.

Die vorgenannten Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn die von der Beklagten eingeholten medizinischen Gutachten wurden nicht (auch) im Interesse der Klägerin errichtet. Eine Urkunde ist nur dann als im Interesse einer Partei errichtet anzusehen, wenn sie zumindest auch dazu bestimmt ist, dieser als Beweismittel zu dienen oder doch zumindest ihre rechtlichen Beziehungen zu fördern (BGH, Urteil vom 31.03.1971 – VIII ZR 198/69 –, juris). Dies ist bei einem medizinischen Gutachten, das ein Versicherer einholt, um seine Leistungspflicht zu prüfen, nicht der Fall. Es kann dabei dahin stehen, ob ein solcher Anspruch nicht ohnehin nur bei einer vollständigen oder teilweisen Ablehnung von Leistungen durch den Versicherer in Betracht kommt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. April 2005 – 12 W 32/05 –, juris; LG Dortmund, Urteil vom 21. Mai 2008 – 2 O 400/07 –, juris; LG Dresden, Urteil vom 27. November 2013 – 8 S 269/13 –, juris). Denn der Versicherer handelt bei Einholung eines solchen medizinischen Gutachtens in seinem eigenen Interesse und in eigener Verantwortung und nicht, um auch eine Aufgabe des Versicherungsnehmers bzw. des Versicherten wahrzunehmen (LG München I, Beschluss vom 14.10.2015 – 26 O 8341/15 –, juris; LG Berlin, Beschluss vom 13.03.2001 – 7 O 76/00 –, juris; Armbrüster, VersR 2013, 944, 948).

6. Ein Anspruch der Klägerin auf Einsicht in die Gutachten ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte, der zur Durchsetzung seiner Rechte auf die Auskunft angewiesen ist, in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen und der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihm dies zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2015 – XII ZR 201/1 -, BGHZ 204, 54-74, Rn. 10). Die begehrte Auskunft muss demnach der Vorbereitung und Durchsetzung eines Hauptanspruchs zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner dienen (LG Hamburg, VersR 1982, 997; Armbrüster, VersR 2013, 944, 951). Ein solcher Anspruch scheidet mithin aus, wenn – wie hier – ein Hauptanspruch aufgrund der vollständigen Erfüllung des Leistungsanspruchs nicht geltend gemacht werden soll, sodass es im Ergebnis nicht darauf ankommt, ob sich aus § 242 BGB überhaupt ein Recht auf Einsicht herleiten lässt.

7. Der Klägerin steht gegen die Beklagten schließlich auch kein Anspruch auf Einsicht in die Gutachten aus § 34 Abs. 1 Nr. 1 BDSG zu.

Nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 BDSG hat die verantwortliche Stelle dem Betroffenen auf Verlangen Auskunft zu erteilen über die zu seiner Person gespeicherten Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen. Dabei findet die Regelung nur Anwendung, soweit personenbezogene Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen verarbeitet, genutzt oder dafür erhoben werden oder die Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien verarbeitet, genutzt oder dafür erhoben werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BDSG). Diese Voraussetzungen liegen hier allerdings nicht vor, weil die Klägerin Einsicht in schriftliche medizinische Gutachten verlangt und es sich damit allenfalls um die Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten außerhalb von nicht automatisierten Dateien handelt und nicht ersichtlich ist, dass es sich um personenbezogene Daten handelt, die offensichtlich aus einer automatisierten Verarbeitung entnommen worden sind (§ 27 Abs. 2 BDSG). Ein Auskunftsanspruch würde darüber hinaus auch nur hinsichtlich der gespeicherten personenbezogenen Daten bestehen. Schließlich gewährt die Vorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 1 BDSG dem Betroffenen lediglich einen Auskunftsanspruch und kein umfassendes Recht auf Einsicht in die über ihn bei der verantwortlichen Stelle vorliegenden Informationen, Schriftstücke oder Akteninhalte.

II.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 2 ZPO.

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