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Berufsunfähigkeitsversicherung – Anforderungen und Beantwortung von Gesundheitsfragen

Landgericht Dortmund, Az.: 2 O 332/13, Urteil vom 24.09.2015

Die Klage wird als derzeit nicht fällig abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d

Berufsunfähigkeitsversicherung – Anforderungen und Beantwortung von GesundheitsfragenDie 1962 geborene Klägerin beantragte am 08.03.2010 bei dem Beklagten den Abschluss einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Gesundheitsfragen in dem Versicherungsantrag verneinte die Klägerin. Der Beklagte erteilte den Versicherungsschein vom 13.04.2010. Versichert ist danach ab dem 01.04.2010 eine monatliche Rente in Höhe von 1.400,00 € sowie Beitragsbefreiung bis zum 01.04.2027 bei Berufsunfähigkeit nach Leistungsstaffel I. Es gelten die Allgemeinen Bedingungen für die selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung (BED.SBU.0109) sowie besondere Bedingungen für die Lebensversicherung mit planmäßiger Erhöhung der Beiträge und Leistungen ohne erneute Gesundheitsprüfung. Der monatliche Beitrag belief sich im Jahre 2012 auf 105,22 €. In § 12 der Allgemeinen Bedingungen heißt es auszugsweise wie folgt:

„(1)

Werden Leistungen aus dieser Versicherung verlangt, sind uns unverzüglich auf Kosten des Ansprucherhebenden folgende Unterlagen einzureichen:

a)              …

b)              ausführliche Berichte der Ärzte und anderer Heilbehandler,

die die versicherte Person gegenwärtig behandeln bzw. behandelt oder untersucht haben, über Ursache, Beginn, Art, Verlauf und voraussichtliche Dauer des Leidens sowie über den Grad der Berufsunfähigkeit oder die Art und den Umfang einer Pflegebedürftigkeit;

(2)

Wir können außerdem weitere ärztliche Untersuchungen durch von uns beauftragte unabhängige Ärzte sowie notwendige Nachweise – auch über die wirtschaftlichen Verhältnisse und ihre Veränderungen – verlangen, insbesondere zusätzliche Auskünfte und Aufklärungen auch über den Gesundheitszustand der versicherten Person vor oder nach ihrer Vertragserklärung.

Die versicherte Person hat Ärzte, Krankenhäuser, sonstige Krankenanstalten, Pflegeheime, bei denen sie in Behandlung oder Pflege – auch vor ihrer Vertragserklärung – war oder sein wird, sowie Pflegepersonen, andere Personenversicherer, gesetzliche Krankenkassen, Berufsgenossenschaften und Behörden zu ermächtigen, uns auf Verlangen Auskunft zu erteilen.

(3)

Die in Absatz 2 genannten Untersuchungen und Nachweise können zur Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten führen. Wir werden sie vor einer solchen Erhebung unterrichten. Sie haben das Recht, dieser Erhebung zu widersprechen. Ihr Widerspruch kann dazu führen, dass sie ihre Mitwirkungspflicht verletzen (§ 16) oder uns nicht alle für unsere Leistungsentscheidung erforderlichen Unterlagen vorliegen (§ 13 Abs. 1).“

Im März 2013 beantragte die Klägerin Berufsunfähigkeitsleistungen bei dem Beklagten. Die Klägerin unterzeichnete am 03.04.2013 eine von dem Beklagten vorformulierte Schweigepflichtentbindungserklärung, mit der sie ihre Krankenversicherer umfassend von der Schweigepflicht entband. Mit Schreiben vom 05.04.2013 wandte sich der Beklagte an die E und bat um Auskunft. Mit Schreiben vom 22.04.2013 teilte die E dem Beklagten mit, dass sich eine Auskunft zu Vorerkrankungen nur auf die Diagnose beziehen dürfe, zu der die Prüfung erfolge. Die Klägerin übersandte dem Beklagten ferner ein Schreiben der E vom 13. Mai 2013, wonach die E ab Versicherungsbeginn 1. Juni 2007 eine begrenzte Auskunft auf psychische und nervöse Beschwerden sowie Erschöpfungszustände erteilte. In dem Schreiben heißt es: Ambulante Behandlungen der Psyche seit 2007: Behandlung durch Dr. T, 21.09.2010 bis 15.11.2010 wegen Erschöpfungszustand. …

Mit der Klage hat die Klägerin zunächst Versicherungsleistungen ab dem 01.10.2012 sowie die Feststellung der Leistungspflicht des Beklagten bis längstens zum 01.04.2027 begehrt. Mit Schriftsatz vom 01.12.2014 hat sie den Leistungszeitraum bis zum 21. Juli 2014 begrenzt, da sie seit dem 22. Juli 2014 zur Möbelfachverkäuferin ausgebildet worden sei und seit dem 1. Dezember 2014 in diesem Beruf arbeitet.

Mit Schreiben vom 28.04.2015 stellte der Beklagte der Klägerin eine vorformulierte Schweigepflichtentbindungserklärung betreffend den Arzt Dr. T für den Zeitraum vom 08.03.2005 bis 08.03.2010 und die E AG für Auskunft zum Zeitraum 01.01.2007 bis 08.03.2010 betreffend folgende Erkrankungen und Behandlungen:

  • Herzklopfen, Herzrasen (Tachykardien)
  • niedriger Blutdruck
  • Schwindel
  • Tinnitus,
  • Kopfschmerzen/Migräne
  • Hyperventilation/Atemnot
  • Verdauungsbeschwerden (Reizmagen, Reizdarm, Sodbrennen)
  • Essstörungen
  • Panikattacken
  • Angstattacken
  • Prüfungsangst
  • Stress bei der Arbeit
  • vegetative Dystonie
  • HWS-Verspannungen
  • Eisenmangel
  • Müdigkeit/Schlafstörungen

zur Verfügung. Diese Schweigepflichtentbindungserklärung unterzeichnete die Klägerin nicht.

Sie behauptet, sie sei als selbständige Versicherungsmaklerin tätig gewesen und seit dem 24.09.2012 wegen einer depressiven Episode berufsunfähig. Sie leide ferner an kreisrundem Haarausfall und Neurodermitis. Sie behauptet, sie habe die E aufgefordert, die von dem Beklagten erbetene vollständige Auskunft zu erteilen. Daraufhin habe die E sie hingewiesen, dass solche Auskünfte nicht geschuldet seien. Sie ist der Ansicht, sie habe mit der Unterzeichnung der umfassenden Schweigepflichtentbindungserklärung schon das erforderliche getan.

Die Klägerin beantragt nunmehr, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 32.599,94 € nebst Verzugszinsen seit dem 19.06.2013 in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen; den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.094,20 € nebst Verzugszinsen seit dem 19.06.2013 nach einem Zinssatz von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen; den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.028,36 € nebst Verzugszinsen seit Klageerhebung nach einem Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Im Übrigen erklärte sie den Feststellungsantrag und den hilfsweise angekündigten Feststellungsantrag für erledigt.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er bestreitet die Tätigkeit der Klägerin als Versicherungsmaklerin und die Berufsunfähigkeit mit Nichtwissen. Er meint, Leistungen seien jedenfalls nicht fällig. Insoweit beruft er sich auf eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung, da die Klägerin ihre Mitwirkungsobliegenheit nach § 12 der Bedingungen verweigert habe, so dass er Leistungsfrei sei.

Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die zulässige Klage war abzuweisen, da die Ansprüche der Klägerin derzeit nicht fällig sind. Nach § 14 Abs. 1 VVG sind Geldleistungen des Versicherers fällig mit der Beendigung des zur Feststellung des Versicherungsfalls und des Umfangs der Leistung des Versicherers notwendigen Erhebungen. Diese Erhebungen sind hier noch nicht abgeschlossen. Dazu bedarf es noch der Auskünfte des Vorbehandlers und der E AG in dem von dem Beklagten richtigerweise eingeschränkten Umfang. Der Versicherer ist im Rahmen der Leistungsprüfung berechtigt auch die Frage zu prüfen, ob Versicherungsschutz durch eine Rücktritts- oder Anfechtungserklärung beseitigt werden kann und ob eine eventuelle Vorvertraglichkeit gegeben ist. Eine Erstreckung der Leistungsprüfung auf den vorvertraglichen Bereich ist auch nicht aufgrund des neu eingefügten und hier anzuwenden § 213 VVG als unzulässig anzusehen. § 213 Abs. 1 VVG sieht vor, dass die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten durch den Versicherer nur bei Ärzten, Krankenhäusern und sonstigen Krankenanstalten, Pflegeheimen und Pflegepersonen, anderen Personenversicherern und gesetzlichen Krankenkassen sowie Berufsgenossenschaften und Behörden erfolgen darf und sie nur zulässig ist, soweit die Kenntnis der Daten für die Beurteilung des zu versichernden Risikos oder der Leistungspflicht erforderlich ist und die betroffene Person eine Einwilligung erteilt hat. Auch die Frage, ob tatsächlich Gründe für die Ausübung des Rücktritts- oder Anfechtungsrechts bestehen oder ob Vorvertraglichkeit gegeben ist, ist als Teil der Leistungsprüfung des Versicherers nach Geltendmachung eines Versicherungsfalls anzusehen. Erforderlich zur Leistungsbeurteilung im Sinne des § 213 Abs. 1 VVG können daher Daten auch dann sein, wenn anlässlich eines Versicherungsfalls geklärt werden soll, ob der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss relevante Angaben unterlassen hat und deshalb ein Rücktritts- oder Anfechtungsrecht besteht (KG, Urteil vom 08.07.2014 – 6 U 134/13 -; OLG Saarbrücken ZFS 2013, 2023; Voigt in Prölss-Martin, VVG, § 213 Rn. 30; Rixecker in Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., § 213 Rn. 18). Unbeachtlich ist hierbei, ob die in der vorformulierten Schweigepflichtentbindungserklärung des Beklagten genannten Erkrankungen in irgendeiner Beziehung zur Erkrankung der Klägerin stehen, da es hier um die Klärung geht, ob die Klägerin im abgefragten Zeitraum vor Antragstellung unter Krankheiten, Beschwerden oder sonstigen Störungen litt, die anfechtungsrelevant sein könnten, da sie im Antrag vom 08.03.2010 unter Ziffer 3 A abgefragt wurden. Insoweit entspricht die vorformulierte Schweigepflichtentbindungserklärung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 17.07.2013 1 BvR #####/####.

Insoweit genügt auch nicht die von der Klägerin erteilte allgemeine Schweigepflichtentbindungserklärung. Denn diese war nach der oben zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unwirksam, da durch sie das allgemeine Persönlichkeitsrechts der Klägerin in seiner Ausprägung als Recht der informationellen Selbstbestimmung verletzt wurde. Sie war in sachlicher Hinsicht, da sie sämtliche Behandlungsdaten, Diagnosen und Arbeitsunfähigkeitszeiten umfasste, viel zu allgemein gehalten. Die E aG und Dr. T waren insoweit berechtigt, Auskünfte nicht zu erteilen.

Der Beklagte ist nicht aufgrund der Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit leistungsfrei geworden. § 12 Abs. 2 der Bedingungen sieht vor, dass der Versicherer „notwendige Nachweise“ sowie „zusätzliche Auskünfte und Aufklärungen“ verlangen dürfe. Hier ist fraglich, ob es sich schon um eine hinreichend konkrete Obliegenheit handelt, an die Rechtsfolgen geknüpft werden könnten (vgl. hierzu Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, VersR-Handbuch 2. Aufl., § 46 Rn. 186). Jedenfalls verletzt § 12 Abs. 2 das Recht des Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung, da die Regelung keinerlei inhaltliche Begrenzung enthält. Im Einzelnen wird auf obige Ausführungen verwiesen.

Die Feststellung der Erledigung der Hauptsache kam nicht in Betracht, da die Klage von Anfang an unbegründet war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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