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Krankentagegeldversicherung – Voraussetzungen eines Versicherungsfalls

LG Heilbronn – Az.: Be 4 O 50/17 – Beschluss vom 21.06.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Gebührenstreitwert wird auf 55.662,50 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Krankentagegeld-Leistungen für den Zeitraum ab 25.07.2016.

Krankentagegeldversicherung - Voraussetzungen eines Versicherungsfalls
Symbolfoto: Von pdsci /Shutterstock.com

Zwischen den Parteien besteht seit 01.01.2015 unter der Versicherungsnummer … eine private Krankentagegeldversicherung nach dem Tarif ETC42. Dem Versicherungsvertrag liegen die Bedingungen RB/KT 2009 sowie die TB/KT 2009 zugrunde. Von 01.04.2015 bis 24.07.2015 zahlte die Beklagte an den Kläger Krankentagegeld in Höhe von täglich 61,00 €, insgesamt also 29.463,00 €. Infolge einer Nachuntersuchung durch Herrn Dr. … und dessen Gutachten vom 15.07.2016 (Anlagenkonvolut K 2, Bl. 7 ff d. A.) wurden die Zahlungen ab dem 25.07.2016 eingestellt. Der Kläger machte sich im September 2004 als Gastronom selbständig und eröffnete eine Pizza- und Kebabstube in … (Bad Rappenau). Dieser Betrieb steht derzeit still. Die Öffnungszeiten waren täglich von 11 Uhr bis 23 Uhr. Dazu kamen täglich ein bis zwei Stunden an Vor- und Nachbereitungen (Herstellung des Kebab-Spießes, Vorbereitung von Pizzateig, Salaten, Dressing und Reinigungsarbeiten).

Der Kläger behauptet, er sei nach den gutachterlichen Ausführungen des Herrn Dr. … (Anlage K 3) eindeutig arbeitsunfähig. Die Interpretation des Gutachtens von Herrn Dr. … im Summationsgutachten des Dr. … (Anlagekonvolut K 4, Bl. 27 ff d. A.) sei hanebüchen. Herr Dr. … habe lediglich der Vollständigkeit halber den Grad der Behinderung auf 30 taxiert und eine Berufsunfähigkeit verneint. Es komme aber auf die Arbeitsunfähigkeit an, die Herr Dr. … eindeutig bestätigt habe.

Der Kläger beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum ab 25.07.2016 auf unbestimmte Zeit ein Krankentagegeld von 61,00 Euro pro Tag zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger sei ab dem 25.07.2016 nicht mehr zu 100 % arbeitsunfähig gewesen. Ein Gutachten der … Praxisklinik habe dem Kläger eine vollschichtige Arbeitsfähigkeit attestiert. Gegen die Einschätzung des Herrn Dr. …, , dass eine vollständige Arbeitsunfähigkeit vorliege, spreche, dass der Kläger allein mit dem eigenen PKW zu den Untersuchungen angereist sei, lediglich ein leichter isometrischer Außenrotations- und Abduktionsschmerz sowie ein leichter Druckschmerz am tuberculum majus bestanden habe, keine Medikamente eingenommen worden seien, das Entkleiden selbständig ohne Hilfe habe erfolgen können und das Muskelrelief unauffällig gewesen sei, außerdem auch, dass keine Atropie der Schultergürtel- oder Armmuskulatur festzustellen gewesen sei und eine Rekonvaleszenz lediglich in Eigenübungen zweimal wöchentlich in Form eigener Gymnastik stattgefunden habe. Soweit eine gravierende Bewegungseinschränkung bestanden hätte, habe auch eine deutliche Muskelschwäche links bei Gebrauchsfähigkeit des linken Arms festgestellt werden müssen, was nicht der Fall gewesen sei. Die Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit obliege dem Kläger.

Mit Schriftsatz vom 11.09.2017 hat der Kläger im Einverständnis mit der Beklagten während des rechtshängigen Verfahrens Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gestellt und beantragt ein schriftliches Gutachten eines Sachverständigen über die Behauptung einzuholen:

Der Kläger bzw. Antragsteller ist über den 24.07.2016 hinaus bis dato aufgrund der Diagnosen „Schultersteife/Frozen shoulder links bei Supraspinatussehnenteilruptur und Lumboischialgie links bei Protrusion L4/5, L5/S1 mit Spinalkanalstenose“ zu 100 Prozent arbeitsunfähig krank. Es liegt mithin eine vollständige Einschränkung der beruflichen Tätigkeit als Betreiber einer Gaststätte („Döner-Imbiss“) vor, wobei die berufliche Tätigkeit vollständig alleine, als sog. „Ein-Mann-Betrieb“ ausgeübt wird.

Im Rahmen des Verfahrens 4 OH 11/17 hat das Landgericht Heilbronn Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. … vom 06.08.2018 sowie durch mündliche Anhörung des Sachverständigen Dr. … im Termin vom 10.04.2019. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 10.04.2019 verwiesen. Die Parteien haben ihr Zustimmung zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt. Mit Beschluss vom 14.05.2019 wurde als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, der 11.06.2019 bestimmt.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage war abzuweisen, da sie in der Sache keinen Erfolg hat.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen aus dem Versicherungsvertrag über eine Krankentagegeldversicherung i. V. m. § 1 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (im Folgenden: AVB; Anlage B 1) für den Zeitraum ab 25.07.2016. Es fehlt bereits am Vorliegen eines Versicherungsfalles.

1.

Nach § 1 Abs. 2 AVB ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Der Versicherungsfall endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen, wobei der Versicherungsnehmer einen Leistungsanspruch nur für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit hat (vgl. Eichelberger, Medizinrecht, 3. Auflage 2018, § 5 VVG Rn. 76). Arbeitsunfähigkeit liegt gemäß § 1 Abs. 3 AVB vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgeht.

Nicht arbeitsunfähig ist der Versicherte, wenn er gesundheitlich zu einer – wenn auch nur eingeschränkten – Tätigkeit in seinem bisherigen Beruf imstande geblieben ist. Dabei ist durch Vergleich der Leistungsfähigkeit, die für die bis zur Erkrankung konkret ausgeübte Tätigkeit erforderlich ist, mit der noch verbliebenen Leistungsfähigkeit zu ermitteln, ob der Versicherte seinem Beruf nicht mehr in der bisherigen Ausgestaltung nachgehen kann. Maßstab ist der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung (vgl. BGH, Urteil vom 20.05.2009 – IV ZR 274/16).

a)

Der Sachverständige Dr. … führte im Rahmen des Gutachtens vom 06.08.2018 (Bl. 26 ff d. A.) aus, dass beim Kläger über den 24.07.2016 hinaus keine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit mehr vorliege, auch wenn die Tätigkeit vollständig alleine, als sog. Ein-Mann-Betrieb ausgeübt werde. Der Kläger könne in seinem Ein-Mann-Betrieb zumindest teilweise unter Einsatz des rechten Armes, unter Einsatz des linken Armes unter der Horizontalen sowie im Wechsel stehend/gehend/sitzend seinem Beruf als Gastronom nachkommen. Im Rahmen der mündlichen Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 10.04.2019 (4 OH 11/17, Bl. 79 d. A.) ergänzte der Sachverständige seine Ausführungen dahingehend, dass die Arbeit des Klägers zwar schwerer sei, aber eben möglich. Er könne seinen rechten Arm benutzen und bei Arbeiten unterhalb der 90-Grad-Grenze auch seinen linken Arm. Probleme würden lediglich bei Überkopfarbeit im Bereich zwischen 90 Grad und 120 Grad auftreten. In diesem Bereich sei der rechte Arm einzusetzen. Nach diesen Ausführungen des Sachverständigen ist der Kläger zu einer Tätigkeit in seinem bisherigen Beruf-wenn auch mit Einschränkungen – imstande geblieben.

Eine weitergehende Ermittlung des Tätigkeitsbildes war nicht erforderlich, nachdem der Kläger dieses dem Sachverständigen geschildert hatte und zwischen den Parteien unstreitig blieb. Der Sachverständige gab in der mündlichen Anhörung vom 10.04.2019 (Bl. 79 d. A. 4 OH 11/17) an, dass die Angaben des Klägers für seine Begutachtung ausreichend waren.

b)

Soweit sich der Kläger zum Beweis einer behaupteten Arbeitsunfähigkeit auf das Zeugnis von Herrn Dr. … beruft, war dieser nicht zu hören. Im Rahmen des Anspruches auf Krankentagegeld kommt es für die Ermittlung der Arbeitsunfähigkeit auf einen objektiven, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängigen Maßstab an. Das Urteil des behandelnden Arztes ist daher einer Überprüfung durch einen neutralen Sachverständigen zu unterziehen (BGH, Urteil vom 30.06.2010 – IV ZR 163/09). Nichts anderes kann gelten, wenn der Arzt durch die Erstattung eines Privatgutachtens vom Versicherungsnehmer beauftragt wurde.

Insoweit war eine Vernehmung des Zeugen Dr. … nicht erforderlich. Der Sachverständige Dr. … hat sich im Rahmen seines Gutachtens vom 06.08.2019 ausweislich der Seiten 24 f mit der gutachterlichen Stellungnahme von Herrn Dr. … auseinandergesetzt und sich im Rahmen der mündlichen Anhörung vom 10.04.2019 (Bl. 78 d. A. 4 OH 11/17 unten) auch zu dessen Stellungnahme vom 19.10.2018 geäußert. Dabei hat er nachvollziehbar geschildert, dass der Sachverständige Dr. … die Begriffe „Arbeitsunfähigkeit“, „Berufsunfähigkeit“, „GdB“ und „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ fehlinterpretiert habe und deshalb hinsichtlich seiner Einschätzung zur Arbeitsunfähigkeit zu einer abweichenden Einschätzung bei korrekter Anamnese- und Befunderhebung gekommen sei. Hierbei sei er bei seiner ergänzenden Stellungnahme offensichtlich geblieben (vgl. Seite 3 des Protokolls vom 10.04.2019 im Verfahren 4 OH 11/17).

c)

Soweit der Sachverständige darauf verweist, dass möglicherweise Hilfskräfte für körperlich belastende Arbeiten einzusetzen sind, führt auch dies nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit des Klägers.

Grundsätzlich kann der Versicherer den Versicherten zwar nicht darauf verweisen, durch Umorganisation seiner Arbeitsabläufe, die Voraussetzungen für die Wiederausübung seines Berufes zu schaffen. Er ist nicht gezwungen, seine berufliche Tätigkeit durch Austausch oder Veränderung der bislang eingesetzten Arbeitsmittel unter Kapitaleinsatz neu zu organisieren (BGH, a.a.O.).

Allerdings hat der Sachverständige ausweislich Seite 21 seines Gutachtens vom 06.08.2018 ausdrücklich berücksichtigt, dass der Kläger seine Tätigkeit in einem Ein-Mann-Betrieb ausführt und auf den Einsatz von Hilfskräften nur für körperlich belastende Tätigkeiten verwiesen. Im Rahmen seiner mündlichen Anhörung im Termin vom 10.04.2019 erläuterte der Sachverständige zusätzlich:

„Aus meiner Sicht liegt eine Arbeitsunfähigkeit von 100% bei Herrn … nicht vor. Die Arbeit geht zwar schwerer, ist aber eben möglich. Herr … kann seinen rechten Arm benutzen und bei Arbeiten unterhalb der 90 Grad Grenze auch seinen linken Arm. Probleme treten lediglich bei Überkopfarbeit auf.“

Insoweit ist der Verweis auf den Einsatz von Hilfskräften als Hinweis auf eine Erleichterung der Arbeit zu verstehen und nicht als Erfordernis, um die Arbeit in seinem Ein-Mann-Betrieb erst zu ermöglichen. Etwas anderes wurde von den Parteien auch nicht vorgetragen. Insbesondere hat sich der Kläger insoweit auch nicht gegen das Gutachten gewandt oder vorgebracht, dass zur Ausführung seiner Arbeit bei Einsatz des rechten sowie des linken Armes unter der Horizontalen eine Umorganisation erforderlich würde, die zu einem Kapitalaufwand führen würde. Es muss daher dabei bleiben, dass nicht von einer Arbeitsunfähigkeit auszugehen ist.

d)

Die Ausführungen des Sachverständigen sind schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Der Sachverständige Dr. … befindet sich mittlerweile im Ruhestand, war bis zuletzt aber leitender Oberarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie sowie Handchirurgie. Im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vom 10.04.2019 erläuterte er außerdem, dass er seit zwanzig Jahren als gerichtlicher Gutachter und seit dreißig Jahren als Gutachter für Versicherungen tätig sei und daher über bestimmte Erfahrungswerte verfüge.

Auch die Vorwürfe des Klägers, er habe ihn nur fünf bis zehn Minuten untersucht, konnte der Sachverständige im Rahmen der Verhandlung vom 10.04.2019 glaubhaft ausräumen. Er erklärte (vgl. Seite 4 des Protokolls vom 10.04.2019), dass er schätze, dass der Kläger „locker eine Stunde“ bei ihm gewesen sei und man in fünf bis zehn Minuten entsprechende Befunde nicht erheben könne. Er habe Messungen vorgenommen, sich mit dem Kläger unterhalten und ihn nach seinem konkreten Berufsbild befragt, was seine Zeit dauere. Weitere Einwendungen wurden von Klägerseite gegen das Gutachten nicht vorgebracht.

An der Qualifikation des Sachverständigen Dr. … und der Qualität seines Gutachtens bestehen nach Auffassung des Gerichts keine Zweifel, weshalb dieses zur Grundlage der Entscheidung gemacht wird.

2.

Nach den vorstehenden Ausführungen steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger – wenn auch eingeschränkt – zu einer Tätigkeit in seinem bisherigen Beruf imstande war, da der linke Arm in einem großen Bereich (unterhalb der Horizontalen) voll ersetzbar ist und die Defizite bei der Arbeit über Kopf im Rahmen der täglichen Arbeit als Gastronom in einem Ein-Mann-Betrieb durch Einsatz des rechten Armes ausgeglichen werden können. Mangels Arbeitsunfähigkeit fehlt es für einen Anspruch auf Versicherungsleistungen mithin bereits an einem Versicherungsfall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Der Gebührenstreitwert war gemäß §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf 55.662,50 € festzusetzen. Insoweit schließt sich die Einzelrichterin der überzeugenden Entscheidung des OLG Karlsruhe (Beschluss vom 06.03.2006 – 12 W 18/06) an, wonach die regelmäßige Bezugsdauer von Krankentagegeld deutlich unter dreieinhalb Jahren liegt, weshalb eine entsprechende Anwendung von § 9 ZPO ausscheidet. Nachdem bereits bei Klageerhebung mehr als ein halbes Jahr seit der Einstellung der Leistungen durch die Beklagte vergangen war und bei Schluss der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte für eine Veränderung des Zustandes des Klägers bestanden, wird vorliegend eine Bezugsdauer von 2,5 Jahren angenommen.

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