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Berufsunfähigkeitsversicherung – Anfechtbarkeit eines Zwischenurteils

Berufsunfähigkeitsversicherung: Rechtskraft des Zwischenurteils verhindert erneute Klage

Das Oberlandesgericht Dresden hat die Berufung der Beklagten gegen ein Zwischenurteil des Landgerichts Dresden in einem Fall zur Berufsunfähigkeitsversicherung zurückgewiesen. Es bestätigte, dass die Klägerin, trotz des vorangegangenen Urteils, Anspruch auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung geltend machen kann, da eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes nach dem ersten Prozess behauptet wird. Diese Verschlechterung wurde als möglicher neuer Versicherungsfall angesehen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 U 2606/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung der Beklagten: Die Berufung gegen das Zwischenurteil wurde zurückgewiesen.
  2. Klage der Klägerin: Es geht um Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.
  3. Gesundheitszustand der Klägerin: Verschlechterung des Gesundheitszustandes wird als möglicher neuer Versicherungsfall betrachtet.
  4. Urteil des Senats von 2019: Das frühere Urteil, das die Ansprüche der Klägerin abwies, beruhte auf einem Gutachten, das die Berufsunfähigkeit nicht eindeutig bestätigte.
  5. Rechtskraft und Identität der Streitgegenstände: Die Identität der Streitgegenstände beider Klagen war für die Zulässigkeit der neuen Klage entscheidend.
  6. Neue vs. vorbestehende Erkrankungen: Die Unterscheidung zwischen neuen und bereits im Vorprozess behandelten Erkrankungen war zentral für die Beurteilung des neuen Versicherungsfalls.
  7. Notwendigkeit eines neuen Sachverständigengutachtens: Zur genauen Beurteilung der Gesundheitsveränderungen ist ein neues Gutachten erforderlich.
  8. Betrachtung des Berufsbildes: Die Entscheidung, ob auf die frühere Tätigkeit der Klägerin oder ihre neue Tätigkeit als Klangschalentherapeutin abgestellt wird, bleibt offen.

Berufsunfähigkeitsversicherung und Gerichtsprozesse: Ein juristischer Überblick

Das Thema Berufsunfähigkeitsversicherung ist ein zentraler Bestandteil des Versicherungsrechts und birgt komplexe Herausforderungen sowohl für Versicherungsnehmer als auch für Versicherungsgesellschaften. Im Kern geht es um die Frage, unter welchen Umständen Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu gewähren sind, insbesondere wenn der Gesundheitszustand des Versicherten sich verändert hat. Dies beinhaltet die Bewertung von psychischen Beeinträchtigungen und deren Einfluss auf die berufliche Leistungsfähigkeit, was oft durch Sachverständigengutachten unterstützt wird.

Rechtsstreitigkeiten in diesem Bereich können sich über mehrere Instanzen erstrecken, wobei häufig die Anfechtbarkeit von Urteilen und die Auslegung von Versicherungsbedingungen im Mittelpunkt stehen. Entscheidungen zu Berufsunfähigkeitsversicherungen haben oft weitreichende Konsequenzen für die betroffenen Personen, da es um existenzielle finanzielle Unterstützung geht. Die Komplexität zeigt sich unter anderem in der Überprüfung, ob eine Erkrankung als neuer Versicherungsfall zu werten ist oder ob bereits vorher bestehende Gesundheitsprobleme weiterhin relevant sind.

Die folgende detaillierte Betrachtung eines konkreten Urteils des Oberlandesgerichts Dresden bietet Einblick in die juristische Auseinandersetzung um Berufsunfähigkeitsansprüche. Sie beleuchtet die Herausforderungen, die sich aus der Interpretation von Vertragsbedingungen und der Bewertung des Gesundheitszustandes ergeben. Lassen Sie uns in die Tiefen dieser spannenden und oft lebensverändernden juristischen Materie eintauchen.

Der Rechtsstreit um Berufsunfähigkeitsleistungen am OLG Dresden

Im Fokus des juristischen Interesses steht derzeit ein Fall, der am Oberlandesgericht Dresden verhandelt wurde. Es geht um eine Klägerin, die seit März 2003 Inhaberin einer fondsgebundenen Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei der Beklagten ist. Die Klägerin, eine ausgebildete Zahnarzthelferin und ehemalige leitende Angestellte in einem zahntechnischen Labor, stellte 2014 einen Leistungsantrag wegen Berufsunfähigkeit aufgrund verschiedener psychischer Beeinträchtigungen. Diese reichten von rezidivierenden depressiven Störungen über Panikattacken bis hin zu einer generalisierten Angststörung. Nachdem sie ihre Tätigkeit aufgrund dieser Gesundheitsprobleme nicht fortsetzen konnte, wandte sie sich anderen beruflichen Aktivitäten wie der Klangtherapie zu.

Die juristische Auseinandersetzung und erste gerichtliche Entscheidungen

Der Fall nahm eine juristische Wendung, als die Versicherung den Antrag der Klägerin ablehnte, woraufhin diese im August 2015 Klage erhob. Ein entscheidender Punkt war ein psychiatrisches Sachverständigengutachten, welches im Rahmen des Berufungsprozesses eingeholt wurde. Dieses kam zu dem Schluss, dass die psychischen Störungen der Klägerin ihre berufliche Leistungsfähigkeit nicht derart einschränken würden, dass eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen vorläge. Folglich wies das Gericht den Anspruch der Klägerin ab, eine Entscheidung, die später vom Bundesgerichtshof bestätigt wurde, wodurch das Urteil rechtskräftig wurde.

Neubewertung des Falles und das Zwischenurteil des OLG Dresden

Die Klägerin erhob jedoch erneut Klage und behauptete eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands nach der letzten mündlichen Verhandlung. Hierbei spielte die Frage, ob sich der Gesundheitszustand der Klägerin so verändert hatte, dass ein neuer Versicherungsfall vorliegen könnte, eine zentrale Rolle. Das Landgericht bejahte die Zulässigkeit der Klage, da es die materielle Rechtskraft des vorangegangenen Urteils nicht als Hindernis ansah. Die Beklagte legte daraufhin Berufung ein, argumentierte jedoch erfolglos gegen die Zulässigkeit der neuen Klage. Das OLG Dresden stellte fest, dass der Gesundheitszustand der Klägerin neu zu bewerten sei und ein eventuell neuer Versicherungsfall nicht von vornherein auszuschließen sei.

Abschließende Betrachtung und Ausblick auf das Urteil

Dieser Fall zeigt die Komplexität von Streitigkeiten im Bereich der Berufsunfähigkeitsversicherung auf. Es geht nicht nur um die Auslegung von Versicherungsbedingungen und die Bewertung von Gesundheitszuständen, sondern auch um die Frage, inwieweit Veränderungen im Gesundheitszustand eines Versicherten neue Versicherungsfälle begründen können. Das Urteil des OLG Dresden markiert einen bedeutenden Punkt in dieser Auseinandersetzung und wird möglicherweise wegweisend für ähnliche Fälle in der Zukunft sein. In der bevorstehenden Entscheidung wird das Gericht prüfen müssen, inwieweit die behaupteten neuen Erkrankungen der Klägerin die Annahme eines neuen Versicherungsfalles rechtfertigen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist ein Zwischenurteil und welche Auswirkungen hat es auf den Rechtsstreit?

Ein Zwischenurteil ist ein Urteil in einem Zivilprozess, das über prozessuale Vorfragen und nicht den eigentlichen Streitgegenstand entscheidet. Es wird in Deutschland durch die §§ 303 und 304 der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Ein Zwischenurteil kann ergehen, wenn ein Zwischenstreit zur Entscheidung reif ist (§ 303 ZPO). Das Gericht kann auch über den Grund des geltend gemachten Anspruchs vorab entscheiden, wenn dieser Anspruch nach Grund und Betrag streitig ist (§ 304 ZPO).

Zwischenurteile dienen dazu, eine bindende Entscheidung über Vorfragen, Teilaspekte oder den Grund des Anspruchs herbeizuführen, bevor ein weiteres, möglicherweise aufwändiges und kostenintensives Verfahren durchgeführt wird. Beispielsweise kann die Haftung dem Grunde nach im Wege des Zwischenurteils festgestellt werden. Erst wenn dieses rechtskräftig ist, wird dann in einem zweiten Schritt über die Höhe des Anspruchs entschieden.

Zwischenurteile haben Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Rechtsstreits. Sie entscheiden nur über einzelne Streitpunkte und bereiten somit die endgültige Entscheidung vor. Sie sind in Bezug auf die Rechtsmittel als Endurteile anzusehen. Das bedeutet, dass sie wie Endurteile durch Rechtsmittel angefochten werden können. Die weitere Verhandlung ist bis zum Eintritt der Rechtskraft des Zwischenurteils gehemmt.

Es gibt echte (§§ 280, 303, 304 ZPO) und unechte Zwischenurteile (§§ 71, 135, 387, 402 ZPO). Die echten Zwischenurteile sind nur zulässig, sofern die endgültige Entscheidung des Rechtsstreits noch nicht möglich ist.


Das vorliegende Urteil

OLG Dresden – Az.: 4 U 2606/22 – Urteil vom 04.07.2023

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Zwischenurteil des Landgerichts Dresden vom 15.11.2022, Az 8 O 2787/21, wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss: Der Streitwert wird auf bis zu 70.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung.

Zwischen der am 07.04.1979 geborenen Klägerin und der Beklagten besteht seit dem 06.03.2003 eine fondsgebundene Lebensversicherung für den Todes- und Erlebensfall mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Versicherungsschein-Nr. 0.0000000.11). Dem Vertrag lagen die Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zugrunde. Für die Einzelheiten der vertraglichen Vereinbarungen wird auf den Vertragstext ergänzend Bezug genommen.

Die als Zahnarzthelferin ausgebildete Klägerin übte von 2008 bis Februar 2013 eine Tätigkeit als leitende Angestellte in einem zahntechnischen Labor aus.

Vom 19.03.2012 bis zum 25.04.2012 befand sie sich wegen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie einer Panikstörung in teilstationärer Behandlung im Städtischen Krankenhaus-Neustadt, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie. Sie wurde als arbeitsunfähig entlassen und nahm in der Folge ihre Tätigkeit bei dem Dentallabor nicht wieder auf. Im November 2012 nahm sie eine Nebentätigkeit als Klangtherapeutin/Entspannungstrainerin für Kinder auf, die sie bis heute fortführt. Ein weiterer stationärer Aufenthalt erfolgte vom 18.12.2013 – 31.01.2014 im Elblandklinikum unter der Diagnose Angst und depressive Störung. Anschließend wurde die Klägerin dort teilstationär vom 31.01.2014 bis zum 25.06.2014 behandelt. Am 13.03.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Leistungsantrag wegen einer seit Dezember 2013 bestehenden Berufsunfähigkeit. Ferner begann sie 2014 eine Ausbildung als Osteopathin, die sie im Sommer 2016 abbrach. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt war sie zudem nebenerwerblich bis zu drei Stunden täglich als Assistentin in einer osteopathischen Praxis tätig.

Mit ihrer im Vorprozess im August 2015 erhobenen Klage begehrte sie eine monatliche Rentenzahlung ab dem 01.09.2015, Zahlung rückständiger Rente, Feststellung der Befreiung von der Beitragspflicht sowie Rückzahlung seit dem 01.01.2014 gezahlter Beiträge. Auf die Berufung der Beklagten wurde nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens mit dem aufgrund mündlicher Verhandlung vom 01.10.2019 ergangenen Urteil des Senats vom 05.11.2019 der Anspruch abgewiesen.

Zur Begründung wird in dem Urteil folgendes ausgeführt.

„Von dem Vorliegen der vertraglichen Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeit ist nach dem Gutachten des zweitinstanzlich beauftragten Sachverständigen Dr. P…… G…… nicht mit einer für eine hinreichende Überzeugungsbildung des Senats notwendigen Sicherheit auszugehen. Dies geht zu Lasten der für das Vorliegen der Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit beweisbelasteten Klägerin.

a) Der Sachverständige hat zwar wie die vorbehandelnden Ärzte und Vorgutachter bei der Klägerin krankheitswertige psychische Beeinträchtigungen in Form einer Panikstörung, einer generalisierten Angststörung, einer depressiven Störung und einer somatoformen autonomen Funktionsstörung angenommen. Er kommt aber im Ergebnis seiner Begutachtung zu dem Schluss, dass die von ihm festgestellten psychischen Störungen sich nicht soweit auf die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin auswirken, dass sie dauerhaft weniger als die Hälfte ihres früheren Arbeitspensums als leitende Angestellte in einem Dentallabor bewältigen könnte. …“.

Nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH mit Beschluss vom 03.06.2020 ist das Urteil rechtskräftig.

Im Zeitraum vom 08.07.2020 bis zum 19.08.2020 erfolgte eine stationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung im Uniklinikum Mainz (vgl. Entlassungsbericht vom 27.08.2020, Anlage K7).

Mit ihrer am 20.12.2021 eingegangenen Klage begehrt die Klägerin für den Zeitraum ab dem 01.08.2020 Zahlung rückständiger Rente und fortlaufend monatliche Rentenzahlung ab dem 01.10.2021, Freistellung von der Beitragspflicht sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Zur Begründung trägt sie vor, sie habe seit dem Jahr 2011 unter Schwank- und Drehschwindel gelitten. Seit dem Jahr 2012 seien Entfremdungsgefühle hinzugekommen. Spätestens sei 2013 leide sie ständig unter depressiven Episoden mit Niedergeschlagenheit, Antriebsminderung, Erschöpfung, Freudlosigkeit, Traurigkeit, Hilflosigkeit und Konzentrationsschwäche. Sie sei spätestens seit Oktober 2019 nicht mehr in der Lage, ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Es seien erhebliche Erkrankungen gegenüber dem Stadium vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses hinzugekommen. Insgesamt sei eine erhebliche qualitative und quantitative Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Beschwerden eingetreten, was auch durch den Entlassungsbericht belegt werde.

Die Beklagte hat demgegenüber eingewandt, die erneute Klage werde auf Erkrankungen gestützt, die bereits Gegenstand der Begutachtung im Vorprozess gewesen seien. Es reiche nicht aus, unter Wiederholung bisherigen Vortrages zu behaupten, der Gesundheitszustand habe sich nachträglich verschlechtert, so dass jedenfalls ab Oktober 2019 bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliege. Die Klägerin müsse vielmehr im Rahmen ihrer Darlegungslast konkret vortragen, auf welche Art und Weise sich ihr Gesundheitszustand gerade nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess verschlechtert habe. Ein solcher substantiierter Vortrag der Klägerin sei nicht ersichtlich. Sie nenne – bezogen auf die Tätigkeit als leitende Angestellte in einem Dentallabor bzw. Zahnarzthelferin – auch nur solche Beschwerden, die bereits Gegenstand des Vorprozesses gewesen seien. Der demnach auf denselben Lebenssachverhalt gestützten Klage stehe die Rechtskraft der damaligen Entscheidung entgegen.

Hilfsweise sei die Klage auch unbegründet. Darüber hinaus zeige der Lebenslauf der Klägerin auf ihrer Website, dass die Aufgabe der Tätigkeit im Dentallabor und die Zuwendung zu einer therapeutischen Tätigkeit als Entspannungstrainerin und Klangmasseurin Ergebnis einer veränderten Lebensplanung der Klägerin und nicht durch krankheitsbedingte Leistungsminderungen erzwungen worden sei, so dass für die Frage der Berufsunfähigkeit auf die neu aufgenommene Tätigkeit abzustellen sei.

Das Landgericht hat die Zulässigkeit der Klage mit dem angefochtenen Zwischenurteil gem. § 280 ZPO bejaht und zur Begründung darauf abgestellt, dass die materielle Rechtskraft des im Vorprozess ergangenen Urteils der Zulässigkeit der vorliegenden Klage nicht entgegenstehe. Die Klägerin habe eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes nach der Berufungsverhandlung im Vorprozess am 01.10.2019 substantiiert vorgetragen und das Vorliegen einer Gesundheitsverschlechterung durch die Vorlage des Entlassungsberichtes vom 27.08.2020 hinreichend belegt. Für den Eintritt bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit sei auf die Tätigkeit im Dentallabor abzustellen, da die Klägerin nach Beendigung der Tätigkeit nicht gesund gewesen sein.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, zu deren Begründung sie im wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Sie beantragt, unter Abänderung des Zwischenurteils des Landgerichts Dresden vom 15.11.2022, Az. 8 O 2787/21, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Die Berufung ist zulässig.

Die Zulässigkeit eines mit der Berufung anfechtbaren Zwischenurteils über eine Prozessvoraussetzung nach § 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO richtet sich danach, ob die Rechtskraft der im Vorprozess ergangenen Entscheidung infolge identischer Streitgegenstände als negative Prozessvoraussetzung einer erneuten Entscheidung entgegensteht (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 34. Aufl. 2022, vor § 322, Rn. 17 m.w.N.). Dagegen liegt ein Zwischenurteil nach § 303 ZPO über eine sonstige prozessuale Vorfrage vor, wenn wegen unterschiedlicher Streitgegenstände lediglich Präjudizialität des im Vorprozess ergangenen Urteils im Vorprozess gegeben ist. Ein Zwischenurteil nach § 303 ZPO kann nicht selbstständig angefochten werden, sofern es zulässig ergangen ist (vgl. Zöller-Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 304, Rn. 11 m.w.N.).

Da sich das Zwischenurteil mit den Ausführungen zur Reichweite der materiellen Rechtskraft der im Vorprozess ergangenen Entscheidung nicht auf die Klärung einer prozessualen Vorfrage i.S.d. § 303 ZPO beschränkt, sondern seinem Inhalt nach eine Entscheidung über den materiellen Streitgegenstand trifft, ist es nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz mit der Berufung anfechtbar (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2005 – II ZB 2/05 –, Rn. 6, juris; vgl. Zöller-Feskorn, a.a.O., § 303 Rn. 11, m.w.N.; OLG Hamm, Urteil vom 25. November 2019 – 8 U 86/15 –, Rn. 289; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. Juli 2012 – 9 U 204/11 –, Rn. 28 – 30, beide juris).

2.

Die Berufung ist indes unbegründet. Der Zulässigkeit der Klage auf Zahlung von Versicherungsleistungen aus der zwischen den Parteien bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung ab dem 01.08.2020 steht das klageabweisende Urteil des Senats vom 05.11.2019 wegen des behaupteten Eintritts eines neuen Versicherungsfalles nicht entgegen.

Die vorliegende Klage ist wegen der Rechtskraft der Vorentscheidung nur dann unzulässig, wenn die Streitgegenstände beider Klagen identisch sind. Urteile sind der (materiellen) Rechtskraft insoweit fähig, als über den durch die Klage oder durch die Widerklage erhobenen Anspruch entschieden worden ist (§ 322 Abs. 1 ZPO), wobei die Bestimmung des erhobenen Anspruchs nach dem der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugrunde liegenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff unter Würdigung der gestellten Anträge und des zu ihrer Begründung vorgetragenen Lebenssachverhalts zu erfolgen hat (std. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 19. 12. 1991 – IX ZR 96/91). Zur Auslegung der Urteilsformel, d. h. zur Klärung, wie weit über den erhobenen Anspruch entschieden worden ist, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils heranzuziehen (vgl. BGH, Urteil vom 21.2.2012 – X ZR 111/09 –, Rn. 11, juris).

Streitgegenständlich in der Berufsunfähigkeitsversicherung sind sämtliche Rentenansprüche aus einem geltend gemachten Versicherungsfall. Grundsätzlich sind alle Umstände, die der Versicherungsnehmer zur Begründung der Berufsunfähigkeit anführte, von der Rechtskraft eines abweisenden Urteils erfasst, so dass der Versicherungsnehmer mit einer identischen Begründung nicht noch einmal klagen kann. Dies gilt für den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung. Wird die Berufsunfähigkeit als nicht bewiesen betrachtet, so ist eine neue Klage auf Leistungen für die Zeit nach der letzten mündlichen Verhandlung (nur) mit der Begründung zulässig, nunmehr läge Berufsunfähigkeit vor, weil der Gesundheitszustand sich verschlechtert habe. Dies ist durch Vergleich des früheren Gesundheitszustandes mit dem auf die Verschlechterung zurückzuführenden Gesundheitszustand zu ermitteln. Dagegen begründet allein die Änderung des Klagevortrags über den Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit noch keinen neuen Versicherungsfall (vgl. BGH, Beschluss vom 16.1.2008 IV 271/04, OLG Köln, Urteil vom 11.1.2013 20 U 164/10; vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl. 2019, Kap. 18 Rn. 75 ff., Kap. 6, Rn. 225 ff.).

Nach Behauptung der Klägerin sollen Erkrankungen (im Einzelnen benannt: kombinierte Persönlichkeitsstörung (zwanghaft, ängstlich-vermeidend), Depersonalisations- und Derealisationssyndrom, Rez. depressive Störung, ggw. schwergradige Episoden, Dysthymia, Undifferenzierte Kollagene, a. e., Limitierte Systematische Sklerose ohne Organbeteiligung, ANA 1:1280 (ACA), Autoimmunthyreoiditis, Kollagene Kollitis) gegenüber dem Stadium vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses hinzugekommen sein (im Einzelnen benannt: Panikstörung, generalisierte Angststörung, depressive Störung und somatoforme autonome Funktionsstörung), die zu einer erheblichen qualitativen und quantitativen Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Beschwerden geführt hätten.

Ob die mit der Klageschrift behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen qualitativ und quantitativ gegenüber bereits im Vorprozess behaupteten, streitgegenständlichen Erkrankungen etwas Neues darstellen oder aber – wie die Berufung vorträgt -. identisch und daher als ein Versicherungsfall anzusehen sind, über den bereits rechtskräftig entschieden wurde, kann nur durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinreichend sicher beurteilt werden. Allerdings ist eine Beweiserhebung im Rahmen der Prüfung, ob die Klage auf Versicherungsleistungen wegen eines behaupteten neuen Versicherungsfalls zulässig ist, gerade nicht geboten. Ob die Behauptung neuer Krankheiten unschlüssig ist, wie von der Berufung eingewendet wird, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern vielmehr der Begründetheit der neuen Klage, mit der sich das Zwischenurteil des Landgerichts nicht befasst und die daher nicht zu überprüfen ist. Dass der im Vorprozess tätige Sachverständige das Vorliegen von Erkrankungen bzw. deren Relevanz für das Eintreten des Versicherungsfalles verneint hat, steht der Annahme eines neuen Versicherungsfalles jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen.

Zwar verweist die Berufung zu Recht darauf, dass das Klagevorbringen insoweit unklar bleibt, als es neu hinzugekommene nicht von verschlechterten Erkrankungen abgrenzt und zudem lediglich pauschal behauptet wird, „teilweise“ seien die genannten Erkrankungen „schon vor Oktober 2019“ aufgetreten. Auch der Entlassungsbericht vom 27.08 2020 (Anlage K 7) lässt nicht ohne weiteres auf das Auftreten neuer oder einer Verschlechterung vorbestehender Krankheiten schließen und ist für sich genommen weder zur Konkretisierung des Sachvortrags der Klägerin noch als Nachweis des Eintritts bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit geeignet. Darüber hinaus fehlt die klägerseits erforderliche differenzierte Darstellung, welche Krankheit sich in welcher Weise gegenüber dem zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestehenden, vom Sachverständigen im Rahmen der Begutachtung festgestellten Gesundheitszustand verschlechtert haben soll. Auf die demnach erforderliche Ergänzung des Sachvortrags hinzuwirken, obliegt jedoch dem Landgericht, das gegebenenfalls auch eine Sachverständigenbegutachtung veranlassen wird, zweckmäßigerweise durch Beauftragung oder unter Einbeziehung des mit dem vorbestehenden Gesundheitszustandes vertrauten Sachverständigen.

Schließlich ist im Rahmen der Überprüfung des Zwischenurteils auch keine Entscheidung über das dem erneuten Leistungsantrag zugrunde zu legende Berufsbild geboten. Würde man mit der Berufung davon ausgehen, dass für die Entscheidung über das Leistungsbegehren auf die Tätigkeit als Klangschalentherapeutin abzustellen sei, stünde der erneuten Klage erst recht nicht die Rechtskraft der Entscheidung im Vorprozess entgegen. Ob für das neue Leistungsbegehren auf die bis 2013 ausgeübte Tätigkeit als leitende Angestellte eines Dentallabors abzustellen ist oder auf die seit November 2012 zumindest zeitweise ausgeübte Tätigkeit als Klangschalentherapeutin, wird das Landgericht zu prüfen haben. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass der Vortrag der Klägerin zu den Gründen einer gegebenenfalls leidensbedingten Berufsaufgabe ergänzungsbedürftig erscheint, und andererseits dem bisherigen Sachvortrag der Beklagten nicht zu entnehmen sein dürfte, dass der Umfang der nur zeitweise ausgeübten Tätigkeit als Klangschalentherapeutin über bloße Liebhaberei hinausgeht.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht.

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