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Vollkaskoversicherung: Verkehrsunfall durch die Bedienung des Autoradios

OLG Nürnberg, Az.: 8 U 4033/04, Urteil vom 25.04.2005

Verkehrsunfall durch Bedienung Autoradio - Leistungsfreiheit Versicherung
Symbolfoto: arosoft/Bigstock

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 27. Oktober 2004 abgeändert.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.403,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.04.2004 zu zahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 15.403,20 EUR .

Gründe

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO).

Die zulässige Berufung des Klägers (§§ 511 ff. ZPO) hat in der Sache auch Erfolg.

Die Beklagte ist aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages über eine Fahrzeugvollversicherung verpflichtet, dem Kläger Ersatz für die Reparatur der Schäden an seinem Pkw zu ersetzen, die dadurch entstanden sind, dass der Kläger am 01.02.2004 auf eine in Fahrbahnmitte befindliche Verkehrsinsel aufgefahren ist (§ 1 Abs. 1 VVG i. V. m. § 12 (1) II. h), § 13 (1) AKB 2001). Die Beklagte ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht gemäß § 61 VVG von ihrer Leistungspflicht frei geworden.

Eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Kläger, wofür die Beklagte beweispflichtig ist, lässt sich nicht feststellen. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und auch subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen an die im Verkehr erforderliche Sorgfalt voraus; diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenem Fall jedem hätte einleuchten müssen. Die Entscheidung hierüber ist unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles zu treffen (BGH NJW 89, 1354).

1. Nach Auffassung der Beklagten handelte der Kläger grob fahrlässig: Für das Befahren des übersichtlichen Straßenstücks von 120 Metern vor der Verkehrsinsel habe dieser bei der von ihm angegebenen Geschwindigkeit von 50 km/h ca. 8,6 Sekunden benötigt. In dieser Zeit habe er offensichtlich die Fahrbahn nicht beobachtet, da er sonst nicht auf die Verkehrsinsel aufgefahren wäre.

Dem kann nicht gefolgt werden.

Für den Nachweis der groben Fahrlässigkeit sind die Regeln des Anscheinsbeweises nicht anwendbar; allein aus der Tatsache des Unfalls kann deshalb nicht geschlossen werden, dass der Kläger grob fahrlässig gehandelt hat. Insbesondere lässt sich aus dem Umstand des Auffahrens auf die Verkehrsinsel nicht schließen, dass der Kläger während des gesamten Zeitraums, den er zum Durchfahren der übersichtlichen Strecke benötigte, die Fahrbahn nicht im Blick behielt; es lässt sich nicht ausschließen, dass nur eine momentane Unaufmerksamkeit kurz vor der Verkehrsinsel zum Auffahren des Klägers geführt hat. Eine derartige kurzzeitige Ablenkung, die nahezu alltäglich vorkommt, kann zwar den Vorwurf eines fahrlässig begangenen Fahrfehlers rechtfertigen, aber nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit; die im Verkehr erforderliche Sorgfalt wurde dadurch nicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt.

2. Selbst wenn man entsprechend der Erklärung des Klägers in dem von ihm unterzeichneten Schreiben an die Beklagte vom 08.03.2004 davon ausgeht, dass er vor dem Unfall „durch die Bedienung des Radios abgelenkt“ wurde, kann nicht angenommen werden, der Kläger habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.

Daraus lässt sich nämlich nicht herleiten, dass der Kläger den Blick erhebliche Zeit von der Fahrbahn abgewendet hat. Vorübergehende Unaufmerksamkeiten, also auch die kurzfristige Ablenkung durch das Bedienen des Radios, kann jedoch nicht zum Verlust des Versicherungsschutzes führen; damit würde die Vollkaskoversicherung ihren Sinn und Zweck verlieren.

Eine Sachlage, wie sie der Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg (NJW-RR 92, 360) zugrunde lag, nämlich dass der Versicherungsnehmer längerfristig – im dortigen Fall ca. 5 Sekunden – wegen der Bedienung seines Kassettenrekorders die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt nicht aufwandte, hat die Beklagte im vorliegenden Fall gerade nicht nachgewiesen.

Da – wie dargelegt – für den Nachweis der groben Fahrlässigkeit die Regeln des Anscheinsbeweises nicht anwendbar sind, kann entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht davon ausgegangen werden, dass „es nach der Lebenserfahrung ohne weiteres allmählich zu einem überzogenen Linkseinschlag mit der linken Hand gekommen“ sei, als der Kläger „eine nicht ganz unerhebliche Zeit seine Konzentration auf die Bedienung des Radios mit der rechten Hand gerichtet“ hat. „Zwangsläufig“ führt das Bedienen eines Autoradios nicht zu einem Verreißen der Lenkung (vgl. OLG Hamm, rus 91, 186). Überdies würde diese Annahme des Landgerichts voraussetzen, daß der Kläger zunächst verhältnismäßig weit rechts gefahren sein müsste, um allmählich über eine nicht ganz unerhebliche Zeit seiner Konzentration auf die Bedienung des Autoradios in den Bereich der Verkehrsinsel geraten zu sein. Diese Annahme ist indes nicht erwiesen.

Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die für eine gesteigerte Gefahrenlage sprechen, so dass es als unverständliche Sorglosigkeit anzusehen wäre, dass der Kläger vorübergehend seine Aufmerksamkeit der Bedienung des Autoradios gewidmet hat: Die Fahrbahn war relativ breit und übersichtlich, die vom Kläger eingehaltene Geschwindigkeit von etwa 50 km/h nicht unangemessen.

Eine Leistungsfreiheit der Beklagten wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger kann also nicht bejaht werden.

3. Nach dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 11.03.2005 hat die Beklagte ihren zuvor erhobenen Einwand, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, weil er die streitgegenständlichen Ansprüche an die Reparaturfirma abgetreten habe, nicht mehr aufrechterhalten.

Die Höhe der vom Kläger geltend gemachten Schadensforderung, bei der die vereinbarte Selbstbeteiligung von 300,00 EUR berücksichtigt wurde, wird von der Beklagten nicht bestritten.

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

4. Dementsprechend war das Ersturteil abzuändern.

Kosten: § 91 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht erfüllt sind.

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