Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Streit um Versicherungsleistung: Wenn eine schwere Krankheit verschwiegen wird
- Ein Kind mit besonderem Start ins Leben
- Der Versicherungsantrag und die verschwiegene Diagnose
- Die Wahrheit kommt ans Licht und der Vertrag wird annulliert
- Die zentrale Frage für das Gericht: War die Täuschung „arglistig“?
- Die Entscheidung: Klage abgewiesen, die Versicherung muss nicht zahlen
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was passiert, wenn ich bei einem Versicherungsantrag Gesundheitsfragen nicht oder falsch beantworte?
- Kann meine Versicherung einen Vertrag später ungültig machen, wenn ich eine Erkrankung nicht angegeben habe?
- Was bedeutet „arglistige Täuschung“ und wann liegt sie bei Versicherungsanträgen vor?
- Muss ich der Versicherung auch gesundheitliche Probleme melden, nach denen im Antrag nicht direkt gefragt wird?
- Was sollte ich tun, wenn meine Versicherung den Vertrag wegen angeblicher Falschangaben anfechten will?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 115 O 146/18 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landgericht Münster
- Datum: 21.06.2019
- Aktenzeichen: 115 O 146/18
- Verfahrensart: Klageverfahren
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht, Vertragsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Mutter eines Kindes, die einen Pflegetagegeldversicherungsvertrag für ihr Kind abschloss und auf dessen Fortbestand sowie Zahlung der Leistung klagte.
- Beklagte: Die Versicherungsgesellschaft, die den Pflegetagegeldversicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten hatte.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Die Klägerin beantragte für ihr wenige Tage altes Kind eine Pflegetagegeldversicherung, nachdem bei diesem die Diagnose Trisomie 21 gestellt worden war. Diese Diagnose und die damit verbundenen gesundheitlichen Probleme verschwieg sie im Versicherungsantrag. Nachdem die beklagte Versicherung davon Kenntnis erlangte, focht sie den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging darum, ob die beklagte Versicherungsgesellschaft den Pflegetagegeldversicherungsvertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung durch die Mutter des Kindes rückwirkend anfechten konnte und somit keine Ansprüche auf Versicherungsleistungen bestanden.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Gericht wies die Klage der Mutter ab. Damit bestätigte es die rückwirkende Unwirksamkeit des Pflegetagegeldversicherungsvertrags.
- Begründung: Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass der Versicherungsvertrag wirksam durch die Versicherung angefochten wurde. Die Mutter hatte die Versicherung arglistig getäuscht, indem sie die Trisomie 21-Erkrankung ihres Sohnes bewusst verschwieg. Trotz fehlender direkter Frage im Antrag musste sie diese seltene und grundlegende Information offenbaren, da sie die Entscheidung der Versicherung zur Annahme des Antrags beeinflusste.
- Folgen: Der Pflegetagegeldversicherungsvertrag ist rückwirkend ungültig. Die Mutter hat keine Ansprüche auf Pflegetagegeld und muss die Kosten des Rechtsstreits tragen.
Der Fall vor Gericht
Streit um Versicherungsleistung: Wenn eine schwere Krankheit verschwiegen wird
Jeder, der schon einmal eine Personenversicherung, wie eine Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung, abgeschlossen hat, kennt das Prozedere: Man muss einen langen Fragebogen zum eigenen Gesundheitszustand ausfüllen. Doch was passiert, wenn man eine schwerwiegende Erkrankung kennt, die im Formular aber nicht explizit abgefragt wird? Muss man sie trotzdem angeben? Genau mit dieser heiklen Frage musste sich das Landgericht Münster beschäftigen.
Ein Kind mit besonderem Start ins Leben

Die Geschichte beginnt mit der Geburt eines Jungen, L1, im Februar eines nicht näher genannten Jahres. Bereits während der Schwangerschaft wurde bei ihm durch eine Fruchtwasseruntersuchung Trisomie 21, auch als Down-Syndrom bekannt, festgestellt. Nach seiner Geburt musste der Junge mehrere Wochen im Krankenhaus bleiben und wurde zeitweise über eine Sonde ernährt. Am 5. März klärten die Ärzte die Mutter des Kindes, die spätere Klägerin, und den Vater, Herrn L2, ausführlich über die Erkrankung und deren mögliche Folgen auf.
Was dann geschah, ist für den Fall entscheidend: Nur einen Tag nach diesem Aufklärungsgespräch, am 6. März, stellte die Mutter einen Antrag auf eine Pflegetagegeldversicherung für ihren Sohn. Das ist eine Versicherung, die im Fall einer Pflegebedürftigkeit täglich einen vereinbarten Geldbetrag zahlt. Pikant dabei: Der Vater des Kindes war als Versicherungsmakler tätig und vermittelte diesen Vertrag.
Der Versicherungsantrag und die verschwiegene Diagnose
Im Antragsformular gab es einen Abschnitt zu Gesundheitsfragen. Dort fand sich ein spezieller Hinweis. Die Versicherung wies darauf hin, dass sie keine genetischen Untersuchungen verlange und deren Ergebnisse auch nicht verwenden werde. Gleichzeitig stand dort aber auch: „Sie müssen jedoch bereits bestehende Beschwerden, Vorerkrankungen und Erkrankungen anzeigen, unabhängig davon, durch welche Untersuchungsmethode Sie hiervon Kenntnis erlangt haben.“ Eine konkrete Frage nach bestimmten Erkrankungen innerhalb der letzten fünf Jahre verneinte die Mutter. Die diagnostizierte Trisomie 21, den damit verbundenen Herzfehler und die Ernährung per Sonde erwähnte sie mit keinem Wort.
Die Versicherung, die von all dem nichts wusste, nahm den Antrag an und stellte am 10. März den Versicherungsschein aus. Der Schutz sollte rückwirkend ab dem 1. März gelten. Vereinbart war, dass bei Eintritt einer Pflegebedürftigkeit täglich 100 Euro gezahlt werden sollten.
Die Wahrheit kommt ans Licht und der Vertrag wird annulliert
Nur eine Woche nach Ausstellung der Police wurde der Junge aus dem Krankenhaus entlassen. Kurz darauf stellte die staatliche Pflegekasse eine Pflegebedürftigkeit fest. Auf dieser Grundlage beantragte die Mutter bei der privaten Versicherung die Zahlung des vereinbarten Pflegetagegeldes.
Jetzt wollte die Versicherung natürlich die entsprechenden Unterlagen sehen. Die Mutter reichte das Pflegegutachten und den Entlassungsbericht des Krankenhauses ein. Aus diesen Dokumenten erfuhr die Versicherung zum ersten Mal von der Trisomie 21 des Kindes. Die Reaktion folgte prompt: Mit einem Schreiben vom 18. August erklärte die Versicherung die sogenannte Anfechtung des Vertrags. Eine Anfechtung ist eine juristische Erklärung, durch die ein Vertrag rückwirkend für ungültig erklärt wird, so als hätte es ihn nie gegeben. Sie begründete dies damit, getäuscht worden zu sein.
Die Mutter wehrte sich. Sie argumentierte, die Gesundheitsfragen korrekt beantwortet zu haben. Nach einer genetischen Erkrankung sei nicht gefragt worden. Die Versicherung hielt dagegen: Die Mutter hätte die Trisomie 21 und die damit verbundenen gesundheitlichen Probleme von sich aus offenlegen müssen. Der extrem knappe zeitliche Abstand zwischen der ärztlichen Aufklärung und dem Versicherungsantrag belege ihre betrügerische Absicht.
Die zentrale Frage für das Gericht: War die Täuschung „arglistig“?
Der Fall landete vor dem Landgericht Münster. Die Richter mussten nun eine Kernfrage klären: Hat die Mutter die Versicherung absichtlich getäuscht, um sich einen Vorteil zu verschaffen? Juristen sprechen hier von einer „arglistigen Täuschung“. Wenn ja, wäre die Anfechtung der Versicherung wirksam und der Vertrag von Anfang an ungültig. Die Mutter hätte dann keinerlei Anspruch auf Leistungen. Wenn nein, müsste die Versicherung zahlen.
Die Entscheidung: Klage abgewiesen, die Versicherung muss nicht zahlen
Das Gericht entschied klar zugunsten der Versicherung und wies die Klage der Mutter ab. Der Versicherungsvertrag wurde als unwirksam betrachtet. Die Begründung der Richter ist ein lehrreiches Beispiel dafür, wie Gerichte Absichten und Pflichten bewerten.
Was bedeutet „arglistige Täuschung“?
Zunächst erklärte das Gericht, was eine Arglistige Täuschung ausmacht. Es reicht nicht aus, einfach nur eine falsche Angabe zu machen. Arglistig handelt, wer bewusst und gewollt auf die Entscheidung des anderen einwirkt. Man muss also wissen, dass die verschwiegene oder falsch dargestellte Information für den Vertragspartner wichtig ist. Konkret für diesen Fall bedeutet das: Die Mutter musste erkannt und zumindest in Kauf genommen haben, dass die Versicherung den Antrag bei Kenntnis der Trisomie 21 gar nicht oder nur zu anderen Bedingungen angenommen hätte. Man kann das mit dem Verkauf eines Gebrauchtwagens vergleichen: Wer einen schweren Motorschaden kennt und ihn bewusst verschweigt, um einen besseren Preis zu erzielen, handelt arglistig.
Die Pflicht zur Offenlegung – auch ohne konkrete Frage?
Nun kommt der spannendste Teil der Urteilsbegründung. Die Mutter hatte ja argumentiert, dass im Formular nicht explizit nach Trisomie 21 gefragt wurde. Normalerweise gilt im Versicherungsrecht der Grundsatz: Man muss nur beantworten, was gefragt wird. Doch das Gericht sagte: Es gibt Ausnahmen!
Die Richter folgten der Ansicht einer höheren Instanz und stellten fest, dass es eine sogenannte Spontane Anzeigepflicht geben kann. Das bedeutet, man muss in bestimmten Fällen auch ohne direkte Frage wichtige Umstände offenlegen. Diese Pflicht entsteht aber nur bei ganz außergewöhnlichen und grundlegenden Informationen, die für die Versicherung so wichtig sind, dass jedem klar sein muss, dass sie mitgeteilt werden müssen. Es muss sich um Gefahren handeln, die so selten sind, dass man der Versicherung keinen Vorwurf machen kann, sie nicht explizit abgefragt zu haben. Ein gutes Beispiel wäre der Abschluss einer Feuerversicherung für ein Haus, während man weiß, dass im Keller bereits ein Schwelbrand glimmt. Selbst wenn im Antrag nur gefragt wird „Gab es in den letzten 5 Jahren einen Brand?“, wäre es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben – also dem Gebot der Fairness und Ehrlichkeit – geboten, den aktuellen Schwelbrand zu melden.
Warum war dieser Fall so außergewöhnlich?
Das Gericht sah die Trisomie 21 des Jungen als genau einen solchen außergewöhnlichen Umstand an. Der Mutter war am Tag vor der Antragstellung ausführlich erklärt worden, was diese Diagnose bedeutet. Ihr war bekannt, dass es sich um eine lebenslange „chromosomale Erkrankung“ handelt, die oft mit weiteren gesundheitlichen Problemen und einer stark erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine spätere Pflegebedürftigkeit einhergeht.
Die Richter argumentierten: Angesichts dieses Wissens musste der Mutter klar sein, dass diese Information für eine Pflegetagegeldversicherung von fundamentaler Bedeutung ist. Es war ein Umstand, der das zu versichernde Risiko so grundlegend veränderte, dass sie ihn hätte offenlegen müssen, selbst wenn das Formular keine perfekte Frage dafür enthielt. Indem sie es nicht tat, täuschte sie die Versicherung über den wahren Sachverhalt.
Der Beweis für die betrügerische Absicht
Zuletzt musste das Gericht noch die Arglist, also die bewusste Täuschungsabsicht, feststellen. Die Beweislast dafür liegt bei der Versicherung. Doch das Gericht sah die Arglist hier als erwiesen an. Der entscheidende Punkt war der zeitliche Ablauf. Es gibt laut Gericht keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Mutter die Erkrankung bewusst verschwieg, weil sie befürchtete, dass der Vertrag sonst nicht zustande kommen würde. Warum sonst sollte sie einen Tag nach der niederschmetternden Diagnose eilig eine Versicherung abschließen, die genau dieses Risiko abdecken soll? Die Mutter konnte keine andere plausible Erklärung für ihr Schweigen liefern. Damit war für das Gericht klar, dass sie bewusst handelte, um die Entscheidung der Versicherung zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt deutlich, dass man bei Versicherungsanträgen auch dann zur Ehrlichkeit verpflichtet ist, wenn nicht explizit nach einer bestimmten Krankheit gefragt wird. Wer eine schwerwiegende Diagnose kennt, die das Versicherungsrisiko erheblich erhöht, muss diese von sich aus mitteilen – selbst wenn sie im Formular nicht direkt abgefragt wird. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Diagnose und Versicherungsantrag kann als Beweis für eine bewusste Täuschung gewertet werden. Versicherte sollten daher bei Anträgen vollständig transparent sein, da verschweigen schwerer Erkrankungen zur Unwirksamkeit des gesamten Vertrags führen kann – mit der Folge, dass trotz jahrelanger Beitragszahlung kein Versicherungsschutz besteht.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was passiert, wenn ich bei einem Versicherungsantrag Gesundheitsfragen nicht oder falsch beantworte?
Wenn Sie bei einem Versicherungsantrag Gesundheitsfragen nicht oder falsch beantworten, kann dies weitreichende Konsequenzen für Ihren Versicherungsschutz haben. Versicherungsverträge basieren auf Vertrauen, und Versicherungsnehmer sind gesetzlich dazu verpflichtet, alle relevanten Angaben, insbesondere zu Gesundheitsfragen, vollständig und wahrheitsgemäß zu machen. Diese Pflicht nennt man die Vorvertragliche Anzeigepflicht.
Mögliche Reaktionen des Versicherers
Stellt der Versicherer fest, dass Sie bei den Gesundheitsfragen falsche oder unvollständige Angaben gemacht haben, stehen ihm verschiedene Optionen offen. Welche davon gewählt wird, hängt maßgeblich davon ab, ob die Falschangabe fahrlässig (unabsichtlich, aber sorglos) oder vorsätzlich (absichtlich, betrügerisch) erfolgte und welche Auswirkungen sie auf den Vertrag gehabt hätte.
- Rücktritt vom Vertrag:
Der Versicherer kann vom Vertrag zurücktreten, wenn die falschen Angaben fahrlässig gemacht wurden und er den Vertrag bei korrekter Kenntnis der Umstände entweder gar nicht oder nur zu anderen Bedingungen (zum Beispiel mit einem Risikozuschlag oder Leistungsausschluss) abgeschlossen hätte. Ein Rücktritt führt dazu, dass der Vertrag von Anfang an als ungültig angesehen wird, und Sie verlieren Ihren Versicherungsschutz. Bereits gezahlte Beiträge müssen unter Umständen nicht vollständig zurückerstattet werden. - Anfechtung des Vertrags:
Wurden die Gesundheitsfragen vorsätzlich oder arglistig falsch beantwortet, kann der Versicherer den Vertrag anfechten. Eine Anfechtung macht den Vertrag von Anfang an unwirksam, als hätte er nie bestanden. Dies ist die schärfste Reaktion und tritt oft bei bewusstem Verschweigen relevanter Gesundheitsdaten ein, um sich einen Vorteil zu verschaffen. - Leistungskürzung:
In bestimmten Fällen, insbesondere wenn die Falschangabe zu einem höheren Risiko geführt hätte, für das der Versicherer normalerweise einen höheren Beitrag verlangt hätte, kann die Versicherungsleistung anteilig gekürzt werden. Das bedeutet, dass Sie im Leistungsfall nicht die volle, sondern nur einen Teil der vereinbarten Summe erhalten, die dem Verhältnis des gezahlten Beitrags zum eigentlich korrekten Beitrag entspricht.
Fristen und Relevanz der Angaben
Die Rechte des Versicherers, wie der Rücktritt oder die Anfechtung, sind an bestimmte Fristen gebunden. Er muss innerhalb einer bestimmten Zeit reagieren, nachdem er von der Falschangabe erfahren hat. Wichtig ist auch, dass die verschwiegene oder falsch angegebene Information für die Entscheidung des Versicherers, den Vertrag abzuschließen oder die Prämie zu kalkulieren, relevant gewesen sein muss. Ein geringfügiger, völlig unerheblicher Fehler führt in der Regel nicht zu den genannten drastischen Konsequenzen.
Die möglichen Konsequenzen für Sie als Versicherungsnehmer können erheblich sein und im schlimmsten Fall dazu führen, dass Sie im Leistungsfall keinen oder nur einen stark reduzierten Schutz erhalten. Es ist daher entscheidend, alle Gesundheitsfragen nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten.
Kann meine Versicherung einen Vertrag später ungültig machen, wenn ich eine Erkrankung nicht angegeben habe?
Ja, eine Versicherung kann einen Vertrag unter bestimmten Umständen später für ungültig erklären oder von ihm zurücktreten, wenn bei Vertragsabschluss wichtige Informationen, wie eine bestehende Erkrankung, nicht korrekt oder vollständig angegeben wurden. Dies ist ein zentraler Punkt im Versicherungsrecht und wird als Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht bezeichnet.
Die vorvertragliche Anzeigepflicht
Wenn Sie einen Versicherungsvertrag abschließen, insbesondere im Bereich der Personenversicherungen (wie Kranken-, Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen), stellt Ihnen die Versicherung gezielte Fragen zu Ihrem Gesundheitszustand, Vorerkrankungen oder gefährlichen Hobbys. Es ist Ihre Pflicht, diese Fragen wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Die Versicherung benötigt diese Informationen, um das Risiko korrekt einschätzen und entscheiden zu können, ob und zu welchen Konditionen sie den Vertrag anbietet. Stellen Sie sich vor, eine Versicherung wüsste nicht, ob eine Person, die eine Krankenversicherung abschließt, bereits eine schwere chronische Krankheit hat – das Risiko wäre unkalkulierbar.
Folgen bei Nichtbeachtung der Anzeigepflicht
Hat die Versicherung erst nach Vertragsabschluss oder sogar erst im Leistungsfall Kenntnis von einer nicht angegebenen oder falsch dargestellten Erkrankung, stehen ihr verschiedene Rechte zu:
- Rücktritt vom Vertrag: Wenn Sie die Angaben unbewusst oder fahrlässig nicht vollständig oder richtig gemacht haben und die Versicherung den Vertrag bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände gar nicht oder nur zu anderen Konditionen abgeschlossen hätte, kann die Versicherung vom Vertrag zurücktreten. Dies bedeutet, der Vertrag wird aufgelöst. Hat der Versicherungsfall bereits stattgefunden, muss die Versicherung dann keine Leistung erbringen.
- Anfechtung wegen arglistiger Täuschung: Wenn Sie eine relevante Erkrankung wissentlich und absichtlich verschwiegen oder falsche Angaben gemacht haben, spricht man von arglistiger Täuschung. In diesem Fall kann die Versicherung den Vertrag anfechten. Eine Anfechtung führt dazu, dass der Vertrag von Anfang an als ungültig betrachtet wird, so als hätte er nie existiert. Dies hat die gravierendsten Folgen.
Auswirkungen der Ungültigkeit
Wird ein Vertrag von der Versicherung angefochten oder tritt sie von ihm zurück, bedeutet das für Sie:
- Keine Leistungen: Die Versicherung muss für den eingetretenen Schaden oder Versicherungsfall keine Leistungen erbringen. Selbst wenn Sie jahrelang Prämien gezahlt haben, erhalten Sie keine Zahlungen.
- Rückforderung von Leistungen: Wurden bereits Leistungen erbracht, kann die Versicherung diese von Ihnen zurückfordern.
- Keine Rückzahlung von Prämien: In der Regel werden bereits gezahlte Prämien bei einem Rücktritt oder einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht zurückerstattet.
Es ist also von größter Bedeutung, bei Abschluss eines Versicherungsvertrags alle Fragen der Versicherung präzise und wahrheitsgemäß zu beantworten, um spätere, weitreichende Konsequenzen zu vermeiden.
Was bedeutet „arglistige Täuschung“ und wann liegt sie bei Versicherungsanträgen vor?
„Arglistige Täuschung“ ist ein juristischer Begriff, der eine bewusste und absichtliche Irreführung beschreibt. Es geht dabei nicht nur darum, eine falsche Aussage zu machen oder etwas zu vergessen. Eine arglistige Täuschung liegt vielmehr dann vor, wenn jemand wissentlich eine unwahre Angabe macht oder wichtige Informationen verschweigt, mit dem Ziel, eine andere Person absichtlich zu täuschen und dadurch einen Vorteil zu erlangen. Die Absicht, zu täuschen, ist dabei der Kernpunkt.
Arglistige Täuschung im Kontext von Versicherungsanträgen
Wenn Sie einen Versicherungsantrag stellen, sind Sie verpflichtet, alle für die Versicherung wichtigen Fragen wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Diese Pflicht wird als vorvertragliche Anzeigepflicht bezeichnet. Eine arglistige Täuschung liegt in diesem Zusammenhang vor, wenn Sie wissentlich und mit der Absicht, die Versicherungsgesellschaft zu täuschen, falsche Angaben machen oder relevante Fakten verschweigen. Ihr Ziel dabei wäre es, zum Beispiel einen Versicherungsvertrag abzuschließen, den Sie sonst gar nicht oder nur zu schlechteren Konditionen bekommen hätten.
Anhaltspunkte für eine Täuschungsabsicht
Für Versicherungen und Gerichte ist es entscheidend zu prüfen, ob bei einer falschen oder fehlenden Angabe tatsächlich eine Täuschungsabsicht vorlag. Es ist oft nicht einfach, diese Absicht zweifelsfrei zu beweisen. Gerichte betrachten daher alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls genau.
Folgende Punkte können Anhaltspunkte für eine arglistige Täuschung sein:
- Wissen um die Unwahrheit: Wenn Sie zum Zeitpunkt des Antrags genau wussten, dass eine Angabe nicht stimmt oder eine wichtige Information fehlt, deutet dies auf eine Absicht hin. Es geht hierbei um bewusstes Handeln, nicht um ein versehentliches Versehen.
- Zeitpunkt der Kenntnisnahme: Stellen Sie sich vor, Sie erhalten kurz vor oder unmittelbar nach dem Ausfüllen eines Antrags für eine Versicherung (zum Beispiel eine Berufsunfähigkeitsversicherung) eine schwerwiegende Diagnose, verschweigen diese aber im Antrag. Ein so enger zeitlicher Zusammenhang kann ein Indiz für eine bewusste Täuschung sein, insbesondere wenn die Information offensichtlich relevant für die Entscheidung der Versicherung ist.
- Bedeutung der Information: Je wichtiger eine verschwiegene oder falsch angegebene Information für die Entscheidung der Versicherung ist (wie etwa eine schwere Vorerkrankung bei einer Krankenversicherung oder ein umfangreicher Vorschaden bei einer Wohngebäudeversicherung), desto eher kann dies auf eine arglistige Täuschung hindeuten, da die Relevanz für Sie als Antragstellerin oder Antragsteller offensichtlich war.
- Aktives Verbergen: Es geht nicht um einfaches Vergessen, sondern um ein bewusstes Bestreben, die Wahrheit zu verbergen oder zu verfälschen.
Wird eine arglistige Täuschung erfolgreich nachgewiesen, hat dies für Sie als Versicherungsnehmerin oder Versicherungsnehmer weitreichende Konsequenzen: Die Versicherungsgesellschaft kann den Vertrag in der Regel anfechten oder von ihm zurücktreten. Dies kann dazu führen, dass der Versicherungsschutz für den betreffenden Schadenfall entfällt oder der gesamte Vertrag von Anfang an als unwirksam gilt.
Muss ich der Versicherung auch gesundheitliche Probleme melden, nach denen im Antrag nicht direkt gefragt wird?
Allgemeine Regel und wichtige Ausnahme
Grundsätzlich gilt im Versicherungsrecht: Eine Versicherung muss aktiv nach allen Informationen fragen, die für ihre Entscheidung wichtig sind. Das bedeutet, Sie sind in erster Linie dazu verpflichtet, die Fragen, die Ihnen im Versicherungsantrag gestellt werden, wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Werden Sie nach bestimmten gesundheitlichen Problemen nicht gefragt, müssen Sie diese zunächst auch nicht von sich aus mitteilen.
Es gibt jedoch eine sehr seltene und wichtige Ausnahme von dieser Regel, die man als „spontane Anzeigepflicht“ bezeichnet. Diese Ausnahme greift, wenn ein gesundheitliches Problem von so überragender Bedeutung ist, dass es für die Versicherung offensichtlich entscheidend wäre, um das Risiko richtig einzuschätzen. Es handelt sich um Umstände, die jedem vernünftigen Menschen sofort als extrem wichtig erscheinen müssten, auch wenn keine konkrete Frage dazu gestellt wurde.
Was bedeutet „überragende Bedeutung“?
Ein gesundheitliches Problem hat dann eine „überragende Bedeutung“, wenn es die Risikoeinschätzung der Versicherung grundlegend verändern würde und es sich um ein außergewöhnlich schwerwiegendes oder seltenes Risiko handelt. Stellen Sie sich vor, es gäbe eine sehr ungewöhnliche, seltene und besonders gravierende Vorerkrankung, die die Wahrscheinlichkeit eines Versicherungsfalls drastisch erhöht, von der man aber weiß, dass sie in normalen Antragsfragen selten spezifisch abgefragt wird. In solchen Ausnahmefällen, wenn dieser Umstand Ihnen als Versicherungsnehmer bekannt ist und Sie wissen oder wissen müssen, dass er für die Versicherung von existenzieller Bedeutung ist, könnte eine Pflicht zur Offenlegung bestehen.
Diese Pflicht zur Offenlegung von nicht direkt erfragten Umständen ist jedoch sehr eng auszulegen und betrifft wirklich nur absolute Ausnahmefälle. Sie dient dazu, ein extremes Ungleichgewicht bei der Risikobewertung zu vermeiden, wenn der Versicherungsnehmer von einem außergewöhnlichen und für die Versicherung existenziellen Risiko weiß, der Versicherer dies aber vernünftigerweise nicht erfragen konnte oder nicht damit rechnen musste.
Die Nichtmeldung solcher Umstände kann im Extremfall dazu führen, dass der Versicherungsvertrag im Nachhinein von der Versicherung angefochten oder gekündigt wird, was den Versicherungsschutz gefährden könnte. Es ist daher immer ratsam, bei Unsicherheiten bezüglich der Relevanz von Informationen lieber transparent zu sein.
Was sollte ich tun, wenn meine Versicherung den Vertrag wegen angeblicher Falschangaben anfechten will?
Wenn Ihre Versicherung einen Versicherungsvertrag wegen angeblicher Falschangaben anfechten möchte, bedeutet das, dass die Versicherung den Vertrag als von Anfang an unwirksam betrachtet. Sie behauptet dann, dass Sie beim Abschluss des Vertrages wichtige Informationen, die für die Risikobewertung relevant waren, nicht richtig oder vollständig angegeben haben. Dies kann beispielsweise Gesundheitsfragen in einer Lebensversicherung oder Angaben zu Vorschäden in einer Sachversicherung betreffen. Für Sie als Versicherungsnehmer kann das weitreichende Folgen haben, da die Versicherung im Leistungsfall dann keine Zahlungen leisten würde.
Schnelle Reaktion und sorgfältige Dokumentation
Es ist wichtig, schnell auf das Schreiben der Versicherung zu reagieren. Oft sind in solchen Mitteilungen Fristen gesetzt, innerhalb derer Sie sich äußern sollen. Auch wenn Sie nicht sofort eine detaillierte Stellungnahme abgeben müssen, ist es ratsam, den Erhalt des Schreibens zu bestätigen. Bewahren Sie alle Unterlagen und die gesamte Korrespondenz mit der Versicherung sorgfältig auf. Das umfasst den ursprünglichen Versicherungsantrag, die Versicherungspolice, alle Vertragsbedingungen sowie den Schriftverkehr zur Anfechtung. Dokumentieren Sie jeden Kontakt, wie etwa Datum und Inhalt von Telefonaten oder E-Mails.
Die konkreten Vorwürfe prüfen
Lesen Sie das Schreiben der Versicherung sehr genau durch. Verstehen Sie präzise, welche Falschangaben Ihnen vorgeworfen werden. Die Versicherung muss dabei konkret benennen, welche Ihrer Angaben angeblich unrichtig waren und warum diese Informationen für den Vertragsabschluss oder die Risikobewertung von Bedeutung gewesen wären. Überprüfen Sie Ihre eigenen Unterlagen – insbesondere den Versicherungsantrag und die von Ihnen gemachten Angaben – um zu sehen, welche Informationen Sie damals gegeben haben. Manchmal können auch kleine Abweichungen Anlass für eine Anfechtung sein, daher ist die genaue Kenntnis der Faktenlage Ihrerseits unerlässlich.
Den rechtlichen Hintergrund der Anfechtung verstehen
Die Möglichkeit der Anfechtung durch die Versicherung ist gesetzlich geregelt. Dabei kommt es darauf an, ob die angeblichen Falschangaben erheblich waren und ob die Versicherung den Vertrag bei wahrheitsgemäßen Angaben anders oder gar nicht abgeschlossen hätte. Ein wichtiger Aspekt ist die Unterscheidung, ob eine Information absichtlich falsch angegeben wurde oder ob es sich um ein Versehen oder eine grob fahrlässige Fehleinschätzung handelte. Diese Unterscheidung hat Einfluss darauf, welche rechtlichen Schritte die Versicherung einleiten kann. Die Versicherung muss in der Regel beweisen, dass eine Falschangabe vorliegt und dass diese für den Vertragsschluss relevant war. Wenn die Versicherung die angeblichen Falschangaben bereits kannte oder hätte kennen müssen, kann dies ihre Rechte zur Anfechtung einschränken. Auch gibt es Fristen, innerhalb derer eine Anfechtung erfolgen muss.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Vorvertragliche Anzeigepflicht
Die vorvertragliche Anzeigepflicht verpflichtet Versicherungsnehmer, vor Abschluss eines Versicherungsvertrags alle für die Risikobewertung wichtigen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben. Nach § 19 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) muss man insbesondere bestehende Krankheiten oder Beschwerden offenlegen, wenn dafür Fragen im Antrag gestellt werden. Diese Pflicht dient dazu, dass der Versicherer das Risiko korrekt einschätzen kann und der Vertrag auf einer verlässlichen Informationsbasis beruht. Verstößt man gegen diese Pflicht, kann die Versicherung den Vertrag anfechten oder kündigen.
Beispiel: Wenn Sie bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung angeben, keine Erkrankung zu haben, obwohl Sie gerade wegen eines Rückenleidens in Behandlung sind, verletzt das die vorvertragliche Anzeigepflicht.
Arglistige Täuschung
Arglistige Täuschung liegt vor, wenn jemand bewusst und absichtlich falsche Angaben macht oder wichtige Informationen verschweigt, um den Vertragspartner zu täuschen und sich einen Vorteil zu verschaffen. Im Versicherungsrecht bedeutet das, dass der Versicherungsnehmer wissentlich relevante Gesundheitszustände oder Risiken verschweigt, obwohl er weiß, dass die Versicherung bei Kenntnis davon den Vertrag nicht oder nur zu anderen Konditionen abgeschlossen hätte. Die Arglist ist ein Willensmoment, also eine Täuschungsabsicht, die vom Gericht anhand der Umstände bewertet wird. Bei arglistiger Täuschung kann der Versicherer den Vertrag anfechten, sodass dieser von Anfang an als unwirksam gilt.
Beispiel: Wer einen Motorschaden beim Verkauf eines Autos bewusst verschweigt, um einen besseren Preis zu erzielen, handelt arglistig – ähnlich verhält es sich beim Verschweigen einer schweren Erkrankung beim Versicherungsabschluss.
Anfechtung des Vertrags
Die Anfechtung ist ein Rechtsmittel, mit dem ein Vertrag rückwirkend für ungültig erklärt werden kann, wenn er durch Täuschung oder Irrtum zustande gekommen ist (§§ 119, 123 BGB). Im Versicherungsrecht führt eine erfolgreiche Anfechtung dazu, dass der Vertrag so behandelt wird, als wäre er nie geschlossen worden. Das bedeutet, die Versicherung muss keine Leistungen erbringen, und bereits erhaltene Leistungen können zurückgefordert werden. Voraussetzung für die Anfechtung ist, dass die Täuschung „arglistig“ war und die Anfechtung innerhalb bestimmter Fristen erklärt wird.
Beispiel: Wenn ein Versicherungsnehmer eine schwere chronische Krankheit verschweigt und die Versicherung dies innerhalb der Frist entdeckt, kann sie den Vertrag anfechten und sich von den Verpflichtungen befreien.
Spontane Anzeigepflicht
Die spontane Anzeigepflicht ist eine Ausnahme von der Regel, dass nur auf gestellte Fragen geantwortet werden muss. Sie verpflichtet den Versicherungsnehmer, bestimmte besonders wichtige und außergewöhnliche Umstände auch ohne explizite Frage von sich aus zu offenbaren. Dies gilt nur für Informationen, die das Risiko so erheblich beeinflussen, dass sie für jede vernünftige Person sofort erkennbar von entscheidender Bedeutung für den Versicherer sind. Die spontane Anzeigepflicht soll verhindern, dass Versicherer durch das Verschweigen gravierender Risiken ungewollt in die Irre geführt werden.
Beispiel: Wenn Sie beim Abschluss einer Feuerversicherung wissen, dass in Ihrem Haus bereits ein Schwelbrand glimmt, müssen Sie das auch melden, obwohl der Antrag nur nach Bränden in den letzten fünf Jahren fragt.
Rücktritt vom Vertrag
Der Rücktritt ist ein Rechtsmittel, mit dem der Versicherer den Vertrag wegen fahrlässiger Falschangaben oder Verletzung der Anzeigepflicht aufhebt (§ 19 Abs. 2 VVG). Anders als die Anfechtung führt der Rücktritt dazu, dass der Vertrag ab dem Zeitpunkt des Rücktritts unwirksam wird, nicht aber rückwirkend. Voraussetzung ist, dass der Versicherer bei Kenntnis der wahren Umstände den Vertrag nicht oder nur zu anderen Bedingungen geschlossen hätte. Beim Rücktritt entfällt der Versicherungsschutz für den Zeitraum ab der Rücktrittserklärung, bereits gezahlte Prämien können ganz oder teilweise einbehalten werden.
Beispiel: Wenn Sie bei Abschluss der Versicherung versehentlich einen früheren Krankenhausaufenthalt nicht angeben, gilt das als fahrlässige Falschauskunft, die dem Versicherer einen Rücktritt ermöglicht.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 123 BGB: Dieser Paragraph regelt die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts – also eines Vertrages oder einer Erklärung – wegen Täuschung oder Drohung. Handelt jemand bei Vertragsabschluss arglistig, indem er bewusst falsche Angaben macht oder wichtige Informationen verschweigt, um den Vertragspartner zu beeinflussen, kann der Getäuschte den Vertrag rückwirkend für unwirksam erklären. Das bedeutet, der Vertrag wird so behandelt, als wäre er nie geschlossen worden. Ziel ist es, die Willensfreiheit des Getäuschten zu schützen. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherung erklärte den Vertrag mit der Mutter aufgrund des Verschweigens der Trisomie 21 für unwirksam, indem sie sich auf eine arglistige Täuschung gemäß diesem Paragraphen berief.
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG), insbesondere § 19 VVG: Dieser Paragraph verpflichtet den Versicherungsnehmer, vor Vertragsabschluss alle ihm bekannten, für die Risikobeurteilung des Versicherers erheblichen Gefahrumstände offenzulegen, nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat. Es handelt sich um die sogenannte vorvertragliche Anzeigepflicht. Sie soll sicherstellen, dass der Versicherer das zu versichernde Risiko realistisch einschätzen und einen angemessenen Vertrag anbieten kann. Die Regel besagt grundsätzlich, dass nur das mitgeteilt werden muss, wonach explizit gefragt wurde. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Fall drehte sich darum, ob die Mutter trotz nicht expliziter Frage nach Trisomie 21 gegen ihre vorvertragliche Anzeigepflicht verstoßen hat.
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 242 BGB: Dieser grundlegende Paragraph besagt, dass jede Leistung und Erfüllung einer Verpflichtung nach den Anforderungen von Treu und Glauben zu erfolgen hat. Er ist eine Generalklausel, die Fairness, Ehrlichkeit und gegenseitige Rücksichtnahme im Rechtsverkehr fordert. Er ermöglicht es Gerichten, in Ausnahmefällen eine Pflicht zur Offenlegung anzunehmen, auch wenn keine konkrete Frage gestellt wurde, wenn der betreffende Umstand für den Vertragspartner von fundamentaler Bedeutung ist und seine Kenntnis redlicherweise erwartet werden muss. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht begründete die „spontane Anzeigepflicht“ der Mutter für die Trisomie 21 – trotz fehlender expliziter Frage – mit dem Gebot von Treu und Glauben aus diesem Paragraphen.
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG), insbesondere § 21 VVG: Dieser Paragraph stellt klar, dass das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, auch dann besteht, wenn er die Informationen, die der Versicherungsnehmer verschwiegen hat, gar nicht oder nicht konkret abgefragt hat. Er betont, dass die spezielle vorvertragliche Anzeigepflicht nach § 19 VVG die allgemeingültige Regel der arglistigen Täuschung nach § 123 BGB nicht verdrängt, sondern diese als schärfere Sanktion für bewusste Täuschung bestehen bleibt. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Dieser Paragraph sicherte der Versicherung das Recht, den Vertrag wegen der bewussten Falschinformation der Mutter durch Anfechtung nach § 123 BGB für unwirksam zu erklären, auch wenn die Krankheit nicht explizit abgefragt wurde.
Das vorliegende Urteil
LG Münster – Az.: 115 O 146/18 – Urteil vom 21.06.2019
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