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Versicherungsvertragskündigung durch Versicherungsnehmer

Versicherungsnehmer im Rechtsstreit: Kündigung von Versicherungsverträgen unter der Lupe

Das Oberlandesgericht Brandenburg bestätigte, dass die Kündigung des Pflegezusatzversicherungsvertrages durch den Versicherungsnehmer rechtswirksam war. Eine Anfechtung der Kündigung durch den Kläger wurde nicht anerkannt, da weder eine explizite Anfechtungserklärung noch ein rechtlich relevanter Anfechtungsgrund vorlagen. Zudem wurden mögliche Beratungspflichtverletzungen des Versicherers als nicht kausal für den eingetretenen Schaden betrachtet.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: Az.: 11 U 155/21 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Wirksame Kündigung: Die Kündigung des Pflegezusatzversicherungsvertrages durch den Versicherungsnehmer war rechtswirksam.
  2. Keine wirksame Anfechtung: Es gab keine gültige Anfechtung der Kündigung, da keine explizite Anfechtungserklärung und kein Anfechtungsgrund nach § 119 BGB vorlagen.
  3. Unwirksamkeit der Kündigungsrücknahme: Die einseitige Rücknahme der Kündigung durch den Versicherungsnehmer war rechtlich nicht wirksam.
  4. Keine Pflichtverletzung des Versicherers: Mögliche Beratungspflichtverletzungen des Versicherers wurden als nicht kausal für den Schaden angesehen.
  5. Keine Beweislastumkehr: Der Kläger konnte die behauptete Falschberatung durch Mitarbeiter des Versicherers nicht beweisen, und es gab keine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers.
  6. Begrenzte Beratungspflichten bei Maklervermittlung: Bei der Vermittlung des Vertrages durch einen Versicherungsmakler sind die Beratungspflichten des Versicherers begrenzt.
  7. Berücksichtigung von Verkehrsschutz und Vertrauensschutz: Bei der Auslegung von Willenserklärungen wurden Verkehrsschutz und Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers berücksichtigt.
  8. Keine Revision zugelassen: Das Gericht sah keine Notwendigkeit, eine Revision des Urteils zuzulassen, da die Entscheidung auf der Einzelfallbeurteilung basierte und die relevanten Rechtsfragen bereits geklärt waren.

Rechtsfragen zur Kündigung von Versicherungsverträgen

In der Welt des Versicherungsrechts nehmen Kündigungsangelegenheiten eine zentrale Rolle ein. Besonders interessant sind Fälle, in denen Versicherungsnehmer ihre Versicherungsverträge einseitig beenden möchten. Hierbei entstehen häufig Fragen zur Rechtmäßigkeit der Kündigung, zur Rolle von Versicherungsmaklern und zur Auslegung von Willenserklärungen. Diese Thematik ist nicht nur für Versicherte von Bedeutung, sondern berührt auch wesentliche Aspekte des Vertragsrechts und der Rechtsberatung.

In einem konkreten Fall hat das Oberlandesgericht Brandenburg ein bedeutendes Urteil gefällt, das die Grenzen und Möglichkeiten der Versicherungsvertragskündigung beleuchtet. Die Entscheidung gibt Aufschluss darüber, wie Kündigungen, insbesondere bei Pflegezusatzversicherungen, rechtlich zu handhaben sind. Dabei spielen nicht nur die formellen Anforderungen an eine Kündigung eine Rolle, sondern auch die Interpretation von Kommunikation zwischen Versicherungsnehmer und -geber. Tauchen Sie ein in die Details dieses Falles, die nicht nur für Juristen, sondern auch für Verbraucher von hoher Relevanz sind.

Der Beginn des Rechtsstreits: Kündigung einer Pflegezusatzversicherung

Der Fall, der vor dem Oberlandesgericht Brandenburg verhandelt wurde, dreht sich um die Kündigung einer Pflegezusatzversicherung durch einen Versicherungsnehmer. Der Kläger, ein 77-jähriger Mann mit Pflegegrad 2, hatte seine Pflegezusatzversicherung bei einem Versicherungsverein gekündigt. Dies erfolgte nach einer Ankündigung des Versicherers über eine Beitragserhöhung. Der Kläger kündigte den Vertrag, ohne eine nähere Begründung anzugeben. Die Kündigung wurde vom Versicherer akzeptiert und dem Versicherungsnehmer sowie seinem betreuenden Makler mitgeteilt.

Die Auseinandersetzung: Anfechtung der Kündigung

Der Kern der rechtlichen Auseinandersetzung lag in der Anfechtung der Kündigungserklärung durch den Kläger. Er behauptete, dass er aufgrund einer telefonischen Beratung durch eine Mitarbeiterin des Versicherers unter dem Eindruck stand, die Versicherung nicht mehr zu benötigen. Daraufhin habe er den Vertrag gekündigt. Er argumentierte weiter, dass der Versicherer ihn unzutreffend beraten und den betreuenden Makler umgangen habe. Der Kläger forderte, dass das Gericht feststellen solle, dass die Pflegezusatzversicherung wirksam fortbestehe.

Die gerichtliche Entscheidung: Oberlandesgericht Brandenburg

Das Oberlandesgericht Brandenburg entschied jedoch gegen den Kläger. Es wurde festgestellt, dass die Kündigung wirksam war und keine Wirksamkeitshindernisse vorlagen. Das Gericht erklärte, dass die Kündigung als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung mit ihrem Zugang beim Versicherer wirksam wurde. Eine einseitige Rücknahme durch den Kläger oder seinen Makler war nicht möglich. Weiterhin sah das Gericht keine Anfechtungsgründe. Die Aussagen des Klägers wurden als Motivirrtum gewertet, der nicht zur Anfechtung berechtigt.

Rechtliche Einordnung und Konsequenzen

In seiner Urteilsbegründung erörterte das Gericht verschiedene rechtliche Aspekte. Es wurde betont, dass der Versicherer nicht verpflichtet ist, Kündigungen auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Des Weiteren wurde festgestellt, dass eine vermeintliche telefonische Falschberatung durch den Versicherer nicht ausreichend bewiesen wurde. Auch die Gestaltung des Schreibens zur Beitragserhöhung wurde nicht als Pflichtverletzung gewertet. Das Urteil unterstreicht die Bedeutung klarer Kommunikation und Dokumentation in Versicherungsangelegenheiten sowie die Grenzen der Anfechtung von Willenserklärungen.

Das vorliegende Urteil des Oberlandesgerichts Brandenburg stellt einen wichtigen Fall in Bezug auf die Versicherungsvertragskündigung dar. Es zeigt auf, wie entscheidend die korrekte Auslegung von Willenserklärungen und die Rolle von Beratungspflichten im Versicherungsrecht sind. Dieser Fall ist insbesondere für Versicherungsnehmer und -geber von Bedeutung, da er wertvolle Einblicke in die Komplexität der rechtlichen Rahmenbedingungen in der Pflegezusatzversicherung und anderen Versicherungsbereichen bietet.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Bedeutung hat § 6 VVG bezüglich der Beratungs- und Nachfragepflichten eines Versicherers?

Der § 6 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) legt die Beratungs- und Nachfragepflichten eines Versicherers in Deutschland fest. Diese Regelung trat mit der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes zum 1. Januar 2008 in Kraft.

Gemäß § 6 VVG hat der Versicherer die Pflicht, den Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss anlassbezogen zu beraten und ihm den erteilten Rat und die Gründe hierfür entsprechend § 6a VVG in Papierform, über einen anderen dauerhaften Datenträger oder über eine Website zu übermitteln.

Die Beratung sollte sich aus vier Phasen zusammensetzen. Zunächst muss der Versicherungsnehmer vom Versicherer über seine Bedürfnisse, Wünsche und persönlichen Verhältnisse befragt werden. Dies bildet die Grundlage für den dann in der zweiten Phase zu erteilenden Rat zum Abschluss eines Versicherungsvertrages. In der dritten Phase müssen dem Versicherungsnehmer die Gründe für den ihm erteilten Rat mitgeteilt werden.

Der Umfang und das Ausmaß dieser ersten drei Phasen können variieren, abhängig von den persönlichen Verhältnissen des Versicherungsnehmers sowie dem von ihm konkret begehrten Versicherungsschutz.

Der Versicherungsnehmer kann durch eine gesonderte schriftliche Erklärung auf die Beratung oder die Dokumentation verzichten. In diesem Fall muss der Versicherungsvermittler ausdrücklich darauf hinweisen, dass ein Verzicht nachteilig auf die Möglichkeit des Versicherungsnehmers auswirken kann, gegen den Versicherungsvermittler einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen.

Eine Ausnahme von diesen umfangreichen Beratungs- und Dokumentationspflichten besteht gemäß § 6 Abs. 6 VVG für Direktversicherer, die über das Internet Verträge abschließen.

Die Regelungen des § 6 VVG dienen dazu, sicherzustellen, dass der Versicherungsnehmer einen an seinen Wünschen und Bedürfnissen optimal orientierten Versicherungsschutz erhält.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 11 U 155/21 – Urteil vom 11.01.2023

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 27.07.2021, Az. 13 O 221/20, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 30.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger unterhielt bei dem beklagten Versicherungsverein eine Pflegezusatzversicherung mit der Versicherungsnummer …. Der Vertrag kam unter Vermittlung eines Versicherungsmaklers, des Zeugen R., der den Kläger und dessen Familie bereits seit längerer Zeit in Versicherungsfragen betreute, zustande. Nach den zugrunde liegenden Bedingungen des streitgegenständlichen Pflegezusatzversicherungsvertrages stand dem Kläger ab dem Pflegegrad 4 ein monatliches Pflegetagegeld in Höhe von 885,00 EUR, ab dem Pflegegrad 5 sogar ein monatliches Pflegetagegeld in Höhe von 1.770,00 EUR zu. Ferner enthielten die einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen des Beklagten für die ergänzende Pflegekrankenversicherung (AB/PV 2017) u.a. folgende Regelungen zur Beendigung des Versicherungsvertrages:

Ende der Versicherung

§ 13 Kündigung durch den Versicherungsnehmer

1. Der Versicherungsnehmer kann das Versicherungsverhältnis zum Ende eines jeden Versicherungsjahres, frühestens aber zum Ablauf einer vereinbarten Vertragsdauer von bis zu zwei Jahren, mit einer Frist von drei Monaten kündigen.

[…]

4. Erhöht der Versicherer die Beiträge gemäß § 8b oder vermindert er seine Leistungen gemäß § 18 Absatz 1, so kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis hinsichtlich der betroffenen versicherten Person innerhalb von zwei Monaten vom Zugang der Änderungsmitteilung an zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderung kündigen. Bei einer Beitragserhöhung kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis auch bis und zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Erhöhung kündigen.

Der Beklagte informierte den Kläger im November 2019 über eine Beitragserhöhung ab 01.01.2020. Wegen der Einzelheiten wird auf das als Anlage B4 vorgelegte Schreiben Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 29.11.2019 kündigte der zu diesem Zeitpunkt 77-jährige Kläger, dem bereits ein Pflegegrad 2 zuerkannt war, den Vertrag über die Pflegezusatzversicherung ohne nähere Begründung (vgl. Anlage B5). Unter dem 02.12.2019 bestätigte der Beklagte die Kündigung gegenüber dem Kläger zum 31.12.2019 und informierte den Zeugen R. als betreuenden Makler über die Kündigung. Daraufhin übermittelte dieser am 03.12.2019 an den Beklagten eine mit „Kündigungsrücknahme“ betitelte E-Mail, in der die Ansicht erläutert wird, weshalb die Kündigung unwirksam sei. Die enthaltene Aufforderung, den Vertrag fortzuführen, lehnte der Beklagte ab.

Der Kläger hat behauptet, er habe sich auf das Schreiben bezüglich der Beitragserhöhung telefonisch zunächst an das Servicecenter des Beklagten unter den in dem Schreiben zur Beitragserhöhung mitgeteilten Kontaktdaten gewandt, wobei ihm seitens einer Mitarbeiterin des Beklagten verdeutlicht worden sei, dass er die Pflegezusatzversicherung nicht mehr benötige. In der Annahme, dass dies zutreffend sei, habe er den Vertrag aus diesem Grunde gekündigt.

Er ist der Ansicht gewesen, dass der Zeuge R. die Kündigungserklärung für ihn konkludent wirksam angefochten habe. Zudem habe der Beklagte ihn unzutreffend und unter Umgehung des Versicherungsmaklers über seinen Versicherungsbedarf beraten, sodass er auch im Wege des Schadensersatzes verpflichtet sei, den Vertrag fortzuführen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt festzustellen, dass die Pflegezusatzversicherung im Tarif 423 zur Versicherungsnummer … wirksam fortbesteht und nicht mittels Kündigung per 31.12.2019 beendet worden ist.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger in der irrigen Annahme gewesen sei, die Versicherung nicht mehr zu benötigen und der Zeuge R. erstmals mit der Kündigungsbestätigung des Beklagten Kenntnis von der Kündigung erhalten habe. Er hat die Ansicht vertreten, dass der Kläger den Vertrag wirksam gekündigt habe. Selbst wenn der Kläger der Ansicht gewesen sein sollte, die Versicherung nicht mehr zu benötigen, sei allenfalls von einem unbeachtlichen Motivirrtum auszugehen, der nicht zur Anfechtung der Kündigungserklärung berechtige. Die Kündigung sei angesichts der Umstände und mangels weiterer Angaben in dem Schreiben vom 29.11.2019 dahin auszulegen, dass die Vertragsbeendigung zum 31.12.2019 gewünscht war.

Das Landgericht hat den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen R. Wegen des Gegenstandes der Anhörung und der Beweisaufnahme wie auch deren Ergebnis wird auf das Sitzungsprotokoll vom 06.07.2021 Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Feststellungsinteresse des Klägers bestehe. In der Sache stehe dem Kläger nach § 6 Abs. 5 VVG ein Anspruch auf Feststellung des Fortbestandes des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages zu, da der Beklagte gegen seine aus § 6 Abs. 1 und 4 VVG herrührenden Beratungs- und Nachfragepflichten verstoßen und den Kläger nunmehr so zu stellen habe, als wenn die Versicherung nicht gekündigt worden wäre. Aufgrund der besonderen Einzelfallumstände habe der Beklagte vor der Bestätigung der Kündigung Rücksprache mit dem Makler des Klägers halten müssen. Auf die Frage, ob eine Mitarbeiterin des Beklagten den Kläger vor der Kündigung unzutreffend beraten habe, komme es nicht an.

Gegen das am 28.07.2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit am 06.08.2021 eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt, die er innerhalb der verlängerten Frist mit Schriftsatz vom 28.10.2021 begründet hat. Danach habe das Landgericht übersehen, dass nach § 6 Abs. 6 VVG im Falle einer Vermittlung durch einen Versicherungsmakler die Regelungen des § 6 Abs. 1 bis 5 VVG keine Anwendung finden. Im Übrigen treffe einen Versicherer grundsätzlich keine Verpflichtung, eine Kündigung auf deren Sinnhaftigkeit zu überprüfen. Das behauptete Telefonat mit einer Servicemitarbeiterin des Beklagten habe es nicht gegeben, ein Telefonvermerk liege nicht vor. Ein durchgreifender Anfechtungsgrund sei ebenfalls nicht ersichtlich; die von dem Kläger vorgetragenen Gründe seien als bloßer Motivirrtum unbeachtlich. Zudem liege keine Anfechtungserklärung vor.

Der Beklagte beantragt zuletzt: Das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 27.07.2021 wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Das Schreiben zur Beitragserhöhung sei unter Umgehung des betreuenden Maklers direkt an den Kläger gerichtet gewesen. Sämtliche Beitragserhöhungsschreiben hätten – anders als die übrigen Mitteilungen des Beklagten – nicht die Kontaktdaten des vermittelnden Maklers ausgewiesen. Der Kläger sei durch die Servicemitarbeiterin des Beklagten telefonisch animiert worden, den Vertrag zu kündigen. Insoweit habe der Beklagte eine Beratungsdokumentation vorzulegen. Soweit er hierzu nicht in der Lage sei, sei von einer Beweislastumkehr auszugehen.

Das Oberlandesgericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2022 ergänzend persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30.11.2022 verwiesen.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung hat Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, weil die Kündigung des streitgegenständlichen Versicherungsvertrages vom 29.11.2019 wirksam ist. Die Klage ist danach insgesamt abzuweisen.

Die Kündigung des Klägers hat den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zum Ablauf des 31.12.2019 beendet. Wirksamkeitshindernisse bezüglich der Kündigungserklärung sind nicht ersichtlich.

1.

Die Kündigung als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung entfaltete bereits mit ihrem Zugang bei dem Beklagten ihre rechtlichen Wirkungen (§ 130 BGB; vgl. Langheid/Rixecker, VVG, 6. Aufl., § 11 Rn. 10). Die durch den Zeugen R. im Namen des Klägers erfolgte einseitige Rücknahme war nicht geeignet, diese Wirkung nachträglich zu beseitigen. Bei der Kündigung handelt es sich um ein Gestaltungsrecht (MüKo-VVG/Fausten, 2. Aufl., § 11 Rn. 96), dessen Erklärung nach Zugang beim richtigen Empfänger grundsätzlich unwiderruflich ist (BGH, Urt. v. 03.10.1984 – IVa ZR 76/83, Rn. 22, zitiert nach juris; OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.1980 – 12 U 154/79 = VersR 1981, 646; Langheid/Rixecker, 6. Aufl., § 11 Rn. 12). Für die Wirksamkeit der Kündigung kommt es dabei insbesondere nicht darauf an, dass der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer bestätigt, er habe dessen Kündigung erhalten oder erkenne diese als wirksam zu einem bestimmten Zeitpunkt an (MüKo-VVG/Fausten, § 11 Rn. 117; Ebnet, NJW 2006, 1697 f.). Eine derartige Verpflichtung lässt sich auch nicht als Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis ableiten (Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 11.10.1995 – 16 W 222/95 = r+s 1996, 425). Das wirksam gekündigte Versicherungsverhältnis lebt nur dann wieder auf, wenn beide Vertragspartner dies vereinbaren. Erklärt der Versicherungsnehmer die „Rücknahme“ der Kündigung, so liegt darin ein Angebot auf Abschluss eines Vertrages, mit dem die Fortsetzung des früheren Versicherungsverhältnisses geregelt werden soll. Hierzu bedarf es der Annahme durch den Versicherer (OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.09.2019 – 11 U 103/18, Rn. 4, zitiert nach juris). Eine Annahme des Angebots des Klägers zur Fortsetzung des Vertrages wurde vorliegend allerdings nicht nur nicht erklärt, sondern ist durch den Beklagten ausdrücklich abgelehnt worden.

2.

Die Kündigung vom 29.11.2019 ist auch nicht durch eine Anfechtung des Klägers nichtig geworden.

a)

Als Gestaltungsrecht bedarf die Anfechtung einer Willenserklärung zunächst einer Anfechtungserklärung, § 143 BGB, an der es vorliegend bereits mangelt. Insbesondere kann in der Erklärung des Zeugen R. vom 03.12.2019 keine Anfechtung erblickt werden.

Grundsätzlich ist als Anfechtungserklärung jede Willenserklärung aufzufassen, die unzweideutig erkennen lässt, dass das Rechtsgeschäft rückwirkend beseitigt werden soll. Es bedarf dabei zwar nicht des ausdrücklichen Gebrauchs des Wortes „anfechten“. Vielmehr kann es je nach den Umständen durchaus genügen, wenn dem objektiven Erklärungswert der Willensäußerung widersprochen wird. In jedem Fall ist aber erforderlich, dass sich unzweideutig der Wille ergibt, das Geschäft gerade wegen des Willensmangels nicht bestehen lassen zu wollen (BGH, Urt. v. 07.06.1984 – IX ZR 66/83, Rn. 26, zitiert nach juris, m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die E-Mail des Zeugen R. vom 03.12.2019 (Bl. 9 GA) nicht, in der zwar die Unwirksamkeit der Kündigung behauptet, dies jedoch mit inhaltlichen Mängeln der Kündigungsschrift dergestalt begründet wurde, dass kein Zeitpunkt für die Vertragsbeendigung angegeben worden war. Etwaige Willensmängel in Bezug auf die Kündigung werden nicht genannt oder auch nur angedeutet.

Auch in der weiteren Aufforderung des – nunmehr anwaltlich vertretenen – Klägers vom 20.01.2020 geht ein etwaiger Anfechtungswille nicht hinreichend deutlich hervor; vielmehr wurde die Aufforderung auf eine behauptete Pflichtverletzung des Beklagten aus dem Versicherungsvertrag gestützt.

b)

Im Übrigen ist auch kein Anfechtungsgrund ersichtlich. Nach § 119 Abs. 1 BGB ist eine Willenserklärung u.a. anfechtbar, wenn der Erklärende sich über deren Inhalt irrte oder eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben wollte. Beide Varianten lagen indes nicht vor, da der Kläger, wie er im Rahmen seiner Anhörungen auch erläuterte, sich durchaus bewusst dafür entschieden hatte, den streitgegenständlichen Vertrag einseitig zu beenden; die tatsächlich erklärte Kündigung des Klägers entsprach dem, was er zum damaligen Zeitpunkt erklären wollte. Ist der Irrtum – wie hier – im Stadium der Willensbildung in Bezug auf den Beweggrund unterlaufen, handelt es sich um einen sogenannten Motivirrtum, der – von den hier ersichtlich nicht vorliegenden Ausnahmen des § 119 Abs. 2 BGB abgesehen – grundsätzlich nicht zur Anfechtung berechtigt (vgl. BGH, Beschl. v. 05.06.2008 – V ZB 150/07, Rn. 15; Brandenburgisches OLG, Urt. v. 11.12.2019 – 7 U 116/18, Rn. 37, jeweils zitiert nach juris; MüKoBGB/Armbrüster, 9. Aufl., § 119 Rn. 108).

Für eine arglistige, d.h. vorsätzliche Täuschung des Klägers durch die Mitarbeiter des Beklagten im Sinne des § 123 Abs. 1 1. Alt. BGB ist nichts ersichtlich. Auch der Kläger hat eine vorsätzliche Täuschung nicht behauptet.

3.

Demnach bestehen in Bezug auf die Wirksamkeit der Kündigung vom 29.11.2019 keine Bedenken. Die Angabe eines konkreten Kündigungszeitpunktes war hierfür nicht erforderlich.

Soweit der Beklagte die – nicht weiter spezifizierte – Kündigung als eine solche zum nächstmöglichen Zeitpunkt auffasste, ist dies nicht zu beanstanden. Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und demgemäß in erster Linie dieser und der ihm zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Bei der Willenserforschung sind aber auch der mit der Erklärung verfolgte Zweck, die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen, die den Sinngehalt der Erklärungen erhellen können. Dabei sind empfangsbedürftige Willenserklärungen, bei deren Verständnis regelmäßig auch der Verkehrsschutz und der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers maßgeblich ist, so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (BGH, Urt. v. 16.10.2012 – X ZR 37/12, Rn. 18, zitiert nach juris, m.w.N.).

Ausgehend von diesem Maßstab war zunächst zu berücksichtigen, dass die Kündigung des Klägers in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der angekündigten Beitragserhöhung erfolgte, die ihm nach § 13 Ziffer 4 der AB/PV 2017 ein zeitnahes Sonderkündigungsrecht zum Ablauf des 31.12.2019 eröffnete. Hingegen hätte die ordentliche Kündigung nach § 13 Ziffer 1 der AB/PV 2017 erst zum Ablauf des 31.12.2020 erfolgen können, sodass der Kläger danach noch ein weiteres Jahr die Beiträge für einen Vertrag hätte zahlen müssen, von dem er sich lösen wollte. Sowohl nach den Begleitumständen wie auch nach der erkennbaren Interessenlage konnte der Beklagte mithin davon ausgehen, dass der Kläger eine Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt – hier zum Ablauf des 31.12.2019 – wünschte. Dass dies auch dem tatsächlichen Willen des Klägers entsprach, ergibt sich nicht zuletzt auch aus dessen Bekundungen im Rahmen der persönlichen Anhörung vom 30.11.2022, bei der er ausführte, dass der Anlass des behaupteten Telefonats wie auch der Kündigung u.a. jener war, dass ihm die Versicherungen bei dem Beklagten zu teuer geworden waren, er nach Einsparmöglichkeiten suchte und schließlich den Vertrag in der Überzeugung, diesen nicht zu benötigen, kündigte.

Soweit der Kläger tatsächlich einen anderen Kündigungszeitpunkt gewünscht hat, hätte er dies gegenüber dem Beklagten klarstellen müssen, denn es ist die ureigene Aufgabe des Versicherungsnehmers, hinsichtlich der wirksamen Vertragsbeendigung für klare Verhältnisse zu sorgen (vgl. OLG Braunschweig, Beschl. v. 02.09.2019 – 11 U 103/18, Rn. 8, zitiert nach juris).

4.

a)

Unzutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Kläger nach § 6 Abs. 5 VVG einen Anspruch gegen den Beklagten auf Fortsetzung des Vertrages über den 31.12.2019 hinaus hat. Zwar hat der Versicherer nach dieser Norm im Falle der Verletzung einer Beratungspflicht im Sinne des § 6 Abs. 1, 2 oder 4 VVG den Versicherungsnehmer im Wege der Naturalrestitution grundsätzlich so zu stellen, wie er ohne die Pflichtverletzung stünde (vgl. Langheid/Wandt/Armbrüster, VVG, 3. Aufl., § 6 Rn. 310, m.w.N.).

Eine haftungsbegründende Pflichtverletzung ist jedoch nicht ersichtlich. In diesem Zusammenhang weist der Beklagte zunächst zutreffend darauf hin, dass nach § 6 Abs. 6 VVG die Regelungen des § 6 Abs. 1 bis Abs. 5 VVG grundsätzlich keine Anwendung finden, wenn der fragliche Versicherungsvertrag – wie vorliegend – durch einen Versicherungsmakler vermittelt wird. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Versicherungsnehmer regelmäßig durch den betreuenden Makler ohnehin umfänglich zu beraten ist (vgl. Prölss/Martin/Rudy, VVG, 31. Aufl., Rn. 70). Allerdings entbindet die Einschaltung eines Versicherungsmaklers den Versicherer nicht generell von allen Beratungspflichten. Vielmehr ist eine Ausnahme durchaus etwa für den Fall anerkannt, wenn sich dem Versicherer aufdrängen muss, dass der Versicherungsnehmer seine Entscheidung auf Grundlage einer fehlerhaften, unvollständigen oder fehlenden Beratung durch den Makler getroffen hat (vgl. BeckOK VVG/ Marlow/Spuhl, § 6 Rn. 56; MüKo-VVG/Armbrüster, 3. Aufl., § 6 Rn. 352, jeweils m.w.N.), was im Streitfall aufgrund der Gesamtumstände – der zu diesem Zeitpunkt …jährige Kläger kündigte den Vertrag trotz bereits bestehender Pflegebedürftigkeit selbst und ohne Mitwirkung seines Maklers – ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.

Zu Unrecht geht der Kläger jedoch davon aus, dass sich etwaige Beratungspflichtverstöße des Beklagten nach Zugang der Kündigung noch kausal auf den eingetretenen Schaden ausgewirkt haben können. Ein Schadensersatzanspruch nach § 6 Abs. 5 VVG setzt ebenso wie ein jener nach § 280 BGB voraus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und schädigendem Ereignis besteht (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2017 – IV ZR 440/14, Rn. 37 f., zitiert nach juris; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum VVG, 4. Aufl., § 6 Rn. 72). Da die Kündigung bereits mit Zugang beim Beklagten ihre Wirkung entfaltete und insbesondere keiner Bestätigung durch den Beklagten bedurfte, können danach unterlassene Beratungsleistungen sich nicht mehr auf die Vertragsbeendigung ausgewirkt haben.

b)

Dem Kläger steht auch wegen der behaupteten telefonischen Falschberatung durch die Mitarbeiter des Service-Centers des Beklagten kein Schadensersatzanspruch zu. Die insoweit als Haftungsgrundlage in Betracht kommenden §§ 280 Abs.1, 241 Abs. 2 BGB (vgl. MüKo VVG/Armbrüster, 3. Aufl., Vorbem. zu §§ 6-7, Rn. 54; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum VVG, 4. Aufl., § 6 Rn. 28) setzen ebenfalls eine Pflichtverletzung des in Anspruch genommenen Versicherers voraus, für die der Versicherungsnehmer grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet ist.

Der Kläger hat indes nicht nachzuweisen vermocht, dass sich das Telefonat tatsächlich wie behauptet ereignet hat. Der diesbezüglich vernommene Zeuge R. hat zwar bekundet, der Kläger habe ihm auf Nachfrage mitgeteilt, dass eine Mitarbeiterin des Beklagten ihm erklärt habe, er benötige die Pflegezusatzversicherung nicht, da er bereits Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalte. Insoweit handelt es sich jedoch um ein Zeugnis vom Hörensagen, dem aufgrund der Art des Beweises eine besondere Unsicherheit anhaftet, die über die allgemeine Unzuverlässigkeit des Zeugenbeweises hinausgeht, so dass an die Beweiswürdigung hohe Anforderungen zu stellen sind, was im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 15.10.2020 – III ZR 44/20, Rn. 19, zitiert nach juris).

Die ergänzende persönliche Anhörung des Klägers brachte mangels Angabe von geeigneten Details des behaupteten Telefonats keinen wesentlichen weiteren Erkenntnis- und Überzeugungsgewinn. So war dem Kläger in der Anhörung vom 30.11.2022 etwa eine zeitliche Einordnung des Telefonats erst auf gezielte Nachfrage und nur grob möglich. Auch die gezielte Nachfrage, weshalb der Kläger gerade den streitgegenständlichen Vertrag gekündigt hat, wenn die Servicemitarbeiterin lediglich pauschal mitteilte, dass er nicht zwei Versicherungen für dieselbe Sache benötige, konnte der Kläger nicht mehr mit Sicherheit beantworten. Demgegenüber hatte der Kläger erstinstanzlich noch ausgeführt, dass die Mitarbeiterin ihm ausdrücklich mitgeteilt habe, er benötige die Pflegezusatzversicherung nicht (vgl. Protokoll vom 06.07.2021, Seite 1). Letztlich räumte der Kläger im Rahmen seiner Anhörung vom 30.11.2022, anders als noch erstinstanzlich (vgl. Protokoll vom 06.07.2021, Seite 2) ein, dass die angekündigte Beitragserhöhung durchaus auch ein Beweggrund für die Kündigung war (“Es war auch so, dass die Beiträge immer höher geworden sind – das musste man ja auch berücksichtigen – sodass ich dann einen der beiden gekündigt habe.“). Angesichts des vergleichsweise langen Zeitraums seit dem behaupteten Telefonat bzw. der erstinstanzlichen Anhörung ist es zwar ohne weiteres nachvollziehbar, wenn detaillierte Angaben zum behaupteten Geschehen nicht mehr gemacht werden können und auch keine tadellose Aussagekonsistenz vorliegt. Dieser Umstand kann aber auch nicht zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden.

Eine weitere Beweisaufnahme war nicht veranlasst. Die Parteivernehmung des Klägers nach § 447 ZPO wurde nicht beantragt. Von der Vernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO wurde nach pflichtgemäßem Ermessen mangels ausreichenden Anbeweises abgesehen. In diesem Zusammenhang war maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Klägerseite – ohne dass ihr dies zum Vorwurf gemacht werden kann – wesentliche Details zum behaupteten Telefonat, etwa den Namen der Gesprächspartnerin oder den Zeitpunkt des Gesprächs, nicht (mehr) mitteilen kann. Weitere Indizien, die den Vortrag hätten erhärten können, etwa ein Telefonverbindungsnachweis für den fraglichen Zeitraum, wurden nicht vorgelegt. Die diesbezügliche Aussage des Zeugen R. beschränkte sich auf die Kernaussage, dass der Kläger ihm mitgeteilt habe, dass er den Vertrag auf Rat der Mitarbeiterin des Beklagten gekündigt habe. Auf dieser vagen Grundlage bestand insgesamt keine ausreichende Wahrscheinlichkeit für den Nachweis des behaupteten Telefonats. Unter diesen Voraussetzungen lässt die Parteivernehmung auch keinen weiteren Überzeugungswert erwarten.

Letztlich war die Parteivernehmung auch nicht aus Gründen der Waffengleichheit veranlasst, nachdem die Beklagtenseite überhaupt bestritt, dass ein solches Telefonat stattgefunden hat.

Der Kläger hat den Beweis der Falschberatung durch die Mitarbeiterin des Beklagten nicht geführt. Zwar sind für die richterliche Überzeugungsbildung weder eine unumstößliche Gewissheit noch eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urt. v. 13.09.2018 – III ZR 294/16, Rn. 34, zitiert nach juris). Aus den genannten Gründen bestanden in der Gesamtschau allerdings nicht genügend Anhaltspunkte, die eine ausreichende Überzeugungsbildung von der Richtigkeit der klägerischen Behauptungen zu dem Beratungstelefonat erlaubt hätten.

Diese Unsicherheit geht zulasten des Klägers. Insoweit geht die Ansicht der Klägerseite fehl, dass von einer Beweislastumkehr auszugehen sei, weil der Beklagte kein Beratungsprotokoll zu dem behaupteten Telefonat vorgelegt habe (vgl. hierzu nur Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl. § 6 Rn. 39, m.w.N.). Denn es ist – wie dargelegt – schon nicht zugrunde zu legen, dass eine telefonische Beratung überhaupt stattgefunden hat.

c)

Auch die Gestaltung des Beitragserhöhungsschreibens aus November 2019 (vgl. Bl. 54 GA) stellt für sich genommen keine Pflichtverletzung dar. Der Klägerseite ist zwar durchaus zuzugeben, dass es zumindest auffällig ist, wenn ausgerechnet in diesem Schreiben nicht, wie in anderen Mitteilungen des Beklagten üblich, die Kontaktdaten des Maklers unter der Überschrift „Es betreut sie“ genannt wird, sondern die des Service-Centers des Beklagten. Auch konnte sich der Beklagte zu seiner Behauptung, dass dies seit 2008 von der „Maklervereinigung“ so gewünscht werde, nicht weiter erklären bzw. dies unter Beweis stellen.

Allerdings besteht auch keine generelle Pflicht eines Versicherers, in seinen Mitteilungen anzugeben, durch welchen Makler der jeweilige Versicherungsnehmer betreut wird, selbst wenn dies branchenüblich sein sollte, wie der Kläger behauptet und das Landgericht zugrunde legt. Die Behauptung des Klägers, dass der Beklagte gezielt so verfuhr, um den Makler im Falle von Nachfragen zu den Beitragserhöhungen zu umgehen und den Versicherungsnehmer zu veranlassen, direkt beim Versicherer nachzufragen, ist nicht belegt. Die in den Vordergrund gerückte Möglichkeit, sich bei Nachfragen an das Service-Center zu wenden, begründet isoliert betrachtet ebenfalls keine Pflichtwidrigkeit.

Im Übrigen enthält das in Rede stehende Schreiben zur Ankündigung der Beitragserhöhung durchaus auch einen abschließenden Hinweis auf den betreuenden Versicherungsmakler wie folgt: „Selbstverständlich können Sie sich auch gerne an Ihren Betreuer oder an unser Service-Team unter der Telefonnummer […] wenden.“

5.

Dem Beklagten ist es schließlich nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Wirksamkeit der Kündigung vom 29.11.2019 zu berufen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die Regelung des § 242 BGB grundsätzlich keine Ermächtigung für eine „Billigkeitsjustiz“ bietet, um bestimmte Rechtsfolgen durch vermeintlich gerechtere zu ersetzen (vgl. Grüneberg/Grüneberg, 81. Aufl., § 242 Rn. 2, m.w.N.). Zwar kann es im Einzelfall einem Vertragspartner etwa verwehrt sein, sich auf eine zufällig erworbene Rechtsposition zu berufen, wenn er erkennt, dass das Festhalten daran für den Irrenden unzumutbar ist (so etwa für den offen erkennbaren Kalkulationsirrtum: MüKoBGB/Schubert, 9. Aufl., § 242 Rn. 291, m.w.N.). Allerdings erfordert dies neben der Unzumutbarkeit für den Erklärenden regelmäßig die Kenntnis des Vertragspartners vom Ausmaß der Beeinträchtigung für den Irrenden (vgl. BGH, Urt. v. 07.07.1998 – X ZR 17/97, Rn. 24, zitiert nach juris). Zutreffend weist der Beklagte hierbei darauf hin, dass er Kündigungen grundsätzlich nicht auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen hat.

Dafür, dass der Verlust des Versicherungsschutzes durch Beendigung des streitgegenständlichen Vertrages eine unzumutbare, schwerwiegende Beeinträchtigung für den Kläger darstellt, ist hier nichts ersichtlich oder vorgetragen. Insbesondere musste sich die Nachteiligkeit der Kündigung für den Beklagten nicht ohne Weiteres aufdrängen, weil der Vertrag zum maßgeblichen Kündigungszeitpunkt nicht lediglich rechtlich vorteilhaft für den Kläger war: Das versicherte Ereignis (Pflegegrad 4 oder mehr) war noch nicht eingetreten und dessen zukünftiger Eintritt auch ungewiss. Andererseits spielte der Kostenaspekt für den Kläger, wie er ausführte, durchaus eine gewichtige Rolle, weil ihm die Versicherung zu teuer geworden war und er nach Einsparmöglichkeiten suchte. Vor diesem Hintergrund scheint eine Beendigung des Zusatzvertrages aus Sicht des Beklagten zumindest nachvollziehbar.

6.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

7.

Die Revision war in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG nicht zuzulassen. Die vorliegende Rechtssache beruht im Wesentlichen auf einer Würdigung der Einzelfallumstände. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.

8.

Streitwert für das Berufungsverfahren wurde nach §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 9 ZPO ermittelt. Danach war der 3,5-fache Jahresbezug des monatlichen Pflegetagegeldes von …EUR anzusetzen, abzüglich eines Abschlages von 20 %, da in der Hauptsache lediglich die Feststellung beantragt wurde (vgl. BGH, Beschl. v. 09.11.2011 – IV ZR 37/11, Rn. 3, zitiert nach juris).

 

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