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Versicherungsrechtliche Obliegenheit – Zurechnung Verschuldens des Prozessbevollmächtigten

Versicherungsrecht: Verantwortung des Prozessbevollmächtigten und Eintrittspflicht der Krankenversicherung

Im Mittelpunkt des Urteils des Oberlandesgerichts Saarbrücken (Az.: 5 U 106/18) vom 02.10.2019 steht die Frage, ob ein Versicherungsnehmer für das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten haftet, wenn durch dessen Handeln eine versicherungsrechtliche Obliegenheit verletzt wird. Im konkreten Fall ging es um den Abschluss eines Abfindungsvergleichs mit dem Schädiger eines Verkehrsunfalls, was laut der Versicherung einen Verstoß gegen das Aufgabeverbot des § 86 Abs. 2 VVG darstellte. Die Versicherung verweigerte daraufhin weitere Leistungen für unfallbedingte Krankheitskosten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 U 106/18  >>>

Das Dilemma des Versicherungsnehmers

Der Kläger hatte bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung abgeschlossen und wurde in einem Verkehrsunfall verletzt. Nach dem Unfall schloss er einen Abfindungsvergleich mit dem Schädiger ab, was laut der Versicherung einen Verstoß gegen das Aufgabeverbot des § 86 Abs. 2 VVG darstellte. Die Versicherung verweigerte daraufhin weitere Leistungen für unfallbedingte Krankheitskosten, obwohl dem Kläger noch weitere Operationen bevorstanden.

Die Position der Versicherung

Die Versicherung argumentierte, dass der Kläger durch den Abschluss des Abfindungsvergleichs gegen die Obliegenheit des § 86 Abs. 2 VVG verstoßen habe. Sie behauptete, dass der Kläger sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen müsse, da dieser den Vergleich abgeschlossen hatte.

Das Urteil des Landgerichts

Das Landgericht Saarbrücken wies die Klage des Versicherungsnehmers ab. Es folgte der Argumentation der Versicherung und stellte fest, dass der Kläger durch den Abschluss des Abfindungsvergleichs gegen die Obliegenheit des § 86 Abs. 2 VVG verstoßen habe. Zudem müsse er sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

Das Oberlandesgericht Saarbrücken hob das Urteil des Landgerichts auf und gab der Berufung des Klägers statt. Es stellte klar, dass dem Versicherungsnehmer das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden könne. Die Versicherung sei daher nicht berechtigt, ihre Eintrittspflicht für unfallbedingte Krankheitskosten unter Berufung auf § 86 Abs. 2 VVG zu versagen.

Dieses Urteil klärt eine wichtige Frage im Versicherungsrecht und stärkt die Position der Versicherungsnehmer, insbesondere wenn sie sich in komplexen Rechtsangelegenheiten auf die Expertise von Prozessbevollmächtigten verlassen müssen.

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Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 106/18 – Urteil vom 02.10.2019

Leitsatz

Bei Verletzung einer versicherungsrechtlichen Obliegenheit – hier: behaupteter Verstoß gegen das Aufgabeverbot des § 86 Abs. 2 VVG durch Abschluss eines Abfindungsvergleichs mit dem Schädiger – kann dem Versicherungsnehmer das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden.(Rn.28)

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 22. November 2018 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 221/17 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte wegen der dem Unfall des Klägers vom 3. September 2015 zuzuordnenden Krankheitskosten im Rahmen des bestehenden Versicherungsschutzes zur Versicherungsschein-Nummer … eintrittspflichtig ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Eintrittspflicht der Beklagten aus einer privaten Krankheitskostenversicherung.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung (Versicherungs-Nummer: …) nach den Tarifen AM 4, ZM 3 und SM6 auf der Grundlage der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten, bestehend u.a. aus den MB/KK 2009. Am 3. September 2015 wurde er anlässlich eines Verkehrsunfalles verletzt und musste ärztlich behandelt werden. Die Beklagte übernahm tarifgemäß die Erstattung unfallbedingter Behandlungskosten des Klägers, wofür sie von der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners bislang Erstattungen in Höhe von insgesamt 21.552,72 Euro erhielt. Zum Zwecke der Entfernung von Schrauben und Platten werden noch zwei weitere Operationen am Bein und am Schlüsselbein erforderlich sein. Der Kläger führte vor dem Landgericht Saarbrücken einen Rechtsstreit gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners (Az.: 15 O 210/16), mit dem er u.a. Ersatz seiner materiellen Schäden, ein angemessenes Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht sämtlicher aus dem Unfall resultierender Schäden begehrte. Dieser Rechtsstreit wurde in der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2017 durch einen Vergleich beendet, wonach sich die dortige Beklagte zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrages von 15.000,- Euro verpflichtete (Ziffer 1 des Vergleichs). Weiterhin heißt es in Ziffer 2:

„Mit der Zahlung des in Ziffer 1. genannten Betrages sind sämtliche materiellen und immateriellen Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus dem hier streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 3. September 2015 für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft endgültig erledigt und abgefunden. Dieser Abfindungsvergleich betrifft sämtliche Ansprüche, auch diejenigen, die hier nicht streitgegenständlich sind und nicht vorhersehbar sind“.

Beide Parteien behielten sich das Recht vor, den Vergleich durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht bis zum 5. Mai 2017 zu widerrufen; ein Widerruf erfolgte nicht. In der Folgezeit informierte der Kläger die Beklagte über den Abschluss des Vergleichs mit dem Unfallgegner. Diese teilte dem Kläger u.a. mit Schreiben vom 11. Mai 2017 mit, dass ihm ab dem Zeitpunkt des Zustandekommens des Vergleichs wegen einer dadurch bedingten Verletzung des Aufgabeverbotes (§ 86 Abs. 2 VVG) keine weiteren Leistungsansprüche für Krankheitskosten im Zusammenhang mit dem Unfall vom 3. September 2015 zustünden. Hieran hielt sie nach zwischenzeitlicher Erstattung von zwei Rechnungen für Krankengymnastik und Lymphdrainage vom 2. Juni 2017 über insgesamt 460,- Euro auch in der Folgezeit fest.

Der Kläger hat seine auf Feststellung der vertragsgemäßen Eintrittspflicht für die dem Unfall zuzuordnenden Krankheitskosten gerichtete Klage für zulässig gehalten, nachdem weitere unfallbedingte Operationen bevorstünden und die Beklagte weitere Leistungen abgelehnt habe. Eine ursächliche Verletzung des Aufgabeverbotes liege nicht vor, weil die Ansprüche gegen den Haftpflichtversicherer des Unfallgegners bereits vor Abschluss des Vergleiches auf die Beklagte übergegangen seien; insoweit könne für die private Krankenversicherung nichts anderes gelten als für den Forderungsübergang bei der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 116 SGB X). Zumindest habe der Kläger Obliegenheiten nicht schuldhaft verletzt, weil er sich vor Abschluss des Vergleichs entsprechenden Rechtsrat bei seiner Rechtsanwältin eingeholt und darauf habe vertrauen dürfen; ein etwaiges Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten sei ihm nicht zuzurechnen. Letztlich habe die Beklagte durch die Erbringung weiterer Leistungen nach Kenntnis vom Abschluss des Vergleichs ihre Eintrittspflicht anerkannt. Die Beklagte hat den Feststellungsantrag für zu weitgehend gehalten, weil dieser sich allenfalls auf die Erstattung von Krankenkosten im tariflichen Umfang richten könne. Jedenfalls sei sie leistungsfrei, weil der Kläger vorsätzlich gegen das Aufgabeverbot verstoßen habe, indem er mit dem Unfallgegner eine vergleichsweise Abgeltung sämtlicher materieller Ansprüche – und damit auch der Ansprüche wegen Krankheitskosten – vereinbart habe. Soweit nicht schon der Vergleich mit Wissen und Billigung des Klägers abgeschlossen worden sei, müsse er sich die Kenntnis und das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.

Mit dem zur Berufung angefallenen Urteil, auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht Saarbrücken die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei leistungsfrei, weil der Kläger durch den Abschluss des Vergleichs gegen die Obliegenheit des § 86 Abs. 2 VVG verstoßen habe. Soweit den Kläger selbst kein Verschulden hieran treffe, müsse er sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das vorsätzliche Verhalten seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.

Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung verfolgt der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines früheren Vorbringens sein erstinstanzliches Begehren weiter. Insbesondere hält er die Rechtsauffassung des Erstrichters, wonach ihm ein etwaiges Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, für verfehlt.

Der Kläger beantragt (Bl. 157 GA), das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22. November 2018 – 14 O 221/17 – aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für die dem Unfall des Klägers vom 3. September 2015 zuzuordnenden Krankheitskosten im Rahmen des bestehenden Versicherungsschutzes leistungspflichtig zu sein.

Die Beklagte beantragt (Bl. 142 GA), die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 25. Oktober 2018 (Bl. 92 f. GA) sowie des Senats vom 18. September 2019 (Bl. 200 f. GA) verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung des Klägers, mit der dieser sich gegen die Abweisung seiner Klage wendet, ist vollumfänglich begründet. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil (veröff. in RuS 2019, 32 = ZfS 2019, 389 m. krit. Anm. Rixecker; abl. Anm. Grams FD-VersR 2018, 412789, beck-online) die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht berechtigt, ihre Eintrittspflicht für unfallbedingte Krankheitskosten unter Berufung auf § 86 Abs. 2 VVG zu versagen.

1.

Die Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist zulässig. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich der Senat angeschlossen hat, ist die Zulässigkeit einer Klage auf Feststellung der Eintrittspflicht eines privaten Krankenversicherers jedenfalls dann gegeben, wenn die begehrte Feststellung ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis in dem Sinne betrifft, dass die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen schon zur Zeit der Klageerhebung wenigstens die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Das ist der Fall, wenn das Begehren nicht nur auf künftige, mögliche, sondern auf bereits aktualisierte, ärztlich für notwendig erachtete, bevorstehende Behandlungen gerichtet ist. Außerdem muss ein Feststellungsinteresse dahingehend bestehen, dass durch ein Feststellungsurteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflichten zu erwarten ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2006 – IV ZR 131/05, VersR 2006, 535; Senat, Urteil vom 18. Dezember 2013 – 5 U 487/11-66). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Aufgrund des vom Kläger erlittenen Verkehrsunfalles und bereits durchgeführter unfallbedingter Behandlungen, deren Erstattung die Beklagte zunächst übernahm, werden zum Zwecke der Entfernung von Schrauben und Platten unstreitig noch zwei weitere Operationen am Bein und am Schlüsselbein erforderlich sein. Damit hat sich ihre Notwendigkeit in Bezug auf einen Erstattungspflichten auslösenden Versicherungsfall so weit verdichtet, dass sich aus dem Kreis der im Versicherungsvertrag allgemein angelegten vielfältigen Anspruchsmöglichkeiten ein das Feststellungsbegehren rechtfertigendes gegenwärtiges Rechtsverhältnis gebildet hat. Darüber hinaus ist von einem Feststellungsurteil auch zu erwarten, dass der hier bestehende Streit über die Eintrittspflicht der Beklagten, die diese allein unter Hinweis auf ihre Leistungsfreiheit nach § 86 Abs. 2 VVG ablehnt, sachgemäß und erschöpfend beigelegt werden kann.

2.

Die Klage ist auch in der Sache begründet. Die Beklagte ist nicht infolge des am 11. April 2017 abgeschlossenen Vergleichs mit dem Unfallgegner des Klägers gemäß § 86 Abs. 2 VVG (bzw. der inhaltsgleichen vertraglichen Regelung aus § 11 Abs. 2 und 3 MB/KK 09) von ihrer – im Übrigen unstreitigen – Eintrittspflicht für krankheitsbedingte Aufwendungen aus dem Versicherungsvertrag i.V.m. § 1 Abs. 1 und 2 MB/KK 09 freigeworden.

a)

Gemäß § 86 Abs. 1 VVG geht ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Nach § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG ist der Versicherungsnehmer gehalten, jenen Ersatzanspruch zu wahren und bei dessen Durchsetzung mitzuwirken. Verletzt er diese Obliegenheit vorsätzlich, ist der Versicherer zur Leistung insoweit nicht verpflichtet, als er infolgedessen keinen Ersatz von dem Dritten erlangen kann (§ 86 Abs. 2 Satz 2 VVG). Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer (§ 86 Abs. 2 Satz 3 VVG). Die Obliegenheit des § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG, in der das schon nach früherem Recht geltende versicherungsrechtliche „Aufgabeverbot“ (§ 67 Abs. 1 Satz 3 VVG a.F.) aufgegangen ist, verbietet dem Versicherungsnehmer jedes Handeln, das zum Verlust des übergangsfähigen Anspruchs führt oder seine Realisierung hindert (Senat, Urteil vom 7. November 2018 – 5 U 22/18, VersR 2019, 353; Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG 30. Aufl., § 86 Rdn. 69 f.). Sie gilt im Recht der Schadensversicherung, mithin auch für die private Krankheitskostenversicherung, soweit diese – wie hier – Versicherungsschutz nach den Grundsätzen der Schadensversicherung gewährt (§ 194 Abs. 1 Satz 1 VVG; Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 86 Rn. 3; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Dezember 1972 – IV ZR 171/71, VersR 1973, 224).

b)

Der Senat kann mangels Relevanz für die vorliegende Entscheidung offen lassen, ob der Kläger mit Abschluss des Prozessvergleichs am 11. April 2017 überhaupt wirksam zu Lasten der Beklagten – auch – auf seine Ersatzansprüche wegen unfallbedingter Krankheitskosten verzichtet und dadurch gegen die in § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG (bzw. § 11 Abs. 2 und 3 MB/KK 09) enthaltene Obliegenheit verstoßen hat; offensichtlich ist das jedenfalls nicht.

aa)

Unstreitig standen dem Kläger zunächst aufgrund des am 3. September 2015 erlittenen Verkehrsunfalles (weitere) Schadensersatzansprüche, u.a. aus § 7 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, gegen den Unfallgegner sowie gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG gegen dessen Pflichtversicherer zu, die im Leistungsfall nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 VVG auf die Beklagte hätten übergehen können. Dabei vollzieht sich der Rechtsübergang – anders als im Sozialversicherungsrecht, § 116 Abs. 1 SGB X; dazu BGH, Urteil vom 24. April 2012 – VI ZR 329/10, VersR 2012, 924 – nicht schon im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, sondern nur „soweit der Versicherer den Schaden ersetzt“ (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VVG). Das bedeutet, dass der Schadensversicherer nur insoweit in die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers einrückt, als er Versicherungsleistungen tatsächlich erbracht hat (BGH, Urteil vom 25. April 1989 – VI ZR 146/88, VersR 1989, 730). Erst dann findet der Forderungsübergang statt. Erbringt der Versicherer wiederkehrende Leistungen, z.B. in Form einer Rentenzahlung, so gehen Ansprüche zeitanteilig über (Voit, in: Bruck/Möller, VVG 9. Aufl., § 86 Rn. 120; Baumann, in: Berliner Kommentar zum VVG 1. Aufl., § 67 Rn. 88). Dementsprechend hat es der Versicherungsnehmer bis zum Erhalt von (kongruenten) Versicherungsleistungen in der Hand, über die – bis dahin ihm selbst zustehenden – Ersatzansprüche gegen den Schädiger zum Nachteil des Versicherers zu verfügen. Dagegen soll das versicherungsrechtliche Aufgabeverbot den Versicherer schützen, indem es dem Versicherungsnehmer solche nachteiligen Rechtshandlungen untersagt und grob schuldhafte Zuwiderhandlungen mit Rechtsnachteilen belegt (Möller/Segger, in: MünchKomm-VVG 2. Aufl., § 86 Rn. 272; Baumann, in: Berliner Kommentar zum VVG, a.a.O., § 67 Rn. 115).

bb)

Soweit das Landgericht hier den Abschluss des Prozessvergleiches unter Einschluss der Abgeltungsklausel als Verstoß gegen das versicherungsrechtliche Aufgabeverbot gewertet hat, erscheint diese Annahme auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes nicht bedenkenfrei. Ein – objektiver – Verstoß gegen die Obliegenheit des § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG kann zwar auch in dem Abschluss eines Vergleiches liegen, wenn dadurch übergangsfähige Schadensersatzansprüche erlöschen. Das Aufgabeverbot erfasst nämlich insbesondere den Verzicht des Versicherungsnehmers auf bereits entstandene Ansprüche (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1956 – II ZR 64/56, BGHZ 22, 109). Ein Vergleich, der für den Fall der Erfüllung der darin vereinbarten Schmerzensgeldforderung einen Erlass weitergehender materieller und immaterieller Schadensersatzansprüche vorsieht, kann diese Rechtswirkungen zeitigen und sein Abschluss daher einen – objektiven – Verstoß gegen § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG begründen (vgl. KG, VersR 2002, 1541; OLG Hamm, VersR 2016, 1233; Baumann, in: Berliner Kommentar zum VVG, a.a.O., § 67 Rn. 116). Im Ansatz zu Recht verweist die Beklagte auf die weitreichende und umfassende Formulierung der in dem Prozessvergleich vereinbarten Abgeltungsklausel, die nach ihrem Wortlaut „sämtliche materiellen und immateriellen Ansprüche des Klägers“ aus dem Verkehrsunfalls „für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ erfasst, was auf den ersten Blick auch die für den Fall weiterer Zahlungen der Beklagten auf diese übergehenden Ansprüche des Klägers wegen unfallbedingter Krankheitskosten einzuschließen scheint. Indessen erfordert das Verständnis einer vergleichsweise vereinbarten Regelung stets eine sorgfältige Auslegung des Erklärten im Einzelfall, die neben dem Wortlaut der Regelung auch deren Sinn und Zweck sowie die erkennbaren Interessen der Parteien mit berücksichtigt (§§ 133, 157 BGB; vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2010 – VIII ZR 58/09, BGHZ 184, 128; Staudinger/Marburger (2015) BGB § 779, Rn. 55 ff.). Dabei ist im Zweifel anzunehmen, dass die Parteien das Vernünftige gewollt haben, somit der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einer sachgerechten, mit Inhalt und Zweck des Gesetzes vereinbaren Regelung gelangt (BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 – IX ZR 69/96, BGHZ 134, 325). Die Auslegung eines Vergleichs kann deshalb ergeben, dass – trotz des scheinbar eindeutigen Wortlautes – in Wahrheit eine andere Regelung beabsichtigt war. Auch eine auf den ersten Blick umfassende Abgeltungsklausel kann einschränkend auszulegen sein, wenn dies nach Treu und Glauben im Einzelfall notwendig erscheint (Staudinger/Marburger (2015) BGB § 779, Rn. 58; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Dezember 1983 – VI ZR 19/82, VersR 1984, 382; OLG Oldenburg, VersR 2005, 72; Günther, VersR 2019, 337, 339). Im Streitfall bestehen solche Anhaltspunkte, weil der Kläger nach seiner Darstellung offenkundig davon ausging, mit der Abgeltungsklausel nicht auf übergangsfähige Ersatzansprüche für künftige Behandlungskosten zu verzichten, und der gegnerische Haftpflichtversicherer, von dem aufgrund seiner überlegenen Rechtskenntnis anzunehmen ist, dass ihm die Rechtsfolgen eines solchen Vergleichsschlusses und dessen Bedeutung für den Forderungsübergang nach § 86 VVG bekannt waren, dies erkannt haben dürfte. Der Erstrichter ist diesen im Parteivortrag erkennbar angelegten Bedenken nicht nachgegangen, sondern hat die Behauptung der Beklagten, der Vergleich erfasse auch die kongruenten Ersatzansprüche wegen unfallbedingter Krankheitskosten, unbesehen übernommen. Der Senat kann aber davon absehen, diese Überlegungen, die eine weitergehende Aufklärung der Umstände des Vergleichsabschlusses erfordern würden, zu vertiefen, weil es darauf aus den nachfolgenden Erwägungen nicht ankommt.

c)

Denn der Kläger hat das Aufgabeverbot hier weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt, und er muss sich insoweit – entgegen der Auffassung des Landgerichts – auch nicht ein etwaiges Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen; jedenfalls deshalb kann sich die Beklagte hier nicht auf ihre Leistungsfreiheit aus § 86 Abs. 2 Satz 2 und 3 VVG berufen.

aa)

Ein eigenes grobes Verschulden des Klägers ist vorliegend nicht gegeben und dementsprechend auch schon vom Landgericht zu Recht verneint worden.

(1)

Dass der Kläger selbst die Obliegenheit vorsätzlich verletzt hätte, wofür die Beklagte nach dem Gesetz darlegungs- und beweisbelastet wäre, ist nicht ersichtlich. Vorsatz erfordert nach allgemeinen Grundsätzen ein bewusstes und gewolltes Handeln, das sich auf die Verletzung der Obliegenheit, mithin – hier – auf die Aufgabe des Anspruches beziehen muss (vgl. OLG Hamm, VersR 2016, 1233; Möller/Segger, in: MünchKomm-VVG a.a.O., § 86 Rn. 273). Dass der Kläger um die aus dem Vergleichsabschluss folgenden nachteiligen Konsequenzen für etwaige Ersatzansprüche der Beklagten wusste und diese billigte, steht jedoch nicht fest. Die Beklagte behauptet dies nicht einmal; ihr – missverständlicher – Hinweis, ein Verschulden werde nicht vorausgesetzt, betrifft nur die tatbestandlichen Voraussetzungen der Obliegenheitsverletzung, nicht deren Rechtsfolgen (vgl. Langheid, in: Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl., § 86 Rn. 53 f.). Insoweit kann von einem rechtlichen Laien wie dem Kläger jedoch – ohne Vorliegen entgegenstehender Anhaltspunkte, für die hier nichts ersichtlich ist – nicht erwartet werden, dass er die schwierigen Rechtsfragen des Forderungsüberganges nach § 86 Abs. 1 VVG, die – offenkundig – nicht einmal seiner Prozessbevollmächtigten geläufig waren, überblickt. Vielmehr ging der anlässlich des Vergleichsabschlusses durch seine Prozessbevollmächtigte anwaltlich beratene Kläger nach seinem nicht widerlegten Vortrag davon aus, dass die getroffene Abfindungsvereinbarung – wie im Sozialversicherungsrecht – etwaige Regressansprüche seines Krankenversicherers nicht berühren werde. Ein solcher Rechtsirrtum schließt die Annahme, der Kläger habe Ansprüche vorsätzlich aufgegeben, aus (OLG Hamm, VersR 2016, 1233).

(2)

Der Kläger hat durch den Abschluss des Vergleiches die Obliegenheit auch nicht grob fahrlässig verletzt. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer acht lässt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste (BGH, Urteil vom 11. Mai 1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14; Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 28 Rn. 205). Hierzu hat das Gericht nach freiem pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob nach der Gesamtlage der Umstände die Sorgfaltsverletzung als besonders schwer erscheint (BGH, Urteil vom 11. Mai 1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14). Im Streitfall ist dies hinsichtlich der in dem Vergleichsabschluss – möglicherweise – liegenden Verletzung des Aufgabeverbotes zu verneinen. Der Kläger war im Haftpflichtprozess anwaltlich vertreten; der Abschluss des Abgeltungsvergleichs erfolgte, wie er mehrfach eingehend und auch insoweit unwidersprochen dargelegt hat, auf anwaltlichen Rat seiner Prozessbevollmächtigten, von der der Kläger mangels abweichender Anhaltspunkte annehmen durfte, dass sie die Rechtslage – auch im Hinblick auf etwaige Folgen der darin enthaltenen Abgeltungsklausel – umfassend geprüft und für rechtlich unbedenklich befunden hatte. Bei dieser Sachlage kann dem Kläger kein grob fahrlässiger Verstoß gegen das versicherungsrechtliche Aufgabeverbot zur Last gelegt werden. Ein solcher Vorwurf scheitert daran, dass er anwaltlichen Rat eingeholt und sich auf dessen Richtigkeit verlassen hatte; mehr als dies konnte von ihm unter den gegebenen Umständen nicht verlangt werden. Wendet sich der Versicherungsnehmer an einen Rechtsanwalt und holt Rat ein, kann er sich grundsätzlich auf dessen Richtigkeit verlassen; dies gilt sogar dann, wenn der Wortlaut der dem Versicherungsnehmer bekannten Versicherungsbedingungen eindeutig erscheinen mag (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981, 321; Senat, Urteil vom 29. Juni 2011 – 5 U 297/09-76, VersR 2012, 845). Deshalb durfte der Kläger im Streitfall dem Rat seiner Prozessbevollmächtigten folgen und dem im Verhandlungstermin widerruflich geschlossenen Vergleich näher treten, von dem jedenfalls für ihn nicht offensichtlich sein musste, dass dadurch auch übergangsfähige Ansprüche auf Ersatz künftiger Behandlungskosten erfasst und letztlich zum Nachteil der Beklagten mit abgegolten waren. Anlass, die ihm erteilten anwaltlichen Ratschläge weitergehend auf ihre Richtigkeit und Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, musste der Kläger hier nicht haben. Dem gegebenen Rat zu folgen, stellte unter den gegebenen Umständen keinen besonders schweren Verstoß gegen die im Verkehr übliche Sorgfalt dar.

bb)

Entgegen der Ansicht des Landgerichts muss sich der Kläger im Rahmen des § 86 Abs. 2 VVG auch nicht ein mögliches schweres Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.

(1)

Dass die im Haftpflichtprozess tätig gewordene Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht Repräsentant für die Erfüllung versicherungsrechtlicher Obliegenheiten war, hat der Erstrichter noch zutreffend erkannt. Versicherungsrechtlicher Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist (BGH, Urteil vom 21 April 1993 – IV ZR 34/92, BGHZ 122, 250; vgl. Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 28 Rn. 98 ff.; Wendt, RuS 2012, 209, 212). Es entspricht jedoch seit langem gefestigter, vom Senat und der versicherungsrechtlichen Literatur geteilter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein vom Versicherungsnehmer beauftragter Anwalt, selbst wenn dieser gegenüber dem Versicherer tätig wird, grundsätzlich nicht als Repräsentant des Versicherungsnehmers anzusehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981, 321; Senat, Urteil vom 29. Juni 2011 – 5 U 297/09-76, VersR 2012, 845; Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 28 Rn. 119; Lehmann, RuS 2019, 361, 367). Auch im Streitfall ist die Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht aufgrund eines Vertretungsverhältnisses oder eines ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Klägers als Versicherungsnehmer der Beklagten getreten. Soweit sie den Kläger im Haftpflichtprozess gerichtlich vertrat und diesen bei Abschluss des Abgeltungsvergleichs anwaltlich beriet, nahm sie dessen Interessen gegenüber dem Prozessgegner war und verdrängte sie den Kläger gegenüber der Beklagten nicht aus seiner vertraglichen Stellung. Dazu genügt nämlich nicht, dass sich ein Versicherungsnehmer anwaltlicher Hilfe bedient, selbst wenn dieses Verhalten – auch – Bezug zu der Erfüllung vertraglicher Obliegenheiten aufweist, solange sich der Aufgabenbereich des Rechtsanwalts – wie hier – auf die Wahrnehmung der Interessen des Klägers im Einzelfall beschränkte.

(2)

Eine Zurechnung des Verschuldens der klägerischen Prozessbevollmächtigten aufgrund materiell-rechtlicher Vorschriften kommt ebenfalls nicht in Betracht. § 278 BGB, der im Rahmen vertraglicher Schuldverhältnisse (§ 241 BGB) dem Schuldner das Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, zurechnet, findet auf versicherungsrechtliche Obliegenheiten keine Anwendung, weil es insoweit gerade nicht um die „Erfüllung von Verbindlichkeiten“ geht (BGH, Urteil vom 25. November 1953 – II ZR 7/53, BGHZ 11, 120; Urteil vom 8. Januar 1981 – IVa ZR 60/80, VersR 1981, 321; Senat, Urteil vom 20. Februar 2002 – 5 U 427/01-30, ZfS 2002, 587; Urteil vom 29. Juni 2011 – 5 U 297/09-76, VersR 2012, 845). Auch eine Zurechnung analog § 166 Abs. 1 BGB scheidet aus. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers handelte bei Abschluss des Prozessvergleichs nicht als dessen „Wissensvertreter“; denn dazu zählt nur derjenige, den der Geschäftsherr dazu berufen hat, im Rechtsverkehr für ihn bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls weiterzugeben (BGH, Urteil vom 21. Juni 2000 – IV ZR 157/99, VersR 2000, 1133). Darum geht es hier nicht, weil der Kläger – nach anwaltlicher Beratung – selbst entschieden hat, dem Prozessvergleich näher zu treten (vgl. Senat, Urteil vom 29. Juni 2011 – 5 U 297/09-76, VersR 2012, 845). Auch auf die Rechtsfigur des „Wissenserklärungsvertreters“ kann nicht zurückgegriffen werden. Diese betrifft die Haftung des Versicherungsnehmers für Angaben von Personen, die er mit der Erstattung von Auskünften gegenüber dem Versicherer betraut hat (BGH, Urteil vom 2. Juni 1993 – IV ZR 72/92, BGHZ 122, 388). Auch dies ist hier nicht der Fall gewesen.

(3)

Anders als der Erstrichter gemeint hat, muss sich der Kläger ein etwaiges Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten auch nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

(a)

§ 85 Abs. 2 ZPO stellt – für seinen Anwendungsbereich – das „Verschulden des Bevollmächtigten“ dem Verschulden der Partei gleich. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass die Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lässt, in jeder Weise so behandelt wird, als wenn sie den Prozess selbst geführt hätte (Althammer, in: Zöller, ZPO 32. Aufl., § 85 Rn. 2; vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 1951 – IV ZR 11/51, BGHZ 2, 205, zu § 232 Abs. 2 ZPO a.F.). Die Heranziehung eines Vertreters soll nicht zu einer Verschiebung des Prozessrisikos zu Lasten des Gegners führen; deshalb setzt die in § 85 Abs. 2 ZPO angeordnete Verschuldenszurechnung die nach § 85 Abs. 1 ZPO stattfindende Zurechnung der Prozesshandlungen auf der Verschuldensebene fort (BAG, Urteil vom 11. Dezember 2008 – 2 AZR 472/08, BAGE 129, 32; Althammer, in: Zöller, a.a.O., § 85 ZPO Rn. 2; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Regelung BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 – 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253). Das Gesetz bürdet so der Partei im Anwaltsprozess das Risiko auf, dass der von ihr bevollmächtigte Rechtsanwalt im Rahmen der Prozessvollmacht bei seinen Prozesshandlungen seine Pflichten schuldhaft verletzt (BGH, Beschluss vom 22. April 2008 – X ZB 18/07, NJW-RR 2008, 1290; Weth, in: Musielak/Voit, ZPO 16. Aufl., § 85 Rn. 7).

(b)

Allerdings ist § 85 Abs. 2 ZPO – ebenso wie die Vorgängernorm des § 232 Abs. 2 ZPO a.F. – eine nur für das Gebiet des Prozesses geltende, auf seinen besonderen Verhältnissen und Bedürfnissen beruhende Sondervorschrift, die sich nicht ohne weiteres auf das außerprozessuale Gebiet übertragen lässt (RG, Urteil vom 3. November 1938 – IV 135/38, RGZ 158, 357, 361; BGH, Urteil vom 21. Mai 1951 – IV ZR 11/51, BGHZ 2, 205, jew. zu § 232 Abs. 2 ZPO a.F.; Wendt, RuS 2012, 209, 212; ebenso für den vorliegenden Fall: Grams, FD-VersR 2018, 412789, beck-online; Rixecker, ZfS 2019, 389). Sie gilt für alle Vorschriften des Prozessrechts, die auf ein Verschulden der Partei abstellen; nur wo nach der Zivilprozessordnung das Verschulden der Partei eine Rolle spielt, tritt dann dieselbe Rechtsfolge auch bei Verschulden des Prozessbevollmächtigten ein (Toussaint, in: MünchKomm-ZPO 5. Aufl. , § 85 Rn. 17, 37). Dabei folgt aus ihrem Sinn und Zweck, dass eine Zurechnung des Vertreterverhaltens nur im Verhältnis zu anderen Prozessbeteiligten in Betracht kommt. Gegenüber Dritten, die außerhalb des Prozessrechtsverhältnisses stehen, muss die Partei sich ein Fehlverhalten ihres Bevollmächtigten nur nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts zurechnen lassen (Weth, in: Musielak/Voit, a.a.O., § 85 Rn. 8; Jacoby, in: Stein/Jonas, ZPO 23. Aufl., § 85 Rn. 2, 36; Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO 4. Aufl., § 85 Rn. 2).

(c)

Für die – hier in Rede stehende – Verletzung einer versicherungsrechtlichen Obliegenheit lässt sich die Zurechnungsnorm des § 85 Abs. 2 ZPO daher nicht fruchtbar machen. Dabei spielt es – entgegen den Überlegungen des Erstrichters – auch keine Rolle, dass die (möglicherweise) schuldhafte Handlung der klägerischen Prozessbevollmächtigten anlässlich eines Vergleichsabschlusses erfolgte, der seinerseits – und unbeschadet der konkreten Umstände seines Zustandekommens – im Verhältnis zum damaligen Prozessgegner – auch – eine Prozesshandlung darstellte (zur Doppelnatur des Prozessvergleichs BGH, Urteil vom 30. September 2005 – V ZR 275/04, NJW 2005, 3576). Denn entscheidender Bezugspunkt des nach § 86 Abs. 2 Satz 2 und 3 VVG erforderlichen Verschuldens – Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit – ist nicht der Abschluss des Vergleichs mit dem damaligen Prozessgegner, sondern die dadurch möglicherweise bedingte Verletzung des in § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG geregelten Aufgabeverbots gegenüber der Beklagten. In Bezug auf versicherungsrechtliche Obliegenheiten wird der Gedanke einer angemessenen Verteilung des Risikos, der auch den Vorschriften über die Haftung für Dritte zugrunde liegt und der je nach Sachlage von Fall zu Fall anders vorzunehmen ist, jedoch ausschließlich durch die – mangels Anwendbarkeit des § 278 BGB praeter legem entwickelte – Haftung des Versicherungsnehmers für seine Repräsentanten verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1955 – VI ZR 37/54, VersR 1955, 477). Soweit diese Grundsätze im Streitfall nicht eingreifen, weil – wie auch das Landgericht erkannt hat – die Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Verletzung der Obliegenheit nicht in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten war, kann diese fehlende Voraussetzung, die die Zurechnung nach materiellem Recht ausschließt, nicht durch einen Rückgriff auf die rein prozessual wirkende Vorschrift des § 85 Abs. 2 ZPO überspielt werden.

3.

Ob es der Beklagten im Hinblick auf die von ihr nach Kenntnis von dem Vergleichsabschluss erbrachten weiteren Versicherungsleistungen möglichweise auch versagt sein könnte, sich auf die nachteiligen Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung zu berufen, wie der Kläger gemeint hat, bedarf hiernach keiner Entscheidung mehr; gleichwohl ist klarzustellen, dass diese Frage hier zu verneinen wäre. Zwar kann ein Versicherer auf die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung seines Versicherungsnehmers auch verzichten. Erbringt er nach Kenntnis von einer zur Leistungsfreiheit führenden Obliegenheitsverletzung vorbehaltlos Leistungen an den Versicherungsnehmer, so kann darin ggf. ein solcher Verzicht zu erblicken sein (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1963 – II ZR 111/60, VersR 1963, 516). Ausgehend vom Tatbestand des angefochtenen Urteils, dessen Berichtigung hier nicht beantragt wurde und der deshalb gemäß § 314 Satz 1 ZPO vollen Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefert, war die Beklagte mit Schreiben des Klägers vom 12. April 2017 (= Anlage B5) über den Abschluss des Vergleiches informiert worden, so dass daraus auf den ersten Blick gefolgert werden könnte, ihre späteren Zahlungen seien in Kenntnis dieses Umstandes erfolgt. Die Annahme, sie habe aus der Obliegenheitsverletzung keine Rechtsfolgen herleiten wollen, kann allein darauf jedoch nicht gestützt werden. Denn die vom Kläger zur Begründung eingewandten Zahlungen erfolgten – noch – zu einem Zeitpunkt zu dem die Beklagte – ausweislich des schon erstinstanzlich zur Akte gereichten und von ihr konkret in Bezug genommenen Schriftverkehrs, vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 – I ZR 161/08, NJW 2011, 1513 – mangels Vorlage des vollständigen Vergleichstextes noch keine ausreichende Gelegenheit hatte, auch unter Berücksichtigung einer angemessenen Überlegungsfrist eine abschließende Entscheidung über ihre Leistungspflicht zu treffen. Zudem hatte die Beklagte schon vor der in Rede stehenden Zahlung – mit Schreiben vom 11. Mai 2017 – darauf hingewiesen, dass sie sich ab dem Zustandekommen des Vergleichs nicht mehr für eintrittspflichtig hielt. Bei dieser Sachlage konnte der Kläger die spätere Zahlung, die – unstreitig – auf einer automatisierten Bearbeitung seines Leistungsantrages beruhte, nicht als einen Verzicht auf mögliche Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung verstehen (vgl. auch schon Senat, Urteil vom 20. Juni 2018 – 5 U 58/17, VersR 2019, 91).

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG. Auf der Grundlage der unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers, wonach die beiden ausstehenden Operationen mit voraussichtlichen Kosten von jeweils 5.000,- Euro verbunden sein werden, schätzt den Wert des Feststellungsantrages unter Berücksichtigung des üblichen Abschlages von 20 Prozent auf 8.000,- Euro.

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